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Zur Beurteilung des Fachkräftemangels steht ein Indikatorensystem bereit

Im Jahr 2011 lancierte das Eid­genössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) eine Initiative zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Zur Identifikation der besonders betroffenen Berufsfelder wurde ein Indikatorensystem erstellt. Dieses System dient dazu, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit über die Thematik zu informieren und sie für die damit verbundenen Herausforderungen und Konsequenzen zu sensibilisieren. Es liefert auch Anhaltspunkte dafür, wie das bestehende inländische Fachkräfte­potenzial besser genutzt werden könnte.
Chemielaboranten präsentieren sich an der Ausstellung Cité-Métiers in Martigny dem potenziellen Nachwuchs. Die Fachkräfteinitiative hat zum Ziel, das Potenzial der inländischen Arbeitskräfte besser auszunutzen

Trotz der gesunden Lage des Schweizer Arbeitsmarktes gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Schweizer  Wirtschaft mit einem Fachkräftemangel konfrontiert ist. Davon sind verschiedenste Branchen betroffen. Die demografische Entwicklung sowohl in der Schweiz als auch in Ländern, in denen Schweizer Unternehmen qualifiziertes Personal rekrutieren, dürfte das Problem in den kommenden Jahren noch verschärfen. Zu den besonders betroffenen Berufsgruppen gehören Gesundheitsberufe, Ingenieure oder Informatikspezialisten. Für viele Unternehmen ist die Einstellung von qualifiziertem Personal nicht nur in den genannten Bereichen zu einer grossen Herausforderung geworden.

Fachkräfteinitiative und ihre Prioritäten


Angesichts dieser Tatsachen hat das WBF 2011 die Fachkräfteinitiative lanciert. Ziel dieser Initiative ist es, dass vermehrt auf das Potenzial der inländischen Arbeitskräfte zurückgegriffen wird. Der Schwerpunkt liegt dabei auf vier Handlungsbereichen:

  • Höherqualifizierung entsprechend dem Bedarf der Arbeitswelt;
  • Schaffung guter Bedingungen zur Erwerbstätigkeit für ältere Arbeitnehmende;
  • Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie;
  • Förderung von Innovationen zur Entschärfung der Fachkräfteknappheit aufgrund höherer Produktivität.


Am 6. November 2013 hat der Bundesrat das Konzept für den Massnahmenplan 2015–2018 des Bundes verabschiedet. Die Kantone und die Sozialpartner ergreifen zusätzliche Massnahmen, jeder in seinem jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Der Bund übernimmt die Leitung und Koordination dieser gemeinsamen Initiative. Er ergreift ausserdem Sensibilisierungsmassnahmen und schafft Entscheidungsgrundlagen für Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit. In diesem Rahmen hat das Staatssekretariat für Wirtschaft ­(Seco) das Beraterbüro B,S,S. damit beauftragt, ein 2009 geschaffenes Indikatorensystem zur Beurteilung des Fachkräftemangels zu aktualisieren und weiterzuentwickeln.

Was ist Fachkräftemangel, und was sind mögliche Ursachen?


Der Fachkräftemangel ist ein weitverbreitetes, viel diskutiertes und gleichzeitig kein leicht fassbares Phänomen. Umgangssprachlich würde man von einem Fachkräftemangel etwa dann sprechen, wenn Unternehmen grosse Schwierigkeiten bekunden, geeignete Arbeitskräfte für ihre laufenden oder geplanten Aktivitäten zu finden.

Ein Fachkräftemangel kann somit sehr unterschiedliche Ursachen haben und auch unterschiedliche Formen annehmen. Es stellen sich etwa folgende Fragen: Wurden zu wenig Fachkräfte in einem Beruf ausgebildet? Arbeiten ausgebildete Fachkräfte nicht mehr auf dem Beruf, nur Teilzeit oder gar nicht? Ist die Nachfrage nach spezifischen Qualifikationen überraschend stark gewachsen? Müssen geeignete Fachkräfte im Ausland gesucht werden? Die Antworten auf diese Fragen fallen je nach Beruf sehr unterschiedlich aus. Einheitliche Rezepte zur Linderung des Fachkräftemangels gibt es entsprechend nicht

Möglichkeiten und Grenzen des Indikatorensystems


Das Indikatorensystem beleuchtet verschiedene Formen und Aspekte des Fachkräftebedarfs in der Schweiz quer über alle Berufe hinweg. Es erlaubt, Berufsfelder zu identifizieren, in denen Hinweise für einen wachsenden Bedarf und eine überdurchschnittliche Knappheit an Fachkräften bestehen. Über die einzelnen Knappheitsindikatoren kann die Situation in verschiedenen Berufen noch genauer charakterisiert werden. Beispielsweise lässt sich aus den Daten herauslesen, wie sich die Beschäftigung in einem Beruf in den letzten zehn Jahren ent­wickelt hat oder wo zur Deckung des Arbeitskräftebedarfs überdurchschnittlich auf Zuwanderer zurückgegriffen wurde.

