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Die Energiestrategie 2050 aus volkswirtschaftlicher Sicht

Die Energiestrategie 2050 des Bundesrates fordert die Politik, die Energiewirtschaft und die Energienachfrager heraus. Aufgrund der im Vergleich mit konventionellen Energieträgern geringeren Energiedichte bedingt die Stromerzeugung mit neuen erneuerbaren Energien einen höheren Kapitaleinsatz. Auch für den Ausbau der Netze und der zur Versorgungssicherheit benötigten Ausgleichskapazitäten sowie für die Verbesserung der Energieeffizienz im Bereich der fossilen Energieträger sind Investitionen notwendig.

Die Energiestrategie 2050 aus volkswirtschaftlicher Sicht

Photovoltaik- und Windkraftanlagen können nur bei günstigen Witterungsbedingungen Strom produzieren. Ohne geeignete Ausgleichsmassnahmen droht die Förderung solcher Anlagen zur Daueraufgabe zu werden. Keystone


Um die Chancen und Risiken der Energiestrategie 2050 auszuloten, haben der Kanton Aargau, WWF Schweiz und Economiesuisse den Trialog «Neue Energiepolitik» initiiert.[1]
Neben den Vertretern der Initianten nahmen Experten für Energiefragen aus neun weiteren Verbänden und Organisationen am Trialog teil. In den Fachgesprächen wurden die konzeptionellen Überlegungen für die Energiestrategie 2050, die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umsetzung im Hinblick auf die zentralen Zielsetzungen «Verzicht auf Kernkraftwerke» und «Reduktion der CO2-Emissionen» sowie die Auswirkungen der dazu erforderlichen Massnahmen auf Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt aus unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert.[2]

Erhebliche Potenziale im Bereich der fossilen Energieträger


Nach Einschätzung der Teilnehmer am Trialog sind in den Bereichen Industrie, Verkehr, Haushalte und Dienstleistungen erhebliche Potenziale vorhanden, um die Nachfrage nach fossilen Energieträgern zu reduzieren und die Energieeffizienz zu verbessern. Eine optimale Lösung zur Erschliessung dieser Potenziale wäre der Anschluss an das Emissionshandelssystem der EU (EU-ETS), sobald dieses System wirklich funktionsfähig wird.Ein Emissionshandel verursacht aber auch Transaktionskosten. Für Emittenten, die nicht an einem Emissionshandelssystem teilnehmen, etwa weil für sie eine Beteiligung nicht wirtschaftlich oder nicht praktikabel ist, bieten sich Emissionssteuern oder Lenkungsabgaben an. Diese Instrumente haben jedoch Verteilungswirkungen, die selbst bei Lenkungsabgaben mit einer vollständigen Rückerstattung auftreten. Sie sind umso stärker, je höher die Emissionssteuern bzw. Lenkungsabgaben sind und je mehr Möglichkeiten zur Befreiung von solchen Abgaben bestehen. Die Verteilungswirkungen von Emissionssteuern oder Lenkungsabgaben sollten daher vorab eingehend geprüft werden, um «unerwünschte» Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zu vermeiden.Technische Mindeststandards können geeignete Massnahmen sein, falls Informationsdefizite vorliegen oder verhaltensökonomische Gründe Effizienzverbesserungen oder Nachfragereduktionen behindern. Rebound-Effekte aufgrund von Effizienzverbesserungen sind zwar die Regel; ihre Auswirkungen werden aber häufig überschätzt.[3]Zu beachten ist jedoch immer, dass Energieträger nachgefragt werden, um Bedürfnisse zu befriedigen. Die Energienachfrager müssen deshalb auch bereit sein, einen eigenen Beitrag zu leisten.

Weshalb nicht ein System mit Zielvereinbarungen?


Subventionen sind bei potenziellen Empfängern verständlicherweise beliebt. Sie führen jedoch zu Wettbewerbsverzerrungen, deren Kosten von den im Wettbewerb stehenden Unternehmen und den privaten Haushalten getragen werden müssen. Subventionen lösen oft auch weitere Subventionsbegehren aus. Sie auszurichten ist daher nur vertretbar, wenn gravierende Informationsdefizite oder verhaltensökonomische Hemmnisse – wie z.B. im Gebäudebereich – bestehen, welche die Erschliessung der Reduktions- und Effizienzverbesserungspotenziale erheblich beeinträchtigen. Das Ausmass der unausweichlich auftretenden Mitnahmeeffekte ist im Voraus schwierig abzuschätzen. Gute Erfahrungen konnten dagegen mit Zielvereinbarungen gemacht werden: Ein nachahmenswertes Beispiel ist das Modell der Energieagentur der Wirtschaft (EnAW). Ein System mit Zielvereinbarungen, eventuell ergänzt mit handelbaren Zertifikaten, sollte deshalb geprüft werden.

