Die Motive der Zuwanderer in die Schweiz gehen über berufliche Gründe hinaus
Tabelle 1 und Grafiken 1+2 fehlen in dieser Version. Für eine vollständige Version siehe Pdf.
Im Auftrag des Bundesamt für Migration (BFM) hat B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung eine Untersuchung zur Motivation der Zuwanderung aus dem EU-25/Efta-Raum in die Schweiz durchgeführt. Neben den Zuwanderungsmotiven der ausländischen Arbeitskräfte interessierten auch die Rekrutierungsgründe der Schweizer Arbeitgeber.
Kernstück der Untersuchung stellt die schriftliche Befragung von Neuzuzügerinnen und Neuzuzügern aus den EU-25/Efta-Staaten sowie von Schweizer Arbeitgebern dar. In den acht grössten Städten der Schweiz fand die Befragung direkt bei der Anmeldung auf der Einwohnergemeinde statt, d. h. es wurden EU-25/Efta-Staatsangehörige befragt, die eine Bewilligung des Typs B (Aufenthaltsbewilligung) oder L (Kurzaufenthaltsbewilligung) beantragten. Bei der Anmeldung wurde den Zuzügern zudem ein Fragebogen für ihren Schweizer Arbeitgeber abgegeben. Arbeitnehmenden und Arbeitgebern in der restlichen Schweiz wurde der Fragebogen per Post zugeschickt. Insgesamt haben 2800 Neuzuzüger und 2900 Arbeitgeber geantwortet. Der Rücklauf beträgt damit sowohl bei den Zuzügern wie auch bei den Arbeitgebern fast 50%, was eine hohe Repräsentativität der Resultate sicherstellt.
Die Befragung wurde durchgeführt, da bislang keine gesamtschweizerischen und detaillierten Daten zum Thema vorlagen. Neben den eigentlichen Motiven wurden bei der Befragung zusätzlich verschiedenste Unterscheidungsmerkmale der Zuzüger und Arbeitgeber erhoben.
Rekrutierungsgründe der Schweizer Arbeitgeber
Die Studie zeigt, dass die erwerbstätigen Neuzuzüger zu je etwa einem Viertel in Kleinstunternehmen (bis 9 Mitarbeitende), Kleinunternehmen (10–49), mittlere Unternehmen (50–249) und Grossunternehmen (250 und mehr) arbeiten. Die höchste Zahl an Personen aus dem EU-25/Efta-Raum wurden in den Branchen Information und Kommunikation, im Baugewerbe und in den sonstigen Dienstleistungen (u.a. Verleihfirmen) beschäftigt. Ob der Hauptsitz des Unternehmens in der Schweiz oder im Ausland liegt und ob das Unternehmen im Ausland tätig ist, scheint nur einen geringen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit auszuüben, eine Person aus dem EU-25/Efta-Raum zu rekrutieren.
In Bezug auf die Gründe für die Rekrutierung einer Person aus dem EU-25/Efta-Raum[1] gaben 45% der Schweizer Arbeitgeber den nationalen Fachkräftemangel an. Rund 33% stellten eine solche Person aus dem Grund an, dass «zu wenig Kandidaten im lokalen Bewerbungspool» existieren (auch wenn gesamtschweizerisch kein Mangel besteht) und 19% verwiesen auf die Spezialkenntnisse des Kandidaten bzw. der Kandidatin (es besteht kein Mangel, aber das Profil ist in der Schweiz selten; entsprechend lange dauert es, bis die Stelle besetzt werden kann). Weitere 20% der Arbeitgeber führen das Verhältnis zwischen Lohn und Leistung als Grund auf, weshalb eine Person aus dem EU-25/Efta-Raum statt einer bereits ansässigen beschäftigt wurde. Es muss beachtet werden, dass in der Diskussion zum Fachkräftemangel die vier Kategorien teilweise vermischt werden und es daher möglich ist, dass in der Befragung die Unterschiede teilweise nicht trennscharf dokumentiert wurden (resp. dass sich in der Praxis die Motive vermischen).
