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Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft: Relevanz der Ursprungsregeln für Schweizer Exporteure

Die EU und die USA führen gegenwärtig Verhandlungen über eine transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft. Dabei geht es um die Schaffung einer neuartigen Freihandelszone, die darauf ausgerichtet ist, zunächst die noch bestehenden tarifären und nichttarifären Handelshemmnisse zwischen den beiden Wirtschaftsräumen zu beseitigen. Damit könnten Waren mit Ursprung in der EU und in den USA zollfrei in die betreffenden Märkte eingeführt werden. Wie wirkt sich diese Handels- und Investitionspartnerschaft auf Schweizer Produzenten aus, die ihre Erzeugnisse in die USA exportieren oder den EU-Markt mit Zwischenprodukten beliefern?

Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft: Relevanz der Ursprungsregeln für Schweizer Exporteure

Aufgrund der Ursprungsregeln könnten sich deutsche Automobilhersteller veranlasst sehen, die benötigten Teile nicht von einem Schweizer Hersteller, sondern von einem Anbieter im EU-Raum zu beziehen.

Ursprungsregeln bilden für den Warenverkehr das Herzstück von Freihandelsabkommen (FHA). Sie bieten Gewähr dafür, dass der Marktzugang mit reduziertem Zoll oder mit Nullzoll nur für sogenannte Ursprungswaren gilt. Das sind Waren, die innerhalb des FHA vollständig erzeugt oder wesentlich be- oder verarbeitet wurden. Im Falle der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) betrifft dies Waren mit Ursprung in der EU und in den USA. Auf diese Weise werden Waren ausgeschlossen, die andernorts hergestellt wurden und bei denen lediglich eine Durchfuhr durch ein Mitgliedsland des FHA erfolgte. Ohne Ursprungsregeln könnte kein Unterschied zu Importen aus Drittländern gemacht werden, womit die im FHA vereinbarten Zollpräferenzen eine viel geringere Bedeutung hätten (siehe Kasten 1).

Ursprungsregeln: Für Schweizer Produkte auf zwei Arten relevant


Die Ursprungsregeln der TTIP sind auch für die Schweiz relevant. Beispielsweise liefern Schweizer Automobilzulieferer Bauteile an die Automobilindustrie in der EU, die ihrerseits einen Teil der in der EU gefertigten Fahrzeuge in die USA exportiert. Auch Schweizer Chemie- und Pharmaunternehmen sowie Hersteller von Präzisionsinstrumenten beliefern Produzenten in der EU mit Zwischenprodukten und Bauteilen. Schweizer Produzenten und Exporteure können deshalb grundsätzlich in zweifacher Hinsicht von der TTIP betroffen sein:

  • Die erste Auswirkung erfolgt ganz direkt und betrifft Schweizer Enderzeugnisse, die in die USA exportiert werden und in direktem Wettbewerb mit Produkten aus der EU stehen. Angenommen, im Rahmen der TTIP können Präzisionsinstrumente zollfrei in die USA eingeführt werden, wenn sie aus der EU stammen. Für ein in der Schweiz gefertigtes Präzisionsinstrument besteht jedoch weiterhin ein Wertzoll von beispielsweise 2,5%. Instrumente aus der EU haben damit einen preislichen Wettbewerbsvorteil auf dem US-Markt, da für sie keine Zollgebühren zu entrichten sind. In der Praxis könnte alternativ der Importeur von EU-Produkten den Differenzbetrag für sich behalten, der aus der Zollbegünstigung für EU-Produkte resultiert. Somit erzielt der Importeur eine höhere Marge, und der Verkaufspreis auf dem US-Markt bleibt unverändert. Doch in beiden Fällen wären Schweizer Produzenten und Exporteure durch diese Ausgangslage benachteiligt.
  • Die zweite Auswirkung lässt sich weniger einfach feststellen und messen. Sie betrifft Schweizer Zwischenprodukte oder Bauteile, die in der EU (bzw. in den USA) weiterverarbeitet oder in ein Enderzeugnis integriert und anschliessend in die USA (EU) exportiert werden. Heutzutage sind die meisten Produkte das Ergebnis von grenzüberschreitenden Fertigungs- und Verarbeitungsprozessen, in deren Rahmen Bauteile und Halbfabrikate einer Vielzahl von Zulieferern verwendet werden.[1]

