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Insolvenzordnung für Staaten: Lehren aus der Schweiz?

Im Rahmen der aktuellen Verschuldungskrise in Europa rückt die Frage einer Insolvenzordnung für Staaten wieder in den Fokus von Politik und Wissenschaft. Was könnte eine rechtliche Regelung präventiv zur Verhinderung von Verschuldungskrisen und kurativ zur effizienteren Beilegung von Verschuldungskrisen bringen? Wenig bekannt ist, dass die Schweiz seit über 60 Jahren eine Insolvenzordnung für Gemeinden kennt.
Der vorliegende Beitrag basiert auf einem längeren Artikel, der am 8. März 2013 in Freiburg i. Br. anlässlich des Symposiums «Föderalismus und Subsidiarität» vorgestellt wurde und ist in einer gekürzten Fassung in der Zeitschrift «Aktuelle Juristische Praxis» 7/2013 ­erschienen.

Während Jahren war trotz weltweit steigender Schuldenstände die Solvenz staatlicher Schuldner kaum gefährdet. Dies änderte sich, als ab Oktober 2009 Griechenland und weitere Länder in finanzielle Notlage gerieten. In den damaligen Diskussionen meinte der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble am 4. Mai 2010: «Wir müssen uns überlegen, wie im Extremfall Mitgliedsländer in die geordnete Insolvenz gehen können, ohne dass die Euro-Zone insgesamt gefährdet ist». Dabei ist die Insolvenz staatlicher Akteure ein relativ häufig auftretendes Phänomen, wenn man einen längeren Zeithorizont betrachtet. Für den Zeitraum zwischen 1800 und 2007 fanden Reinhard und Rogoff (2008) mindestens 250 Fälle von Zahlungsausfällen auf Auslandsschulden und rund 70 Fälle, in denen ein Staat seine Inlandsschulden nicht mehr bedienen konnte. Die Folgen waren für die betroffenen Staaten sowie für weitere, zunächst unbeteiligte Staaten existenziell. So verlor Neufundland seine Souveränität an Kanada, als es im Jahr 1936 seine Auslandsschulden nicht mehr bedienen konnte.Im Nachgang des Zahlungsausfalls Argentiniens unterbreitete die stellvertretende IWF-Direktorin Anne O. Krueger unter der Bezeichnung Sovereign Debt Restructuring Mechanism einen Vorschlag für eine Insolvenzordnung. Das Ziel bestand darin, den Schuldnerstaaten die Möglichkeit einzuräumen, frühzeitig die Schuldenlast unter Wahrung der Gläubigerrechte zu reduzieren und gleichsam die Umschuldung vorhersehbar zu machen.
Vgl. Krueger (2002), S. 4–5. Als legislatorisches Vorbild diente das Chapter-9-Verfahren des United States Bankruptcy Code. Der Schuldnerstaat sollte einen Schulden- und Zinsstopp verlangen können. Der Zweck bestand darin, einen Verhandlungsrahmen für die Umschuldungsverhandlungen zu errichten und – wenn keine Einigung zustande käme – eine Grundlage für verbindliche Restrukturierungen zu schaffen.
Vgl. Krueger (2002), S. 20. Die Realisierung scheiterte jedoch am politischen Widerstand der USA.

Gesetzliche Lösungen im Vorteil


Die derzeitigen Ad-hoc-Entscheidungen sind der Rechtssicherheit abträglich und verstärken die Unsicherheit.
Vgl. von Hagen (2011), S. 5; ebenso Krueger (2002), S.1. Der Ablauf nach Bekanntwerden der Zahlungsunfähigkeit sollte regelgebunden und für die Involvierten besser vorhersehbar verlaufen. Eine gesetzliche Insolvenzordnung reduziert die Unsicherheit und bildet einen verlässlichen Erwartungsrahmen für die Gläubiger. Damit scheint sie als Koordinationsinstrument zwischen den widerstrebenden Interessen einer Verhandlungslösung konzeptionell überlegen zu sein. Die Verhandlungslösung ermöglicht zwar eine marktorientierte Schulden­restrukturierung, bietet jedoch keinen ausreichenden Rechtschutz und verursacht hohe Transaktionskosten.
Vgl. Sester (2012), S. 114. Die meisten vorgeschlagenen Verhandlungslösungen setzen die Einführung von Collective Action Clauses voraus, sodass bestehende Verträge ergänzt und teilweise neu verhandelt werden müssten. Gesetzliche Lösungen haben den Vorteil, dass Mehrheitsentscheide für alle Gläubiger verbindlich erklärt werden können, ohne die Verträge neu auszuhandeln, und sie tendenziell die diskretionären Handlungsräume der Involvierten vermindern.
Vgl. Krueger (2002), S. 30–31.

