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Wohnungspolitik des Bundes: Optimierung ohne sofortige Markteingriffe

Wohnungspolitik des Bundes: Optimierung ohne sofortige Markteingriffe

Wer aus persönlichen Gründen, wegen dem Arbeitsmarkt, der Ausbildung oder dem Verlust der bisherigen Wohnung umziehen muss, einen eigenen Haushalt gründen will oder aus dem Ausland zuzieht, kennt das Problem: Die Wohnungssuche zieht sich häufig in die Länge – vor allem wenn ein zentraler oder attraktiver Standort gewünscht wird. Wohnungssuchende sind oft erst im weiteren städtischen Umland oder an peripher gelegenen Standorten erfolgreich und müssen weite Arbeitswege in Kauf nehmen. Für die in den Städten und ihren Agglomerationen stark angespannten Wohnungsmärkte wird die Zuwanderung als Folge der Personenfreizügigkeit verantwortlich gemacht. Entsprechend stehen Forderungen im Raum, flankierende Massnahmen auf dem Wohnungsmarkt – analog zum Arbeitsmarkt – zu ergreifen.

Mit flankierenden Massnahmen auf dem Wohnungsmarkt soll der Skepsis der Bevölkerung gegenüber offenen Grenzen begegnet und die Fortsetzung der volkswirtschaftlich wichtigen Personenfreizügigkeit nicht gefährdet werden. So hat der Nationalrat in der Frühjahrssession 2013 ein Postulat überwiesen, das den Bundesrat beauftragt, flankierende Massnahmen im Wohnungssektor in Bezug auf die negativen Auswirkungen der Personenfreizügigkeit zu prüfen.
Postulat Urek-N vom : Massnahmen im Wohnungswesen. Auch der Bundesrat hat in seinem Bericht vom 4. Juli 2012 über die Personenfreizügigkeit und die Zuwanderung festgehalten, dass die Zuwanderung Auswirkungen auf den Wohnungs- und Immobilienmarkt habe und die Prüfung von Massnahmen in Aussicht gestellt.

Bundesrat will bewährte Politik im Grundsatz fortführen


Am 15. Mai 2013 hat der Bundesrat über seine Prüfergebnisse informiert. Er will grundsätzlich an den Leitlinien seiner bisherigen Wohnungspolitik festhalten. Die Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum soll weiterhin in erster Linie Aufgabe der Privatwirtschaft bleiben. Dieser Grundsatz hat sich unter unterschiedlichen konjunkturellen Vorzeichen bewährt und dazu geführt, dass die Schweiz traditionell zu den Ländern mit einer sehr guten Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum gehört. Aktuell stehen gemäss Schätzungen von Immobilienfachleuten pro Kopf im Schnitt rund 50 m2 zur Verfügung. Seitens der Wohnungsanbieter besteht eine hohe Bereitschaft, in den Neubau und die Erneuerung von Wohnungen zu investieren. Die Wohnungen sind von hoher Qualität und in der Regel gut unterhalten. Die Wohnkosten sind für den Grossteil der Bevölkerung gut tragbar. Im Schnitt geben die Mieterhaushalte seit Jahrzehnten rund 20% ihres Bruttoeinkommens für die Wohnungsmiete und die Nebenkosten aus (siehe Grafik 1). Ein zweiter Grundsatz besagt, dass der Bund in Ergänzung zur marktwirtschaftlichen Versorgung den gemeinnützigen Wohnungsbau unterstützt. Dieser spielt für die Wohnungsversorgung der wirtschaftlich schwächeren Bevölkerung eine wichtige Rolle und sorgt in den Städten und Agglomerationen für eine ausgewogene Zusammensetzung der Bevölkerung. Der Bundesrat will nun Voraussetzungen schaffen, damit der gemeinnützige Wohnungsbau seine Funktion besser wahrnehmen kann. Namentlich soll diesem der Zugang zu Bauland erleichtert werden. Zu diesem Zweck können künftig die vom Bund zur Verfügung gestellten zinsgünstigen Darlehen auch für den Land­erwerb eingesetzt werden. Die Prüfung verschiedener Massnahmen im Raumplanungsbereich hat ebenfalls zum Ziel, die Marktchancen der gemeinnützigen Bauträger zu verbessern. Weitere Massnahmen betreffen die Erhaltung von preisgünstigen Wohnungen, wobei der Bundesrat Eingriffe in die Preisbildung – wie beispielsweise eine Beschränkung der Mietzinserhöhung bei Mieterwechseln – ablehnt. Solche Massnahmen würden zwar kurzfristig der Erhaltung von preisgünstigem Wohnraum dienen; sie setzen jedoch falsche Signale für die längerfristig nötigen Investitionen in den Wohnungsbau. Ein wichtiges Element der bundesrätlichen Strategie ist die Intensivierung des Dialogs mit den Kantonen und Städten, denen die Problemlagen vor Ort am besten bekannt sind und die in der Wohnungsversorgung – neben der Privatinitiative und dem Bund – eine Mitverantwortung haben. Wie in der wohnungspolitischen Debatte üblich, fielen die Reaktionen auf die Bundesratsentscheide sehr unterschiedlich aus. Die eine Seite liess verlauten, diese würden viel zu wenig weit gehen und weder zur Lösung der Probleme auf dem Wohnungsmarkt noch zur politischen Stützung der Personenfreizügigkeit beitragen. Der anderen Seite des politischen Spektrums gehen die eingeleiteten Massnahmen bereits zu weit oder würden lediglich der Symptombekämpfung dienen und nicht bei der Ursache – nämlich der Zuwanderung selbst – ansetzen.

