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Spekulation und Rohstoffpreise auf Terminmärkten

Spekulation und Rohstoffpreise auf Terminmärkten

Seit Jahren stehen rohstoffabhängige Finanzkontrakte als Anlageklasse in der öffentlichen Kritik. Es wird unterstellt, dass die damit verbundene «Spekulation» die Rohstoffpreise nachhaltig in die Höhe treibe. Dieser Zusammenhang lässt sich jedoch in der Literatur wie auch in eigenen empirischen Untersuchungen nicht nachweisen.

Foto: Keystone


Der Einfluss der Spekulation auf die Preisbildung an den Rohstoff- und Rohstoff-Futuresmärkten bildet seit jeher ein in der breiten Öffentlichkeit heiss und kontrovers diskutiertes Thema.
Einen in jeder Hinsicht aufschlussreichen Vergleich mit der heutigen Diskussion bietet die Arbeit von A. Fröchtling (1909): Über den Einfluss des Getreideterminhandels auf die Getreidepreise, Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 37, Mai, S. 577–622. Dabei geht es um die Frage: Haben Investitionen in rohstoffabhängige Finanzkontrakte preistreibende Effekte und sind damit für die teilweise in den letzten Jahren stark angestiegenen Nahrungsmittel- und Rohstoffpreise verantwortlich oder zumindest mitverantwortlich? Vordergründig deutet einiges auf einen solchen Zusammenhang hin. So hat im letzten Jahrzehnt parallel zum Preisanstieg das Handelsvolumen respektive der Umfang der ausstehenden Finanzkontrakte auf Rohstoffe stark zugenommen.
Dabei spielen die indexierten Finanzkontrakte (Commodity Index Trading, CIT, in Form strukturierter Produkte oder börsengehandelter Fondsanteile, ETF) eine besonders wichtige Rolle. Eine parallele Entwicklung bedeutet jedoch nicht unbedingt, dass auch eine Kausalität besteht.

Volksinitiative gegen Nahrungsmittelspekulation


Diese Diskussion hat in der Schweiz nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Initiative zur «Bekämpfung der Spekulation mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln» eine besondere Aktualität erfahren. Die Initiative will ein verfassungsmässiges Verbot für Finanzintermediäre, institutionelle Anleger und Vermögensverwalter, in eigenem oder fremdem Namen sowie direkt oder indirekt in Finanzinstrumente zu investieren, die sich auf Agrarrohstoffe und Nahrungsmittel beziehen. Dasselbe gilt für den Verkauf entsprechender strukturierter Produkte (Wortlaut des vorgeschlagenen Verfassungsartikels). Das Ziel der Initiative liegt in der Bekämpfung des weltweiten Hungers. Gerade die Frage, ob höhere Nahrungsmittelpreise für die Bevölkerung eines unterentwickelten Landes vor- oder nachteilig sei, ist alles andere als schlüssig zu beantworten.
Ein aktuelles Beispiel liefert der Quinoa-Boom, der aufgrund der weltweit steigenden Nachfrage zu massiven Preissteigerungen geführt hat. Nicht nur die Einkommenssituation der Bauern in Bolivien und Peru hat sich dadurch verbessert; die Welternährungsorganisation (FAO) hat 2013 zum internationalen Jahr der Quinoa erklärt mit dem Argument, dass sie «ein wichtiges Instrument im weltweiten Kampf gegen Unter- und Mangelernährung» sei.

Was sagen wissenschaftliche Studien?


Die Frage, ob Finanzinvestoren – bzw. im engeren Sinn die Indexinvestoren – die Preisbildung von Rohstoffen entweder direkt am Spotmarkt oder indirekt über die Futuresmärkte beeinflussen, ist Gegenstand verschiedener wissenschaftlicher Untersuchungen. Die meisten Studien können keine Kausalität zwischen dem Anstieg der Indexinvestoren und den Preissteigerungen oder der Volatilität der Preise identifizieren.

Einstellung der Terminbörse bewirkt das Gegenteil


Warentermin- und Futuresmärkte
Der Unterschied zwischen Termin- und Futureskontrakten besteht i.d.R. im börsenmässigen Handel und der Standardisierung der Kontrakte. Im Folgenden unterscheiden wir nicht zwischen beiden Kategorien. standen seit jeher im Zentrum der Kritik, wenn es um die Preisbildung von Rohstoffen ging, und waren Gegenstand politischer Auseinandersetzungen. Die Folgen einer übermässigen Regulierung können sehr gut am Beispiel des «Berliner Experimentes» aufgezeigt werden. Die Berliner Spot- und Terminbörse für Getreide galt Ende des 19. Jahrhundert als eine der bedeutendsten Europas. Als Folge verheerend schlechter Weizenernten in Russland und den USA stiegen im Jahr 1891 die Weizenpreise und Preisschwankungen auch im Deutschen Kaiserreich stark an. Öffentliche Aktionen gegen die Agrarpreisspekulationen sowie das 1897 in Kraft getretene Börsengesetz mündeten in einem Handelsverbot für Getreideterminkontrakte. Das erhoffte Ergebnis einer Stabilisierung der Weizenpreise blieb allerdings aus – ganz im Gegenteil: Der fehlende Risikotransfer zwischen Getreideproduzenten und -konsumenten destabilisierte die Getreidepreise derart, dass schon im April 1900 der Terminmarkt für Getreide wiedereröffnet wurde. Die folgenschwere Konsequenz dieses Experiments waren aber nicht nur höhere Weizenpreise, sondern insbesondere die Degradierung der Berliner Getreidebörse zu einer Provinzbörse, von deren Status sie sich nicht mehr erholen konnte.