Entstehung der geltenden Rechtslage in der Schweiz


Seit über einem halben Jahrhundert existiert in der Schweiz mit dem Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über die Schuldbetreibung gegen Gemeinden und andere Körperschaften des kantonalen öffentlichen Rechts (SchGG, SR 282.11) eine gesetzliche Regelung im Sinne einer kurativen Regel bei Überschuldung.Die Entstehung reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Die Vorkommnisse rund um die Finanzierung der Nationalbahn stürzten die Gemeinden Baden, Lenzburg, Zofingen und Winterthur im ausgehenden 19. Jahrhundert in akute finanzielle Schwierigkeiten. Im Frühjahr 1883 ernannte der Bundesrat eine Expertenkommission und betraute sie, die Finanzlage der vier Garantiestädte zu untersuchen. In Anbetracht des unzureichenden Vermögens der vier betroffenen Einwohnergemeinden beteiligten sich die Kantone Aargau und Zürich entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit mit öffentlichen Mitteln. Der Bund stand den Kantonen zugunsten ihrer finanziell angeschlagenen Gemeinden mit einem Darlehen zur Seite, um die Restschulden zu tilgen. Um zu verhindern, dass sich diese Vorkommnisse wiederholen, wurde zunächst beabsichtigt, die Insolvenz öffentlich-rechtlicher Schuldner gemeinsam mit der Einführung eines eidgenössischen Konkursrechts zu regeln.
Botschaft vom 6. April 1886, BBl 1886 II 30. Der Bundesrat verzichtete letztlich darauf, die entsprechenden Bestimmungen in den endgültigen Entwurf des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes aufzunehmen. Es blieb den Kantonen überlassen, Vorschriften für ihre Gemeinden zu erlassen.Die Weltwirtschaftskrise hatte zur Folge, dass eine wachsende Anzahl von Kantonen und Gemeinden – insbesondere jene mit lokal ansässiger Uhrenindustrie sowie aus Tourismusregionen – in finanzielle Schwierigkeiten gerieten. Angesichts fehlender bundesrechtlicher Regelungen stand es den Kantonen weiterhin frei, selbständig Bestimmungen über die Stellung von Anleihensgläubiger zu erlassen. Wiederholt wurde dieser Umstand zum Nachteil der Gläubiger ausgenutzt. Das Vertrauen in die Zahlungswilligkeit der öffentlich-rechtlichen Schuldner wurde schliesslich erschüttert, als der Kanton Neuenburg die gesetzliche Grundlage für einen Schuldenschnitt der Gemeinden schuf.In den Krisenzeiten und Währungswirren der 1930er-Jahre wirkte sich damit das Fehlen verbindlicher Regeln erneut negativ aus. Um die Märkte zu beruhigen und zu verhindern, dass die Gläubiger selber in finanzielle Bedrängnis gerieten, erliess der Bundesrat zunächst Sondervorschriften über die Bewertung von Anleihen öffentlich-rechtlicher Körperschaften
AS 52 62. und verabschiedete am 24. November 1936 – gestützt auf Notrecht – den Beschluss über den Schutz der Rechte der Anleihensgläubiger von Körperschaften des öffentlichen Rechts.
AS 52 841. Um zu verhindern, dass nach Auslaufen der Bundesratsbeschlüsse wieder der alte Rechtszustand eintritt, wurde mit der Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfs begonnen. Inhaltlich orientierte man sich an den notrechtlichen Bestimmungen und an den Vorschlägen aus den 1880er-Jahren. Aus politischen Gründen sollte die Insolvenzordnung nicht auf die Kantone anwendbar sein.
Botschaft vom 12. Juni 1939, BBl 1939 II 1–33.In Anbetracht der kriegerischen Bedrohung und der dadurch resultierenden Ungewissheit auf dem Kapitalmarkt, beschloss der Ständerat in der Dezembersession 1939 einstimmig, vorläufig nicht auf das Geschäft einzutreten.
Siehe Amtliches stenographisches Bulletin des Ständerates 1939 609–614. Auf Drängen von Vertretern der Banken und der Versicherungen sowie einzelnen Kantonen gelangte das Geschäft erneut in die parlamentarische Beratung.
Nachtragsbotschaft vom 27. Dezember 1944, BBl 1945 I 1–31. Am 4. Dezember 1947 verabschiedeten die eidgenössischen Räte das SchGG.

