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Manipulationsgefahr auch bei Referenzpreisen für Erdöl?

Am 14. Mai 2013 führte die Europäische Kommission bei mehreren Erdölkonzernen Inspektionen durch wegen Verdachts auf Manipulation von Referenzpreisen für Erdöl. Diese noch andauernden Untersuchungen brachten ein zuvor wenig beachtetes Thema in die Öffentlichkeit. Die Anfälligkeit von Erdöl-Benchmarks für Manipulation wird in internationalen Gremien allerdings bereits seit mehreren Jahren diskutiert. Die erarbeiteten internationalen Standards tragen den Eigenschaften der physischen Rohstoffmärkte Rechnung und sollen zur Stärkung der Qualität und Integrität der Preisermittlung beitragen.

Manipulationsgefahr auch bei Referenzpreisen für Erdöl?

Erdöl ist der wohl wichtigste Rohstoff für die Weltwirtschaft. Damit kommt dem Preis für Erdöl eine grosse Bedeutung zu. Er ist nicht nur für die Realwirtschaft von Relevanz, sondern auch für die Finanzmärkte. Doch was ist der Erdölpreis und wie kommt dieser zustande?

Diese Frage mag trivial klingen, doch sie ist es nicht. Erstens gibt es den Erdölpreis nicht, da Erdöl in unterschiedlicher Qualität vorkommt. Zweitens muss zwischen dem Spotmarkt und den Terminbörsen unterschieden werden. Die in den Medien üblicherweise zitierten Werte sind die Preise an den Terminbörsen. Die Spotmarktpreise sind hingegen nicht einfach so beobachtbar, da der physische Spothandel von Erdöl vorwiegend ausserbörslich zwischen Produzenten, Händlern und Raffinerien stattfindet.Bei der Ermittlung von Spotmarktpreisen spielen deshalb Oil Price Reporting Agencies (PRA) eine Schlüsselrolle. Sie sind private Herausgeber und Anbieter von Informationen. Zu ihren Kerndienstleistungen gehört die Ermittlung von Referenzpreisen für Erdölprodukte. Daneben verfassen und publizieren sie aber auch Berichte über Ereignisse, die für Akteure auf den Erdölmärkten von Interesse sind. Zu den grössten PRA gehören Platts, Argus Media und ICIS.

Zentrale Rolle von PRA und ihren ­Benchmarks


Dass die PRA bei der Ermittlung von Referenzpreisen für Erdölprodukte eine zentrale Rolle einnehmen, haben auch die internationalen Gremien erkannt. Aufgrund der starken Preisanstiege der meisten Rohstoffe im vergangenen Jahrzehnt widmeten sie sich zunehmend der Funktionsweise und der Transparenz von Rohstoffmärkten. Eines der Ergebnisse dieser internationalen Arbeiten sind die Principles for Oil Price Reporting Agencies, welche die Internationale Organisation der Effektenhandels- und Börsenaufsichtsbehörden (Iosco) im Auftrag der G20, einem Zusammenschluss der 19 grössten Industrie- und Schwellenländer und der EU, erarbeitet und im Oktober 2012 publiziert hat (vgl. Kasten 1).[1]

Um einen Preis zu einem bestimmten Zeitpunkt schätzen zu können, müssen Informationen über das aktuelle Marktgeschehen verfügbar sein. Als Benchmarks dienen deshalb Ölsorten mit einem genügend liquiden Spothandel. Die anderen Ölsorten werden von den Marktakteuren je nach Qualität mit einem Zu- oder Abschlag auf den Benchmarkpreis bewertet.

Zu den Benchmark-Erdölsorten gehören das Referenzöl für Europa Brent resp. BFOE[2], die für die USA wichtigste Rohölsorte West Texas Intermediate (WTI), und Dubai Crude, das Referenzöl für die asiatisch-pazifische Region. Im internationalen Vergleich weisen diese Ölsorten ein relativ geringes Produktionsvolumen auf. Zahlreiche andere Ölsorten mit einem bedeutend grösseren Produktionsvolumen – z.B. aus der Golfregion – eignen sich hingegen nicht als Benchmarks, da der Verkauf über langfristige Verträge erfolgt. Diese verfügen oft über Bestimmungen, die den Wiederverkauf einschränken. Dies führt dazu, dass volumenmässig weniger bedeutende Ölsorten u.a. den Preis für Ölsorten mit einem grösseren Produktionsvolumen bestimmen.[3]

