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Ein Indikatorensystem ermöglicht die Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern

Gut ausgebildete und engagierte Fachkräfte, die zudem bereit sind, für einen moderaten Lohn grossen Einsatz zu bringen, sind – so könnte man etwas ­provokativ ­schreiben – immer ­gesucht. So ­gesehen ist es nicht erstaunlich, dass seit Jahren ­viele Branchen über einen ­Fachkräftemangel ­klagen. Wie lässt sich das Phänomen aber ­quantifizieren, und ­welche ­Berufsgruppen sind ­betroffen? ­Eine aktuelle Studie gibt ­Antworten und schafft eine Grundlage zur Entwicklung von gezielten Massnahmen zur ­Entschärfung der Problematik.

Das Phänomen Fachkräftemangel ist vielschichtig und lässt sich nicht an einer einzigen Grösse festmachen. Die vorliegende ­Studie, welche B,S,S. im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) durchgeführt hat, nähert sich dieser Thematik durch eine detaillierte Analyse der Arbeitsmarktsituation in den verschiedenen Berufen und Berufsfeldern. Die Arbeit besteht im Kern darin, Indikatoren zu identifizieren, die das Ausmass von Fachkräftemangel abbilden. So wird aufgezeigt, in welchen Berufen tendenziell ein Fachkräftemangel besteht, ohne jedoch den Versuch zu unternehmen, im Detail auszuweisen, wie viele Fachleute in einem Beruf genau fehlen. Konzeptionell konnten wir uns auf das bestehende «Indikatorensystem Fachkräftemangel»[1] stützen, welches wir mit aktuellen und umfassenderen Datenquellen angereichert haben. Jene Berufsfelder oder Berufsklassen, die besonders von Fachkräftemangel betroffen sind, sind im Bericht ausführlicher beschrieben. Unter anderem zeigen wir die Altersstruktur der Erwerbsbevölkerung auf und analysieren, wie gut das bestehende Fachkräftepotenzial heute bereits genutzt wird.

Messung von Fachkräftemangel in der Schweiz


Zur Klassifizierung der Berufe greifen wir auf die Schweizerische Berufsnomenklatur (SBN) des Bundesamts für Statistik (BFS) zurück. Dies erlaubt Auswertungen für 383 Berufe (Berufsarten), die sich in 39 Berufsklassen einteilen lassen. In einigen, aber nicht in allen Fällen decken sich die Berufsklassen mit einer Branchensicht.

Um dem Phänomen des Fachkräftemangels auf die Spur zu kommen, berechnen wir für jeden einzelnen Beruf vier Knappheits­indikatoren (siehe Kasten 1). Wenn zwei von diesen Indikatoren auf eine erhöhte Fachkräfteknappheit hindeuten und der Beruf zusätzlich über die letzten zehn Jahre eine positive Beschäftigungsentwicklung aufgewiesen hat, zählen wir ihn zu den Berufen mit Verdacht auf Fachkräftemangel.

Zwei Drittel der Berufsfelder betroffen


Insgesamt arbeiten gemäss dieser Definition 36% aller Erwerbstätigen in der Schweiz in einem Beruf mit Verdacht auf Fachkräftemangel. Von den insgesamt 39 Berufsklassen enthalten deren 26 mindestens eine Berufsart, in der ein Verdacht auf Fachkräftemangel besteht. Das Phänomen des Fachkräftemangels – wie im Rahmen der Studie definiert – ist somit breit über sehr unterschiedliche ­Berufsfelder gestreut. Dennoch können Berufsgruppen ausgemacht werden, in denen der Mangel ausgeprägter ist. Der Bericht selbst benennt 11 Berufsklassen mit einem ausgeprägten Fachkräftemangel. Im Folgenden geben wir einen ersten Überblick über die Fachkräftesituation. Insgesamt arbeiten in der Schweiz rund 1,4 Mio. Personen in Berufen, die laut unserer Definition als «Mangelberufe» bezeichnet werden können. Grafik 1 zeigt, in welchen Bereichen[2] diese Erwerbstätigen beschäftigt sind.

