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Referenzzinssätze und -preise im Fokus internationaler Regulierungsinitiativen

Manipulationen der Referenzzinssätze Libor und Euribor zwischen 2005 bis 2009 und jüngst auch mögliche Manipulationen in der Festlegung von Devisen-, Silber- und Goldpreisen haben das Vertrauen in Finanzmarkt-Benchmarks untergraben. Um die Integrität von Benchmarks wiederherzustellen und ihre Vielfalt zu fördern, sind in Reaktion auf diese Vorkommnisse auf internationaler Ebene regulatorische Initiativen ergriffen worden, die sich auch auf den Schweizer Finanzplatz auswirken können.

Über Jahre hinweg haben Banken Referenzzinsen – wie London Interbank Offered Rate (Libor) und Euro Interbank Offered Rate (Euribor) – zu ihren Gunsten und zum Nachteil von anderen Finanzinstituten, Unternehmen und Anlegern manipuliert. Die Dimension des Skandals lässt sich anhand der Höhe der verhängten Bussen verschiedener Aufsichtsbehörden und Wettbewerbskommissionen erahnen. So verurteilte die EU-Wettbewerbskommission im Dezember 2013 die Deutsche Bank, die Royal Bank of Scotland, die Société Generale, Citigroup, JPMorgan Chase und RP Martin zu einer Rekordzahlung von insgesamt 1,71 Mrd. Euro. Aufgrund ihrer Kooperation bei der Aufklärung der Verfehlungen wurden die Bussen für Barclays in der Höhe von 690 Mio. Euro und für die UBS in der Höhe von 2,5 Mrd. Euro erlassen. Barclays und die UBS schlossen jedoch bereits im Vorfeld Vergleiche in zwei- oder dreistelligen Millionenbeträgen ab, u. a. mit der britischen Finanzmarktaufsicht[1], dem US-Justizministerium und der amerikanischen Derivate-Aufsicht[2]. Im Nachgang zur Libor-Affäre sind auch andere Arten von Benchmarks unter den Verdacht der Marktmanipulation geraten. Zurzeit untersuchen verschiedene Aufsichts- und Wettbewerbsbehörden die Vorgehensweisen internationaler Finanzinstitute bei der Festlegung von Swapszinssätzen und Währungskursen sowie von Gold-, Silber- und Erdölpreisen. Es besteht der Verdacht auf Insidergeschäfte und mögliche Absprachen. Auch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (Finma) hat im Oktober 2013 in enger Koordination mit ausländischen Behörden eine Untersuchung gegen mehrere Schweizer Finanzinstitute wegen möglicher Manipulationen von Fremdwährungskursen bekanntgegeben.

Benchmarks sind anfällig für ­Manipulationen


Benchmarks sind Preise, Schätzungen, Kurse, Indizes oder Werte, die bei Finanz­instrumenten (z. B. Derivaten) oder -kontrakten (z. B. Darlehen) als Referenz ­dienen:

  • zur Festlegung des zu zahlenden Zinses;
  • zur Festlegung des Preises, zu dem ein ­Finanzinstrument gekauft, verkauft oder gehandelt wird;
  • zur Messung der Leistung eines Finanzinstruments oder Portfolios.


Die Integrität eines Benchmarks ist für die richtige Preisgestaltung bei Finanzinstrumenten und -kontrakten von entscheidender Bedeutung und damit zentral für das reibungslose Funktionieren des Finanzmarktes. Wird ein Benchmark manipuliert, können Anleger bzw. Kontraktpartner – beispielsweise ein Kreditnehmer bei einer Hypothek – erhebliche Verluste erleiden, da der Preis des Finanzinstruments oder die Höhe des zu zahlenden Kreditzinses nachteilig berechnet wird. Manipulationen senden zudem irreführende Signale über den Zustand des zugrunde liegenden Marktes, was die Realwirtschaft und die wirtschaftlichen Risiken verzerrt. Zweifel und Vorbehalte gegenüber der Zuverlässigkeit eines Benchmarks können das Vertrauen in den Markt erschüttern. Manipulationsanreize bestehen immer dann, wenn Interessenkonflikte und Ermessensspielräume vorhanden sind und wenn keine angemessene Steuerung der Prozesse oder Kontrolle stattfindet. Ein Interessenkonflikt kann sich etwa ergeben, wenn eine Bank die Daten zur Erstellung eines Referenzzinses liefert und diesen Referenzzins zugleich als Basis für die Bepreisung von Finanzkontrakten verwendet. Insbesondere das Fehlen allgemeiner Verhaltensstandards sowie unzureichender Transparenz bei Benchmarks, die sich nicht auf Daten eines regulierten Marktes stützen (z.B. im Interbankenmarkt und im Rohstoffhandel), können das Manipulationsrisiko erhöhen.