Das Beispiel der Fahrzeuggetriebe


Dazu ein Beispiel: Nehmen wir an, ein in der Schweiz gefertigtes Getriebe werde in ein deutsches Fahrzeug eingebaut, das in die USA exportiert wird. Mit einer Ursprungsregel im Rahmen der TTIP wird beispielsweise verlangt, dass der Wert der Zwischenprodukte/Bauteile ohne Ursprungseigenschaft (d. h. der aus Drittstaaten importierten Materialien) höchstens 40% des Preises des fertiggestellten Fahrzeuges ab Werk beträgt. Da die Schweiz nicht Mitglied der TTIP ist, muss der Wert des Schweizer Getriebes in die 40% aller Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft eingerechnet werden, die der deutsche Hersteller für die Fertigung des Fahrzeugs verwendet. Nur so kann das Fahrzeug schliesslich zollfrei in den US-amerikanischen Markt eingeführt werden. Bei dieser Ausgangslage sieht sich der deutsche Automobilhersteller möglicherweise veranlasst, die benötigten Getriebe nicht von einem Schweizer Hersteller, sondern von einem Anbieter im EU-Raum zu beziehen. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Verlagerung von Handelsströmen durch eine Ursprungsregel aus wirtschaftlicher Sicht wettbewerbsverzerrend und suboptimal ist. Denn die betreffende Ursprungsregel führt dazu, dass die Zwischenprodukte und Bauteile nur wegen der Zollpräferenzbehandlung nicht mehr beim leistungsfähigsten Anbieter bezogen werden, sondern bei einem weniger effizienten Zulieferer.

Zu einer solchen Verlagerung des Handels könnte es sogar in Fällen kommen, in denen Schweizer Vorleistungen heute wegen ihrer hohen Qualität oder zur Erfüllung der technischen Spezifikationen des Endverbrauchers verwendet werden, obwohl sie teurer sind als Zwischenprodukte aus den USA oder der EU. Im ungünstigsten Fall hat die Ursprungsregel zur Folge, dass der Import der betreffenden Zwischenprodukte und Bauteile aus der Schweiz wie im obigen Beispiel aufgegeben wird und die Getriebehersteller in der EU auf regionale Kapazitäten zurückgreifen und diese schliesslich ausbauen. Der Qualitätsvorsprung von Schweizer Zwischenprodukten und Bauteilen könnte also nicht mehr in Wert gesetzt werden. Je höher die Zollpräferenzspanne durch die TTIP ist, desto ausgeprägter fällt diese Verlagerung des Handels aus. Die kombinierte Auswirkung der Zollpräferenzbehandlung und der Ursprungsregel im Rahmen der FHA wirkt sich letztlich wie eine Privilegierung von Herstellern innerhalb der EU aus.[2]

Detaillierte Analyse der möglichen Auswirkungen auf die Schweiz


Eine im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) erstellte Studie[3] hat die möglichen Auswirkungen der Ursprungsregel in der TTIP auf Schweizer Produzenten untersucht. Sie hat Annahmen zur Ausgestaltung der Ursprungsregel im Rahmen der TTIP getroffen und basierend darauf deren potenzielle Auswirkungen auf den Handel abgeschätzt.[4] Der Fokus liegt dabei auf der beschriebenen zweiten Art der Handelsverlagerung. Die Analyse erfolgte für folgende ausgewählte Sektoren und Produkte, die für die Schweiz von erheblicher Bedeutung sind:

  • Zulieferer für die Automobilindustrie;
  • Präzisionsinstrumente, z. B. Medizinalprodukte;
  • chemische und pharmazeutische Erzeugnisse.


