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Bedürfnisgerechter Wohnraum in Zentren – ein Beitrag zur nachhaltigen Raumentwicklung in der Schweiz

Bedürfnisgerechter Wohnraum in Zentren – ein Beitrag zur nachhaltigen Raumentwicklung in der Schweiz

In Zentren der Schweiz droht die Segregation oder die Entvölkerung: Steigende Kosten verdrängen die ansässige Bevölkerung durch einkommensstärkere Schichten oder durch andere Nutzungen. Anstelle der optimalen Nutzung der dichten und meist gut erschlossenen Zentren geht die Zersiedelung an peripherer Lage weiter – und damit auch der Verlust von Kulturland und Naturräumen. Die Modellvorhaben Fontenais und Pruntrut im Kanton Jura sind ein konkreter Beitrag zur nachhaltigen Raumentwicklung.

Foto: ARE


Die Anpassung historischer Bausubstanz an die Wohnbedürfnisse von heute ist gegenüber einem Neubau in einem Einfamilienhaus an der Peripherie mit weit höheren Schwierigkeiten und vor allem Kosten verbunden. In Fontenais und Pruntrut drohen diese Probleme zur Entvölkerung der Ortszentren zu führen. Mit der zeitlich begrenzten Unterstützung des Bundes haben der Kanton Jura und die beiden Gemeinden 2007 ein Programm gestartet mit dem Ziel, eine Alternative zur Abwanderung zu bieten.

Grosse Vielfalt an Projekten


Und das Angebot wurde rege genutzt: Bis 2012 wurden 21 Projekte eingereicht; davon sind deren neun realisiert und deren sieben im Umbau begriffen. Die 21 Projekte betreffen rund 70 Wohnungen und sind sehr vielseitig. Sie reichen von der Rennovation einzelner Wohnungen über die Totalsanierung ganzer Gebäude bis hin zur Umnutzung ehemaliger Gewerbebauten zu Wohnzwecken. Neben dem finanziellen Anreiz erwies es sich als besonders antreibend, dass die Beurteilungskriterien bereits zum Voraus definiert wurden, alle Interessierten mit den relevanten Informationen versorgt werden konnten und die Projekte in den verschiedenen Phasen von der Gemeinde eng begleitet wurden. Die realisierten Projekte haben Modellcharakter für Eingriffe in historischen Ortskernen und dienen als Beispiel für nachfolgende Vorhaben. Dementsprechend wurde ein Katalog der ausgeführten Projekte erstellt, der den an neuen Sanierungsprojekten interessierten Personen vorgelegt werden kann.

Schlüssel einer nachhaltigen Raumentwicklung


Wirtschafts-, Bevölkerungs- und individuelles Wohlstandswachstum führen zu einem steigenden Bedarf an Raum für Wohnen, Arbeit, Freizeit und Mobilität in der Schweiz. Eine hohe Siedlungsqualität und gute Infrastrukturen gehören zu den Schlüsselfaktoren der Standortattraktivität. Doch Boden ist ein knappes Gut. Die qualitätsvolle Siedlungsentwicklung nach innen – und damit die Eindämmung der weiteren Zersiedelung – ist deshalb ein Kernanliegen einer nachhaltigen Raumentwicklung in der Schweiz.

Bevölkerungskonzentration betrifft nicht nur die Grosszentren


Rund drei Viertel der Bevölkerung lebt in den Städten und Agglomerationen. Aufgrund dieser Bevölkerungskonzentration und der prognostizierten Entwicklung stellen sich eine Reihe von Herausforderungen im Zusammenhang mit Wohnqualität und Wohnraumangebot in diesen urbanen Räumen. Damit sind bei weitem nicht nur die Grosszentren Zürich, Genf–Lausanne, Basel oder Bern gemeint, sondern ebenso Zentren in eher ländlich geprägten Räumen wie Chur, Frauenfeld, Stans, Bellinzona, Sion, Burgdorf oder Delémont. Die wichtigsten der erwähnten Herausforderungen können unter den folgenden Stichworten zusammengefasst werden:

