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Kontingentierungssysteme: Die Schweiz kann sich an internationalen Erfahrungen orientieren

Aufgrund der Annahme der ­Masseneinwanderungsinitiative vom 9. Februar 2014 ist eine ­Reform der schweizerischen ­Zuwanderungspolitik notwendig. Die Analysen der OECD geben ­einen Überblick über internationale Erfahrungen mit unterschiedlichen Zulassungssystemen für ausländische Arbeitskräfte. Die Diskussion einzelner Aspekte solcher Zulassungssysteme kann auch als Orientierungshilfe für die anstehende Reform der Schweizer Ausländerpolitik ­dienen.

Kontingentierungssysteme: Die Schweiz kann sich an internationalen Erfahrungen orientieren

In Kanada (hier Einwanderer in Toronto) wie auch in anderen angelsächsischen Ländern kommt ein Punktesystem zur Anwendung, das Einwanderer nach verschiedenen Kriterien bewertet (Bild: Keystone)

Die Politik zur Regelung der Zuwanderung von Arbeitskräften in die Schweiz basiert heute auf einem dualen Zulassungssystem. Mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EU begegnen die Unternehmen kaum Hindernissen, wenn sie Bürger aus EU/Efta-Staaten

anstellen möchten. Die Zuwanderung von Arbeitskräften aus Ländern ausserhalb des EU/Efta-Raumes ist demgegenüber limitiert und administrativ gesteuert.

Neben den Ländern der EU/Efta gewähren sich auch Australien und Neuseeland gegenseitig die Personenfreizügigkeit. Andere Länder – wie die USA, Kanada oder Mexiko – kennen zwar gewisse Formen des privilegierten Zugangs für bestimmte Ausländergruppen.[1] Die Zuwanderung ist dort aber weitgehend administrativ gesteuert.

Drei Viertel der Schweizer Zuwanderung entfällt auf Personenfreizügigkeit

Grafik 1 zeigt für eine Auswahl an OECD-Ländern, wie hoch die Einwanderung in die ständige Wohnbevölkerung 2011 gemessen an der Gesamtbevölkerung ausfiel und welcher Anteil davon auf ein Freizügigkeits­abkommen zurückzuführen war. Von den abgebildeten Ländern verzeichnete die Schweiz mit 1,6% der Bevölkerung die stärkste Bruttozuwanderung.[2] Drei Viertel der Zuwanderung entfiel dabei auf die Personenfreizügigkeit mit den EU/Efta-Staaten.

201404_05D_Grafik01.eps[1]

 

In verschiedenen europäischen Ländern – wie etwa Deutschland, den Niederlanden, Österreich, Dänemark oder Norwegen – war 2011 ebenfalls mehr als die Hälfte der Bruttozuwanderung der Personenfreizügigkeit zuzurechnen. Für die EU insgesamt machte sie 42% aus. Die Personenfreizügigkeit spielt auch zwischen Australien und Neuseeland ­eine Rolle; allerdings ist die Bedeutung der administrativ gesteuerten Zuwanderung aus Drittstaaten von deutlich grösserer Bedeutung. Kanada, die USA und Mexiko sowie ­Japan und Korea kennen demgegenüber keine internationale Personenfreizügigkeit, womit die gesamte Zuwanderung einem administrativen Zulassungssystem unterworfen ist.

Gemäss dem neuen Verfassungsartikel 121a ist der Schweizer Gesetzgeber aufgefordert, 1) die Zuwanderung in die Schweiz durch Kontingente und Höchstzahlen zu begrenzen, 2) bei Aufenthaltsbewilligungen Schweizerinnen und Schweizern einen Vorrang zu geben und 3) diese Massnahmen auf das gesamtwirtschaftliche Interesse der Schweiz auszurichten. Für die Schweizer Ausländerpolitik bedeutet dies – rund zwölf Jahre nach Inkrafttreten des Personenfrei­zügigkeitsabkommens mit der EU – einen erneuten Paradigmenwechsel. Drei Viertel der Zuwanderung in die Schweiz, welche unter dem FZA weitgehend marktgesteuert ist, sind nun wieder stärker administrativ zu steuern. Die OECD hat über die Jahre hinweg einen Erfahrungsschatz zur Anwendung von Kontingenten gesammelt. Dieser ergänzt die zu diesem Thema bestehenden wissenschaftlichen Arbeiten in idealer Weise. Die von der OECD beschriebenen Systeme von Kontingenten haben den politischen Praxistest bereits hinter sich und wurden von den Migrationsverantwortlichen der anderen Länder diskutiert. Dieser Erfahrungsschatz könnte auch für die kommenden ­Arbeiten in der Schweiz relevant sein

Nachfrage- oder angebotsgesteuerte ­ Arbeitsmarktmigration?