Ersatz des Stroms aus Kernkraftwerken ist technisch möglich


Die künftige Entwicklung der Stromnachfrage wird unterschiedlich eingeschätzt. Einigkeit besteht jedoch bezüglich der Potenziale zur Reduktion der Stromnachfrage und für Effizienzverbesserungen. Das Ersetzen der Stromproduktion aus Kernkraftwerken durch erneuerbare Energien wird als technisch möglich erachtet. Auch bei dem für den Stromsektor in Frage kommenden Massnahmenkatalog plädieren die Teilnehmer für einen konsequenten Ausbau marktwirtschaftlicher Instrumente. Diese Forderung gilt insbesondere für die Ausgestaltung der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV). Erste Schritte dazu könnten eine raschere Anpassung an sinkende Anlagekosten, eine Förderung bedarfsgerechterer Produktionen und eine Beteiligung der neuen erneuerbaren Energien an den Kosten der Systemdienstleistungen sein. Die Förderung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen sollte künftig jedoch zumindest über wettbewerbliche Ausschreibungen der zur Substitution des Stroms aus Kernkraftwerken jeweils benötigten Mengen erfolgen.

Ungelöste Probleme bei Photovoltaik und Windkraft


Photovoltaik- und Windkraftanlagen können nur bei günstigen Witterungsbedingungen Strom produzieren. Aufgrund der Kostenstruktur dieser Anlagen bricht aber bei einem steigenden Anteil an der Stromerzeugung der Strompreis meist gerade dann ein, wenn diese Anlagen Strom erzeugen. Der Vorteil temporär niedriger Strompreise kann jedoch nur von Nachfragern genutzt werden, die einen Zugang zu den Strombörsen haben.Die aufgrund des reichlichen Angebots zeitweise stark fallenden Strompreise sind die Ursache für das Missing-Money-Problem. Dieses Problem gefährdet das bisherige Geschäftsmodell der Betreiber konventioneller Kraftwerke und die Aufrechterhaltung der zur Versorgungssicherheit erforderlichen Ausgleichs- und Netzkapazitäten. Auch eine Refinanzierung der Photovoltaik- und Windkraftanlagen über die in der Phase günstiger Produktionsbedingungen erzielbaren Erlöse wird dadurch beeinträchtigt. Diese Anlagen werden sich ohne Förderung noch lange Zeit nur für Investoren rentieren, bei denen die eigene Nachfrage mit der volatilen Stromerzeugung einigermassen gut übereinstimmt. Die Förderung der Photovoltaik- und Windkraftanlagen «droht» zur Daueraufgabe zu werden.Eine nur auf die Stromproduktion ausgerichtete Einspeisevergütung beschleunigt zwar den Ausbau der Stromerzeugungskapazitäten aus neuen erneuerbaren Energien und garantiert den Investoren eine Rendite, führt aber zu einer ganzen Reihe ungewollter und aus Systemsicht höchst unerwünschter Effekte. Die Finanzierung der Netze und Ausgleichskapazitäten wird schwieriger und konventionelle Kraftwerke – auch Pumpspeicher- und Wasserkraftwerke – werden unrentabel. Eine auf die veränderten Verhältnisse und auf die Entwicklung in der EU abgestimmte neue Strommarktordnung ist erforderlich. Die fluktuierende und kaum prognostizierbare Einspeisung von Strom aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen muss unbedingt besser – d.h. unter Beachtung der Funktionsweise des Gesamtsystems – in den Strommarkt integriert werden. Ohne eine grundlegend überarbeitete Strommarktordnung wird der Ausbau von Photovoltaik- und Windkraftanlagen unausweichlich zu gravierenden wirtschaftlichen Problemen führen. Im Rahmen der Neuordnung des Strommarktes sollte deshalb z.B. für die KEV – unter Wahrung der bereits eingeräumten Besitzstände – der Wechsel von einer Preis- zu einer Mengensteuerung geprüft werden. Auch andere Elemente einer neuen Strommarktordnung – wie Kapazitätsmärkte oder erweiterte Regelenergiemärkte – bedürfen noch weiterer Abklärungen.[4]

Was braucht es für einen Erfolg der neuen Energiepolitik?


