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Wie Wohnraum entsteht und welche Baustellen die Zukunft prägen

Wie Wohnraum entsteht und welche Baustellen die Zukunft prägen

In der Schweiz ist die Bereitstellung von Wohnraum primär eine Aufgabe der Privatwirtschaft. Die öffentliche Hand ist zuständig für rechtliche Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich die privaten wirtschaftlichen Aktivitäten vollziehen können. Zudem sorgen Bund, Kantone und Gemeinden für den Ausgleich gegensätzlicher Interessen und die Korrektur von unerwünschten Marktergebnissen, sei es zum Schutz von Umwelt und Ressourcen oder zwecks Förderung des sozialen Ausgleichs. Mit Blick auf die Zukunft des Wohnens zeichnen sich verschiedene wohnungspolitische Herausforderungen und gesetzgeberische «Baustellen» ab.

Photo: Keystone


Die Bereitstellung von Wohnungen gehört zu den Aufgaben der Immobilienwirtschaft. Dieser heterogene Zweig umfasst eine Vielzahl an Einzelbranchen, deren Aktivitäten sich auf die Entwicklung, Finanzierung, Produktion, Vermarktung, Bewirtschaftung und Wiederverwertung von Grundstücken und Gebäuden beziehen.

Wohnungspolitik rückt nach oben in der politischen Agenda


Die Schweiz ist mit dem privatwirtschaftlichen Versorgungsmodell gut gefahren. Im Vergleich mit andern Ländern steht pro Kopf sehr viel Wohnraum zur Verfügung. Die Wohnkosten sind für den Grossteil der Bevölkerung gut tragbar. Grundsätzlich mangelt es weder an Investoren noch an Kapital; die Wohnungen sind von hoher Qualität, gut unterhalten und die Neubautätigkeit floriert. Für wohnungspolitische Aktivitäten bestand vor diesem Hintergrund und unter dem nachhaltigen Eindruck der Immobilienkrise der 1990er-Jahre lange kein Bedarf. Erst die vor wenigen Jahren kontinuierlich angestiegene Nachfrage, die wegen verzögerter Neubautätigkeit zu regionalen Marktengpässen und – zusammen mit den gesunkenen Zinssätzen – zu teils starken Preissteigerungen führte, haben die Wohnungspolitik auf der politischen Agenda von Bund, Kantonen und Gemeinden nach oben rücken lassen. Der Bundesrat hat im Mai dieses Jahres verschiedene wohnungspolitische Massnahmen mit einem mittel- bis längerfristigen Zeithorizont eingeleitet, mit denen der Bund zur Bewältigung der Herausforderungen auf dem Wohnungsmarkt beitragen kann.
Vgl. Die Volkswirtschaft 6-2013, S. 12–15.

Unsichere Nachfrageentwicklung fordert Investoren


Die Bereitstellung von Wohnraum zeichnet sich durch eine lange Planungs- und Produktionszeit aus. Bei grossen Neubauvorhaben ist von Projektbeginn bis zum Bezug der Wohnungen mit Entwicklungs- und Bauphasen zu rechnen, die – je nach Komplexität – bis zu 10 Jahren dauern können. Der Investor geht bei dieser langen Reifezeit ein Risiko ein. Er muss heute Entscheide treffen und kann auch bei umfangreicher Marktabklärung nie sicher sein, dass bei Bauabschluss am betreffenden Standort ein Bedarf für neue Wohnungen besteht und seine Angebote dannzumal den Wünschen, Bedürfnissen und finanziellen Möglichkeiten der nachfragenden Mieter- und Eigentümerhaushalte entsprechen.

