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Neue Anforderungen an die Liquiditätshaltung von Banken

Die Finanzkrise zeigte unlängst auf, dass viele Banken nicht nur über zu wenig Eigenmittel zur Unterlegung von Handelsgeschäften und Verbriefungen verfügten, sondern auch über ungenügend Liquidität. Obwohl Banken stets Liquiditätsrisiken ausgesetzt sind, da sie kurzfristige Passiven längerfristig ausleihen, wurde diesen Risiken auf nationaler und internationaler Ebene lange Zeit zu wenig Beachtung geschenkt. Die Liquiditätsverordnung des Bundesrates vom 30.November 2012 setzt internationale Vorgaben um und schliesst diese Regulierungslücke im Schweizer Recht.

Foto: Keystone


Dem Begriff «Liquidität» können je nach Perspektive verschiedene Bedeutungen zukommen. Auf Ebene der Märkte bezeichnet die Marktliquidität die Möglichkeit, Vermögenswerte veräussern oder als Zahlungsmittel verwenden zu können. Wie schnell dies ohne Preiszugeständnisse erfolgen kann, hängt von der Aufnahmefähigkeit des jeweiligen Marktes ab.

Banken haben ein besonderes Liquiditätsrisiko


Die Forderung nach einer jederzeitigen und fristgerechten Zahlungsbereitschaft – und damit nach einer ausreichenden Liquiditätshaltung – betrifft jedes Unternehmen und nicht speziell den Bankensektor. Dennoch sind Banken im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen einem besonderen Liquiditätsrisiko ausgesetzt, da sie im Rahmen ihrer Fristentransformationsfunktion relativ kurzfristige Passiven (z.B. Kundeneinlagen) längerfristig ausleihen (z.B. in Form von Hypothekardarlehen). Unter normalen Umständen stehen den Banken zahlreiche Möglichkeiten offen, Liquidität zu generieren, um ihren Verpflichtungen vollständig und fristgemäss nachzukommen, so etwa durch Verkauf eigener Vermögenswerte oder durch zusätzliche Kapitalzuflüsse. Brechen diese Möglichkeiten in einer Krisensituation weg, droht letzten Endes auch einer solid finanzierten Bank die Zahlungsunfähigkeit.

Liquiditätseinbruch mit drastischen Folgen


Wie ein Mangel an Liquidität Banken zum Verhängnis werden kann, offenbarte unlängst die Finanzkrise. Vor der Krise war die Aufnahme von Liquidität für Banken einfach und günstig. Im Laufe der Krise erlitten komplexe Anlageprodukte wie Kreditverbriefungen starke Wertverminderungen, was am Ende einen erhöhten Bedarf an Kapital und Liquidität im Bankensektor zur Folge hatte. In Kombination damit führten Unsicherheiten über die wirtschaftlichen Aussichten von Gegenparteien zu einem Liquiditätseinbruch am Interbankenmarkt und schliesslich zu dessen Erliegen. Zentralbanken waren gezwungen, einzugreifen und den Interbankenmarkt mit Liquidität zu stützen sowie die Leitzinsen auf ein historisches Tief zu senken. Die geldpolitischen Massnahmen reichten jedoch nicht aus, und mehrere Regierungen beschlossen, ihre Banken (und Versicherungen) mit staatlichen Rettungspaketen zu unterstützen.
Vgl. Finma, Bericht «Finanzmarktkrise und Finanzmarktaufsicht» vom 14. September 2009 (Finma-Bericht), S. 11.