Neben markt- und administrativ gesteuerter Zuwanderung wird auch zwischen nachfrage- und angebotsgesteuerter Arbeitsmarktmigration unterschieden. Nachfrage­gesteuerte Systeme beruhen darauf, dass ­Unternehmen geeignete inländische oder ausländische Kandidaten suchen und dann eine Arbeits- bzw. Aufenthaltsbewilligung beschaffen. Bei angebotsgesteuerter Zuwanderung schränkt der Staat die Bewerbungen ein und entscheidet, wer im Land arbeiten darf. Ein international beliebtes System zur Auswahl der erwünschten ausländischen Arbeitskräfte ist dabei das Punktesystem: Das System sortiert volkswirtschaftlich «wünschenswerte» Kandidaten heraus, indem es nach verschiedenen Kriterien Punkte verteilt und der Antragsteller eine Minimalpunktzahl erreichen muss. Alter, Schulbildung oder Sprachkenntnisse sind Beispiele für solche Kriterien. Punktesysteme werden z.B. in Australien, Kanada oder dem Vereinigten Königreich angewandt. Tabelle 1 veranschaulicht Punktesysteme an den Beispielen Kanada, Australien und Neuseeland.

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Es besteht auch die Möglichkeit, eine Kombination aus nachfrage- und angebotsgesteuerten Migrationssystemen anzuwenden. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Vorliegen eines Jobangebotes in einem Punktesystem positiv bewertet wird.

Schlüsselkriterien Qualifikation und Fachkräftemangel

Eines der Kriterien in Ländern mit angebotsgesteuerter Zuwanderung ist immer die Qualifikation der Zuwanderer. Allfällige Migranten, die als hoch qualifiziert angesehen werden, erhalten in einem Punktesystem in der Regel mehr Punkte und haben somit grössere Chancen, effektiv einwandern zu dürfen. Als Qualifikationsmerkmal werden beispielsweise das Bildungsniveau, die Stellung im Job oder der Lohn gewählt. Der Lohn soll dabei ein Zeichen der Produktivität sein.

Viele Länder suchen jedoch nicht nur Höchstqualifizierte, sondern gezielt Fachkräfte, an denen es im Land mangelt. Diese Länder erstellen Listen der gesuchten Berufe, welche verschiedene Indikatoren berücksichtigen. Zu diesen Indikatoren gehören die Anzahl offener Stellen oder die Arbeitslosenquoten im Berufsfeld. Auf der Shortage List (Australien: Skilled Occupation List) stehende Berufe werden dann bevorzugt behandelt. Dies geschieht durch zusätzliche Punkte im Punktesystem oder anderweitige erleichterte Zuwanderung.

Inländervorrang: Unterschiedliche Ansätze

Der Inländervorrang soll sicherstellen, dass bei Verfügbarkeit eines geeigneten inländischen Bewerbers dieser auch bevorzugt behandelt wird. Damit sollen Verdrängungseffekte durch die Migration vermieden werden. Der Inländervorrang besteht auch in der Schweiz für Drittstaatenzuwanderung. Dabei gilt das Prinzip der ermessensgeleiteten Einzelprüfung: Ausländer aus Drittstaaten bekommen nur dann eine Arbeitsbewilligung, wenn nachgewiesen wird, dass kein Schweizer oder keine Person aus dem EU/Efta-Raum für die zu vergebende Stelle ­gefunden werden kann. So kann von Unternehmen beispielsweise ein Rekrutierungsnachweis verlangt werden.

In Spanien existiert folgendes System zum Schutz inländischer Arbeiter: Arbeit­gebern ist es erlaubt, einen ausländischen Arbeitnehmer einzustellen, nachdem ein «Arbeitsmarkttest» für diesen Job stattgefunden hat. Dieser Test besteht darin, die Stelle zuerst für mindestens 15 Tage auszuschreiben; die öffentliche Beschäftigungsstelle versucht, einen registrierten Arbeits­suchenden zu vermitteln. Bei hohen Einwanderungszahlen oder bei Vorliegen von Branchen mit chronischem Fachkräftemangel kann teilweise auf die Prüfung von Einzelfällen verzichtet werden. Berufe mit Fachkräftemangel werden auf bereits erwähnte Shortage-Listen gesetzt, für welche kein Einzelnachweis zu erbringen ist.