Als Erstes stellt sich die Frage, welche Art von Ursprungsregeln voraussichtlich in der TTIP Anwendung finden wird. Die verschiedenen Freihandelsabkommen, welche die EU und die USA mit anderen Staaten abgeschlossen haben, ermöglichen eine recht umfassende Analyse der produktspezifischen Ursprungsregeln, mit denen die Schweizer Industrie unter der TTIP konfrontiert sein könnte. Bedeutende Auswirkungen auf den Schweizer Handel hätten vor allem restriktive, produktspezifische Ursprungsregeln. Zum einen sind dies Ursprungsregeln, die auf einer Änderung der Zollklassifizierung (Positionssprung) beruhen, jedoch eine Änderung der Zolltarifunterposition (erste sechs Stellen der HS-Nummer) nicht als Begründung des Ursprungs anerkennen. Zum andern sind es Ursprungsregeln, gemäss denen ein Höchstwert der Vormaterialien ohne Ursprungseigenschaft von 40% des Preises ab Werk oder von 50% nach der Nettokosten-Kalkulationsmethode nicht überschritten werden darf. In beiden Fälle erhalten Montagevorgänge, in deren Rahmen möglicherweise Schweizer Teile in vollständige Güter oder Fertigprodukte eingefügt werden, keinen TTIP-Ursprung.

Eine Schwierigkeit der Studie resultiert aus dem Mangel an Informationen darüber, welche Beschaffungsstrategien einzelne Unternehmen anwenden und unter welchen Umständen sie Kostennachteile in Kauf nehmen oder tatsächlich ihre Zulieferer wechseln. Angesichts der beschränkten Grösse der Schweizer Binnenwirtschaft und der Fokussierung auf bestimmte Wirtschaftssektoren wären entsprechende Firmenbefragungen sehr zu empfehlen.

Bezüglich Kumulation beruht die Studie auf der Annahme, dass im Rahmen der TTIP-Bestimmungen keine Kumulation mit Schweizer Zwischenprodukten und Bauteilen erfolgt.

Verschiedene Produkte unterschiedlich betroffen


Zentrale Frage der Studie ist also: Werden Unternehmen in der EU (bzw. den USA) Schweizer Zwischenprodukte und Bauteile für die Herstellung von Exporten in die USA (EU) durch entsprechende Vorleistungen aus der TTIP-Zone oder gar aus Drittländern ersetzen?

Die Studie kommt zum Schluss: EU-Produzenten könnten potenziell vor allem Erzeugnisse von Schweizer Automobilzulieferern sowie Schweizer Präzisionsinstrumente durch solche aus der EU, den USA oder Drittländern ersetzen. Das Ausmass hängt jedoch von der Art der jeweils produktspezifischen Ursprungsregel ab. In jüngeren Freihandelsabkommen der USA oder der EU sind die Ursprungsregeln für diese Sektoren tendenziell liberaler geworden.

Pharmazeutische Produkte werden von den Auswirkungen einer ursprungsregelbedingten Handelsverlagerung nicht betroffen sein, da diese bereits heute zwischen der EU und den USA zollfrei gehandelt werden. Dies trifft auch auf viele chemische Erzeugnisse zu, die ebenfalls bereits heute zollfrei von der EU in die USA exportiert werden.[5] Für chemische Produkte, die heute nicht zollfrei von der EU in die USA exportiert werden und für die unter der TTIP eine Zollreduktion vereinbart wird, könnte die Vereinbarung von restriktiven, produktspezifischen Ursprungsregeln (wie oben erwähnt) Schweizer Zulieferer von chemischen Produkten in die EU negativ betreffen. Grundsätzlich ist zwar nicht von allgemein restriktiven Ursprungsregeln auszugehen, jedoch könnten Interessengruppen für einzelne Produkte eine restriktive Regelung anstreben.

Unternehmen in den USA würden laut der Studie voraussichtlich für die Ausfuhr von Fertigerzeugnissen in die EU Schweizer Vorleistungen nur in einem geringen Ausmass durch Zwischenprodukte und Bauteile aus der EU, aus den USA oder aus Drittländern ersetzen. Der Grund dafür liegt in der Art der gehandelten Waren und in den relativ hohen Transportkosten, die bei der Lieferung von Schweizer Zwischenprodukten und Bauteilen zum Einbau in US-amerikanische Fertigprodukte und der anschliessenden Wiederausfuhr in die EU anfallen. Im Bereich Motorfahrzeuge handelt es sich bei den meisten Exporten aus den USA in die EU um vollständige Fahrzeuge. Angesichts der Art der in die USA ausgeführten Schweizer Autoteile ist jedoch anzunehmen, dass diese für die Produktion von Fahrzeugen für den US-amerikanischen Markt verwendet werden. Die Exporte von pharmazeutischen Produkten sowie einer Vielzahl von chemischen Produkten aus den USA in die EU unterliegen bereits heute keinem Zoll. Auswirkungen einer ursprungsregelbedingten Handelsverlagerung sind jedoch auch hier bei denjenigen chemischen Erzeugnissen denkbar, die heute nicht zollfrei gehandelt werden.