Modellvorhaben – ein Laboratorium für die Raumentwicklung


Das Modellvorhaben «Förderung des Wohnens in historischen Zentren im Jura» gehört zu den 44 Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung, die in den Jahren 2007–2011 zu neun Themenschwerpunkten (siehe Grafik 2) durchgeführt wurden. Mit diesen Modellvorhaben fördert der Bund innovative Ansätze, um den grossen Herausforderungen wachsender Wirtschaft und Bevölkerung, dem Bedarf an Siedlungsflächen, der intensiven Nutzung des Raums, dem Ressourcenverbrauch begegnen zu können. Die Modellvorhaben zeigen dabei auch neue Möglichkeiten auf zu Fragen wie der bereichs- und grenzübergreifenden Zusammenarbeit und Koordination, dem Aufbau von Netzwerken oder der Erschliessung regionaler und lokaler Potenziale. Sie tragen zum Austausch von Wissen und Erfahrungen bei und können als Vorbild für andere Projekte dienen. Neben Kantonen, Regionen und Gemeinden profitiert auch der Bund von den Erkenntnissen: Für wichtige Ansätze des Raumkonzepts Schweiz – wie z.B. die Planung in funktionalen Räumen (siehe Kasten 2

Wirtschaft in funktionalen Räumen fördern


Das heutige Wirtschaftssystem benötigt mobile Produktionsfaktoren, insbesondere im Bereich der Arbeitskräfte. Auch die Kundschaft, die am anderen Ende der Produktionskette steht, ist heute vielfältig und – bezogen auf ihre Herkunft – diversifiziert. Die Beschaffungs- und Absatzmärkte der Unternehmen stimmen daher immer weniger überein. Die Unternehmen konzentrieren sich in zentralen Räumen und setzen ihre Produkte und Dienstleistungen in regionsübergreifenden Märkten ab.

 

Die Modellvorhaben sollen dazu beitragen, die wirtschaftliche Entwicklung in funktionalen Regionen zu fördern. Zudem müssen sie die Möglichkeit schaffen, die Hindernisse, die der wirtschaftlichen Entwicklung in funktionalen Räumen im Weg stehen, zu identifizieren und zu überwinden. In beiden Fällen soll die regionale Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden, indem die Sektoralpolitiken und die Massnahmen der örtlichen Akteure besser koordiniert werden. Letztlich geht es auch um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Ansiedlung neuer Unternehmen, den erhöhten Nutzen öffentlicher Investitionen und um die Vermeidung unnötiger Infrastrukturkosten.


 

Die Modellvorhaben im Rahmen des Themenbereichs «Wirtschaft im funktionalen Raum fördern» sollen durch konkrete Projekte das Zusammenspiel und die Beziehungen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten positiv beeinflussen, indem die Regionen als funktionale Räume betrachtet werden. Perimeter und Charakteristika werden dabei durch die Art eines bestimmten Vorhabens definiert: Je nachdem, ob es sich um ein sozio-ökonomisches oder ein touristisches Vorhaben oder aber um ein Projekt aus dem Energie- oder Technologiebereich handelt, wird der dazugehörige funktionale Raum andere Merkmale und eine andere räumliche Ausdehnung aufweisen. Die für die wirtschaftliche Entwicklung bedeutenden funktionalen Räume sind also zusammenhängende Gebiete, deren Teile sich gegenseitig ergänzen oder unterstützen (z.B. ein Zentrum und seine Region), in denen einzelne Teile gewisse Funktionen übernehmen (z. B. Arbeitsplatzfunktion oder Absatzmärkte) oder in denen bestimmte Aufgaben (z.B. die Umsetzung von Fördermassnahmen) gemeinsam erfüllt werden.


 

Dr. Mark Reinhard


 

Ressort Regional- und Raumordnungspolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)


) – liefern Modellvorhaben wertvolle Erfahrungen. Sie leisten damit einen konkreten Beitrag für die Umsetzung der schweizerischen Raumentwicklungspolitik.

Grafik 1: «Anteil mit Sozialhilfe unterstützter Personen an der Wohnbevölkerung, 2010»

Grafik 2: «Die Modellvorhaben im Überblick»

Kasten 1: Dritte Generation der Modellvorhaben 2014–2018

Dritte Generation der Modellvorhaben 2014–2018


Nach den guten Erfahrungen der vergangenen Phasen ist 2014-2018 eine neue Serie von Modellvorhaben zu fünf thematischen Schwerpunkten vorgesehen. Sie sehen die folgenden Schwerpunkte vor:

  • Siedlungsentwicklung nach innen umsetzen;
  • Freiraumentwicklung in Agglomerationen fördern;
  • Ausreichendes und bedürfnisgerechtes Wohnraumangebot schaffen;
  • Wirtschaft in funktionalen Räumen fördern;
  • Natürliche Ressourcen nachhaltig nutzen und in Wert setzen.