Gründe der steigenden Nachfrage


Offensichtlich werden je nach politischem Standpunkt die Lage auf dem Wohnungsmarkt und der Handlungsbedarf sehr unterschiedlich eingeschätzt. Deshalb scheint es angebracht, unvoreingenommen einen Blick auf die Fakten zu werfen. Die Folgen der Immobilienkrise der 1990er-Jahre blieben über die Jahrtausendwende spürbar. Erst allmählich nahm der Wohnungsmarkt eine neue Dynamik auf, die sich bis heute fortgesetzt hat. Diese hat unterschiedliche Treiber:

  • günstige wirtschaftliche Rahmenbedingungen;
  • Bevölkerungsanstieg und die weitere Zunahme der kleinen Haushalte;
  • tiefe Zinssätze als Resultat einer weltweit expansiven Geldpolitik;
  • verändertes Anlegerverhalten im Anschluss an die Finanzkrise;
  • Präferenzen für das urbane beziehungsweise stadtnahe Wohnen.


Die ständige Wohnbevölkerung hat zwischen 2007 und 2012 pro Jahr jeweils um rund 84 000 Personen zugenommen. 2008 betrug die Zunahme gar über 108 000 Personen. Mit diesem Wachstum, das zum grossen Teil auf die Zuwanderung zurückgeht, ist der Bedarf für Wohnraum stark angestiegen. In räumlicher Hinsicht steht die Nähe zu den Arbeitsplätzen und den Kulturangeboten im Vordergrund. Deshalb konzentriert sich die Nachfrage auf die Städte und Agglomerationen. Hinzu kommt eine eher «hausgemachte» Nachfrageerhöhung: Zwischen 2000 und 2010 ist die Zahl der Einpersonenhaushalte um 18% und jene der Zweipersonenhaushalte um 19% angestiegen – also deutlich stärker als die Zunahme aller Haushalte (14%). Mittlerweile werden mehr als zwei Drittel der Wohnungen nur von einer oder zwei Personen bewohnt.