201404_10D_Grafik01.eps[1]

Die grösste Gruppe von Erwerbstätigen in Mangelberufen bilden mit 23% die Managementberufe. Dass die Stellenbesetzung in diesen Berufen häufig schwierig ist, hängt ­sicherlich mit den spezifischen und anspruchsvollen Anforderungen für Kaderstellen zusammen und ist daher auch wenig überraschend.[3] 16% der Erwerbstätigen in Mangelberufen waren im breiten Bereich von Administration, Finanzen und Rechtswesen tätig. Je 13% waren den Gesundheitsberufen, den Lehr- und Kulturberufen bzw. den technischen Berufen zuzurechnen. Letztere beziehen sich auf den Mint-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik), der seit Längerem im Zentrum der öffentlichen Fachkräftediskussion steht. Unsere Mangelindikatoren zeigen, dass es in diesen Berufen tatsächlich relativ häufig objektive Anzeichen für einen Mangel an Fachkräften gibt. 23% der Erwerbstätigen in Berufen mit Verdacht auf Fachkräftemangel entfallen auf übrige Berufe im Dienstleistungs- wie auch im Produktionsbereich.

Das Beispiel der kaufmännischen und administrativen Berufe


Je nach Beruf ist ein Verdacht auf Fachkräftemangel auf unterschiedliche Faktoren zurückzuführen. Für die Berufsklasse der kaufmännischen und administrativen Berufe ist dies in Tabelle 1 exemplarisch gezeigt. Wie zu erkennen ist, gibt es in vier von sieben Berufsarten einen Verdacht auf Fachkräftemangel: bei Buchhaltern, Immobilienfachleuten, Organisationsfachleuten und übrigen Administrationsangestellten. In all diesen Berufen liegt der Deckungsgrad unter 100%; die Quote der offenen Stellen liegt über dem ­gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt, und das Beschäftigungswachstum fiel in den letzten zehn Jahren ebenfalls positiv aus. Bei Buchhaltern, Immobilienfachleuten und -verwaltern sowie übrigen Administrationsangestellten lag zudem die Arbeitslosenquote unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnittswert. In keinem der Berufe spielte dagegen die Zuwanderung der letzten zehn Jahre eine überdurchschnittliche Rolle. Dies mag auch daran liegen, dass in diesen Bereichen ein hohes Mass an institutionellem Wissen notwendig ist. Einem Fachkräftemangel kann deshalb nicht so einfach durch Rekrutierung im Ausland begegnet werden.

201404_10D_Tabelle01.eps[1]

Innerhalb des Bereichs der kaufmännischen und administrativen Berufe waren in den vier Berufsarten mit Verdacht auf Fachkräftemangel insgesamt 117 000 Personen erwerbstätig, was 27% aller Erwerbstätigen in ihrer Berufsklasse entspricht. Allgemeine Büroberufe (kaufmännische Angestellte und Büroberufe) müssen hingegen nach unseren Kriterien nicht zu den Berufen mit Verdacht auf Fachkräftemangel gezählt werden. Zwar lag dort der Deckungsgrad unter 100%, und auch die Arbeitslosenquote war unterdurchschnittlich. Jedoch war die Beschäftigungsentwicklung in den letzten zehn Jahren rückläufig.

Die Werte der hier gezeigten Knappheitsindikatoren und das Beschäftigungswachstum in den vergangenen zehn Jahren werden im vollständigen Bericht für zehn weitere Berufsklassen mit den häufigsten Anzeichen für einen Fachkräftemangel nach Berufsarten differenziert aufgeführt. Für diese lässt sich somit im Detail nachvollziehen, welche Knappheitsindikatoren für die verschiedenen Berufe einen Verdacht auf Fachkräftemangel begründen bzw. warum andere Berufe nicht zu den Mangelberufen gezählt werden.

Nutzung des bestehenden Fachkräfte­potenzials


Zusätzlich zur Darstellung des Fachkräftemangels charakterisiert der Bericht die elf wichtigsten Berufsfelder anhand der Verteilung nach Geschlecht, Altersstruktur, Erwerbsquote, durchschnittlichem Beschäftigungsgrad und Bildungsstruktur (siehe Kasten 2 für die Definition der Indikatoren). Folgende Fragen sollen damit für die Berufsfelder/Berufe mit Anzeichen für Fachkräftemangel beantwortet werden:

  • Ist in den kommenden Jahren aufgrund bevorstehender Pensionierungen mit einem besonders ausgeprägten demografischen Ersatzbedarf zu rechnen?
  • Wie stark wird das bestehende Arbeitskräftepotenzial bezüglich Arbeitsmarktbeteiligung und Beschäftigungsgrad (Teilzeit/Vollzeit) gegenwärtig ausgeschöpft, und welche Unterschiede gibt es dabei nach Geschlecht?
  • Wie verteilt sich die Arbeitskräftenachfrage auf die Bildungsstufen?


