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Wie die AHV im Notfall finanziell abgesichert werden soll

Wie die AHV im Notfall finanziell abgesichert werden soll

Aufgrund des demografischen Wandels gerät die finanzielle Stabilität der AHV in absehbarer Zukunft stark unter Druck. Die Massnahmen der Reform Altersvorsorge 2020 zur Bewältigung dieser Herausforderung umfassen auch einen Interventionsmechanismus, der die Liquidität der AHV in einer starken finanziellen Schieflage schützen soll: Sinkt der Stand des Ausgleichsfonds unter ein gesetzlich definiertes Niveau, wird ein politisches Mandat zur Sanierung der AHV-Finanzen ausgelöst. In einer zweiten Phase werden, sofern nötig, vordefinierte Massnahmen in Kraft gesetzt.

Foto: Parlamentsdienste 3003 Bern


In Zeiten international steigender Staatsverschuldung ist ein nachhaltiger Umgang mit den Finanzen der öffentlichen Hand vielerorts in den Vordergrund gerückt. Auf nationalen und lokalen Ebenen wurden verschiedentlich rechtliche Regeln eingeführt, die eine übermässige Verschuldung eindämmen sollen. Diese sogenannten Fiskalregeln umfassen eine gesetzliche Begrenzung der Ausgaben, des Defizits oder der Verschuldung. In der Schweiz hat sich auf Bundesebene die international vielbeachtete Schuldenbremse etabliert, und auch auf Kantons- und Gemeindeebene wurden solche Regeln eingeführt. Die staatlichen Sozialversicherungen sind von diesem Trend nicht ausgenommen. Die Forderungen, in den Sozialversicherungen Fiskalregeln einzuführen, werden auch in der Schweiz vermehrt vorgebracht. In der Arbeitslosenversicherung ist dies bereits erfolgt. Bei der Invalidenversicherung (IV) war ein Interventionsmechanismus Bestandteil der IV-Revision 6b, die im Juni 2013 im Parlament gescheitert ist. In der AHV war ein solcher bei der 11. AHV-Revision vorgesehen, die 2004 in der Volksabstimmung abgelehnt wurde und in einem zweiten Anlauf 2010 bereits im Parlament scheiterte.

Ein Sicherheitsnetz für die AHV


Eine Schwierigkeit bei der Steuerung der Sozialversicherung ist, dass in diesem Bereich häufig Ausgabentreiber exogener Natur wirken, die kaum von der Politik kontrolliert werden können. Das trifft insbesondere für die AHV zu: Der demografische Wandel setzt sie einem grossen Druck aus und wird sie mit steigenden Ausgaben belasten. Die AHV ist zwar gegenwärtig in einem stabilen finanziellen Gleichgewicht. Die steigende Lebenserwartung und der wachsende Anteil der Rentenbeziehenden in der Bevölkerung werden das Umlageergebnis der AHV jedoch mittelfristig deutlich verschlechtern. Darum soll eine Fiskalregel die übrigen Reformmassnahmen in der AHV ergänzen, um diese zusätzlich finanziell abzusichern. Als Fiskalregel in der AHV ist ein zweistufiger Interventionsmechanismus vorgesehen. Die erste Stufe löst ein politisches Mandat, die zweite Stufe zusätzlich vordefinierte Massnahmen aus. Letztere kommen nur zum Einsatz, wenn das vorhergehende politische Mandat keine Reformmassnahmen durchzusetzen vermag oder wenn die Massnahmen nicht rechtzeitig in ausreichendem Masse greifen. Ein Interventionsmechanismus ist damit von anderen Ausprägungen einer Fiskalregel abzugrenzen (siehe Kasten 1

Weiterhin aktive Rolle der Politik


Ein Interventionsmechanismus ist von einer Steuerungsregel – oft als «Autopilot» bezeichnet – zu unterscheiden. Bei letzterer werden zentrale Eckwerte eines Sozialwerks durch eine Regel festgelegt und laufend automatisch an die Veränderung von exogenen Parametern – wie das Wirtschaftswachstum oder die Demografie – angepasst.