Die von PRA ermittelten Benchmarks werden nicht nur beim Handel mit physischem Erdöl verwendet. Insbesondere Derivatekontrakte, die finanziell und nicht physisch durch den jeweiligen Rohstoff beglichen werden, referenzieren für die Schlussabrechnung häufig auf diese Benchmarks als Indikator für den zugrundeliegenden physischen Markt. Damit spielen solche Benchmarks für die Finanzmärkte eine wichtige Rolle und kommen sowohl bei börsengehandelten als auch bei ausserbörslich gehandelten Derivaten zum Einsatz.

Marktakteure liefern Informationen auf freiwilliger Basis


PRA sind darauf angewiesen, dass die Marktakteure ihnen freiwillig Informationen über ihre Handelsaktivitäten zur Verfügung stellen, da der physische Spothandel von Erdöl vorwiegend ausserbörslich stattfindet. Meistens liegt dies auch im Interesse der Handelsteilnehmer, da sie ihre Transaktionen im Referenzpreis widerspiegelt sehen möchten.Ein Abstützen ausschliesslich auf effektiv getätigte Transaktionen ist allerdings nicht immer möglich, da es Handelstage mit zu wenig Transaktionen gibt. Deshalb müssen PRA oft auch Angaben zu Kauf- und Verkaufsgeboten ohne erfolgreichen Abschluss verwenden.

Die Methode zur Preisermittlung kann sich je nach PRA unterscheiden. Deshalb kommt es durchaus vor, dass die Referenzpreise verschiedener PRA voneinander abweichen. Ein Bericht an die G20 kommt jedoch zum Schluss, dass keine Evidenz für systematische Abweichungen vorliegt.[4]

Anfälligkeit auf Manipulation…


Auch die von PRA ermittelten Referenzpreise können bei mangelhafter Integrität und ungenügender Transparenz über den Bestimmungsprozess anfällig für Manipulation sein. Das liegt hauptsächlich an den folgenden Faktoren:

  • Es ist grundsätzlich möglich, dass Han­delsteilnehmer falsche oder bewusst unvollständige Daten melden, mit der Absicht, den Referenzpreis zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Ebenso könnte ein Handelsteilnehmer einen Benchmark durch effektive Käufe (bzw. Verkäufe) beeinflussen, um bei anderen Verkäufen (bzw. Käufen) von Erdöl, dessen Preis nicht in den Benchmark einfliesst aber von diesem abhängt, zu profitieren. Aus diesem Grund muss eine PRA jeweils individuell beurteilen, welche der übermittelten Daten sie verwenden will und bei welchen sie der Meinung ist, dass diese nicht den effektiven Marktbedingungen entsprechen.
  • Zudem kann, wie beschrieben, die verfügbare Datenmenge aufgrund eines tiefen Handelsvolumens gering sein. Damit gewinnen entweder einige wenige effektiv getätigte Transaktionen ein stärkeres Gewicht, oder die PRA muss auf Angaben zu Kauf- und Verkaufsgeboten ohne erfolgreichen Abschluss zurückgreifen – oder sogar auf subjektive Einschätzungen gestützt auf weitere Marktinformationen.


Diese beiden Faktoren zeigen exemplarisch, dass eine PRA in ihrem Preisbestimmungsprozess nicht ohne subjektive Urteile auskommen kann. Dadurch entsteht die Möglichkeit, dass unbeabsichtigt gewisse Handelsteilnehmer bevorzugt werden könnten, oder dass diese versuchen, die PRA bei ihren Einschätzungen zu beeinflussen. Somit ist wichtig, dass Urteile durch die PRA unabhängig und konsistent über die Zeit getroffen werden.

…und die internationale Antwort darauf


Die PRA-Prinzipien der Iosco richten sich an die PRA als Administratoren der Benchmarks und umfassen Empfehlungen zur Stärkung von Qualität und Integrität der Preisbestimmung. Sie zielen insbesondere auf Referenzpreise, welche Erdölderivatekontrakten zugrunde liegen. Damit soll dazu beigetragen werden, dass Märkte ihre Preisfindungs- und Absicherungsfunktion erfüllen können und Manipulationen vorgebeugt wird.