Wie bei den möglichen Ursachen des ­Arbeitskräftemangels zeigen sich je nach ­Berufsfelder unterschiedliche Ergebnisse.

Punktuell erhöhter demografischer Ersatzbedarf


In den Berufen des Unterrichts und der Bildung, den Berufen der Reinigung, Hygiene und Körperpflege sowie in den Berufen des Gesundheitswesens liegt der Anteil der über 50-Jährigen an den Erwerbstätigen mit bis zu 39% spürbar über dem Durchschnitt von 30%. In den kommenden Jahren ist ­somit in diesen Bereichen im Vergleich zu den anderen Berufsfeldern mit einem erhöhten Ersatzbedarf durch Pensionierungen zu rechnen.

Insgesamt fallen Berufsfelder mit Anzeichen für Fachkräftemangel allerdings nicht durch einen überdurchschnittlichen demografischen Ersatzbedarf auf. Dies dürfte u.a. auch damit zusammenhängen, dass deren Beschäftigungswachstum in den letzten Jahren durch zusätzliche Studienabgänger und zugewanderte Arbeitskräfte gedeckt werden konnte. Beide dürften in Berufen mit wachsendem Fachkräftebedarf zu einer Verjüngung der Belegschaft beigetragen haben.

Potenzial besteht vor allem bei Teilzeitarbeit


In den Berufsfeldern mit Verdacht auf Fachkräftemangel wird das Fachkräftepotenzial eher besser genutzt als in den übrigen Berufen. Am stärksten gilt dies heute in technischen Berufen sowie in den Bauberufen. Erwerbsquote und Beschäftigungsgrad liegen in diesen von Männern dominierten Berufen in der Regel deutlich über dem Durchschnitt. Gleichzeitig zeigt sich aber, dass auch Frauen in Berufen mit Fachkräftemangel im Vergleich zu Frauen in anderen Berufen höhere Erwerbsquoten und auch einen höheren durchschnittlichen Beschäftigungsgrad aufweisen. Dies gilt in den technischen ­Berufen, aber auch in zahlreichen Berufen mit Verdacht auf Fachkräftemangel, in denen der Frauenanteil hoch ist, wie z.B. in den ­Gesundheitsberufen. Im Vergleich zu den Männern liegen die Erwerbsquoten und der Beschäftigungsgrad der Frauen allerdings durchwegs tiefer.

Fachkräftemangel häufiger bei ­hohen ­Qualifikationen


Die Mehrzahl der Berufe und Berufsfelder mit verbreitetem Verdacht auf Fachkräftemangel weisen eine überdurchschnittliche Nachfrage nach gut qualifizierten Arbeitskräften auf. Am höchsten liegt der Anteil der tertiär ausgebildeten Personen in den Berufsklassen der Ingenieurberufe (85%), in den Berufen des Unterrichts und der Bildung (73%) oder in der Informatik (60%). In neun der elf Berufsklassen mit vermehrten Anzeichen für Fachkräftemangel liegt der Anteil an tertiär ausgebildeten Erwerbs­tätigen über dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt von 33%.

Die Detailanalyse liefert somit verschiedene Hinweise, in welchen Bereichen Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels ansetzen können. Die Fachkräfteinitiative des Bundes nimmt bereits heute auf diese Bereiche Bezug und zeigt mögliche Massnahmen auf.

Fachkräftemangel tatsächlich vorhanden


Der hier diskutierte Bericht zeigt auf, dass Fachkräftemangel ein verbreitetes Phänomen ist. Die eingangs erwähnten Klagen über fehlende Fachkräfte in der Schweiz können auch mit Daten belegt werden. Zudem liefert der Bericht Informationen zur Ausschöpfung des Arbeitskräftepotenzials. Er erlaubt eine Orientierung in der sehr breiten Thematik des Fachkräftemangels und kann dazu dienen, gezielte Massnahmen zur Entschärfung der Problematik zu entwickeln.