Eine Steuerungsregel in der Schweiz bildet der AHV-Mischindex, der zur Anpassung der AHV-Renten verwendet wird; Dänemark beispielsweise passt das Rentenalter periodisch an die Lebenserwartung an. Aus diesem Grund wird bei der Diskussion von Steuerungsregeln oft von einer «Entpolitisierung» gesprochen, da regelmässig vorzunehmende Anpassungen an den Bestimmungen ohne weiteren Einbezug der Politik gesteuert werden.

Im Gegensatz dazu steht bei einem Interventionsmechanismus die Idee im Zentrum, dass die Politik ihre Rolle weiterhin wahrnimmt: Bundesrat und Parlament sollen die geeigneten Massnahmen zur Sanierung bei Bedarf im ordentlichen politischen Prozess in die Wege leiten. Nur wenn die Reform nicht zustande kommt oder die getroffenen Massnahmen nicht rechtzeitig oder zu wenig stark greifen, treten vordefinierte Notmassnahmen in Kraft. Sie werden wieder aufgehoben, wenn sie nicht mehr notwendig sind. Die automatischen Massnahmen bilden somit keinen Ersatz für eine Reform, sondern sie stellen lediglich ein finanzielles Sicherheitsnetz für eine befristete Zeit dar.

). Das Ziel des Mechanismus ist es, bei einer drohenden finanziellen Schieflage der AHV rechtzeitig den AHV-Ausgleichsfonds zu stabilisieren und somit die Liquidität der Versicherung – und die Sicherheit der Rentenzahlungen – zu gewährleisten. Insbesondere soll der Mechanismus verhindern, dass der Handlungsbedarf bei einer Schieflage der Finanzen zu spät wahrgenommen wird und sehr grosse Defizite deshalb kurzfristige und stark einschneidende Massnahmen erforderlich machen, um das Sozialwerk zu sichern. Die notwendigen Prozesse müssen früh genug angestossen werden, damit gegen drohende strukturelle Finanzierungsprobleme die nötigen Schritte in die Wege geleitet werden können. Wegen der Komplexität und politischen Tragweite gelingt es aber bei Reformvorhaben in den Sozialversicherungen zuweilen nicht, einen Konsens zu finden. Ein solches Sicherheitsnetz soll somit die Risiken entschärfen, die den Steuerzahlenden aus Finanzierungslücken in der AHV und einer politischen Pattsituation drohen.

Elemente des Interventionsmechanismus


Die zwei Stufen des Interventionsmechanismus werden zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Bezug auf eine Interventionsschwelle aktiviert. Zeitpunkt und Schwelle müssen vorgängig definiert werden.

Definition der Interventionsschwelle


Als Referenzwert für die Auslösung der Interventionen dient der Stand des Ausgleichsfonds in Prozent einer Jahresausgabe. Handlungsbedarf besteht, wenn der Fondsstand einen optimalen Bereich unterschreitet. Analog zur 11. AHV-Revision ist dies der Fall, wenn der Ausgleichsfonds unter 70% einer Jahresausgabe liegt.

Erste Stufe: Politisches Mandat


Das Primat der Politik ist für den Mechanismus zentral. Die erste Stufe des Interventionsmechanismus muss daher so festgelegt werden, dass Bundesrat, Parlament und Souverän ausreichend Gelegenheit zur Suche nach einer Lösung im ordentlichen politischen Prozess zur Verfügung steht. Die erste Stufe wird daher zukunftsorientiert definiert und soll ausgelöst werden, wenn der Fondsstand gemäss den Szenarien des BSV innert 3 Jahren unter die Schwelle von 70% zu sinken droht.

