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Diskriminierungsschutz als Teil der Integrationspolitik: Ein Paradigmenwechsel?

Diskriminierungsschutz als Teil der Integrationspolitik: Ein Paradigmenwechsel?

Der Diskriminierungsschutz muss in der Integrationsdebatte einen wichtigen Platz einnehmen. Dies war bisher nicht der Fall. Die Bestimmungen zum Diskriminierungsschutz im Entwurf für ein revidiertes Ausländergesetz nehmen dieses Anliegen auf. Der Entwurf des Ausländer- und Integrationsgesetzes legt einen Grundstein in Richtung eines Paradigmenwechsels. Ein solcher liegt aber erst vor, wenn auf Worte Taten folgen.

In der Integrationsdebatte drehte sich in den letzten Jahren alles um die Formel «Fordern und Fördern». Unter dem Stichwort «Fordern» wird diskutiert, wie die in der Schweiz lebenden Zuwanderer dazu verpflichtet werden können, eine konkrete Integrationsleistung – wie das Erlernen der lokalen Sprache – zu erbringen. Derweil stellen die Debatten um das «Fördern» die Unterstützung der Migrantinnen und Migranten in ihren Integrationsbemühungen in den Mittelpunkt. In diesem Zusammenhang wird insbesondere ein Ausbau staatlich subventionierter Deutschkurse und die Lancierung spezifischer Fördermassnahmen – z.B. Erstinformation, Übersetzungsdienste – diskutiert. Insgesamt liegt der Diskussion die Annahme zugrunde, dass Integration eine individuelle Leistung darstellt. Die staatliche Integrationspolitik soll die Verbindlichkeit erhöhen und die Anpassung der Migrationsbevölkerung an die Regeln und Strukturen der Aufnahmegesellschaft beschleunigen. Diese im Kern individualistische und asymmetrische Konzeption der Integration bildet eine Konstante in der schweizerischen Integrationsdebatte.
Vgl. Wicker (2009).Die Frage, inwiefern bestehende gesellschaftliche Strukturen die Integration der Migrationsbevölkerung begünstigen oder verhindern, wird in der Diskussion um «Fördern und Fordern» meistens ausgeblendet. Der Diskriminierungsschutz muss in der Integrationspolitik einen wichtigen Platz einnehmen. Es ist deshalb zu begrüssen, dass dieses Anliegen in die Bestimmungen zum Diskriminierungsschutz im Entwurf des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG) eingeflossen ist.
Entwurf zum Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer und über die Integration vom 8. März 2013.

Warum braucht es Diskriminierungsschutz?


Das gesamtgesellschaftliche Verständnis von Integration geht von der Bereitschaft der Aufnahmegesellschaft aus, strukturelle und individuelle Hürden beim Zugang zu Wohnen, Arbeit, Bildung und Freizeitaktivitäten abzubauen. Integrationsförderung bedeutet in dieser Konzeption den konsequenten «Abbau von Integrationsschranken, z.B. in Form der Bekämpfung der Diskriminierung im Arbeits- und Wohnungsmarkt, der Anerkennung vom im Ausland erworbenen Diplomen, der rechtlichen Festschreibung und der Öffnung von Portalen für eine wirkliche Partizipation der ausländischen Wohnbe­völkerung».
Vgl. Wicker (2009), S. 42. Integrationsförderung und Diskriminierungsschutz bedingen sich gemäss dem gesamtgesellschaftlichen Verständnis ­gegenseitig. Gleichwohl können Integra­tionsmassnahmen und Massnahmen des Diskrimi­nierungsschutzes voneinander abgegrenzt werden: Massnahmen zum Abbau von Diskriminierung wirken immer integrationsfördernd, während nicht alle Integrationsmassnahmen anti-diskriminierend wirken.
Vgl. Egger (2003), S. 6.