Weitere 23% der Schweizer Arbeitgeber gaben an, dass sie die Person eher zufällig anstellten, d.h. nicht gezielt im Ausland gesucht haben: Bei der Rekrutierung hat sich die Kandidatin, der Kandidat aus dem EU-25/Efta-Raum als die bestgeeignete Kandidatur herausgestellt. Andere Motive – wie die Flexibilität sowie Sprach- und Absatzmarktkenntnisse von ausländischen Kandidaten – wurden weniger hoch gewichtet.
Die Befragungsresultate zeigen, dass mittlere und grosse Unternehmen häufiger aufgrund des Fachkräftemangels und der Spezialkenntnisse im Ausland rekrutieren als Klein- und Kleinstunternehmen. Der Landwirtschaftssektor wiederum rekrutiert am häufigsten aus Gründen des Lohn-/Leistungsverhältnisses; hier wird zudem gezielt im Ausland rekrutiert.
Unterschiedliche Rekrutierungskanäle
Der Bewerbungsprozess gibt Hinweise darauf, wie aktiv eine Firma in der Schweiz oder im Ausland gesucht hat. Die Befragungsresultate zeigen, dass 41% der Arbeitgeber das persönliche Netzwerk als Rekrutierungskanal genutzt haben. Diese Art wird bei der Rekrutierung von geringqualifizierten Arbeitskräften und von kleinen Firmen besonders intensiv genutzt. 39% der Unternehmen haben die zu besetzende Stelle auf der eigenen Homepage ausgeschrieben. Dieser Rekrutierungskanal hat insbesondere bei grossen Firmen und bei hochqualifizierten Personen zur Anstellung geführt. 30% der befragten Arbeitgeber haben die Stelle in Printmedien oder auf einer elektronischen Suchseite in der Schweiz ausgeschrieben, 13% auf einer entsprechenden Plattform im Ausland. Weitere 13% der befragten Unternehmen gaben an, einen privaten Arbeitsvermittler oder Headhunter mit der Suche beauftragt zu haben. Jobmessen wurden hingegen nur wenig genutzt (2% in der Schweiz und 2% im Ausland).
Immerhin 23% aller Rekrutierungen kamen nach Blindbewerbungen der Kandidaten zustande. Besonders gross ist der Anteil der Blindbewerbungen in der Westschweiz und bei Personen ohne nachobligatorische Ausbildung.
Profil der Zuzüger
Zuwanderer stammen aus Deutschland, Frankreich, Italien und Portugal. Die grosse Mehrheit – 79% der Personen im Alter zwischen 20 und 65 Jahren – weist bereits zum Zeitpunkt der Anmeldung in der Schweiz eine Anstellung auf.
In Bezug auf die Ausbildung zeigt die Befragung, dass mehr als die Hälfte der Befragten (55%) über einen Hochschulabschluss verfügt; dieser Anteil ist weitaus höher als der entsprechende Anteil unter den Schweizern. Auf der anderen Seite haben 13% der Zuzüger keinerlei nachobligatorische Ausbildung genossen. Die restlichen Zuzüger weisen entweder eine Berufsausbildung oder eine höhere Fach- oder Berufsausbildung auf. Drei Viertel der Zuzüger haben in ihrem Herkunftsland bereits Berufserfahrung gesammelt.
Motive der Zuwanderung
Nach dem ausschlaggebenden Motiv für den Umzug in die Schweiz gefragt, nennen die Zuzüger am häufigsten wirtschaftliche Motive: 43% der Zuzüger gaben an, dass sie aufgrund von besseren beruflichen Perspektiven in die Schweiz umgezogen sind. Für rund ein Drittel (30%) war zudem ein höheres Einkommen ausschlaggebend. An dritter Stelle[2] folgt ein nicht-wirtschaftliches Motiv: 26% der Zuzüger gaben Landschaft, Natur und Freizeitmöglichkeiten als entscheidenden Migrationsgrund an. Auch Interesse an Neuem[3] (24%), Schweizer Kultur (22%) und Verwandte oder Freunde in der Schweiz (21%) sind häufig genannte Migrationsgründe.
