Die internationale Regulierungsentwicklung fordert die Schweizer Finanzmarktpolitik heraus
Finanzplätze wie London zeigen auf, wie sich ein Standort in einem sich regulatorisch stark angleichenden europäischen Wettbewerbsumfeld erfolgreich positionieren kann. (Bild: Keystone)
Eine kluge Regulierung wahrt auch in einem von verstärkter Harmonisierung geprägten internationalen Rahmen Differenzierungs- und Wettbewerbschancen. Beispiele dazu sind Finanzplätze wie London oder Luxemburg: Sie zeigen auf, wie sich ein Standort in einem sich regulatorisch stark angleichenden europäischen Wettbewerbsumfeld erfolgreich positionieren kann. Zugleich verdeutlichen sie die Bedeutung einer umsichtigen Finanzmarktpolitik. Eine solche Politik soll durch eine zielorientierte Gestaltung der Rahmenbedingungen für die Volkswirtschaft als Ganzes Nutzen schaffen. Dieser Nutzen äussert sich in Form von hochwertigen Finanzdienstleistungen für die Haushalte und Unternehmen, gesteigerter Wertschöpfung sowie in der Schaffung von Arbeitsplätzen.
Eine wichtige Aufgabe der Finanzmarktpolitik der Schweiz ist es, die Kohärenz des Policy-Mix der verschiedenen Instrumente zu gewährleisten. Eine so verstandene Finanzmarktpolitik schafft somit auch einen Orientierungsmassstab im Hinblick auf die nationale und die internationale Regulierungsgestaltung:
- Mit der Finanzmarktpolitik werden klare Ziele gesetzt, welche mit der Gestaltung der Rahmenbedingungen und damit auch mit der Finanzmarktregulierung angestrebt werden. Es sind dies Qualität, Stabilität und Integrität.[1]
- Bei der Gestaltung der Finanzmarktregulierung sind verschiedene Grundsätze zu beachten. Dazu gehören unter anderem Kosten-Nutzen-Überlegungen, das Schaffen einheitlicher, neutraler Wettbewerbsbedingungen oder die Orientierung an international anerkannten Standards. In Bezug auf den Prozess gehört der rechtzeitige Einbezug der Betroffenen bei der Gestaltung der Regulierung dazu.
- Als wichtiger Finanzplatz ist es für die Schweiz zentral, bei der Gestaltung internationaler Standards aktiv mitzuwirken. Dies bedingt ein konsequentes Einbringen von Schweizer Interessen in den namhaften Standardsetzungsgremien.
Europäischer Rechtsrahmen im Wandel
Die Dienstleistungserbringung von ausländischen Finanzintermediären ist weltweit sehr unterschiedlich und meistens restriktiv reguliert. Das Spektrum von Marktzutrittsbedingungen reicht von einem grundsätzlich offenen Marktzutritt bis hin zu einem gänzlichen Zutrittsverbot. Die Zutrittsbedingungen variieren je nach Geschäftsfeld. Als Folge der globalen Krise wurde die Finanzmarktregulierung vielerorts grundlegend verschärft. Vorrangige Ziele waren dabei die Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Finanzsysteme und die Erhöhung von Transparenz und Kundenschutz. Neben den USA hat auch die Europäische Union (EU) eine umfassende Reform der Finanzmarktregulierung für den EU/EWR-Raum initiiert. Zunächst standen Massnahmen zur Erhöhung der Stabilität und zur Stärkung des Kundenschutzes im Vordergrund. Heute wird vermehrt Gewicht auf wachstumsorientierte Massnahmen gelegt. Diese Reform soll zugleich die Harmonisierung und die Integration des europäischen Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen vorantreiben. Dazu soll der Marktzutritt für Finanzdienstleister aus Drittstaaten in den EU/EWR-Raum mittels einer Vereinheitlichung der Marktzutrittsvoraussetzungen für alle EU-Mitgliedstaaten verbindlich geregelt werden (Drittstaatenregime).
Auswirkungen auf die Schweiz
Die Regulierungsbestrebungen der EU stellen die Schweizer Finanzmarktpolitik vor grosse Herausforderungen. Nach Einschätzung der Branche ist der Zugang zum EU/EWR-Raum nämlich von vitaler Bedeutung für den Finanzmarkt Schweiz. Schweizer Finanzintermediäre exportieren einen bedeutenden Teil ihrer Dienstleistungen in den europäischen Markt. Der EU/EWR-Raum bildet aufgrund der engen geografischen und kulturellen Verbundenheit traditionell einen Schwerpunkt des grenzüberschreitenden Geschäfts der Schweizer Banken. Trotz geringer Wachstumsdynamik und Sättigungstendenzen bleibt der EU-Markt attraktiv für das grenzüberschreitende Geschäft. Falls die Schweiz den grenzüberschreitenden Zugang zum EU-Finanzmarkt in wichtigen Bereichen verliert, kann dies weitreichende Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes haben. Welche Handlungsspielräume bleiben der Schweiz also, um den Marktzutritt für Schweizer Finanzdienstleister in den EU/EWR-Raum – aber auch in wichtige andere (Wachstums-)Märkte – nachhaltig zu sichern oder zu erleichtern?
