Die industrielle Revolution hat das Raum-Zeit-Gefüge der Menschheit verändert. Verliess ein Schweizer bis vor 200 Jahren kaum je seinen Heimatort, legte 2010 jeder Einwohner der Schweiz im Schnitt täglich fast 37 Kilometer im Inland zurück. Verglichen mit 2005 hat die Tagesdistanz nochmals um rund 4% oder 1,5 Kilometer zugenommen. Diese Entwicklung ist in erster Linie auf eine Zunahme der gefahrenen Bahnkilometer zurückzuführen: Gegenüber 2005 hat die mit der Bahn gefahrene Distanz um 27% zugenommen und betrug 2010 durchschnittlich 8,6 Kilometer.
Die enorme Zunahme des Verkehrs ab der Mitte des 20. Jahrhunderts – eine Entwicklung, die weiter anhält – ergibt sich aus einem Geflecht von sich gegenseitig beeinflussenden Faktoren: Bevölkerungswachstum, Wirtschaftsboom, steigende Kaufkraft, Motorisierung, Landflucht und erneute Stadtflucht, Ausdehnung der Agglomerationen, Freizeitkultur mit Freizeitverkehr, Liberalisierung des Welthandels, wirtschaftliche Integration, Globalisierung etc. Diese Entwicklung hat eine Situation geschaffen, in der viele Lebens-, Wirtschafts- und Gesellschaftsprozesse von ungehinderter Mobilität abhängig sind. Möglich gemacht haben dies zwei Säulen: die weltweite Verfügbarkeit von billiger (fossiler) Energie und der politische Konsens in der Schweiz nach einer bedarfsgerechten Verkehrsinfrastruktur.
Die Beanspruchung des Bahnnetzes steigt weiter
Da verwundert es nicht, dass die Schweiz über das am dichtesten genutzte Bahnnetz Europas verfügt. Rund eine Million Kundinnen und Kunden sind täglich in den Zügen der SBB unterwegs. Die Schweizer Wirtschaft basiert auf einem komplexen Mobilitätssystem, das Arbeitskräfte jeden Tag von neuem auf den Weg schickt und eine lückenlose Transportkette im Güterverkehr bietet.
Mit dem Erfolg der Schweizer Wirtschaft und der Anziehungskraft des Standorts Schweiz steigt die Beanspruchung des Bahnnetzes weiter. In den nächsten 20 Jahren prognostizieren Experten einen Bevölkerungszuwachs von 11%. Dabei wird auch der Mobilitätsbedarf weiter zunehmen. Der Bund rechnet mit einer Zunahme des Personenverkehrs bis 2030 um 25%, in urbanen Ballungszentren gar um 30%. Beim öffentlichen Personenverkehr rechnet das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) bis 2030 sogar mit einer Zunahme um 50%. Für den Güterverkehr wird im gleichen Zeitraum mit einem Wachstum von 45% gerechnet.
Verkehrsvorlagen des Bundes sind ein starkes Fundament
Der Bund geht die zentralen Herausforderungen mit einer Strategie an, die auf drei Stossrichtungen fusst:
- Erhaltungsinvestitionen haben Priorität vor Erweiterungsinvestitionen.
- Erweiterungsinvestitionen sind nach Dringlichkeit, Wirksamkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis zu priorisieren.
- Die notwendigen Mittel sind auch unter Berücksichtigung des Verursacherprinzips zu finanzieren.
Bezogen auf die Schiene setzt der Bund diese Strategie mittels zwei politischen Vorlagen um. Mit der Vorlage Finanzierung und Ausbau der Bahninfrastruktur (Fabi) hat der Bundesrat ein starkes Fundament für die künftige Entwicklung der Bahninfrastruktur geschaffen. Fabi bietet die Chance, heute rechtzeitig den Erfolg für morgen zu planen. Die Vorlage bringt eine solide und langfristige Finanzierungslösung für Betrieb, Unterhalt und Ausbau des Bahnnetzes sowie eine nachhaltige Entwicklungsstrategie. Am 9. Februar 2014 befinden die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über Fabi. Der künftige Netzausbau erfolgt im Rahmen der strategischen Entwicklungsplanung (Step). Für den ersten Ausbauschritt bis 2025 sind 6,4 Mrd. Franken vorgesehen.