Lehren aus der Krise


Den Liquiditätsrisiken wurde im Gegensatz zu den Marktpreis-, Kredit- und Zinsänderungsrisiken sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene lange Zeit nur wenig Beachtung geschenkt. Zwar erliess der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht bereits im Jahr 2000 Empfehlungen mit Grundsätzen für die Bewirtschaftung der Liquiditätsrisiken.
Vgl. «Sound Practices for Managing Liquidity in Banking Organisations» vom Februar 2000 (http://www.bis.org/publ/bcbs69.htm). Es stellte sich jedoch heraus, dass diese von den Banken zu wenig konsequent umgesetzt wurden.
Finma-Bericht, S. 39. Der Basler Ausschuss zog seine Lehren aus der Krise, überarbeitete besagte Grundsätze und erliess im September 2008 die «Principles for Sound Liquidity Risk Management and Supervision».
Siehe http://www.bis.org/publ/bcbs144.htm. Ergänzend veröffentlichte er im Dezember 2010 im Rahmen des Reformpaketes zur Bankenregulierung Basel III die Standards zur Liquiditätsausstattung mit der Einführung einer kurzfristigen Liquiditätsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) und einer strukturellen Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio NSFR).
Siehe http://www.bis.org/publ/bcbs188.htm (Fassung 2010); http://www.bis.org/publ/bcbs238.htm (revidiert 2013).

Neue Liquiditätsanforderungen in der Schweiz


Die Liquiditätsanforderungen im Schweizer Recht ergaben sich bis anhin aus dem Grundsatz in Art. 4 Bankengesetz (BankG), den ausführenden Bestimmungen in der Bankenverordnung (BankV) und den Bestimmungen im Nationalbankgesetz und in der dazugehörigen Verordnung.
Diese Anforderungen betreffen die sog. Kassenliquidität oder Mindestreserven, welche neben dem Gläubigerschutz auf die geldmengenpolitische Zielsetzung ausgerichtet sind. Hierauf soll nicht weiter eingegangen werden. Mit der Liquiditätsverordnung vom 30. November 2012 (LiqV) wurden die Schweizer Vorschriften zur Liquiditätsregulierung auf den 1. Januar 2013 nun an die Entwicklungen auf dem Finanzmarkt und die internationalen Vorgaben angepasst. Zwar wurden übergangsweise die Vorschriften aus der BankV in die LiqV übernommen; diese sollen jedoch in Bälde durch die Vorgaben des Basler Ausschusses zu LCR und NSFR ersetzt werden. Bereits in die LiqV aufgenommen wurden die Vorschriften zum Liquiditätsmanagement gemäss den Basler «Principles for Sound Liquidity Risk Management and Supervision». Auf einige Punkte der LiqV wird im Folgenden kurz eingegangen.

Allgemeine Bestimmungen


Die allgemeinen Bestimmungen enthalten insbesondere den Grundsatz, dass Banken jederzeit über genügend Liquidität verfügen müssen, um ihren Zahlungsverpflichtungen auch in Stresssituationen nachkommen zu können. Unter anderem müssen Banken zu diesem Zweck eine ausreichend bemessene und nachhaltige Liquiditätsreserve halten, um auch dann liquide zu sein, wenn andere Finanzierungsquellen nicht zugänglich sind.

Qualitative Anforderungen


Mit den qualitativen Anforderungen an die Bewirtschaftung der Liquiditätsrisiken (Liquiditätsmanagement) wurden die Grundsätze des Basler Ausschusses aus dem Jahre 2008
Vgl. Fussnote 5. in das Schweizer Recht überführt. Danach müssen die Schweizer Banken
Die systemrelevanten Banken per 1. Januar 2013; alle übrigen Banken per 1. Januar 2014 (Art. 33 LiqV). in einem ersten Schritt – entsprechend ihrer Geschäftsstrategie und Rolle im Finanzsystem – ihre Liquiditätsrisikotoleranz – sprich ihre Bereitschaft, Liquiditätsrisiken einzugehen – festlegen. Gestützt darauf bestimmen sie die Strategien zur Bewirtschaftung der Liquiditätsrisiken, namentlich die Risikosteuerungs- und Controllingprozesse (Kontroll- und Informationssysteme, interne Weisungen und Organisationsstruktur). Ebenfalls verlangt wird die Durchführung verschiedener Stresstests, welche schwerwiegende, extreme Ereignisse simulieren, die mit geringer Wahrscheinlichkeit eintreten, aber dennoch plausibel sind. Sie liefern Aussagen darüber, ob eine Bank auch in einem Stressszenario weiterhin ihren Zahlungspflichten nachkommen kann. Ergänzend haben die Banken ein Notfallkonzept mit Strategien im Umgang mit Liquiditätsengpässen zu erstellen. Der Grad der Anforderungen an das Liquiditätsmanagement trägt dem Umstand Rechnung, dass Banken je nach Grösse und Geschäftsaktivitäten unterschiedlich grossen Liquiditätsrisiken ausgesetzt sind. Entsprechend werden an Banken mit einer geringen Risikoexponierung und -komplexität weniger weit gehende Anforderungen gestellt.

