Wir gehen davon aus, dass jeder urteilsfähige Arbeitnehmende grundsätzlich in der Lage und auch gewillt ist, selber seinen Lohn auszuhandeln. Dabei er seine Ausbildung, seine Erfahrung, sein Engagement und sein berufliches Geschick in die Waagschale.
Kein Mindestlohn und kein GAV-Zwang
Die Schweiz kennt heute keinen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Trotzdem ist die Lohnsituation hierzulande in allen wesentlichen Belangen besser als in den meisten vergleichbaren Ländern. Das schweizerische Lohnniveau liegt gemessen in Kaufkraft-Einheiten mit 50 242 USD deutlich über dem Durchschnitt der OECD (44 757 USD) und der EU15 (40 062 ). Der Anteil der Tieflöhne liegt bei 9,2%; das ist wesentlich weniger als der OECD-Durchschnitt von 16,3%. Es ist somit keineswegs so, dass ohne gesetzliche Mindestlöhne die Arbeitgeber in der Schweiz nur beschämend tiefe Löhne bezahlen. Trotzdem werden die Gewerkschaften nicht müde zu betonen, dass «Gesamtarbeitsverträge (GAV) der Königsweg für anständige Löhne» seien.
Mit der Mindestlohninitiative werden Bund und Kantone aufgefordert, den Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen mit Mindestlöhnen zu fördern. Diese Förderung entspricht bei näherem Hinsehen aber einem indirekten Vertragszwang. Für den SAV als Verfechter des GAV und der freien Sozialpartnerschaft ist die mit der Initiative verfolgte «Förderung» der GAV unannehmbar. Die Sozialpartner sollen ohne indirekte Einmischung des Staates entscheiden können, ob und in welcher Höhe in ihren GAV Mindestlöhne festgelegt werden.
Die Mindestlohninitiative hält nicht, was sie verspricht
Die Arbeitsplätze in der Schweiz sind zu sichern. Dies gilt unverändert oder sogar noch mehr nach dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative. Die aktuell gut spürbare Verunsicherung bezüglich der kommenden Auswirkungen auf die wichtigen bilateralen Verträge I und die flankierenden Massnahmen sowie die damit verbundene Planungsunsicherheit für die Unternehmen sind Gift für die Wirtschaft. Entsprechend wichtig ist es, eine rasche, aber pragmatische Umsetzung der Initiative an die Hand zu nehmen.
Mit der Forderung nach einem einheitlichen, schweizweiten gesetzlichen Mindestlohn, über den das Volk am 18. Mai 2014 abstimmen wird, erreichen wir das Ziel, Arbeitsplätze in der Schweiz zu sichern, aber nicht. Mit solchen Forderungen gefährden wir den Wohlstand der Schweiz. Solche Experimente sind äusserst heikel, zumal die Mindestlohninitiative in keiner Weise hält, was sie verspricht.
Ein staatlich diktierter Mindestlohn ist ein Bumerang. Er ist schädlich für Jugendliche vor dem Berufseinstieg. Teilzeitstellen werden kaum noch angeboten, was insbesondere Frauen und Wiedereinsteigerinnen benachteiligen wird. Und er schädigt das
duale Berufsbildungssystem, weil er Jugendliche demotiviert, eine Lehre abzuschliessen.
Ein solcher Mindestlohn gefährdet die Existenz von KMU und deren Arbeitsplätzen. Insbesondere in peripheren Gebieten, wo auch die Lebenshaltungskosten nicht städtische Ansätze erreichen, werden die betroffenen Unternehmen nur schwer die Lohnkosten tragen können. Gravierende strukturelle Folgen auf einzelne Branchen und die Förderung von Schwarzarbeit könnten daraus resultieren. Damit lösen wir aber keinerlei Armutsprobleme.
Schutzvorschriften umsetzen
Immer wieder werden vermutete Lohndumpingfälle medial breit ausgeschlachtet. Für echte Lohndumpingfälle, welche der Schweizerische Arbeitgeberverband ebenso ablehnt, gibt es heute bereits eingespielte gesetzliche Verfahren.
Wir brauchen keine neuen Schutzvorschriften. Wir sollten vermehrt bemüht sein, die bestehenden Regelungen umzusetzen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer arbeiten heute gut zusammen; mögliche Einzelfälle ändern daran nichts. Es braucht deshalb weder einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn noch einen Zwang zum Abschluss von Gesamtarbeitsverträgen.
Zitiervorschlag: Müller, Roland A.; Lützelschwab Saija, Daniella (2014). Arbeitsmarkt und Löhne: Eine Standortbestimmung aus Sicht der Arbeitgeber. Die Volkswirtschaft, 01. April.