Für die elf Berufsfelder mit den stärksten Hinweisen auf Fachkräftemangel zeigt der vorliegende Bericht zudem auf, wie gut das bestehende Fachkräftepotenzial genutzt wird und wie die Alters- und die Qualifikationsstruktur aussehen. Daraus ergeben sich auch erste Hinweise, wo die Ansatzpunkte für eine bessere Nutzung des inländischen Fachkräftepotenzials im jeweiligen Bereich liegen.

Natürlich hat das Indikatorensystem auch seine Grenzen. Zum einen baut es auf relativen Vergleichen zwischen Berufen auf. Entsprechend ist es nicht in der Lage, den ungedeckten Fachkräftebedarf nach Berufsgruppe in einer absoluten Zahl zu fassen. Auch Aussagen zur gesamtwirtschaftlichen Bedeutung des Fachkräftemangels – etwa im internationalen Vergleich oder über die Zeit hinweg – sind mit dem Indikatorensystem in seiner heutigen Konzeption nicht möglich.[1]

Sehr interessant zur Beurteilung der Fachkräftesituation wären – neben den gewählten Knappheitsindikatoren – auch Angaben zur Lohnsituation und zur Lohnentwicklung. Versuche im Rahmen des Projektes, Informationen über Löhne in verschiedenen Berufen in das System einzubauen, mussten aufgrund fehlender geeigneter Datenquellen vorerst wieder verworfen werden. Gleiches gilt für die Idee, Knappheitsindikatoren zusätzlich zur Berufsebene noch regional oder nach Branchen zu differenzieren. Die Erfahrungen mit dem aktuellen System werden zeigen müssen, in welche Richtung es allenfalls noch weiterentwickelt werden könnte.[2]

Bedarfsgerechte Ausgestaltung des ­Systems


Die Informationen des Indikatorensystems können zunächst für Branchen- oder Berufsverbände interessant sein, etwa um die Mitglieder für die demografischen Herausforderungen zu sensibilisieren. Aber auch die Politik und die öffentliche Verwaltung können die Indikatoren nutzen, um Massnahmen zur Linderung des Fachkräftemangels – etwa im Bildungs-, Arbeitsmarkt- oder im Migrationsbereich – möglichst zielgenau auszugestalten. Schliesslich können die Indikatoren auch für eine breitere Öffentlichkeit interessant sein. So dürften sich etwa Per­sonen vor Aus- oder Weiterbildungsentscheiden dafür interessieren, wie sich die ­Beschäftigungslage in unterschiedlichen Berufsfeldern oder in einzelnen Berufen im Quervergleich darstellt.

Der Verwendungszweck des Indikatorensystems lässt sich heute aber nicht abschliessend definieren. Mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 ist beispielsweise die Frage nach der Ausgestaltung der Ausländerpolitik neu aufgeworfen worden. Auch hier können Informationen über die relative Knappheitssituation in verschiedenen Berufen nützlich sein. Wie für andere Bereiche gilt allerdings auch hier, dass sich aus Knappheitsindikatoren nicht direkt geeignete Massnahmen ableiten lassen. Je nach Massnahmenbereich sind eine Reihe zusätzlicher Analysen notwendig, zu denen das Indikatorensystem allenfalls als Ausgangspunkt dienen mag.Aktivitäten zur Linderung des Fachkräftemangels werden heute auf sehr vielen Ebenen sowohl im privaten wie auch im öffentlichen Bereich unternommen. Die Indikatoren zur Fachkräftesituation sollen in diesem komplexen Umfeld mithelfen, die relevanten Akteure für die Thematik zu sensibilisieren und sie darin unterstützen, ihre Massnahmen möglichst gut zu fokussieren. Hierin liegt der Hauptbeitrag des Indikatorensystems zur schweizerischen Fachkräfteinitiative.

  1. Es handelt sich um ein relatives Benchmarksystem. ­Unabhängig davon, wie akut die Fachkräfteknappheit beispielsweise auf Grund der Konjunkturlage ist, gibt es Berufe, die vom Phänomen stärker betroffen sind als andere. Das Indikatorensystem ist in der Lage, diese ­relativen Unterschiede herauszuarbeiten. Als Referenzwert für die Knappheitsindikatoren wird jeweils der ­aktuelle Durchschnittswert für die Gesamtwirtschaft ­herangezogen. []
  2. Eine wichtige Datenquelle für das Indikatorensystem ist die Strukturerhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS), welche die früheren Volkszählungen ersetzt. Mit jedem Jahr erhöht sich hier die Stichprobengrösse, wenn man mehrere Jahrgänge der Erhebung poolt. ­Damit werden mit der Zeit zunehmend detailliertere Auswertungen möglich. Bezogen auf die Lohnangaben ist interessant, dass in der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung des BFS ab 2012 neu die ausgeübten Berufe der Arbeitnehmenden erfasst werden. Eine Integration in das bestehende Indikatorensystem, welches ebenfalls auf Berufen aufbaut, wird damit denkbar. []

Zitiervorschlag: Maya Rolewicz, Bernhard Weber, (2014). Zur Beurteilung des Fachkräftemangels steht ein Indikatorensystem bereit. Die Volkswirtschaft, 01. April.