Regional angespannte Märkte trotz sehr hoher Bautätigkeit


Die Bautätigkeit hat auf die steigende Nachfrage reagiert. Die Zahl der neu erstellten Wohnungen ist von knapp 29 000 im Jahre 2002 auf rund 47 000 Einheiten im Jahr 2011 angestiegen (siehe Grafik 2). Dank dieser Ausweitung der Wohnungsproduktion pendelt die gesamtschweizerische Leerwohnungsquote in dieser Periode um 1%. Am 1. Juni 2012 standen knapp 39 000 Wohnungen oder 0,94% des Gesamtbestandes leer. Allerdings bestehen grosse Unterschiede nach Regionen und Marktsegmenten. Deutlich unter dem gesamtschweizerischen Mittel liegen die Quoten in den Kantonen Zürich, Luzern, Zug, Waadt und Genf sowie in den beiden Basel; deutlich darüber unter anderem in den Kantonen Solothurn, Aargau, Thurgau, St. Gallen und Jura. Während in den Kantonen mit angespanntem Markt ein Mangel an Miet- und Eigentumsobjekten besteht, stehen in der zweiten Kantonsgruppe überdurchschnittlich viele Mietwohnungen leer. Besonders in diesen eher ländlich geprägten Regionen, aber auch gesamtschweizerisch wurden in den letzten Jahren vor allem Eigentumsobjekte erstellt. Viele Haushalte nutzten die für den Eigentumserwerb günstigen Rahmenbedingungen und verliessen ihre Mietwohnungen, die anschliessend nicht alle sofort neue Mieter fanden.

Regional starke Preisanstiege bei ­Eigentumsobjekten


Die für die ganze Schweiz beobachtbare hohe Nachfrage nach Eigentumsobjekten hat verschiedene Gründe. Die Hauptrolle spielen die Zinssätze, welche als Folge der expansiven Geldpolitik auf Tiefstwerte gesunken sind. Die geringen Finanzierungskosten haben den Eigentumserwerb gegenüber dem Wohnen zur Miete günstiger gemacht und dazu geführt, dass sich viele mittelständische Familien und Haushalte ihren Eigentumswunsch erfüllen konnten. Entsprechend ist die Wohneigentumsquote gemäss amtlicher Statistik zwischen 2000 und 2010 von 34,6% auf rund 37% angestiegen. Allerdings hat diese Entwicklung auch ihre Kehrseite: Die tiefen Zinsen und die hohe Nachfrage haben die Angebotspreise in den gesuchten Regionen so stark ansteigen lassen, dass verschiedene Marktbeobachter dort Anzeichen einer Blasenbildung sehen (siehe Grafik 3).

Stabile Mietzinsen in bestehenden ­Mietverhältnissen…


Eine weitere Folge der Tiefzinspolitik ist die Rückbildung des hypothekarischen Referenzzinssatzes, der seit September 2008 für die Mietpreisgestaltung in der ganzen Schweiz massgebend ist. Er hat sich seit seiner Einführung von 3,5% auf aktuell 2,25% reduziert. In den meisten bestehenden Mietverhältnissen sind in dieser Periode die Mietzinse deshalb stabil geblieben oder gar gesunken. Zu beobachten sind aber auch gegenläufige Marktprozesse, welche besonders in den Regionen mit hoher Nachfrage zu zum Teil markanten Mietzinserhöhungen führen.

… und häufig Mietzinserhöhungen bei Mieterwechseln und Handänderungen


Bei Mieterwechseln, von denen jährlich im Schnitt etwa jede sechste Mietwohnung betroffen ist, kommt es häufig zu Mietzinserhöhungen. Eine Stichprobe für die Jahre 2010 bis 2012 ergab, dass bei etwas weniger als der Hälfte der Mieterwechsel die Mietzinse anstiegen. Bei fast gleich vielen Fällen blieb der Mietzins stabil, und bei rund jedem zehnten Wechsel wurde die Miete gesenkt. Von Seiten der Mieterorganisationen wird moniert, dass Vermieter häufig nicht einen Mieterwechsel für eine Mietzinsanpassung an den Markt abwarten, sondern mit so genannten Ertragskündigungen den Prozess beschleunigen. Mietzinserhöhungen können auch erfolgen, wenn eine Liegenschaft die Hand wechselt. Im Nachgang zur Finanzkrise sind ­mangels Anlagealternativen so genannte «Renditeobjekte» immer begehrter geworden. Gemäss UBS sind seit 2008 die Preise für solche Objekte jährlich im Schnitt um rund 6% angestiegen. In diesen Fällen erfolgt häufig unmittelbar eine Anpassung der Mietzinse an den Kaufpreis. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Kündigungen oft auch dann ausgesprochen werden, wenn Wohnungen umfassend erneuert und energetisch saniert werden. Und schliesslich ist zu beobachten, dass im Nachgang zu Erneuerungen nicht eine Neuvermietung erfolgt, sondern die Wohnungen in Stockwerkeigentumseinheiten umgewandelt und einzeln verkauft werden.