Da für die pharmazeutischen und die meisten chemischen Produkte keine Zollschranken bestehen, haben die Ursprungsregeln in diesen Sektoren nur begrenzte Auswirkungen auf die jeweiligen Schweizer Produzenten. Eine TTIP-Einigung im Bereich der sanitären und phytosanitären Massnahmen oder im Bereich technischer Handelshemmnisse hätte deshalb möglicherweise für die pharmazeutische und chemische Industrie in der Schweiz deutlich negativere Konsequenzen als zu restriktive Ursprungsregeln.

  1. Dies schafft auch neue Herausforderungen in der Bestimmung des Ursprungs einer Ware. Vgl. dazu: Inama, Stefano (2013): Made in China or Made in Tlon? The Quest for a New Origin Concept Measuring International Trade and Respecting Consumers’ Rights, Global Trade Analysis Project (GTAP); www.gtap.agecon.purdue.edu/resources/download/6588.pdf. []
  2. Es gibt Hinweise auf solche Wettbewerbsverzerrungen im Rahmen des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta: Für in Mexiko gefertigte Bekleidung gilt die Nafta-Zollbegünstigung nur, wenn bei der Produktion Stoffe aus den USA verwendet werden. []
  3. Vgl. Balestrieri, Emanuela (2014): Transatlantic Value Chains With Swiss Participation and Rules of Origin: Is Trade Creation Dominating Trade Diversion?, Seco. []
  4. Der innovative Ansatz der Studie besteht in der dynamischen Kombination der folgenden Elemente: a) Input-Output-Matrix, b) Vergleichsanalyse der UR der EU und der USA in anderen Freihandelsabkommen, c) potenzielle TTIP-Zollpräferenzspannen und d) gegenwärtige Handelsströme EU – USA, Schweiz – EU und Schweiz – USA. []
  5. Aufgrund einer Vereinbarung einer Gruppe von WTO-Mitgliedern am Ende der Uruguay-Runde ist für diese Güter im US-amerikanischen Markt und in der EU kein Meistbegünstigungszoll zu entrichten (vgl. Gatt-Dokument L/7430 vom 25. März 1994). []

Zitiervorschlag: Edith Bernhard (2014). Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft: Relevanz der Ursprungsregeln für Schweizer Exporteure. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.

Zwei Arten von Ursprungsregeln

Die für ein Freihandelsabkommen geltenden Ursprungsregeln legen fest, welche Erzeugnisse als «ausreichend be- oder verarbeitet» und somit als Ursprungsware gelten und in den Genuss der präferenziellen Zollbehandlung kommen. Die genauen Bedingungen variieren je nach Abkommen. Es gibt zwei Arten von Regeln, die häufig verwendet werden und in allen Freihandelsabkommen Anwendung finden:

  • Die Prozentregel, z. B. Herstellen, bei dem der Wert aller verwendeten Vormaterialien von ausserhalb des Freihandelsabkommens 40% des Ab-Werk-Preises des Erzeugnisses nicht überschreitet.
  • Wechsel der Position (auch Positionssprung), z. B. Herstellen aus Vormaterialien jeder Position von ausserhalb des Freihandelsabkommens, ausgenommen Vormaterialien derselben Position wie die hergestellte Ware. Ein «Positionssprung» liegt also vor, wenn die Ware in eine andere Zolltarifposition einzureihen ist als jedes einzelne bei der Herstellung verwendete Vormaterial. Als «Position» in diesem Sinne gelten die ersten vier Stellen der Nummer des Harmonisierten Systems (HS).


Quelle: www.ezv.admin.ch > Dokumentation > E-Learning der EZV > E-Learning Präferenzieller Ursprung und Freihandelsabkommen.