Auftretende Spannungsfelder


Bereits der Begriff Zahlungsunfähigkeit bereitet erhebliche Schwierigkeiten, wenn er auf öffentlich-rechtliche Schuldner angewandt wird.
Vgl. Roubini (2002), S. 321–322. Die Abgrenzung zwischen einem vorübergehenden Liquiditätsengpass, Zahlungsunfähigkeit und Zahlungsunwilligkeit ist nicht immer klar. Ein Ausweg besteht darin, dass der Zahlungsausfall zunächst als objektives Aufgreifkriterium bestimmt wird und erst in einem weiteren Schritt – nach der Prüfung des Sachverhalts – das Insolvenzverfahren ausgelöst wird. Ein ähnliches Vorgehen wählt das SchGG.Weiter wird eingewendet, dass eine verbindliche Insolvenzordnung mit der Souveränität öffentlich-rechtlicher Schuldner nicht vereinbar sei.
Vgl. etwa Sester (2012), S. 114. Es ist zu bezweifeln, dass dieser Einwand dem heutigen Verständnis des Souveränitätsbegriffes gerecht wird. Die Wahrung der Schuldnersouveränität ist in erster Linie von der Ausgestaltung des Verfahrens abhängig. Wird nicht die Liquidation, sondern die Sanierung und die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit bezweckt, verliert die Thematik an Brisanz.
Krueger (2002), S. 11 sowie Paulus (2003), S. 239.

Schuldner-Moral-Hazard


Unter dem Begriff Schuldner-Moral-Hazard findet sich in zahlreichen Publikationen der Hinweis auf negative Anreizwirkungen, die eine Insolvenzordnung auf das Ausgabenverhalten und die Zahlungsmoral haben könnte.
Siehe Roubini (2002), S. 330–332. Eine Insolvenzordnung muss dieser Problematik besonders Rechnung tragen. Langfristig dürften die Marktkräfte den effektivsten Schutz gegen missbräuchliches Verhalten und übermässig risikobehaftete Kreditfinanzierung bieten. Ein Schuldner, der sich missbräuchlich für zahlungsunfähig erklärt, wird eine erheblich höhere Zinslast tragen müssen, die wegen der höheren Ausfallwahrscheinlichkeit um eine entsprechende Risikoprämie angepasst wird. Eine wichtige Bedingung, dass die präventive Wirkung der Marktkräfte zum Tragen kommt, ist der grundsätzliche Verzicht auf eine vollständige Auslösung (Bail-out). Die Aussicht, von jemandem ausgelöst zu werden, unterwandert die Kapitalmarktreaktionen und honoriert missbräuchliches Verhalten des Schuldners indirekt.

Abgrenzung des Haftungssubstrats


Ein weiteres Spannungsfeld betrifft das Haftungssubstrat. Als Haftungssubstrat kommen zunächst Steuereinnahmen in Betracht. Allerdings können nicht beliebig neue finanzielle Mittel durch Steuererhöhungen generiert werden, ohne dass es zu Ausweichreaktionen kommt. Auch die Verwertung bestehender staatlicher Vermögenswerte stösst an ihre Grenzen. Fällt eine Totalliquidation ausser Betracht, muss ein Schuldner notwendigerweise über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, um weiterhin seinen grundlegenden Aufgaben nachkommen zu können. Anders verhält es sich in Bezug auf Vermögenswerte, die nicht unmittelbar hoheitlichen Zwecken dienen. Diese sind rechtlich und faktisch verwertbar. Die rechtliche Privilegierung des Verwaltungsvermögens setzt jedoch falsche Anreize. Davon profitieren diejenigen Gemeinden am stärksten, die mehr Aufgaben übernehmen. Je mehr Aufgaben ein Gemeinwesen erfüllt, desto höher dürften die Verbindlichkeiten und dadurch auch die finanziellen Risiken ansteigen. Diesen Vorwurf muss sich auch das SchGG gefallen lassen. Unabhängig von der konkret gewählten gesetzlichen Regelung erscheint es wichtig, die verwertbaren Vermögenswerte im Voraus festzulegen. Es dürfte wesentlich einfacher sein, vor dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit Konsens über den Umfang der verwertbaren Vermögenswerte sowie die Reihenfolge ihrer Verwertung zu erzielen.