Gleichberechtigte Teilhabe bisher nicht erreicht


Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive gilt die Migrationsbevölkerung als integriert, wenn die dem jeweiligen Bevölkerungsanteil entsprechende gleichberechtigte Partizipation und Repräsentation der Migrationsbevölkerung an Institutionen, jeweiligen Hierarchiestufen und den Gütern der Gesellschaft gewährleistet ist. Empirisch lässt sich ein Ausbau des Diskriminierungsschutzes damit begründen, dass die gleichberechtige Teilhabe der Migrationsbevölkerung an den Gütern und Dienstleistungen der Aufnahmegesellschaft bisher nicht erreicht ist. Die Integrationsindikatoren, die vom Bundesamt für Statistik (BFS) aufbereitet werden,
Siehe http://www.bfs.admin.ch, Bevölkerung, Migration und Integration, Integrationsindikatoren. weisen in verschiedenen Lebensbereichen beträchtliche Unterschiede aus: Lohn- und Positionsunterschiede auf dem Arbeitsmarkt, im Bildungssystem, beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, betreffend Arbeitslosigkeit, Armutsbetroffenheit und in der Wohnsituation. Die Diskrepanzen werden zumeist mit dem tieferen Bildungsniveau der Migrationsbevölkerung erklärt. Bei dieser auf das Individuum fokussierten Sichtweise geht jedoch vergessen, dass die Statistiken möglicherweise auch Ausdruck gesellschaftlicher Ausgrenzungsmechanismen sind. Obschon die statistischen Kennzahlen nicht darlegen, welche Unterschiede auf individuelle Eigenschaften bzw. diskriminierende Strukturen zurückzuführen sind, können sie als Aufhänger für eine Diskussion zur Chancengleichheit dienen.

Die Schweiz liegt international im ­Hintertreffen


Der Ausbau des Diskriminierungsschutzes in der Schweiz lässt sich auch mit Blick auf internationale Entwicklungen rechtfertigen. Die Verknüpfung von Diskriminierungsschutz und Integrationspolitik hat sich in Europa durchgesetzt. Die EU hat zwei Richtlinien erlassen: Die erste Richtlinie verbietet Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft in verschiedenen Bereichen (Arbeit und Beschäftigung, soziale Vergünstigungen, sozialer Schutz einschliesslich Gesundheitsversorgung, Zugang zu Gütern und Dienstleistungen, Zugang zu Bildung). Die zweite untersagt Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund der Religion oder der Weltanschauung, des Alters, einer Behinderung oder sexuellen Ausrichtung.
Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft; Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die ­Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Die anhaltende Kritik mehrerer europäischer und internationaler Organisationen und der Vergleich mit anderen europäischen Ländern weisen darauf hin, dass die schweizerische Integrationspolitik bezüglich des Diskriminierungsschutzes im Hintertreffen liegt.
Vgl. Schönenberger (forthcoming). Anlässlich der letzten periodischen Überprüfung vor dem UNO-Menschenrechtsrat im Herbst 2012 betrafen die meisten Empfehlungen den Bereich Rassismus und Anti-Diskriminierung. Um den Vorgaben und Kritiken internationaler Menschenrechtsorgane gerecht zu werden, sollte die Schweiz Verbesserungen am rechtlichen Rahmen prüfen.

Hindernisse bei der gesetzlichen Verankerung des Diskriminierungsschutzes


Vordergründig scheint es zwei Gründe zu geben, weshalb der Diskriminierungsschutz in der Schweiz einen schweren Stand hat. ­Zunächst ist das (historische) Bewusstsein für ethnisch-kulturelle Diskriminierung in der Willensnation Schweiz nur sehr gering entwickelt. Dies hängt einerseits damit zu­sammen, dass die betroffenen Bevölker­ungsgruppen vom politischen Prozess ausgeschlossen sind. Das geringe Bewusstsein ist aber auch eine Folge davon, dass wenig darüber bekannt ist, in welchen Lebensbereichen Diskriminierungen vorwiegend vorkommen und welche Personen davon betroffen sind. In der Schweiz liegen erst vereinzelt wissenschaftliche Studien vor, die auf diskrimi­nierende Mechanismen hinweisen. Sensible Bereiche sind der Lehrstellen- und Arbeitsmarkt, das Bildungssystem, das Gesundheitswesen, aber auch der Umgang von Behörden und Polizei mit Migrantinnen und Migranten.
Vgl. u.a. Fibbi et al. (2003). Die Fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) hat im Frühjahr 2013 eine erste Bestandsaufnahme vorgelegt, die im Zweijahresrhythmus aktualisiert wird.
Vgl. FRB (2013).Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, dass im schweizerischen Rechtssystem die Vertragsfreiheit einen hohen Stellenwert einnimmt. Geht es um den Erlass von Diskriminierungsverboten im Arbeits- oder Mietrecht, muss eine Abwägung zwischen dem Grundsatz der Gleichbehandlung und der Vertragsfreiheit vorgenommen werden. Die Vertragsfreiheit beinhaltet u.a. die Freiheit der Arbeitgebenden oder der Vermieterschaft zu entscheiden, wen sie für eine bestimmte Arbeit einstellen und an wen sie eine freie Wohnung vermieten will.
Vgl. Caplazi und Naguib (2004). Die Bereitschaft, Beschränkungen der privatrechtlichen Vertragsfreiheit zugunsten eines griffigeren Diskriminierungsschutzes einzuführen, ist daher gering. So lehnte die Parlamentsmehrheit bisher regelmässig Vorstösse ab, die auf eine Verstärkung des rechtlichen Diskriminierungsschutzes abzielten. Die Ablehnung des jüngsten Vorstosses wurde ausdrücklich auch damit begründet, dass die Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes die Vertragsfreiheit zu stark einschränken würde.
Siehe die parlamentarischen Debatten zur Parlamentarische Initiative Prelicz-Huber Katharina. Gesetz über die Bekämpfung von rassistischer Diskriminierung (10.523): http://www.parlament.ch, Nationalrat, Frühjahrssession 2012, Siebente Sitzung, 06.03.12. Aufgrund fehlender Kompetenzen im privatrechtlichen Bereich und einer ablehnenden Haltung im Parlament hat der Bund zurückhaltend auf Forderung nach einem stärkeren privatrechtlichen Diskriminierungsschutz reagiert. Im Integrationsbereich, wo der Bund über mehr Kompetenzen verfügt, hat er indes in den letzten Jahren Impulse geliefert.