An der dritten Phase der Modellvorhaben sind das federführende Bundesamt für Raumentwicklung (ARE), das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) sowie die Bundesämter für Umwelt (Bafu), Landwirtschaft (BLW), Wohnungswesen (BWO), Gesundheit (BAG), Strassen (Astra) und Sport (Baspo) beteiligt. Die Projektausschreibung läuft von November 2013 bis Februar 2014. Weitere Informationen sind erhältlich bei den Autoren oder unter http://www.modellvorhaben.ch.

Kasten 2: Wirtschaft in funktionalen Räumen fördern

Wirtschaft in funktionalen Räumen fördern


Das heutige Wirtschaftssystem benötigt mobile Produktionsfaktoren, insbesondere im Bereich der Arbeitskräfte. Auch die Kundschaft, die am anderen Ende der Produktionskette steht, ist heute vielfältig und – bezogen auf ihre Herkunft – diversifiziert. Die Beschaffungs- und Absatzmärkte der Unternehmen stimmen daher immer weniger überein. Die Unternehmen konzentrieren sich in zentralen Räumen und setzen ihre Produkte und Dienstleistungen in regionsübergreifenden Märkten ab.

Die Modellvorhaben sollen dazu beitragen, die wirtschaftliche Entwicklung in funktionalen Regionen zu fördern. Zudem müssen sie die Möglichkeit schaffen, die Hindernisse, die der wirtschaftlichen Entwicklung in funktionalen Räumen im Weg stehen, zu identifizieren und zu überwinden. In beiden Fällen soll die regionale Wettbewerbsfähigkeit gesteigert werden, indem die Sektoralpolitiken und die Massnahmen der örtlichen Akteure besser koordiniert werden. Letztlich geht es auch um die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Ansiedlung neuer Unternehmen, den erhöhten Nutzen öffentlicher Investitionen und um die Vermeidung unnötiger Infrastrukturkosten.

Die Modellvorhaben im Rahmen des Themenbereichs «Wirtschaft im funktionalen Raum fördern» sollen durch konkrete Projekte das Zusammenspiel und die Beziehungen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten positiv beeinflussen, indem die Regionen als funktionale Räume betrachtet werden. Perimeter und Charakteristika werden dabei durch die Art eines bestimmten Vorhabens definiert: Je nachdem, ob es sich um ein sozio-ökonomisches oder ein touristisches Vorhaben oder aber um ein Projekt aus dem Energie- oder Technologiebereich handelt, wird der dazugehörige funktionale Raum andere Merkmale und eine andere räumliche Ausdehnung aufweisen. Die für die wirtschaftliche Entwicklung bedeutenden funktionalen Räume sind also zusammenhängende Gebiete, deren Teile sich gegenseitig ergänzen oder unterstützen (z.B. ein Zentrum und seine Region), in denen einzelne Teile gewisse Funktionen übernehmen (z. B. Arbeitsplatzfunktion oder Absatzmärkte) oder in denen bestimmte Aufgaben (z.B. die Umsetzung von Fördermassnahmen) gemeinsam erfüllt werden.

Dr. Mark Reinhard

Ressort Regional- und Raumordnungspolitik, Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)

Kasten 3: Literatur

Literatur

  • ARE, BAFU, BLW, SECO (Hrsg): Neue Wege und Allianzen für die nachhaltige Raumentwicklung, Erkenntnisse und Impulse aus den 44 Modellvorhaben. Bern, 2013.
  • ARE (Hrsg): Modellvorhaben nachhaltige Raumentwicklung, Nutzungspotentiale für eine Siedlungsentwicklung nach innen. Bern, 2013.
  • Schweizerischer Bundesrat, KdK, BPUK, SSV, SGV: Raumkonzept Schweiz, überarbeitete Fassung. Bern, 2012.
  • Ecoplan (im Auftrag von ARE / SECO): Urbane Herausforderungen aus Bundessicht. Bern, 2012.

Zitiervorschlag: Juerg Blattner (2013). Bedürfnisgerechter Wohnraum in Zentren – ein Beitrag zur nachhaltigen Raumentwicklung in der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. November.