Bisher einzige Anwendung im Fall ­Leukerbad


Es dauerte rund 50 Jahre nach Inkrafttreten des SchGG, bis es im Fall Leukerbad ein erstes Mal zur Anwendung kam. Ende der 1990er-Jahre brachen die Munizipal- und die Burgergemeinde Leukerbad unter der Schuldenlast zusammen. Vorausgegangen waren zweifelhafte Investitionsentscheidungen und finanzielle Beteiligungen an Infrastrukturprojekten zugunsten der örtlichen Tourismusbranche. Die Gesamtschuld gegenüber externen Gläubigern betrug zeitweise 350 Mio. Franken. Da eine nachhaltige Sanierung ausser Frage stand, einigten sich die involvierten Parteien im Jahr 2003 auf ein frei­williges Sanierungskonzept, das von den ­Gläubigern erhebliche Zugeständnisse abverlangte.Vor dem Hintergrund, dass in der Schweiz seit Erlass des SchGG lediglich eine Gemeindeinsolvenz eintrat, kann man sich fragen, ob Befürchtungen angebracht sind, dass das Vorliegen einer Insolvenzordnung zu einer allzu verschwenderischen und risikoreichen Ausgabenpolitik des Schuldners beiträgt. Wesentlich ist der institutionelle Rahmen. Wird zudem auf eine einseitige Schuldenbefreiung verzichtet, wie dies das SchGG vorsieht, kann der Schuldner-Moral-Hazard wirksam gemindert werden.

Schweizerische Lösung mit interessanten Ansätzen


Jede Form der Insolvenzordnung für Staaten hängt im Wesentlichen davon ab, dass die Restrukturierung der Schulden nach den vorher definierten Regeln vollzogen wird. International existieren heute jedoch keine solchen Regelungen. Die USA wendet eine Insolvenzordnung für nachgelagerte Gebietskörperschaften an, und auch die Schweiz kennt seit über 60 Jahren einer Regelung der Gemeindeinsolvenz. Die schweizerische Lösung im SchGG verfügt dabei über einige interessante Ansätze. Die grösste Herausforderung liegt darin, dass sowohl für den öffentlich-rechtlichen Schuldner als auch für dessen Gläubiger hinreichend starke Anreize gesetzt werden, damit sie sich trotz teilweise gegensätzlicher Interessen an das zuvor vereinbarte Regelwerk halten und ein Abweichen nicht belohnt wird.
Vgl. Roubini (2002), S. 323.Eine Insolvenzordnung allein vermag dies nicht zu bewerkstelligen. Weitere institutionelle Vorkehren sind notwendig. In Bezug auf die Schweiz sind einerseits der Rechtsstaat – insbesondere die Gerichte mit ihrer normenkonkretisierenden Rechtsprechung – sowie die direkte Demokratie mit ihrer ausgabendämpfenden Wirkung bedeutende Institutionen. Andererseits tragen der föderale Steuerwettbewerb und die Finanzautonomie der nachgelagerten Gebietskörperschaften zur Wirksamkeit der Insolvenzordnung bei.Einige Instrumente des SchGG wären ohne Weiteres in abgeänderter Form auf internationale Verhältnisse übertragbar. Die Auslösung des Insolvenzverfahrens muss mit harten Einschnitten für den Schuldner verbunden sein, um den Missbrauch möglichst unattraktiv zu machen und sicherzustellen, dass die politischen Akteure keinen Anreiz haben, die Insolvenz für ihre Zwecke zu missbrauchen. Diese Forderung erfüllt das SchGG, indem es die Finanzhoheit einschränkt und bestimmte Kompetenzen auf einen Beirat überträgt. Andererseits gewährt es dem Schuldner vorübergehend die benötigte Erleichterung, wenn es tatsächlich notwendig ist. Eine erfolgreiche Konsolidierung der Finanzen erfordert dabei nicht bloss die Umschuldung, sondern bedingt auch die Restrukturierung der Ausgaben sowie die Neuordnung der Aufgaben. Wichtige Instrumente fehlen jedoch, wenn wie in der Schweiz keine verbindlichen Vorschriften über den Abschluss eines Nachlassvertrages zwischen Schuldner und Gläubiger bestehen. Eine Insolvenzordnung sollte daher sowohl einen vorübergehenden Zinsenstopp als auch die Möglichkeit eines geordneten Schuldenschnitts vorsehen, falls der Schuldnerstaat nicht über die Mittel verfügt, um die Gläubiger in absehbarer Frist zu befriedigen, und eine nachhaltige Sanierung damit unmöglich wird.
Paulus (2003), S. 240.