Die PRA sind keine von Finanzmarktaufsichtsbehörden beaufsichtigte Unternehmen und die aufsichtsrechtlichen Instrumente somit nicht anwendbar. Die Iosco schlug deshalb eine freiwillige Übernahme und Implementierung der Prinzipien vor. Die wichtigsten PRA sich grundsätzlich bereit dazu. Zusätzlich empfiehlt die Iosco den Aufsichtsbehörden, ein Handelsverbot für Rohstoffderivate in Betracht zu ziehen, falls die betreffenden Derivate auf Benchmarks von PRA referenzieren, welche die Prinzipien nicht umgesetzt haben.

Die Kontributoren selbst werden hingegen von den Prinzipien nicht direkt in die Pflicht genommen. So sehen die Prinzipien insbesondere für Handelsteilnehmer, welche Daten übermitteln, keine Pflicht vor, für alle getätigten Transaktionen Daten zu liefern. Der Grund hierfür liegt in der Befürchtung, dass einige Handelsteilnehmer letztlich von einer Datenübermittlung absehen würden. Zudem würden selbst mit einer Pflicht weiterhin Situationen entstehen, in denen aufgrund eines tiefen Handelsvolumens nicht ausschliesslich auf transaktionsbasierte Daten abgestellt werden kann. Gemäss den Prinzipien sollen PRA:

  • genügend Informationen zu den verwendeten Methoden bereitstellen, damit die Nutzer die Preisermittlung nachvollziehen können (dies umfasst auch eine angemessene Information bei einer Anpassung der Methode);
  • tatsächlich getätigten Transaktionen Priorität geben, und falls dies nicht getan wird, die Gründe dafür angeben;
  • definieren, wer ihnen Daten übermitteln darf, und über eine robuste interne Qualitätskontrolle bei der Datenannahme und der Evaluation der für die Preisermittlung verwendeten Daten verfügen;
  • Massnahmen treffen, die sicherstellen, dass die übermittelten Daten in gutem Glauben bereitgestellt wurden;
  • Massnahmen zur Reduktion von selektiver Datenübermittlung ergreifen;
  • Richtlinien bezüglich Interessenkonflikte erlassen und durch interne Kontrollen unzulässige Einflussnahme während des Preisermittlungsprozesses identifizieren und verhindern;
  • gewährleisten, dass ihr Personal über die notwendigen Qualifikationen verfügt;
  • alle relevanten Informationen, die zur Bestimmung eines Preises verwendet wurden, dokumentieren und während fünf Jahren aufbewahren;
  • einen formalen Beschwerdeprozess implementieren, der insbesondere den Einbezug eines unabhängigen Dritten beinhaltet;
  • sich jährlich von einer externen Stelle auf die Einhaltung dieser Prinzipien überprüfen lassen und die Absicht erklären, mit den relevanten Marktbehörden zusammenzuarbeiten und diesen bei Bedarf die notwendigen Informationen bereitzustellen.


Parallel zu diesen globalen Arbeiten im Rahmen der Iosco hat die Europäische Kommission auf regionaler Ebene Vorschläge erarbeitet und am 19. September 2013 einen Entwurf für eine Verordnung verabschiedet über Benchmarks, die in Finanzinstrumenten und -kontrakten verwendet werden. Dieser Vorschlag umfasst auch Benchmarks für Rohwaren.[5]

Wie sind die PRA-Prinzipien zu ­beurteilen?


PRA fördern durch die Ermittlung von Benchmarks die Transparenz in der Preisbildung und das Wissen über effektiv getätigte Transaktionen auf Rohstoffmärkten. Die Integrität und Verfügbarkeit dieser Benchmarks sind von grosser Bedeutung, insbesondere für die darauf basierenden Rohstoffderivatekontrakte. Deshalb muss die Balance zwischen Verbesserung der Robustheit und Vertrauenswürdigkeit der Benchmarks einerseits und ihrer Verfügbarkeit andererseits im Auge behalten werden. Der von der Iosco gewählte Weg erscheint daher zweckmässig: Die Prinzipien richten sich an die PRA als Administratoren der Benchmarks und sehen eine Stärkung ihrer internen Prozesse sowie eine Erhöhung der Transparenz der verwendeten Methoden vor. Zusätzlich dürfte die laufende Untersuchung der Europäischen Kommission die Sensibilität der Marktteilnehmer für das Thema Manipulation stärken.