Die Arbeitslosigkeit im Heimatland (oder das erhöhte Risiko einer solchen) haben 25% als Zuwanderungsmotiv genannt. Diese Resultate zeigen, dass sowohl Pull- als auch Push-Faktoren für die Zuwanderung in die Schweiz bedeutend sind.
Bei der Wahl des Standortes (zusätzlicher Frageblock, nicht grafisch dargestellt) das bestehende Netzwerk in der Schweiz (Familie, Bekannte), sprachliche Aspekte und die geografische Nähe zum Herkunftsstaat eine wichtige Rolle: Die drei Aspekte wurden von fast jeder zweiten zugezogenen Person genannt.
Migrations- und Rekrutierungsgründe im Vergleich
Die Tabelle 1 führt die drei höchstbewerteten Motive der Zuzüger wie auch der Arbeitgeber auf, differenziert nach Qualifikationsniveau. Es zeigt sich dabei eine hohe Ähnlichkeit zwischen den Ausbildungsgruppen – sowohl bei den Antworten der Zuzüger als auch der Arbeitgeber.
Nicht nur für Arbeitgeber, sondern auch für Neuzuzüger stehen wirtschaftliche Gründe im Vordergrund. Damit ist jedoch nicht eine kurzfristige Optimierung der Lohn- oder Kostenstruktur gemeint: Für die Zuzüger stehen berufliche Perspektiven – vor dem Einkommen – an erster Stelle. Analog ist für Arbeitgeber die Suche nach einem Profil, das in der Schweiz nicht gefunden werden kann, ausschlaggebend; Lohnüberlegungen sind im Vergleich dazu zweitranging.
Im Vergleich sind zwei Gruppen auffallend:
– Personen, die eine Hochschul- oder Universitätsbildung absolviert haben, heben sich bezüglich der Migrationsgründe von den anderen Gruppen ab. Bei den Migrationsgründen unterscheiden sie sich aufgrund der hohen Bedeutung von nicht-wirtschaftlichen Gründen.
– Bei der Gruppe ohne nachobligatorische Ausbildung stehen bei den Arbeitgebern finanzielle Anreize stärker im Vordergrund. Bei den Neuzuzügern in dieser Ausbildungsklasse wird das Lohnmotiv etwa gleich häufig wie bei den anderen Gruppen aufgeführt. Sie unterscheiden sich hingegen von den anderen Neuzuzügern, weil Verwandte oder Freunde bei der Migrationsentscheidung ein grösseres Gewicht einnehmen.
Hauptgrund für Rekrutierung im Ausland ist Fachkräftemangel
Auf der Seite der Arbeitgeber nimmt der Fachkräftemangel in seiner nationalen und lokalen Ausprägung mit Abstand das grösste Gewicht als Rekrutierungsgrund ein. Die beste Übereinstimmung mit den Anforderungen wird ebenfalls häufig aufgeführt, häufiger noch als das Verhältnis Lohn/Leistung. Dieses Ergebnis trifft allerdings nicht für jedes Profil zu; so ist das Lohnmotiv der wichtigste Grund bei der Rekrutierung von Personen ohne nachobligatorische Ausbildung.