Insolvenzordnung kann in Krisen 
dämpfend ­wirken


Der wohl entscheidende Vorteil einer gesetzlichen Insolvenzordnung wie das SchGG besteht darin, dass sie allen Beteiligten die Grenzen ihrer einklagbaren Ansprüche, die möglichen Rechtsfolgen und die sich daraus ergebenden finanziellen Konsequenzen aufzeigt. Damit kann sie entscheidend dazu beitragen, dass die involvierten Parteien ihre Maximalforderungen aufgeben und sich auf Verhandlungen einlassen. Ein Insolvenzverfahren sollte nur als ultima ratio zur Verfügung stehen, wenn alle anderen Mittel sich als unzureichend herausgestellt haben.
Krueger (2002), S. 4–5. Unter dieser Bedingung hat eine Insolvenzordnung durchaus das Potenzial, beruhigend auf die wirtschaftliche Lage einzuwirken und ihren Anteil zur geordneten und speditiven Abwicklung künftiger Schuldenkrise zu leisten.
Vgl. Panizza, Sturzenegger und Zettelmeyer (2009).

Kasten 1: Instrumente des Gesetzes

Instrumente des Gesetzes


Als lex specialis geht das SchGG den Bestimmungen des Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG, SR 281.1) vor. Die Entstehungsgeschichte sowie die parlamentarische Beratung führen zum Schluss, dass das SchGG einen doppelten Schutzzweck verfolgt, indem einerseits das gesamte Kreditwesen und andererseits die Gläubiger geschützt werden sollen. Als zulässige Verwertungsarten nennt das Gesetz die Pfändung sowie die Pfandverwertung (Art. 2 Abs. 1 SchGG). Die Gesamtliquidation ­eines Gemeinwesens fällt ausser Betracht. Den Kantonen ist es vorbehalten, Vorschriften über das Nachlassvertragsrecht aufzustellen (Art. 3 Abs. 1 SchGG).

Als Haftungssubstrat dient in erster Linie das Finanzvermögen eines Gemeinwesens (Art. 7 SchGG). Unpfändbar sind das Verwaltungsvermögen sowie Steuerforderungen des Gemeinwesens (Art. 9 SchGG). Als zulässige Eingriffe in Rechte der Anleihensgläubiger nennt das SchGG unter anderem die zeitliche Erstreckung der Amortisationsfrist sowie die Stundung (Art. 13 lit. a–c SchGG). Ausnahmsweise kann der Zinsfuss zeitlich befristet bis zur Hälfte herabgesetzt sowie ein Nachlass auf verfallene Zinsen gewährt ­werden (Art. 13 lit. e und lit. f SchGG).

