Die Leitfrage für die Ausgestaltung der Altersvorsorge muss lauten: Was beeinträchtigt die Lebensqualität der Bevölkerung am wenigsten? Für Travail.Suisse ist eine moderate zusätzliche Finanzierung gegenüber Rentenkürzungen oder einer Erhöhung des Rentenalters diesbezüglich klar im Vorteil. Die Finanzierungslücke in der AHV durch 20% kleinere Renten oder über ein 3 Jahre höheres Rentenalter zu schliessen, wäre schlicht nicht mehrheitsfähig. Das Paket des Bundesrates berücksichtigt dies, muss aber in einigen Punkten nachgebessert werden.
Eine Anpassung des Mindestumwandlungssatzes ist für Travail.Suisse nicht a priori ausgeschlossen. Allerdings sind substanzielle Kompensationsmassnahmen nötig. Die Generation, welche zwischen 2020 und 2040 in Rente geht, kann bei Einkommen zwischen 50 000 und rund 84 000 Franken (BVG-Lohnobergrenze) mit einem Lohnersatz von 52% bis 59% aus erster und zweiter Säule rechnen.
Bericht des Bundesrates zur Zukunft der zweiten Säule, S. 93 Das Verfassungsziel wird nur knapp erreicht. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Massnahmen – tieferer Koordinationsabzug, höhere Altersgutschriften der 35- bis 54-Jährigen, Einlage über Sicherheitsfonds – gehen in die richtige Richtung. Unklar ist, ob eine so drastische Senkung des Umwandlungssatzes – selbst mit Kompensationsmassnahmen – mehrheitsfähig ist. Zudem ist der richtige Ort für die kurzfristig wirksamen Kompensationszahlungen im Umlageverfahren die AHV und nicht der Sicherheitsfonds BVG.
Realitäten des Arbeitsmarkts sind zu berücksichtigen
Unternehmen sind nicht bereit, genügend ältere Arbeitnehmende zu beschäftigen. Das zeigen die Vorstudien zur Reform 2020.
Infras (2012): Altersrücktritt im Kontext der demografischen Entwicklung. Es gibt im Gegenteil Hinweise darauf, dass ältere Arbeitnehmende bei Entlassungen nicht mehr geschont werden. Die Herausforderung besteht also darin, dass mehr Arbeitnehmende unter guten Bedingungen überhaupt bis zum Rentenalter 65 arbeiten können. Der flexible Altersrücktritt und Altersteilzeit können dabei helfen. Flexibilisierung heisst aber auch, dass Arbeitnehmende mit bescheidenen Einkommen den Rücktrittszeitpunkt in Abhängigkeit der Erwerbssituation und des Gesundheitszustandes wählen können. Dazu braucht es eine gute soziale Abfederung. Das ist nichts als gerecht: Niedrigverdiener weisen eine deutlich tiefere Lebenserwartung auf. Hier sind die Bedingungen durch den Bundesrat zu restriktiv formuliert. Hingegen anerkennt der Bundesrat die Wichtigkeit einer besseren sozialen Absicherung der Teilzeitarbeit. Soll eine Erhöhung des Frauenrentenalters mehrheitsfähig sein, braucht es klare Verbesserungen, die vor allem die Frauen betreffen. Deshalb sind eine gute soziale Abfederung und ein besserer Schutz der Teilzeitarbeit politisch zwingend.
Finanzierung: Opfer sind zu bringen, aber Bund muss mitziehen
Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer muss als Opfer für eine sichere AHV erbracht werden. Das gilt hingegen nur, wenn diese zusätzlichen Einnahmen voll der AHV zugutekommen und nicht als Ersatz für einen reduzierten Bundesbeitrag fungieren. Eine Reduktion des Bundesbeitrags untergräbt die Bereitschaft, höhere Mehrwertsteuern oder höhere Lohnbeiträge zu zahlen und bringt die ganze Finanzierung ins Wanken. Der vorgestellte Interventionsmechanismus ist schon in der IV-Revision 6b gescheitert. Automatische Rentenkürzungen sind in der AHV unvorstellbar. Ein Automatismus muss sich deshalb auf die Einnahmenseite beschränken. Mit einem einnahmeseitigen Automatismus kann sichergestellt werden, dass Beitrags- oder Mehrwertsteuererhöhungen nur angewendet werden, wenn es sie braucht.Die Versicherten werden nicht bereit sein, für die gleiche Leistung mehr zu bezahlen, wenn gleichzeitig hohe Beträge aus der Altersvorsorge abfliessen. Es ist richtig, dass der Bundesrat den Lebensversicherern besser auf die Finger schauen will. Entscheidend für die Akzeptanz des Reformpakets ist jedoch, dass es nicht bei einer besseren Aufsicht bleibt, sondern in Franken und Rappen mehr Geld für die Versicherten verfügbar wird. Die Mehrheitsfähigkeit des Projekts Altersvorsorge 2020 wird sich letztlich daraus ergeben, ob die Lebensqualität der Bevölkerung erhalten werden kann. Travail.Suisse ist überzeugt, dass eine moderate Zusatzfinanzierung diesbezüglich bei der Bevölkerung deutlich bessere Karten hat als Rentenkürzungen oder eine Erhöhung des Rentenalters.
Zitiervorschlag: Kuert Killer, Matthias (2013). Altersvorsorge 2020: Finanzierung sichern und Lebensqualität erhalten. Die Volkswirtschaft, 01. September.