Initiativen zur Stärkung von Benchmarks


Um das Vertrauen in die Verlässlichkeit von Benchmarks wiederherzustellen und ihre Manipulationsanfälligkeit zu reduzieren, sind zahlreiche regulatorische Initiativen ergriffen worden. Als erste Politikantwort auf den Libor-Skandal hat die britische Finanzmarktaufsicht im September 2012 den Wheatley Review vorgestellt.[3] Wesentliches Element der Reform ist die Übertragung der Zuständigkeit für die Ermittlung des Libors an eine neue und unabhängige Stelle sowie die Begrenzung auf bestimmte Währungen und Laufzeiten. Darüber hinaus soll ein Gremium unter regulatorischen Vorgaben der Finanzmarktaufsichtsbehörde über die Libor-Sätze wachen und Verstösse als Straftat ahnden. Im Frühjahr 2013 hat die G20[4] den Handlungsbedarf erkannt und das Financial Stability Board (FSB)[5] beauftragt, Initiativen zur Regulierung von Benchmarks zu fördern und eine Koordinationsfunktion bei der Umsetzung von Massnahmen – insbesondere in Zusammenhang mit Referenzzinssätzen – zu übernehmen. Im Fokus der Regulatoren stehen der Bestimmungsprozess eines Benchmarks und seine Stärkung unter anderem durch folgende Massnahmen:

  • Verbesserung der Unternehmensführung und der Kontrolle (z.B. Einrichtung einer Aufsichtsfunktion, Massnahmen zur Vermeidung von Interessenkonflikten);
  • Verbesserung der Qualität der Daten (z.B. repräsentative Panels);
  • Verbesserung der Qualität der Methodik (z.B. Offenlegung der Berechnungsformel);
  • Einführung von Rechenschaftspflichten (z.B. Dokumentationspflichten, Durchführung von Audits).


Neben der Stärkung der Robustheit ist die Förderung der Vielfalt von Benchmarks ­zentral, wie dies etwa der Bericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ)[6] vom März 2013 fordert.[7] Veränderungen in der Struktur der Geldmärkte (stärker gesicherte Finanzierung) und der Terminmärkte (Umstellung auf ein zentrales Clearing) haben einen zusätzlichen Bedarf an Benchmarks entstehen lassen. Folglich sollen Finanzmarktteilnehmer in Finanzkontrakten einen Benchmark verwenden können, der den tatsächlich zugrunde liegenden Markt abbildet und damit die realen wirtschaftlichen Risiken wiedergibt.

Die Iosco-Prinzipien als erste ­umfassende Grundsätze


Im Juli 2013 verabschiedete die International Organization of Securities Commissions (Iosco)[8] Prinzipien für Finanz-Benchmarks. Sie sind die ersten umfassenden Grundsätze für Benchmarks.[9] Das FSB hat die Prinzipien im August 2013 und die G20 im September 2013 als Regulierungsstandard befürwortet. Die Iosco-Prinzipien richten sich an den Administrator eines Benchmarks, welcher die Hauptverantwortung im Bestimmungsprozess trägt (siehe Grafik 1). Die Iosco fordert die Administratoren auf, die Prinzipien als Marktpraxis anzuwenden und ihre internen Prozesse entsprechend anzupassen. Gleichzeitig empfiehlt sie ihren Mitgliedern, regulatorische Massnahmen zu prüfen. 201401_21D_Grafik01.eps[1] Angesichts des grossen Spektrums von Benchmarks ist sich die Iosco bewusst, dass ihre Prinzipien nicht auf alle Benchmarks in gleicher Weise angewendet werden können. Die Besonderheiten jedes Benchmarks – wie z.B. die Quellen des dem Benchmark zugrunde liegenden Marktes – sind zu beachten. Den Iosco-Prinzipien liegen zwar einheitliche Erwartungen zugrunde, jedoch existiert keine «One size fits it all»-Methode. Wichtige Richtschnur ist die Marktbedeutung eines Benchmarks und seine Manipulationsanfälligkeit. Die Iosco wird bis Ende 2014 evaluieren, in welchem Umfang die Administratoren die Prinzipien umgesetzt haben und darüber Bericht erstatten.