Die Einleitung des Verfahrens erfolgt auf Gesuch des Schuldners, wobei eine einlässliche ­Darstellung der finanziellen Lage erforderlich ist (Art. 15 Abs. 1 und Abs. 2 SchGG). Als Forum dient den Gläubigern die Gläubigerversammlung (Art. 17 ff. SchGG). Sie entscheidet mit qualifizierter Mehrheit über Eingriffe in die Gläubigerrechte (Art. 20 SchGG). Es gilt gemeinhin der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung (Art. 22 Abs. 2 SchGG). Den eigentlichen Kern des SchGG bilden die Bestimmungen über die Beiratschaft. Sie kann auf Verlangen des Schuldners, der Kantonsregierung und jedes Gläubigers, der ein berechtigtes Interesse glaubhaft macht, angeordnet werden (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 3 SchGG). Vorausgesetzt wird, dass das Gemeinwesen sich zahlungsunfähig erklärt oder voraussichtlich während längerer Zeit nicht in der Lage sein wird, seinen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen. Die Beiratschaft kann zunächst für die Dauer von drei Jahren angeordnet werden und, wenn es die Umstände erfordern, längstens um weitere drei Jahre verlängert werden (Art. 30 SchGG). Über die Anordnung einer Beiratschaft entscheidet schliesslich die Aufsichtsbehörde (Art. 32 Abs. 1 SchGG). Ihr Zweck besteht darin, die verfallenen Verpflichtungen im Rahmen des Finanzplanes einzulösen, den Finanzhaushalt zu ordnen und nach Möglichkeit die Ausgaben zu vermindern und die Einnahmen zu erhöhen (Art. 34 SchGG). Als Mittel kann der Beirat namentlich Steuerrückstände und andere ausstehende Forderungen eintreiben, Aktiven des Finanzvermögens verwerten, bestehende Steuern und sonstige Abgaben erhöhen sowie mit Zustimmung der Kantonsregierung neue Steuern und Abgaben einführen (Art. 35 ff. SchGG). Die Aufsichtsbehörde hat bei der Anordnung der Beiratschaft deren Kompetenzen genau zu umschreiben (Art. 39 Abs. 1 SchGG).

Die Verfügungsfreiheit der ordentlichen Organe wird erheblich eingeschränkt, zumal ihre ­Beschlüsse und Verfügungen der Zustimmung der Beiratschaft bedürfen (Art. 39 Abs. 2 SchGG). Aus Sicht des Schuldners reduziert die Beiratschaft den akuten Betreibungsdruck. Für die vor Anordnung der Beiratschaft eingegangenen ­Verpflichtungen können keine Betreibungen angehoben oder fortgesetzt werden und der Fristenlauf für solche Verpflichtungen wird gehemmt (Art. 41 SchGG).

Kasten 2: Literatur

Literatur

  • Von Hagen, Jürgen (2011): Debt Resolution in the European Monetary Union, Referate im Rahmen des Symposiums «Rechtsfragen des Europäischen Finanzraumes – Insolvenzordnung für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union?», Bonn 2011.
  • Kenen, Peter B. (1990): Organizing Debt Relief: The Need for a New Institution, in: Journal of Economic Perspectives 4, S. 7–18.
  • Krueger, Anne O. (2002): A New Approach To Sovereign Debt Restructuring, Washington, D.C. 2002.
  • Panizza, Ugo, Sturzenegger, Federico und Zettelmeyer, Jeromin (2009): The Economics and Law of Sovereign Debt and Default, in: Journal of Economic Literature 47, S. 651–698.
  • Paulus, Christoph G. (2003): Ein Insolvenzverfahrensrecht für Staaten, in: Dabrowski Martin, Fischer Andreas, Gabriel, Karl und Lienkamp, Christoph (Hrsg.): Die Diskussion um ein Insolvenzrecht für Staaten, Bewertungen eines Lösungsvorschlages zur Überwindung der Internationalen Schuldenkrise, Berlin 2003, S. 231–259.
  • Reinhard, Carmen M. und Rogoff, Kenneth S. (2008): This Time is Different: A Panoramic View of Eight Centuries of Financial Crisis, in: NBER Working Paper Nr. 13882.
  • Rogoff, Kenneth S. und Zettelmeyer, Jeromin (2002): Bankruptcy Procedures for Sovereigns: A History of Ideas, 1976–2001, in: IMF Staff Papers 49, S. 470–507.
  • Roubini, Nouriel (2002): Do We Need a New Bankruptcy Regime?, in: Brookings Papers on Economic Activity 2002, S. 321–333.
  • Sester, Peter (2012): Proposal for a Contractual Sovereign Debt Restructuring Mechanism, in: Nobel Peter und Benevenuto Rachel (Hrsg.): Law and Economics of Money and Currency, Fourth International Conference on Law and Economics, Zürich/Basel/Genf 2012, S. 111–120.

Zitiervorschlag: Christoph A. Schaltegger, Marc M. Winistörfer, (2013). Insolvenzordnung für Staaten: Lehren aus der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.