In Grossbritannien bestimmt ein Migra­tionsausschuss, bestehend aus Experten, ­Sozialpartnern und anderen Stakeholdern, die betreffende Liste. Der Ausschuss nimmt dabei 12 Indikatoren zu Hilfe, zu denen u. a. die Quote der offenen Stellen, Lohn-, Beschäftigungs- und Arbeitslosigkeitsveränderungen gehören. Diese Liste wird zweimal jährlich geprüft. Die Indikatoren beziehen sich dabei oft auf das vorangegangene Jahr. Die erste, im September 2008 veröffentlichte Liste beinhaltete 19 Berufstitel; momentan befinden sich ungefähr 34 Berufstitel darauf. Die Liste wird bei Immigranten von ausserhalb der EU/Efta-Staaten angewandt.

Neuseeland benutzt ebenfalls eine Liste von Indikatoren, um Berufe mit Fachkräftemangel zu ermitteln. Industrieverbände und Regierungsbehörden verwenden dabei Daten von Empfängern von Arbeitslosenunterstützung, vergangenem und erwartetem Beschäftigungswachstum sowie prognostizierter Nachfrage nach Arbeitnehmenden. Auch Daten aus Online-Jobanzeigen werden ausgewertet, um die Liste zu erstellen.

Regionale Unterschiede berücksichtigen

Auf die regionale Verteilung der Zuwanderung im Aufnahmeland wird in verschiedenen Systemen in unterschiedlichem Ausmass Rücksicht genommen. So ist der Zugang für Zuwanderer, die sich ausserhalb der Metropolitanregionen niederlassen, etwa in Australien erleichtert. In Kanada wird der Bedarf für ausländische Fachkräfte nach Provinzen differenziert beurteilt, womit regionalen Unterschieden Rechnung getragen wird. Keine regionale Differenzierung wird demgegenüber etwa in Grossbritannien vorgenommen.

In der Schweiz spielen (bezogen auf Drittstaaten) die Kantone bzw. deren Arbeitsmarkt- und Migrationsbehörden bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen eine wichtige Rolle. Die national festgelegten Kontingente werden stets zu einem Teil an die Kantone übertragen, welche dann die Zulassung vollziehen. Ein Austausch von Kontingenten zwischen Kantonen ist ebenfalls möglich. Ein Teil der Kontingente wird durch den Bund – bzw. das Bundesamt für Migration (BFM) – erteilt.

Erfahrung mit Preissystemen

Die meisten Länder erteilen Aufenthaltsbewilligungen gegen eine Gebühr. In den USA oder den Niederlanden kann die Behandlungsfrist gegen eine zusätzliche Gebühr verkürzt werden. Während die Gebühren in der Mehrzahl der Länder dazu gedacht sind, den administrativen Aufwand zu entschädigen, liegt der Preis für eine Aufenthaltsbewilligung zum Beispiel in den USA bewusst über den administrativen Kosten. Neben den Unternehmen und den Migranten partizipiert auch der Aufnahmestaat direkt von den ökonomischen Vorteilen der Zuwanderung. In den USA wird mit einer Visumgebühr u.a. ein Fonds zur Förderung der Weiterbildung inländischer Arbeitskräfte gespeist.

Auktionsverfahren: Ein gangbarer Weg?

In eine ähnliche Richtung zielt die Idee, Aufenthaltsbewilligungen über Auktions­verfahren zu vergeben. Die Erträge daraus würden dem Staat zukommen. Aufenthaltsbewilligungen zu versteigern, hätte wohl ­tatsächlich zusätzliche finanzielle Vorteile ­gegenüber dem regulären Preissystem für Aufenthaltsbewilligungen. Die Effizienz­gewinne, die daraus entstehen sollen, werden jedoch auch leicht überschätzt, stellen sich in diesem Modell doch zahlreiche, schwer überwindbare Umsetzungsprobleme. Das Risiko einer zu hohen Systemkomplexität erscheint gross. Dies dürfte mit erklären, warum kein Land diese Idee bislang umgesetzt hat (siehe Kasten 1).

Zunächst ist zu sagen, dass das System die Frage nach der optimalen Höhe eines Kontingents – z.B. in Abhängigkeit von der Konjunktur – nicht beantwortet. Politisch vor­gegebene Restriktionen müssten durch die Festlegung der Anzahl verfügbarer Kontingente oder eines Mindestpreises umgesetzt werden. Suboptimale Zuteilungen würden sich etwa durch starke Preisschwankungen bemerkbar machen.

  • Der reale Wert einer Arbeitsbewilligung für einen Arbeitgeber basiert auf drei Elementen:
  • der Knappheit der gesuchten Arbeitskraft;
  • der Länge des Arbeitsvertrages;
  • der erwarteten Produktivität des Arbeitnehmenden.