Zuwanderung ist ein Faktor unter vielen


Diese Lageskizze macht deutlich, dass für die Marktdynamik verschiedene «Treiber» eine Rolle spielen. Die Zuwanderung ist ein Faktor unter anderen. Letztlich sind es die günstige wirtschaftliche Entwicklung und die Attraktivität der Schweiz als Arbeits- und Wohnort, welche in vielen Regionen die Nachfrage nach Wohnungen haben ansteigen lassen. Dass der Wohnungsmarkt grundsätzlich funktioniert, zeigt die Wohnbau­tätigkeit. Diese hinkt zwar hinter der Nachfrageentwicklung her. Sie war jedoch gross genug, dass in einer landesweiten Betrachtung die Marktanspannung in den letzten Jahren nicht zunahm.

Unsichere Zukunftsaussichten


Die künftige Entwicklung auf den Wohnungsmärkten hängt stark von den konjunkturellen Gegebenheiten ab. Gemäss Staats­sekretariat für Wirtschaft (Seco) sind die kurzfristigen Konjunkturaussichten für die kommenden Monate durchzogen. Unter diesen wirtschaftlichen Vorzeichen dürfte die Zuwanderung zumindest nicht weiter zunehmen, zumal der Bundesrat im Frühling 2013 den Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt für Erwerbstätige aus den EU-Staaten für die nächsten 12 Monate beschränkt hat. Für den Wohnungsmarkt bedeutet dies, dass in der kurzen Frist die Nachfrage nach Wohnraum zwar hoch bleibt, aber nicht weiter ansteigt. Gleichzeitig kommen 2013 und auch in den nächsten beiden Jahren viele neue Wohnungen auf den Markt. Ende des 4. Quartals 2012 wurden über 75 000 Wohnungen gezählt, die sich im Bau befanden. Auch die im Jahr 2012 baubewilligten Wohnungen deuten für die kommenden Jahre auf eine Produktionsziffer oberhalb von 45 000 Einheiten hin. Alles in allem ist somit zu erwarten, dass sich mittelfristig die Situation auf dem Wohnungsmarkt nicht weiter anspannt.Sollte sich wider Erwarten die aktuelle Konjunkturflaute in Richtung Rezession entwickeln, würde sich in den weniger attraktiven Regionen schnell ein grösserer Angebotsüberschuss bilden. Damit kämen die Preise unter Druck. Bei einer längerfristigen wirtschaftlichen Stagnation ohne Einkommenszuwächse und nur noch geringem Bevölkerungsanstieg könnte der Immobilienmarkt gar in eine Krise geraten.Angesichts dieser unsicheren Perspektiven sind die Beschlüsse des Bundesrates als umsichtig und zweckmässig einzustufen. Aufgrund der aktuellen Marktlage besteht kein Bedarf für sofortige Markteingriffe. Wichtig sind jedoch Massnahmen, die mittel- bis langfristig wirken und dazu beitragen, dass in der Schweiz weiterhin alle Bevölkerungskreise angemessen wohnen können. Im Rahmen des vom Bundesrat eingeleiteten Dialogs mit den Kantonen und Städten ­sollen weitere Massnahmen geprüft werden, welche die regional unterschiedlichen Bedürfnisse berücksichtigen und von den ­betroffenen Kantonen und Gemeinden mitgetragen werden.

Grafik 1: «Anteil Haushalte nach Mietbelastungsklassen»

Grafik 2: «Entwicklung von Wohnungsbau und Leerstandsquote, 1980–2012»

Grafik 3: «Angebotspreisentwicklung Eigentumswohnungen, 1996–2012»

Zitiervorschlag: Ernst Hauri (2013). Wohnungspolitik des Bundes: Optimierung ohne sofortige Markteingriffe. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.