Zweite Stufe: Automatische Massnahmen


Gelingt es im Rahmen des politischen Mandates nicht, rechtzeitig eine Reform zu verabschieden, treten die vordefinierten beitrags- bzw. leistungsseitigen Massnahmen in Kraft. Dabei ist das Timing entscheidend: Eine vorzeitige Aktivierung der automatischen Massnahmen käme einer Sanierung auf Vorrat gleich. Wird zu spät gehandelt, sind die jährlichen Defizite unter Umständen bereits zu gross, um sie auffangen zu können. Darum soll die zweite Stufe des Interventionsmechanismus ausgelöst werden, wenn der Fondsstand effektiv unter 70% einer Jahresausgabe gesunken ist und das Umlageergebnis der AHV während zwei Jahren einen Fehlbetrag in der Höhe von mindestens 3% der Ausgaben aufweist. Dadurch soll gewährleistet werden, dass die Massnahmen nur bei strukturellen Problemen aktiviert werden.

Anforderungen an die Stabilisierungsmassnahmen


Sowohl die beitrags- wie auch die leistungsseitigen Parameter der AHV (Rentenhöhe, Beitragshöhe, Rentenalter) müssen so festgelegt werden, dass der Mechanismus eine möglichst hohe politische Akzeptanz erzielt. Die automatischen Massnahmen der zweiten Stufe müssen darum den folgenden Anforderungen genügen:

  • Erhalt der Liquidität: Die Massnahmen müssen ausreichen, um das Absinken des Fondsstandes mindestens so stark zu verlangsamen, dass die Liquidität der AHV sichergestellt ist, bis von der Politik beschlossene Massnahmen wirksam werden.
  • Ausgewogenheit und Angemessenheit: Alle Beteiligten leisten einen Beitrag an die Stabilisierung der Versicherung; keine Seite wird über Gebühr belastet oder verschont. Die Massnahmen sollen die Beitragszahlenden (Arbeitgeber und Arbeitnehmende) wie auch die Leistungsbeziehenden (Rentnerinnen und Rentner) tangieren.
  • Rasche Wirkung: Die Massnahmen dürfen keine mehrjährigen Übergangsfristen erfordern, weil sie sonst im Falle einer finanziellen Schieflage zu spät kommen.
  • Temporäre Anwendung: Die Massnahmen müssen reversibel sein, weil sie nur in Kraft bleiben sollen, bis der Stand des AHV-Fonds wieder das gesetzliche Niveau erreicht hat oder andere Reformmassnahmen greifen.


Tabelle 1 zeigt das vorgeschlagene Modell im Überblick. Als einnahmeseitige Massnahmen stehen Lohnbeiträge und Mehrwertsteueranteile im Vordergrund. Dabei entspricht eine Erhöhung der Lohnbeiträge den Anforderungen besser. Sie ist rasch umsetzbar und kann temporär angewendet werden. Eine Erhöhung der Mehrwertsteuer gewährleistet zwar eine ausgewogenere Lastenverteilung, ist jedoch ohne Verfassungsänderung nicht umsetzbar. Eine solche wäre jedoch in einem zeitlich sinnvollen Rahmen nicht zu realisieren.Bei den ausgabenseitigen Massnahmen ist eine (begrenzte) Sistierung der Rentenanpassungen die am besten geeignete Massnahme.
Die Verfassungsmässigkeit der Rentenhöhe muss jedoch gewährleistet bleiben. Aus diesem Grund wird sie spätestens nach 5 Jahren der Teuerung angepasst und darf nicht weniger als 95% der ordentlichen Referenzrente (d.h. der Rentenhöhe ohne die Sistierung der Anpassungen) betragen. Eine Erhöhung des Rentenalters hingegen genügt den Anforderungen an den Mechanismus nicht, da sie – nebst langen Übergangsfristen – faktisch irreversibel ist.Aus der Kombination der Beitragserhöhung und der Sistierung der Rentenanpassung wäre im Jahr 2030 (zu Preisen von 2013) mit einer jährlichen Entlastung der AHV-Finanzen von bis zu 7 Mrd. Franken zu rechnen.