Quantitative Anforderungen


Die quantitativen Anforderungen schreiben den Banken vor, wie sie ihre Liquidität zu berechnen haben und welche Vermögenswerte als liquide Aktiven angerechnet werden dürfen. Aktuell gelten noch die Liquiditätsbestimmungen, die aus der BankV in die LiqV überführt wurden. Sie stammen aus dem Jahre 1988, wurden nie grundlegend überarbeitet und sind entsprechend veraltet. Sie sollen nun in einem nächsten Schritt durch die neuen Vorgaben des Basler Ausschusses ersetzt werden (LCR per 1. Januar 2015 und NSFR per 1. Januar 2018). Die LCR-Quote wird darüber Auskunft geben, ob eine Bank über genügend hochwertige liquide Aktiven verfügt, um ihren Zahlungsverpflichtungen über 30 Tage unter bestimmten Stressszenarien nachzukommen. Beträgt die Quote 100%, gilt die LCR als erfüllt. Nach heutiger Planung soll in der Schweiz von den Banken der volle Erfüllungsgrad von 100% erst per 1. Januar 2019 verlangt werden (Staffelung in 10%-Schritten ab 2015 mit Start bei 60%). Dies entspricht den Erleichterungen, die auch vom Basler Ausschuss im Januar 2013 für die Einführung der LCR beschlossen wurden.

Besondere Bestimmungen für systemrelevante Banken


Zusätzlich zu den Bestimmungen, die für alle Banken gelten, enthält die LiqV besondere Bestimmungen für systemrelevante Banken, da die Illiquidität einer Grossbank gravierende Folgen für das restliche Bankensystem hätte. Bereits vor Ausbruch der Finanzkrise erkannte die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) die Gefahr, die von systemrelevanten Banken ausgehen kann und beschloss, in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Nationalbank (SNB) für die beiden Grossbanken ein separates strengeres Liquiditätsregime auszuarbeiten. Dieses Regime wurde in die LiqV übernommen. Der Grundsatz, dass systemrelevante Banken strengere Liquiditätsanforderungen einzuhalten haben, erhielt schliesslich auch im Rahmen des Massnahmepakets «Too big to fail» im Bankengesetz eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage (Art. 9 Abs. 2 Bst. b BankG).

Wie geht es weiter?


Obwohl die LiqV erst seit einem halben Jahr in Kraft ist, laufen bereits die Revisionsarbeiten zur Umsetzung der LCR. Ziel ist die Verabschiedung der geänderten Bestimmungen durch den Bundesrat im Frühling 2014 und deren Inkraftsetzung per 1. Januar 2015.

Kasten 1: Kurzfristige und strukturelle Liquiditätsquote

Kurzfristige und strukturelle Liquiditätsquote


Die kurzfristige Liquiditätsquote (Liquidity Coverage Ratio, LCR) ist das Verhältnis zwischen dem Bestand an hochwertigen liquiden Aktiven und dem Nettomittelabfluss, bezogen auf eine Frist von 30 Tagen unter bestimmten Stressszenarien. Eine Bank muss dementsprechend genügend qualitativ hochwertige, liquide Aktiven halten, um ihre Liquiditätsbedürfnisse über 30 Tage in einem Stressszenario decken zu können.

Bei der strukturellen Liquiditätsquote (Net Stable Funding Ratio, NSFR) handelt es sich um ein aufsichtsrechtliches Mass für die längerfristige Liquidität. Sie wurde vom Basler Ausschuss zwar konzeptionell festgelegt; es bestehen jedoch noch zahlreiche offene Punkte und Interpretationsfragen.

Zitiervorschlag: Sandra Schneider (2013). Neue Anforderungen an die Liquiditätshaltung von Banken. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.