Mit dem bis 2020 reichenden Szenario Politische Massnahmen (POM) können nur etwa 50% der quantitativen Reduktionsziele erreicht werden. Die noch fehlenden 50% sollen nach dem Szenario Neue Energiepolitik (NEP) mit «geeigneten» Massnahmen im Zeitraum 2020–2050 erreicht werden. Im Zentrum der für die NEP vorgeschlagenen Massnahmen steht der Übergang von einem Vorschriften-, Förder- und Abgabensystem zu einem Lenkungssystem, z.B. durch einen verstärkten Einsatz von Abgaben oder durch einen ökologisch motivierten Umbau des Steuersystems. Die für die Entscheide der Investoren und der Käufer langlebiger Konsumgüter notwendige Planungssicherheit erfordert aber, dass die Konkretisierung der NEP und die Grundsatzdiskussion zu den gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines Lenkungssystems rasch erfolgen müssen.Die Unwägbarkeiten in Bezug auf die Entwicklungen in den kommenden Jahrzehnten sind kein Grund für einen Verzicht auf die technisch mögliche Neuausrichtung des Energiesystems. Die Langfristigkeit der Zielsetzungen erfordert jedoch eine Beachtung sowohl der nur bedingt vorhersehbaren Veränderungen bei den in den Vernehmlassungsunterlagen unterstellten Rahmenbedingungen – Bevölkerungsentwicklung, Wirtschaftswachstum, Weltmarktpreise für Energieträger, internationale Vereinbarungen zum Klimaschutz, technischer Fortschritt – als auch der Zielkonflikte zwischen Wirtschaftlichkeit, Versorgungssicherheit, Umwelt- und Sozialverträglichkeit (siehe Kasten 3) Güterabwägungen sind deshalb bei allen Entscheiden im Rahmen der neuen Energiepolitik notwendig. Es ist nicht möglich, die Umsetzung der Energiestrategie 2050 schon heute in allen Details zu planen. Sukzessive Anpassungen der Teilziele und der vorgesehenen Massnahmen an die tatsächlichen Entwicklungen auf der Basis eines permanenten Monitoring sind deshalb unverzichtbar.Die Kosten des Umbaus des Energiesystems sollten transparent gemacht werden. Aus einzelwirtschaftlicher Sicht beruhen die Kosten auf dem Wert der im Produktionsprozess eingesetzten Produktionsfaktoren. Im Energiebereich sind dies vor allem die Ausgaben für Energieträger und für die Bereitstellung von Energiedienstleistungen. Volkswirtschaftliche Kosten ergeben sich aufgrund von Ineffizienzen. Es werden dann mehr knappe Produktionsfaktoren beansprucht werden als erforderlich. Daraus resultieren gesamtwirtschaftliche Nachteile, weil diese Produktionsfaktoren nicht mehr für die Produktion anderer Güter eingesetzt werden können.Die für eine verbesserte Energieeffizienz erforderlichen Investitionen stehen nicht mehr für andere Investitionen zur Verfügung. Höhere Preise für Energieträger beeinträchtigen sowohl die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen als auch die Möglichkeiten der privaten Haushalte zum Kauf anderer Konsumgüter. Sollten die Energiekosten in der Schweiz trotz einer Verbesserung der Energieeffizienz steigen, wird längerfristig die Entwicklung der Energiekosten in anderen Wirtschaftsräumen über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in der Schweiz mitentscheiden.

Die Botschaft des Bundesrates hat Verbesserungspotenzial


Der Trialog hat für einen Erfolg der Energiestrategie 2050 entscheidende Zusammenhänge aufgezeigt. Die Botschaft vom 4.9.2013 geht auf diese Interdependenzen nicht näher ein. Auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Abgaben und Subventionen sowie die Folgen eines wachsenden Anteils der geförderten neuen erneuerbaren Energien an der Stromproduktion in Europa werden in der Botschaft nicht weiter behandelt. Zwar werden punktuelle Verbesserungen sowie nahe liegende Anpassungen des in der Vernehmlassungsvorlage aufgeführten Abgaben- und Förderungssystems vorgeschlagen, es fehlt aber die notwendige Prioritätensetzung. Ohne Ausarbeitung einer Strommarktordnung, die auch die Stromerzeugung aus neuen erneuerbaren Energien berücksichtigt, verursacht die Förderung der neuen erneuerbaren Energien aus volkswirtschaftlicher Sicht hohe und derzeit noch nicht abschätzbare Kosten.