Bauen auf der grünen Wiese – kein Zukunftsrezept


Eine hohe Wohnungsnachfrage bedeutet, dass auch künftig viele neue Wohnungen gebaut werden müssen. Werden die Investoren über den Bodenmarkt auf das dafür nötige Bauland zurückgreifen können? Verschiedene Abstimmungen der jüngeren Zeit belegen, dass der Schutz der Landschaft und des Kulturlandes in der Bevölkerung einen hohen Stellenwert hat. Die künftige Neubautätigkeit muss deshalb möglichst ohne Beeinträchtigung dieser Ressourcen erfolgen. Das Volk hat am 3. März 2013 einer Revision des Raumplanungsgesetzes des Bundes (RPG) zugestimmt, welche die Grundlagen für eine bessere Ausnutzung bestehender Bauzonen und für die Siedlungsentwicklung nach innen schaffen soll. Nun liegt es an den Kantonen und Gemeinden, ihre Bau- und Zonenordnung so anzupassen, dass genügend Land für den Wohnungsbau zur Verfügung steht. Der Neubau auf der grünen Wiese ist dafür immer weniger das Zukunftsrezept. Es muss gelingen, bestehende Baulücken zu schliessen und mit Umzonungen Industriebrachen – und vielleicht bald auch «Dienstleistungsbrachen» – für den Wohnungsbau zu erschliessen. Aufzonungen und eine höhere Ausnützungsziffer in bestehenden Wohnzonen sollten als Anreize für Aufstockungen oder Ersatzneubauten dienen. Der Verdichtung dürfte in einer demokratischen Gesellschaft mit ausgebauten Mitbestimmungsrechten dann Erfolg beschieden sein, wenn die zuständigen lokalen Behörden die Bevölkerung in die Planung einbeziehen. Zudem müssen sie dafür sorgen, dass die Investoren die konkreten Verdichtungsprojekte so gestalten, dass diese auch für die Nachbarschaft einen Mehrwert darstellen und deshalb akzeptiert werden.

Zinssatzentwicklung im Fokus der Wohnungseigentümer


In der jüngeren Vergangenheit war es für Investoren mit kurzfristigen Gewinnabsichten lukrativ, ihre Neubauwohnungen auf dem Markt für Wohneigentum anzubieten. Dank tiefer Zinssätze ist für breite Bevölkerungsschichten der Erwerb von Wohneigentum möglich geworden. Kehrseite dieser Entwicklung ist ein starker Preisanstieg, vor allem an attraktiven Standorten. Ob Investoren auch künftig primär Eigentumsobjekte bauen und vermarkten werden, hängt vor allem von der Entwicklung der Zinssätze ab. Ein Anstieg wäre einerseits zu begrüssen, weil damit die Preisdynamik weiter gebremst würde. Erste preisdämpfende Wirkungen zeitigen bereits die Mitte 2012 von den Banken für den Hypothekarmarkt eingeführten Selbstregulierungsrichtlinien
10% «harte», d. h. nicht aus der 2. Säule stammende Eigenmittel, Amortisation der Hypotheken bis auf zwei Drittel des Belehnungswertes innerhalb von maximal 20 Jahren. sowie die vom Bundesrat im Februar 2013 beschlossene teilweise Aktivierung des antizyklischen Kapitalpuffers per Ende September. Andererseits würde ein Anstieg der Zinssätze den Kreis potenzieller Eigentümerhaushalte verkleinern und vor allem einen Teil jener in Mitleidenschaft ziehen, die in jüngerer Zeit mit viel Fremdkapital Eigentum erworben und dabei knapp gerechnet haben. Deren Wohnkosten könnten mit steigenden Aufwendungen für die Finanzierung das tragbare Niveau überschreiten und je nach Entwicklung gar den Verlust des Eigentums zur Folge haben.

Stockwerkeigentum vor Bewährungsprobe


Aus wohnungspolitischer Sicht ist die breitere Verteilung des Eigentums und der damit einhergehende Anstieg der Eigentumsquote zu begrüssen. Aus ökologischer Perspektive ist erfreulich, dass sich dieser weniger über Einfamilienhäuser als über Wohnungen im Stockwerkeigentum vollzieht. Dem bisher erfolgreichen, jedoch noch relativ jungen Stockwerkeigentum – die Einführung erfolgte 1965 – steht die Bewährungsprobe allerdings noch bevor. Erst allmählich werden bei Überbauungen mit dieser Rechtsform in grösserer Zahl umfassende Erneuerungen nötig. Verschiedentlich wird bezweifelt, dass sich die im Zeitablauf häufig heterogen gewordenen Eigentümergemeinschaften auf eine Sanierungsstrategie einigen können und bei allen Miteigentümern die finanziellen Mittel für Erneuerungen vorhanden sein werden. Sollte sich effektiv ein Sanierungsstau abzeichnen, sind Massnahmen bis hin zu einer Anpassung der Regulierung im Zivilgesetzbuch zu prüfen. Darüber hinaus dürfte auch in Zukunft die steuerliche Behandlung bzw. Entlastung des Wohneigentums eine gesetzgeberische Baustelle bleiben,
Besteuerung Eigenmietwert, Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen und Unterhaltsaufwendungen. zumal bei einem weiteren Anstieg der Wohneigentumsquote die Eigentümer bald die Mehrheit der Stimmberechtigten ausmachen dürften.