Die grundsätzliche Herausforderung, dass Erdölsorten mit einem relativ tiefen und teilweise sinkenden Produktionsvolumen als Benchmarks für Ölsorten mit einer bedeutend grösseren Produktion dienen, wird durch die PRA-Prinzipien der Iosco allerdings nicht angegangen.

Die nächsten Schritte


Die Umsetzung der Prinzipien durch die PRA und deren Prüfung durch externe Prüfgesellschaften ist im Gang. Die Iosco wird 2014 der G20 über die Fortschritte Bericht erstatten. In diesem Zusammenhang wird sie zusammen mit den drei Partnerorganisationen auch die Auswirkungen der PRA-Prinzipien auf den physischen Markt analysieren. Sollte der Stand der Umsetzung bis zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend sein, sind weitere Massnahmen seitens der G20 nicht auszuschliessen.

  1. Vgl. Principles for Oil Price Reporting Agencies – ­Final Report, Iosco, 5 October 2012. []
  2. Brent, Forties, Oseberg und Ekofisk. []
  3. Vgl. An Anatomy of the Crude Oil Price Pricing System, Bassam Fattouh, Oxford Institute for Energy Studies, ­Januar 2011. []
  4. Vgl. Oil Price Reporting Agencies, Report by IEA, IEF, Opec and Iosco to G20 Finance Ministers, Oktober 2011. []
  5. Vgl. Artikel von Crameri und Löw auf S 58 ff. in dieser Ausgabe für weiterführende Informationen zum ­Vorschlag der Europäischen Kommission []

Zitiervorschlag: Marc Zahner (2014). Manipulationsgefahr auch bei Referenzpreisen für Erdöl. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.

Entstehung der PRA-Prinzipien

Um mehr über die Bedeutung und Funk­tionsweise von PRA zu erfahren, forderte die G20 im November 2010 von einer Gruppe von internationalen Organisationen – der Internationalen Energieagentur (IEA), dem Internationalen Energieforum (IEF), der Organisation erdölexportierender Länder (Opec) und der Iosco – einen Bericht an. Nach der Publikation dieses Berichts im Oktober 2011 beauftragte die G20 die Iosco, zusammen mit den anderen drei Organisationen Vorschläge zur Verbesserung der Funktionsweise und der Aufsicht von PRA auszuarbeiten. Basierend auf den Ergebnissen einer öffentlichen Konsultation im März 2012 veröffentlichte die Iosco im Oktober 2012 schliesslich ihre Principles for Oil Price Reporting Agencies.

Bedeutung der PRA für die Schweiz

In der Schweiz sind keine PRA ansässig. Dennoch sind sie auch für die Schweizer Wirtschaft wichtig. Die Schweiz ist traditionell ein wichtiger Rohstoffhandelsplatz, dessen Bedeutung im letzten Jahrzehnt markant zugenommen hat. Für Rohöl ist die Schweiz aufgrund der hierzulande präsenten Rohstoffhändler wie Vitol, GlencoreXstrata, Trafigura, Mercuria, Cargill, Gunvor oder Litasco gar der weltweit grösste Handelsplatz. Nebst grossen Erdölkonzernen wie BP oder Shell gehören somit auch die grossen Rohstoffhandelsunternehmen in der Schweiz zu den wichtigen Kontributoren, die Daten melden. Gleichzeitig sind sie auch Nutzer und verwenden diese Benchmarks beim physischen Handel von ­Erdöl.

Die von den PRA ermittelten Benchmarks spielen auch für den Schweizer Finanzmarkt eine Rolle, zumal Finanzinstrumente auf diese Benchmarks referenzieren. Zudem widerspiegeln sich die Referenzpreise der PRA letztlich auch im Preis von Endprodukten wie beispielsweise Benzin oder Heizöl.