EU-Kommission schlägt eine neue ­Verordnung über Benchmarks vor


Die EU-Kommission hat im September 2013 einen Vorschlag für eine Verordnung über Indizes, die bei Finanzinstrumenten und -kontrakten verwendet werden, verabschiedet.[10] Nach Ansicht der EU-Kommission lassen die Iosco-Prinzipien eine zu grosse Flexibilität hinsichtlich ihres Anwendungsbereichs, ihres Umsetzungswegs sowie gewisser Anforderungen zu. Unterschiedliche nationale Regulierungsansätze könnten zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts und zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen führen. Deshalb will die EU-Kommission auf Basis eines harmonisierten Rahmens die Integrität von Benchmarks EU-weit wiederherstellen. Der Verordnungsentwurf kennt nicht nur Verhaltenspflichten für die am Bestimmungsprozess Beteiligten. Er sieht für Administratoren eine Zulassungspflicht vor und unterstellt sie – und damit den Benchmark-Bestimmungsprozess – der Aufsicht durch die zuständige nationale Behörde. Auch an Kontributoren und Nutzer, die zum Beispiel als Finanzinstitute bereits einer Regulierung und Beaufsichtigung unterliegen, werden Anforderungen gestellt. Ferner soll der Administrator bei Benchmarks, die nicht auf Daten eines regulierten Marktes beruhen, mit den Kontributoren einen Verhaltenskodex vereinbaren und bei Verdacht auf Manipulation bei den zuständigen Behörden Meldung erstatten. Im Unterschied zu den Iosco-Prinzipien findet der EU-Verordnungsentwurf auf alle Arten von Benchmarks Anwendung, die für Finanzinstrumente und Finanzkontrakte als Bezugsgrundlage oder zur Leistungsbewertung verwendet werden. Um denselben Regulierungsstandard für Benchmarks aus EU-Drittstaaten zu gewährleisten, enthält der EU-Verordnungsentwurf ein Drittstaatenregime. Demgemäss sollen zum einen Zentralbanken aus Drittstaaten, welche Benchmarks auch für die EU bereitstellen, über eine Anerkennung der EU-Kommission verfügen, wonach ihre Benchmarks vergleichbaren Standards unterliegen. Zum anderen dürfen aus Drittstaaten stammende Benchmarks nur dann in der EU zur Nutzung bereit gestellt werden, falls die Regulierung und Beaufsichtigung des betreffenden Drittstaates zuvor von der EU-Kommission als gleichwertig befunden und ein Kooperationsabkommen zwischen den zuständigen Aufsichtsbehörden abgeschlossen wurde. Die EU-Verordnung wird derzeit im europäischen Rat und Parlament behandelt. Falls es zu einer Verabschiedung im Laufe von 2014 kommt, könnte die Verordnung 2015 in Kraft treten.

Welcher Regulierungsansatz ist sinnvoll?