Die Zahlungsbereitschaft der Arbeitgeber variiert stark mit der Länge des Arbeitsvertrages. Je länger das Arbeitsverhältnis dauert, desto mehr ist der Arbeitgeber bereit zu zahlen. Aufenthaltsbewilligungen müssten entsprechend je nach Aufenthaltsdauer unterschiedliche Preise haben, damit auch ein kurzfristiger und befristeter Bedarf gedeckt werden könnte. Alternativ sind auch Modelle denkbar, in denen Bewilligungen wieder veräussert werden könnten.

In einem Auktionssystem erhalten Tätigkeiten mit hoher Wertschöpfung die höchste Priorität. Dies ist volkswirtschaftlich grundsätzlich erwünscht. Die regionale und branchenmässige Verteilung von Kontingenten kann bei einer starken Einschränkung der Zuwanderung allerdings sehr ungleich ausfallen. Weniger produktive Branchen, die in vielen Industriestaaten ebenfalls stark auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen sind, könnten ganz leer ausgehen. Sobald zusätzliche Kriterien – wie regionale Aspekte oder Bedürfnisse einzelner Branchen – im politischen Prozess ebenfalls eine Rolle spielen, müssten in einem Auktionssystem Unterquoten nach Regionen, Tätigkeiten oder Branchen eingeführt werden. Dies würde die Effizienzvorteile verringern.

Befürworter eines Auktionssystems versprechen sich eine Reduktion der admini­strativen Last bei der Einstellung von aus­ländischen Arbeitnehmenden. So würden Arbeitsmarkttests und Shortage Lists hinfällig. Voraussetzung für eine administrative Erleichterung wäre jedoch, dass ausser der Wertschöpfung keine zusätzlichen Kriterien zu prüfen sind. So müsste bei Vorliegen eines Inländervorrangs der Mindestpreis für eine Aufenthaltsbewilligung hoch genug liegen, um eine tatsächliche Bevorzugung von Inländern zu gewährleisten.

Ein weiterer Punkt, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Übertragbarkeit von Bewilligungen. Arbeitgeber, die eine Bewilligung «ersteigert» haben, erwarten, dass ihr Arbeitnehmer nicht gleich den Job wechselt. Dies könnte den Arbeitnehmer der Gefahr der Ausnützung aussetzen. Lösungen dafür wären beispielsweise ein Wiederverkaufsrecht der Bewilligung oder die Option für den ­Arbeiter, sich aus einem Vertrag herauszukaufen.

Auktionssysteme könnten theoretisch relativ einfach ausgestaltet werden und Effizienzgewinne erbringen. Wenn aber neben der Wertschöpfung zusätzliche Kriterien hinzukommen, kann die Komplexität des Systems rasch zunehmen. Die Frage nach der optimalen Höhe von Aufenthaltskontingenten würde durch ein Auktionssystem nicht beantwortet.

  1. Beispiele sind privilegierte Zugänge im Rahmen vonFreihandelszonen (Nafta) oder im Rahmen vonFreihandelsabkommen []
  2. Die Nettozuwanderung erreichte in der Schweiz 1,0% der Bevölkerung und gehörte damit innerhalb der OECD – zusammen mit Norwegen – ebenfalls zu den höchsten, dicht vor Australien mit einem Saldo von 0,9% der ­Bevölkerung. Nur Luxemburg verzeichnete in der OECD mit 2,2% eine noch höhere Nettozuwanderungsquote. []

Literaturverzeichnis

  • Diverse Jahrgänge des International Migration Outlook, OECD Publishing.
  • Dumont, Jean-Christophe, Thomas Liebig (2013), Recruiting Immigrant Workers: New Zealand, OECD Publishing.


Bibliographie

  • Diverse Jahrgänge des International Migration Outlook, OECD Publishing.
  • Dumont, Jean-Christophe, Thomas Liebig (2013), Recruiting Immigrant Workers: New Zealand, OECD Publishing.

Zitiervorschlag: Damian Misteli (2014). Kontingentierungssysteme: Die Schweiz kann sich an internationalen Erfahrungen orientieren. Die Volkswirtschaft, 01. April.

Auktionssysteme sind Neuland

Auktionssysteme werden heute von keinem Land in grösserem Massstab eingesetzt. In verschiedenen Ländern fanden jedoch Diskussionen über eine mögliche Versteigerung von Kontingenten statt.

Befürworter von Auktionssystemen bei der Verteilung von Arbeitsvisa versprechen sich davon mehr ökonomische Rationalität und ­eine marktgerechtere Allokation der Zuwanderer. Ein Hauptziel ist dabei auch, dass das Aufnahmeland allfällig zusätzliche Migra­tionsgewinne erhält und damit die Bedenken der einheimischen Bevölkerung über die fiskalischen Kosten abschwächt.