Investitionsbereitschaft auf dem Mietwohnungsmarkt hoch halten


Investoren, die wie die Pensionskassen oder die Versicherungen an einer langfristigen Kapitalanlage und einem stetigen Ertrag interessiert sind, werden auch künftig den Markt für Mietwohnungen im Fokus haben. Eine entsprechende Nachfrage dürfte bestehen, denn weiterhin werden viele Haushalte entweder an Wohneigentum nicht interessiert sein oder über die dafür nötigen Mittel nicht verfügen. Im Hinblick auf eine angemessene Wohnraumversorgung aller Bevölkerungskreise und die Aufrechterhaltung des «Mietfriedens» bleibt es wichtig, dass die mietrechtlichen Regulierungen die Investitionsbereitschaft hoch halten und gleichzeitig die berechtigten Anliegen der Mieterschaft berücksichtigen. Der Bundesrat hat sich deshalb im Mai dieses Jahres gegen Eingriffe in die Preisbildung auf dem Mietwohnungsmarkt ausgesprochen. Wegen der gegenläufigen Interessen von Mietern und Vermietern dürfte das mietrechtliche Seilziehen aber auch in den kommenden Jahren Bundesrat und Parlament beschäftigen.

Ansprüche überdenken


Die Frage der Preisgünstigkeit ist eng verbunden mit den Baukosten. Diese sind pro Wohnung nicht zuletzt deshalb angestiegen, weil über die Jahre immer grössere Flächen angeboten und auch nachgefragt wurden. Die Baukosten ergeben sich aber nicht nur über das Spiel von Angebot und Nachfrage auf dem Baumarkt. Eine wichtige Rolle spielen auch die Vorschriften im Zusammenhang mit Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsanliegen, die in den letzten Jahrzehnten die kantonalen und kommunalen Erlasse sowie die Normenwerke der Branchenorganisationen angereichert haben und den Wohnungsbau verteuern. Ebenfalls preistreibende Wirkung hat die föderale Vielfalt an Bauvorschriften, Begriffen, Messweisen, Bewilligungs- und Beschwerdeverfahren, die vor allem den überregional tätigen Investoren die Umsetzung von Bauprojekten erschweren. Diese «Baustelle» wird die Behörden auf allen staatlichen Ebenen auch in Zukunft beschäftigen. Es ist zu hoffen, dass zumindest die kantonalen Harmonisierungsbestrebungen fortgesetzt werden, denn der alten Idee eines «Bundesbaurechts» dürfte wohl auch in Zukunft kein Erfolg beschieden sein.

Den Wohnungsbestand pflegen


Die bisherigen Überlegungen fokussierten auf den Wohnungsneubau. Dabei darf nicht vergessen gehen, dass die jährlich neu auf den Markt kommenden Einheiten nur gerade gut 1% aller Wohnungen ausmachen. Der Grossteil der künftigen Wohnungsangebote ist auf dem Liegenschaftsmarkt bereits vorhanden. Für die Zukunft ist es wichtig, dass die Eigentümer den Bestand pflegen, erneuern und an veränderte Ansprüche anpassen. Im Zentrum werden dabei die energetischen Sanierungen stehen, die als Massnahme der Energiestrategie 2050 im Rahmen des Gebäudeprogramms von Bund und Kantonen verstärkt gefördert werden sollen. Eine besondere Herausforderung sind die energetischen Sanierungen von Mietobjekten an jenen Standorten, wo der Markt die mit den Investitionen verbundenen Mietzinserhöhungen nicht zulässt. Darüber hinaus dürfte der Liegenschaftsmarkt die politische Diskussion auf Bundesebene vor allem im Zusammenhang mit der «Lex Koller» prägen. Das Parlament hat den Bundesrat verpflichtet, entgegen früherer Absichten am Bundesgesetz über den Erwerb von Grundstücken durch Personen im Ausland festzuhalten und ihm eine entsprechende Botschaft zu unterbreiten. Weil neuste Vorstösse gar eine Verschärfung der «Lex Koller» verlangen, dürfte sich die Debatte über die Position ausländischer Investoren auf dem schweizerischen Liegenschaftsmarkt in die Länge ziehen.

Grafik 1: «Akteure auf dem Wohnungsmarkt»

Zitiervorschlag: Ernst Hauri (2013). Wie Wohnraum entsteht und welche Baustellen die Zukunft prägen. Die Volkswirtschaft, 01. November.