Verankerung des Diskriminierungs­schutzes in der Integrationspolitik


Den Grundstein zum vorliegenden Entwurf des Ausländer- und Integrationsgesetzes legten die Beratungen der Tripartiten 
Agglomerationskonferenz (TAK), in deren Rahmen Vertreter des Bundes, der Kantone und der Gemeinden die Weiterentwicklung der schweizerischen Integrationspolitik diskutierten. Der TAK-Bericht zur Weiterentwicklung der schweizerischen Integrationspolitik aus dem Jahre 2009 hält fest, dass «Diskriminierungen ein zentrales Hindernis für die Integration darstellen. Integrationspolitik bedeutet deshalb immer auch Anti-Diskriminierungspolitik.»
Vgl. TAK (2009), S. 9. Diese Auffassung findet sich auch im Bericht des Bundesrates zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik vom 5. März 2010. Seit 2010 besteht somit ein klarer politischer Auftrag, den Schutz vor Diskriminierung voranzutreiben und die künftige Integrationspolitik so zu gestalten, dass Integration und Diskriminierungsschutz verknüpft werden. Der AIG-Entwurf statuiert den Grundsatz, dass Bund, Kantone und Gemeinden bei der Erfüllung ihrer Aufgaben die Anliegen der Integration und des Schutzes vor Diskriminierung berücksichtigen. Der Bund und die kantonalen Behörden haben u.a. dafür zu sorgen, dass die verschiedenen Behörden Massnahmen zum Schutz vor Diskriminierung treffen. Da Diskriminierungsbekämpfung und -schutz vor allem in den Kantonen, Städten und Gemeinden erfolgt, haben Bund und Kantone vereinbart, den Diskriminierungsschutz in die kantonalen Integrationsprogramme aufzunehmen. Konkret haben sich die Kantone dazu verpflichtet, dass diskriminierte Menschen kompetente Beratung erhalten und dass alle wichtigen Institutionen in Fragen des Diskriminierungsschutzes unterstützt und beraten werden. Zudem müssen sie strukturelle Diskriminierung bekämpfen und niederschwellige, kooperativ ausgerichtete Streitbeilegungsmechanismen fördern. Der Ausbau des Diskriminierungsschutzes dient nicht nur der Migrationsbevölkerung sondern sämtlichen betroffenen Bevölkerungsgruppen. Auf Bundesebene ist die Fachstelle für Rassismusbekämpfung verantwortlich für die Qualitätssicherung und das Monitoring. Diese Massnahmenplanung zum Ausbau der Diskriminierungsprävention ist zu be­grüssen, denn sie bringt zum Ausdruck, dass Diskriminierungsschutz als Bestandteil der Integrationspolitik betrachtet wird. Da eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Akteuren in die Vorbereitungs- und Umsetzungs­arbeiten zur Weiterentwicklung der Integra­tionspolitik einbezogen wurden, kann davon ausgegangen werden, dass diese Auffassung von vielen Akteuren geteilt wird. ­Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das im Rahmen des TAK-­Integrationsdialogs Arbeitswelt abgegebene Bekenntnis der Arbeitgebenden und Branchenverbände, einen aktiven Beitrag zur Information und Sensibilisierung zu Integrations- und Diskriminierungsfragen zu leisten.
Siehe http://www.bfm.admin.ch, Pressemitteilung vom 30.10.2012: Integration: Staat und Wirtschaft handeln gemeinsam. In diesem Sinn könnte der vorliegende Gesetzesentwurf als erster Grundstein in Richtung eines Paradigmenwechsels gewertet werden.