  1. B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG und Forschungsstelle für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomik an der Universität Basel (2009). []
  2. Diese Gruppierung orientiert sich am 1-Steller der SBN-Nomenklatur, entspricht aber nicht genau den offiziellen Berufsabteilungen des BFS. []
  3. Zu bemerken ist, dass der Deckungsgrad bei ­Berufen, für die es keine spezifische Ausbildung gibt, grundsätzlich tief ist. Das gilt auch für ­Managementberufe. Allerdings würden diese auch ohne Berücksichtigung des Indikators ­«Deckungsgrad» unter die Berufe mit Verdacht auf Fachkräftemangel fallen, da hier andere ­Indikatoren ebenfalls anschlagen. []

Literaturverzeichnis

  • B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG und Forschungsstelle für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomik an der Universität Basel (2009): Indikatorensystem Fachkräftemangel, BBT Forschungsbericht.
  • B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG (2014): Fachkräftemangel in der Schweiz – Ein Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern.

Bibliographie

  • B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG und Forschungsstelle für Arbeitsmarkt- und Industrieökonomik an der Universität Basel (2009): Indikatorensystem Fachkräftemangel, BBT Forschungsbericht.
  • B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung AG (2014): Fachkräftemangel in der Schweiz – Ein Indikatorensystem zur Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern.

Zitiervorschlag: Wolfram Kägi, Michael Lobsiger, (2014). Ein Indikatorensystem ermöglicht die Beurteilung der Fachkräftenachfrage in verschiedenen Berufsfeldern. Die Volkswirtschaft, 01. April.

Indikatoren zur Fachkräftesituation

Folgende Ausprägungen der Indikatoren deuten auf einen Fachkräftemangel hin:

  • Deckungsgrad unter 100% (der Deckungsgrad zeigt auf, ob sich alle momentan besetzten Stellen eines Berufs durch die Beschäftigung aller entsprechend qualifizierten Erwerbspersonen abdecken lassen);
  • überdurchschnittliche Zuwanderungsquote (Anteil der in den letzten zehn Jahren Zugewanderten an den Erwerbstätigen);
  • unterdurchschnittliche Arbeitslosenquote;
  • überdurchschnittliche Quote der offenen Stellen;
  • Beschäftigungswachstum in den vergangenen zehn Jahren.


Ein Verdacht auf Fachkräftemangel besteht für einen Beruf dann, wenn mindestens zwei der ersten vier Indikatoren auf einen solchen hindeuten und wenn gleichzeitig in den vergangenen zehn Jahren ein positives Beschäftigungswachstum erzielt wurde.

Als hauptsächliche Datenquelle dienen die Strukturerhebungen der Jahre 2010 und 2011 (BFS). Weiter greifen wir auf Daten der Volkszählung 2000 (Beschäftigte im Jahr 2000/BFS), auf Daten aus der Arbeitsvermittlungs- und Arbeitsmarktstatistik (Arbeitslosenzahlen/Seco der Jahre 2010–2012) und auf Daten der Firma x28 (Anzahl offene Stellen an einem Stichtag im Juni 2012) zurück.

Verwendete Arbeitsmarktindikatoren

Die elf Berufsfelder mit der grössten ­Anzahl an Beschäftigten in Mangelberufen werden anhand folgender Arbeitsmarkt­indikatoren charakterisiert:

  • Die Altersstruktur der Erwerbstätigen zeigt die Anteile nach Altersklassen (< 35, 35–49, 50+) an der Gesamtzahl der im entsprechenden Berufsfeld Erwerbstätigen.
  • Die Erwerbsquote gibt Auskunft über die Erwerbsbereitschaft in der Bevölkerung.
  • Der Beschäftigungsgrad beschreibt die durchschnittlich geleistete Arbeitszeit im Vergleich zur Normalarbeitszeit.
  • Die Ausbildung der Erwerbstätigen erlaubt Rückschlüsse auf den Bildungsbedarf eines Berufsfeldes. Dabei unterscheiden wir zwischen Sekundarstufe I, II und Tertiärstufe.