Entscheidende Projekte stehen vor Realisierung
Die SBB ist von der Zunahme des Verkehrs und vom Ausbau der Bahninfrastruktur ganz direkt betroffen. Deshalb investiert sie jährlich rund 1 Mrd. Franken in neues Rollmaterial, in der Regel in doppelstöckige Fahrzeuge, die jeweils rund 1000 Fahrgästen Platz bieten. Zudem baut die SBB das Bahnnetz laufend weiter aus. Mit der Eröffnung der Durchmesserlinie in Zürich (2014) und dem Jahrhundertbauwerk Gotthardbasistunnel (2016) stehen entscheidende Projekte vor ihrer Realisierung.
Mobilität ist wertvoll: Sie macht Arbeits-, Einkaufs- und Freizeitorte leichter erreichbar, spart Zeit, ermöglicht die Schaffung von Arbeitsplätzen und verbindet die Schweiz mit Europa. Volkswirtschaftlich betrachtet fördert Mobilität Produktivität und Wirtschaftswachstum. Kurz: Mobilität ist ein wichtiger Wohlstandsfaktor – und die Bahn leistet einen entscheidenden Beitrag dazu.
Mobilität ist aber auch ein knappes Gut, insbesondere in urbanen Ballungsräumen und in den hoch frequentierten Spitzenstunden. In Mobilitätsdiskussionen ist deshalb immer wieder zu hören, die Kapazitätsgrenzen des Systems Bahn seien erreicht. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Sitzplatzauslastung in den Zügen gesamthaft nur bei knapp 30% liegt. Ausserhalb der Hauptverkehrszeiten besitzt das Bahnnetz also noch hohe ungenutzte Kapazitäten.
Intelligente Lösungen für die Zukunft
Mobilität ist intelligent zu nutzen – zum Beispiel mit flexiblen Arbeitsformen. Die SBB hat deshalb das Programm WorkAnywhere lanciert und ermöglicht ihren Mitarbeitenden flexibles Arbeiten zu Hause oder unterwegs. Zu diesem Engagement gehört auch die durchgängige Mobilfunkversorgung auf der ganzen Reisekette für die Kundinnen und Kunden. An den 100 meistfrequentierten Bahnhöfen der Schweiz steht deshalb bis Ende 2015 Gratis-Internet zur Verfügung. Und in den Zügen verbessert die SBB in Zusammenarbeit mit den Mobilfunkanbietern den mobilen Empfang mit Signalverstärkern. Bis Ende 2014 sind sämtliche Fernverkehrszüge ausgerüstet, bis spätestens 2020 soll die gesamte Regionalverkehrsflotte folgen. Zu einer intelligenten Nutzung der Mobilität gehört auch, das Fahrgastaufkommen zu lenken. Schon heute hat die SBB entsprechende Massnahmen ergriffen, so etwa Sparbillette, das 9-Uhr-GA oder Auslastungsanzeigen. Genauso wichtig ist es, wandelnden Kundenbedürfnissen in einer hochvernetzten und mobilen Welt zu entsprechen. Die SBB hat sich deshalb zu einem kundenorientierten Mobilitätsdienstleister entwickelt und wird diesen Weg weiter beschreiten – z.B. mit Angeboten wie SBB & Mobility oder personalisierten Kundeninformationen für die ganze Reisekette.
Alle müssen zur Finanzierung beitragen
Nicht zuletzt hat die Mobilität ihren Preis. Und dieser wird sich gemäss übereinstimmender Expertenmeinung verteuern. Die SBB befürwortet im Grundsatz, dass die Nutzerfinanzierung im öffentlichen Verkehr gesteigert werden soll. Auch in dieser Hinsicht geht Fabi in eine gute Richtung. Der politische Prozess wird zeigen, ob in den nächsten Jahren auch ein Verkehrsträger übergreifendes Mobility Pricing Zukunft hat. Sicher aber ist, dass alle Akteure – Bund, Kantone, Nutzer und SBB – einen Beitrag werden leisten müssen, um den steigenden Finanzbedarf aufzufangen.
Zitiervorschlag: Meier, Bernhard; Osterwald, Stephan (2013). Mobilität: Wertvoll, knapp – und intelligent zu nutzen. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.