Die Resultate zu den Rekrutierungskanälen haben gezeigt, dass viele Arbeitgeber ihre aktive Suche auf die Schweiz beschränken, dies trotz des wahrgenommenen Fachkräftemangels. Sie nutzen das persönliche Netzwerk, die eigene Webseite und eine Annonce in Print- oder elektronischen Medien in der Schweiz. Explizite Suchaktivitäten im Ausland – wie Annoncen in ausländischen Medien, Jobmessen – werden verhältnismässig selten genutzt. Dies hängt vermutlich mit der momentanen Attraktivität der Schweiz als Arbeits- und Wohnort zusammen: Kandidaten aus Europa melden sich bereits aus dem Heimatland proaktiv beispielsweise mit Blindbewerbungen bei Unternehmen, ohne dass Arbeitgeber selbst aktiv suchen müssen. Diese Feststellung bezieht sich auf die durchschnittliche Rekrutierung; je nach Stellenprofil sind auch aktive Suchanstrengungen seitens der Arbeitgeber notwendig.[4]
Nicht-wirtschaftliche Motive im Fokus
Nicht-wirtschaftliche Motive stellten für Zuzüger aus dem EU-25/Efta-Raum nicht etwa Begleiteffekte dar, sondern wurden ebenfalls als ausschlaggebend für den Umzug bezeichnet. Diese Motive werden voraussichtlich auch bei der zukünftigen Zuwanderung eine wichtige Rolle spielen und sind sowohl bei der Rekrutierung von Fachkräften aus dem europäischen Ausland wie auch bei der Vermarktung und Pflege von Standorten zu berücksichtigen. Die nicht-wirtschaftlichen Motive nehmen zudem eine von der wirtschaftlichen Grosswetterlage unabhängige Rolle ein.
Die Befragungsresultate zeigen, dass Netzwerkeffekte eine grosse Wirkung auf die Einwanderungsströme ausüben. Für rund die Hälfte der befragten Zuzüger waren Bekannte in der Schweiz mitunter ein Grund, hierhin zu ziehen. Die Bedeutung von Netzwerken konnte auch bei den Bewerbungskanälen festgestellt werden: Ein Drittel der Zuzüger hat bei der Befragung vermerkt, die Stelle durch Bekannte gefunden zu haben.
- «Was gab den Ausschlag für die Rekrutierung einer neu zuwandernden Person anstatt einer bereits in der Schweiz ansässigen?» []
- Die Liste umfasste 17 Motive, unter denen eine oder mehrere Optionen ausgewählt werden konnten. []
- In der Befragung wurde diese Antwortkategorie als «Neugier/Abenteuerlust» aufgeführt. []
- Vgl. B,S,S. und FAI (2009): Indikatorensystem Fachkräftemangel, verfügbar unter www.sbfi.admin.ch, Themen, Berufsbildung, Evaluationen und Studien zur Berufsbildung, Übersicht Studien. []
Zitiervorschlag: Gaeumann, Kathrin; Morlok, Michael (2013). Die Motive der Zuwanderer in die Schweiz gehen über berufliche Gründe hinaus. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.
Die Befragung von Arbeitnehmenden und Arbeitgebern hat eine Untersuchung der Fachkräftesituation und Migrationsquote in verschiedenen Berufen ergänzt. Für diese Analyse wurde das «Indikatorensystem Fachkräftemangel» genutzt, welches B,S,S. zusammen mit der Universität Basel für das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) und das damalige Bundesamt für Berufsbildung und Technologie (BBT) erstellt hat. Das Indikatorensystem ermöglicht, die Fachkräftesituation in einem Berufsfeld mit verschiedenen Indikatoren zu erfassen.a Die Analyse zeigt, dass Berufe, bei denen eine angespannte Fachkräftesituation zu beobachten ist, im Durchschnitt tatsächlich eine höhere Migrationsquote aufweisen. Der Zusammenhang ist allerdings nicht so stark, dass er als einzig bedeutender Treiber der Rekrutierung von ausländischen Fachkräften identifiziert werden könnte. Weitere Faktoren – wie beispielsweise die Regulierung oder geforderten Sprachkenntnisse in einem Berufsfeld – beeinflussen die Migrationsquote unabhängig von der Fachkräftesituation.