  1. Der Schlussbericht mit der Liste der Teilnehmer und den Detailergebnissen ist unter http://www.energietrialog.ch abrufbar. []
  2. Materielle Basis für die Diskussionen der Experten waren die in der Vernehmlassungsvorlage vom 28.9.2012 und in den zugehörigen Unterlagen gemachten Annahmen, die zur Erreichung der angestrebten Zielsetzungen formulierten Teilziele sowie die vorgeschlagenen Massnahmen. []
  3. Vgl. K. Gillingham et al, The rebound effect is overplayed, in: Nature 493 (2013), S. 475f. []
  4. Vgl. z.B. U. Meister, Keine Energiewende im Alleingang, Avenir Suisse, Zürich 2013. []

Zitiervorschlag: Bernd Schips (2013). Die Energiestrategie 2050 aus volkswirtschaftlicher Sicht. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.

Kasten 1:

Geringe Wirkung des Emissionshandelssystems der EU


Eine reichliche Ausstattung mit Emissionszertifikaten, die konjunkturelle Schwächephase und insbesondere die exzessive Förderung von Photovoltaik- und Windkraftanlagen in Deutschland sind für die bislang geringe Wirkung des EU-ETS verantwortlich. Da die Gesamtmenge an Zertifikaten in der EU festgelegt ist, reduziert der über Einspeisevergütungen nach dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) geförderte Strom zwar in Deutschland die Stromproduktion aus fossilen Energieträgern, führt aber gleichzeitig zu einer EU-weiten Preissenkung für Emissionszertifikate. Diese Preissenkung verbilligt den Kauf von Zertifikaten und ermöglicht anderen EU-Ländern die Emission des in Deutschland «eingesparten» CO2. Die Förderung in Deutschland verringert damit aber auch die Marktchancen des in anderen EU-Ländern nicht in gleichem Ausmass geförderten Stroms aus neuen erneuerbaren Energien.

Kasten 2:

Das Beispiel der Emissionen von Hybridfahrzeugen


Technische Mindeststandards reichen nicht zwingend zur effektiven Erreichung der angestrebten Ziele aus. So stellt die Übernahme der Emissionsvorschriften der EU für Motorfahrzeuge z.B. noch keinesfalls sicher, dass die Emissionen aus dem Einsatz der Fahrzeuge auch im erwarteten Ausmass zurückgehen. Gemäss der ECE-Norm R101 kann ein mit dem neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) ermittelter Treibstoffverbrauch in Abhängigkeit von der elektrischen Reichweite eines Fahrzeuges – bei einer elektrischen Reichweite von 25 km um den Faktor 2, bei 50 km um den Faktor 3 – reduziert werden. Die Fahrzeugindustrie wird diese Möglichkeiten nutzen und vermehrt Plug-in-Hybrid-Fahrzeuge anbieten. Diese dürften, aufgrund des aus Elektroantrieb und Batterien resultierenden Mehrgewichtes, unter realistischen Einsatzbedingungen jedoch deutlich mehr Treibstoff verbrauchen, als es der zur Erfüllung der Emissionsgrenzwerte ermittelte Wert suggeriert. Um die angestrebten Reduktionen von CO2 zu erreichen, müsste daher zusätzlich das Fahrverhalten beeinflussende Abgaben eingeführt werden. Die höheren Anschaffungskosten der genannten Fahrzeuge werden sich aber auch auf die Struktur der Konsumnachfrage der privaten Haushalte auswirken, mit den entsprechenden Folgen auf die inländische Wertschöpfung.

Kasten 3:

Grosse Fragezeichen bei den Modellrechnungen


Um die volkswirtschaftlichen Kosten der Energiestrategie 2050 bestimmen zu können, müsste ein Vergleich mit einer Entwicklung ohne neue Energiepolitik gemacht werden. Da aber die Veränderungen in Wirtschaft, Gesellschaft und Technik nicht für Jahrzehnte im Voraus absehbar sind, ist ein derartiger Vergleich nicht durchführbar. Zwar wird versucht, dieses Problem mit Hilfe von Modellen, die sich auf die Daten der Vergangenheit stützen und teilweise mit realitätsfernen Annahmen operieren, zu lösen. Die Ergebnisse derartiger Modellrechnungen sind jedoch äusserst kritisch zu hinterfragen. a

a Vgl. z.B. S. Borner et al, Volkswirtschaftliche Auswirkungen der Energiestrategie 2050 des Bundesrates, Basel 2012, S. 43 ff. und insbesondere S. 94 ff.