Einbettung in die Reform


Die Steuerung der politisch und wirtschaftlich sensiblen Parameter der Altersvorsorge bleibt dank dem Primat der Politik in erster Linie in den Händen des Parlamentes und des Stimmvolkes.
Damit hebt sich das vorgeschlagene Modell gegenüber der Variante in der 11. AHV-Revision ab, welches die gleichzeitige Aktivierung von politischem Mandat und automatischen Massnahmen vorsah. Vordefinierte Massnahmen setzen nur im äussersten Notfall ein und bleiben nur vorübergehend in Kraft. In diesem Fall besteht jedoch eine Sicherheit, dass allzu grosse strukturelle Finanzierungsprobleme eingedämmt und eine Gefährdung der Rentenleistungen verhindert werden kann. Diese Gewissheit kann den ordentlichen politischen Prozess entlasten. Die drohenden Konsequenzen der zweiten Stufe erhöhen im besten Fall sogar den politischen Willen, rechtzeitig einen Konsens zu finden, und wirken somit präventiv. Im Gegenzug müssen die automatischen Notfallmassnahmen gut austariert und verhältnismässig sein, für den Fall, dass ihre Aktivierung unumgänglich wird. Allzu einschneidende Massnahmen, die eine zu hohe Belastung von Erwerbstätigen und Rentenbeziehenden bedeuten würden, kann man den Betroffenen auch im Falle einer finanziellen Schieflage der AHV nur schwerlich aufbürden. Auch unter diesem Blickwinkel sind die Ausgewogenheit, die Begrenzung des Umfangs der Massnahmen und der temporäre Charakter des Mechanismus von grosser Bedeutung.Schliesslich ist es aber entscheidend, dass die gesamte Reform Altersvorsorge 2020 erfolgreich umgesetzt werden kann. Die Reform hat zum Ziel, die AHV für die Herausforderungen der Zukunft zu rüsten. So wird auch die langfristige Sicherung der Finanzierung angestrebt. Das Paket der Reformmassnahmen soll gewährleisten, dass der AHV-Ausgleichsfonds die gesetzliche Schwelle nicht unterschreitet und der Mechanismus somit gar nicht aktiviert werden muss. Der Interventionsmechanismus in der AHV ist daher ein integraler Bestandteil der Reform: Er soll nicht eine Reform ersetzen, sondern sie als zusätzliche Sicherheit untermauern.

Tabelle 1: «Interventionsmechanismus in der AHV»

Kasten 1: Weiterhin aktive Rolle der Politik

Weiterhin aktive Rolle der Politik


Ein Interventionsmechanismus ist von einer Steuerungsregel – oft als «Autopilot» bezeichnet – zu unterscheiden. Bei letzterer werden zentrale Eckwerte eines Sozialwerks durch eine Regel festgelegt und laufend automatisch an die Veränderung von exogenen Parametern – wie das Wirtschaftswachstum oder die Demografie – angepasst.

Eine Steuerungsregel in der Schweiz bildet der AHV-Mischindex, der zur Anpassung der AHV-Renten verwendet wird; Dänemark beispielsweise passt das Rentenalter periodisch an die Lebenserwartung an. Aus diesem Grund wird bei der Diskussion von Steuerungsregeln oft von einer «Entpolitisierung» gesprochen, da regelmässig vorzunehmende Anpassungen an den Bestimmungen ohne weiteren Einbezug der Politik gesteuert werden.

Im Gegensatz dazu steht bei einem Interventionsmechanismus die Idee im Zentrum, dass die Politik ihre Rolle weiterhin wahrnimmt: Bundesrat und Parlament sollen die geeigneten Massnahmen zur Sanierung bei Bedarf im ordentlichen politischen Prozess in die Wege leiten. Nur wenn die Reform nicht zustande kommt oder die getroffenen Massnahmen nicht rechtzeitig oder zu wenig stark greifen, treten vordefinierte Notmassnahmen in Kraft. Sie werden wieder aufgehoben, wenn sie nicht mehr notwendig sind. Die automatischen Massnahmen bilden somit keinen Ersatz für eine Reform, sondern sie stellen lediglich ein finanzielles Sicherheitsnetz für eine befristete Zeit dar.

Zitiervorschlag: Simon Luck (2013). Wie die AHV im Notfall finanziell abgesichert werden soll. Die Volkswirtschaft, 01. September.