Angesichts der allgemeinen Bedeutung von Benchmarks bei Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten profitiert auch die Schweiz von den internationalen Regulierungsarbeiten zur Stärkung ihrer Integrität und Verlässlichkeit. Vor dem Hintergrund der jüngsten Regulierungsentwicklungen sowie der möglichen Auswirkungen einer EU-Regulierung wird zu prüfen sein, inwieweit auch für die Schweiz Handlungsbedarf besteht. Die Vielfalt von Benchmarks spricht grundsätzlich dafür, nationalen Regulatoren entsprechend dem Ansatz der von FSB und G20 befürworteten Iosco-Prinzipien die Flexibilität einzuräumen, spezifische, auf nationale Begebenheiten zugeschnittene Regeln für relevante Benchmarks zu erlassen. Die Anknüpfung am Bestimmungsprozess – bzw. beim Administrator, der für den Bestimmungsprozess verantwortlich ist – scheint ein sinnvoller Regulierungsansatz zu sein. Jedoch ist die Verantwortung für die Entwicklung von Alternativen für wichtige Benchmarks den Marktteilnehmern zu belassen. Ebenso wenig sollte eine Regulierung dazu führen, dass Benchmarks aufgrund des Rückzugs von Datenlieferungen durch Kontributoren weniger aussagekräftig und präzise werden.

  1. Die Busse verhängte die Financial Services Authority (FSA), die Vorgängerbehörde der Financial Conduct ­Authority (FCA). []
  2. Commodity Futures Trading Commission (CFTC). []
  3. Vgl. The Wheatley Review of Libor: Final Report, FSA, 28.September 2012. []
  4. Die Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenlänger (G20) ist ein seit 1999 bestehender ­informeller Zusammenschluss aus 19 Staaten und der Europäischen Union. []
  5. Das Financial Stability Board (FSB) ist ein internatio­nales Gremium mit Sitz bei der BIZ in Basel, welches das globale Finanzsystem überwacht und die Koordination der Arbeiten seiner Mitgliedstaaten sowie internatio­naler Gremien im Bereich der Finanzmarktregulierung und -aufsicht wahrnimmt. Die Schweiz wird durch das Eidgenössische Finanzdepartement und die Schweizerische Nationalbank im FSB vertreten. []
  6. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) gilt als «Bank der Zentralbanken» und nimmt eine Schlüsselrolle bei der Kooperation der Zentralbanken und anderer Institutionen aus dem Finanzbereich ein. []
  7. Vgl. Towards Better Reference Rate Practices: A Central Bank Perspective, BIS, 18.März 2013. []
  8. Die Internationale Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (Iosco) wurde 1983 als internationale Vereinigung von Börsenaufsichtsbehörden gegründet. Ihr Ziel ist die Förderung weltweit einheitlicher Börsen- und Wertpapierzulassungsstandards. Die Schweiz, ­vertreten durch die Finma, ist seit 1996 ordentliches Mitglied der Iosco. []
  9. Vgl. Principles for Financial Benchmarks – Final Report, Iosco, 17. Juli 2013. []
  10. Vgl. Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Indizes, die bei Finanz­instrumenten und Finanzkontrakten als Benchmark ­verwendet werden – COM/2013/0641 final, 2013/0314 (COD), EU-Kommission, 18. September 2013. []

Zitiervorschlag: Franziska Loew, Cristina Crameri, (2014). Referenzzinssätze und -preise im Fokus internationaler Regulierungsinitiativen. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.

Beispiele von Benchmarks

  • Zinssätze: Libor, Euribor, Tibor, TOIS Fixing;
  • Preisfestlegung: Argus Sour Crude Index (Rohstoffhandel), ISDAFix (Derivate),
    London Fix (Devisenhandel);
  • Performance: SMI, Eurostoxx 50.
Auswirkung der Regulierungs­initiativen auf die Schweiz

Die Schweiz ist von den Entwicklungen auf multilateraler Ebene sowie vom geplanten EU-Regulierungsvorhaben in verschiedener Hinsicht betroffen. Erstens spielen Benchmarks in Finanzkontrakten mit Schweizer
Finanzmarktteilnehmern und mit in der Schweiz ansässigen Rohstofffirmen eine zentrale Rolle – auch für die SNB bei der Durchführung ihrer Geldpolitik. Zweitens werden in der Schweiz Benchmarks administriert, die auf internationaler Ebene bedeutend sind (so z.B. der Eurostoxx 50 und das TOIS Fixing). Drittens sind Schweizer Firmen potenziell indirekt als Datenkontributoren tangiert, da die Regulierungsinitiativen Anforderungen an die Qualität der Daten stellen. Dies dürfte nebst den global aktiven Finanzinstituten allenfalls auch in der Schweiz ansässige Rohstofffirmen betreffen.