Die Umsetzung ist ­entscheidend


Dennoch wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob die kantonalen Integrationsprogramme einen effektiven Beitrag zur Prävention und Bekämpfung von Diskriminierung werden leisten können. Mit dem vorliegenden Entwurf des Ausländer- und Integra­tionsgesetzes wird eine wichtige gesetzliche Grundlage geschaffen, die allerdings keine neuen Rechtsansprüche schafft. Der Bundesrat verfolgt damit insbesondere das Ziel, das geltende Recht besser durchzusetzen, und setzt primär auf Sensibilisierung und Information. Die konkreten Auswirkungen der Gesetzesänderung hängen aber angesichts der fehlenden rechtlichen Verpflichtungen weitgehend vom Willen der betroffenen Akteure, Bundesstellen, Kantone, Gemeinden und Private ab, diesen Bereich tatsächlich zu fördern und einen aktiven Beitrag zum Diskriminierungsschutz zu leisten. Erst wenn auf die Worte Taten folgen, kann von einem eigentlichen Paradigmenwechsel gesprochen werden.

Kasten 1: Weiterführende Literatur

Weiterführende Literatur

  • Bundesrat, Schweizerischer (2010): Bericht zur Weiterentwicklung der Integrationspolitik des Bundes. Bericht des Bundesrates zuhanden der eidgenössischen Räte in Erfüllung der Motionen 06.3445 Fritz Schiesser […] und 06.3765 SP-Fraktion […]. 5. März. Bern: Bundeskanzlei.
  • Caplazi, Alexandra und Tarek Naguib (2004): Schutz vor ethnisch-kultureller Diskriminierung in der Arbeitswelt trotz Vertragsfreiheit. Ein Diskussionsbeitrag zur Frage der Notwenigkeit, Nützlichkeit und der inhaltlichen Ausgestaltung eines verstärkten Schutzes vor und bei ethnisch-kultureller Diskriminierung in der Arbeitswelt. Jusletter, 7. Februar.
  • Egger, Theres (2003). Integration und Arbeit – Handlungsfelder, Akteure und Ansatzpunkte. Materialien zur Integrationspolitik. Bern-Wabern: Eidgenössische Ausländerkommission EKA.
  • Fachstelle für Rassismusbekämpfung (2013): Bericht der Fachstelle für Rassismusbekämpfung – Übersichtsfelder und Handlungsbedarf. Bern: Fachstelle für Rassismbekämpfung.
  • Fibbi, Rosita, Bülent Kaya und Etienne Piguet (2003): Le passeport ou le diplôme? Étude des discriminations à l’embauche des jeunes issus de la migration. Neuchâtel: Forum suisse pour l’étude des migrations et de la population.
  • Schönenberger, Silvia (forthcoming): Rassismus und Diskriminierung, in Mahon, 
Pascal et al. (Hrsg.): Die Umsetzung menschenrechtlicher Vorgaben im Bereich Migration in der Schweiz. Eine Analyse der Empfehlungen menschenrechtlicher Überwachungsorgane. Bern: Schweizerisches Kompetenzzentrum für Menschenrechte.
  • Schönenberger, Silvia und Nicole Wichmann (2011): Wegweiser zum Schutz vor Diskriminierung. SFM-Studien Nr. 59. Neuchâtel: SFM.
  • Tripartite Agglomerationskonferenz (2009): Weiterentwicklung der schweizerischen Integrationspolitik Bericht vom 28. Mai 2009 zuhanden der Tripartiten Agglomerationskonferenz. Bern: Sekretariat Konferenz der Kantonsregierungen.
  • Wicker, Hans-Rudolf (2009): Die neue schweizerische Integrationspolitik, in Pineiro, Esteban, Isabelle Bopp und Georg Kreis (Hrsg.): Fördern und Fordern im Fokus – Leerstellen des schweizerischen Integrationsdiskurses. Zürich: Seismo, S. 23–47.

Zitiervorschlag: Nicole Wichmann (2013). Diskriminierungsschutz als Teil der Integrationspolitik: Ein Paradigmenwechsel. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.