Neue Untersuchung misst Umfang der Spekulation


Die von uns durchgeführte Untersuchung
M. Haase, Y. Seiler und H. Zimmermann (2013): Permanent and Transitory Price Shocks in Commodity Futures Markets and their Relation to Atorage and Speculation, ssrn-Working Paper, WWZ Uni Basel, März 2013. zeichnet sich durch die verwendete empirische Methodik aus. Diese lässt es zu, die Effekte der Spekulation in Bezug auf das Niveau der Rohstoffpreise adäquat zu modellieren und dabei zwischen temporären und permanenten Preiseffekten zu differenzieren. Dazu werden die Futurespreise für 15 Rohstoffe (siehe Tabelle 1, Spalte A) über den Zeitraum 1990 bis 2010 untersucht, und zwar je für eine kurze (einmonatige) und längere (zwölfmonatige) Laufzeit. Im Unterschied zu den Kassamärkten verfügt man bei Futuresmärkten über kontinuierliche Preisnotierungen. Darüber hinaus kann der Umfang der Spekulation zuverlässig gemessen werden.

Fazit: Futures-Spekulation hat keine preistreibenden Effekte


Was bedeuten nun diese Ergebnisse für die Spotpreise an den Rohstoffmärkten? Die Beziehung zwischen Spot- und Futurespreisen wird durch die Kapital- und Lagerkosten sowie die Lagerfähigkeit der Güter determiniert. Würden die Futurespreise durch übermässige Spekulation über den Spotpreis zuzüglich Kapital- und Lagerkosten steigen, wäre ein risikoloser Gewinn durch Lagerung der Rohstoffe und dessen Verkauf auf Termin möglich. Dadurch verknappt sich das aktuelle physische Angebot bis zum Liefertermin. Dieser Mechanismus müsste zwangsläufig zu einem Anstieg der Lagerbestände führen. Dieses Bild deckt sich aber nicht mit den offiziellen Statistiken. Dem lässt sich entgegnen, dass namhafte Finanzinvestoren die Marktpreise durch Hortung von Rohstoffen ausserhalb offizieller Lager manipulieren und zu ihren Gunsten verzerren. Auch wenn dieses Verhalten für Spekulanten untypisch erscheint (die Kontrolle über einen erheblichen Teil der physisch gelagerten Güter durch wenige Akteure bindet im Unterschied zu Transaktionen auf Futuresmärkten erhebliches Risikokapital), erfordert das Argument eine vertiefte Untersuchung. Unsere Ergebnisse lassen es demgegenüber als nicht angezeigt erscheinen, der Spekulation auf den Futuresmärkten langfristig preistreibende Effekte zuzuschreiben – mit einer Ausnahme, die auch hier die Regel bestätigt.

Warten auf eine Normalisierung der Geld- und Zinspolitik


Die Kontroverse würde erheblich an Bedeutung verlieren, wenn sich die Finanzinvestitionen im Rohstoffsektor abschwächen würden – unbeachtet der möglicherweise dadurch steigenden Risikoprämien auf den Futureskontrakten. Der Grund für die zunehmenden Investitionen liegt in erster Linie in den tiefen Zinssätzen der westlichen Volkswirtschaften. Hier sind die institutionellen Investoren zur Erwirtschaftung einer angemessenen Rendite geradezu gezwungen, in Anlagesegmente zu investieren, bei denen es noch Risikoprämien zu verdienen gibt. Der Vorteil der Rohstoffmärkte liegt zusätzlich in einer (zumindest in der Vergangenheit) tiefen Korrelation gegenüber den Finanzmärkten, was ein gutes Diversifikationspotenzial verspricht. Man kann davon ausgehen, dass ein hoher Anteil der heute im Rohstoffbereich investierten Finanzinvestoren – namentlich Indexinvestoren – institutioneller Natur und damit auch nicht dem «klassischen» Spekulanten zuzurechnen sind.
Siehe dazu: H. R. Stoll und R. E. Whaley (2011): Commodity Index Investing: Speculation or Diversification?, in: Journal of Alternative Investments 14, S. 50–60. Deshalb ist zu erwarten, dass sich bei einer Normalisierung der Geldpolitik und des Zinsniveaus die direkt oder indirekt in rohstoffabhängige Finanzkontrakte getätigten Investitionen stabilisieren. Schon alleine aus diesem Grund ist davon abzuraten, durch eine unreflektierte Regulierung einschneidende Markteingriffe vorzunehmen.

Grafik 1: «T-Index: Spekulation im Verhältnis zum Hedging auf Rohstoff-Futuresmärkten, 1990–2010»

Tabelle 1: «Zusammenfassung der Resultate»

Zitiervorschlag: Marco Haase (2013). Spekulation und Rohstoffpreise auf Terminmärkten. Die Volkswirtschaft, 01. November.