Äquivalenz: Einziges Lösungskonzept?
In zahlreichen bereits verabschiedeten oder zumindest im Entwurfsstadium vorliegenden EU-Regulierungen finden sich über alle Sektoren im Finanzbereich hinweg zum Teil sehr unterschiedlich ausgestaltete Drittstaatenregimes. Sie machen den Marktzutritt für Finanzdienstleister aus Drittstaaten unter anderem davon abhängig, ob das Heimatland des Anbieters über eine im Vergleich mit der EU äquivalente (Drittstaaten-)Regulierung verfügt. Ursprünglich im Verhältnis zwischen EU und USA diskutiert, wird Äquivalenz nunmehr von der EU als fester Bestandteil von harmonisierten Drittstaatenregeln in der EU-Regulierung aufgenommen.
Der Äquivalenzansatz mit Chancen …
Der von der EU-Kommission gewählte Ansatz der Äquivalenz bietet der Schweiz zahlreiche Vorteile. Im Vordergrund steht die Schaffung einheitlicher Marktzutrittsbestimmungen für Drittstaaten. Damit können die derzeit noch sehr fragmentierten nationalen Marktzutrittsvorschriften überwunden und identische Wettbewerbsbedingungen für alle Finanzdienstleister aus einem Drittstaat für den EU/EWR-Raum geschaffen werden. Aus innenpolitischer Sicht bietet eine Äquivalenzstrategie für die Schweiz relativ moderate Hürden, weil sie im Ergebnis einen Gleichlauf der Gesetzgebungsprozesse mit den Interessen der Betroffenen gewährleistet: Wo der Nutzen eines Marktzutritts als überwiegend beurteilt wird, sind äquivalente Regeln anzustreben. Wo die Kosten überwiegen, dürfte eine eigenständige Lösung bevorzugt werden. In zeitlicher Hinsicht bietet der Äquivalenzansatz – sofern der Regulierungsbedarf rechtzeitig erkannt wird – im Regelfall ein flexibles Instrument, um den Marktzutritt zu erreichen. In ökonomischer Hinsicht ist mit einer (einzelfallbezogenen) Entscheidung zugunsten einer EU-äquivalenten Regulierung in der Tendenz ein hohes Wertschöpfungspotenzial verbunden. Denn damit lässt sich spezifisch in denjenigen Bereichen Äquivalenz erzielen, welche ein entsprechendes Ertragspotenzial versprechen. Auch bleibt es bei einer schweizerischen Regulierung mit ihren Zuständigkeiten und Rechtswegen.
… aber auch mit Risiken
Allerdings bestehen auch Nachteile dieses prima vista als Königsweg erscheinenden Ansatzes. Der Umfang der Äquivalenzprüfung variiert je nach Regulierungsprojekt stark, und es gibt keine einheitliche und klare Definition des Äquivalenzmassstabs. Je nach Regulierungsprojekt bewegt sich dieser zwischen einem buchstabengetreuen Rechtsvergleich und einer ergebnisorientierten Betrachtungsweise. Aus Sicht der betroffenen Drittstaaten birgt diese Unschärfe potenziell erhebliche Rechtsunsicherheiten. Insofern garantiert ein in der Schweiz verfolgter Äquivalenzansatz noch keinen effektiven Marktzutritt, weil die EU-Kommission einseitig über das Vorliegen einer äquivalenten schweizerischen Finanzmarktregulierung und -aufsicht entscheidet. Aus dem einseitigen Anerkennungsverfahren ergibt sich für die Schweiz zudem ein Abhängigkeitsverhältnis zur EU. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die EU-Kommission sich in ihrem Äquivalenzentscheid von anderen Dossiers im Verhältnis mit der Schweiz leiten lässt. Das Äquivalenz-Gütesiegel ermöglicht auch nicht in allen Bereichen eine Zulassung in der gesamten EU (EU-Pass). Der gewichtigste Nachteil ist jedoch, dass das Äquivalenzerfordernis nicht zwingend das einzige Marktzutrittshindernis im Rahmen der Drittstaatenregimes darstellt. Beispielsweise musste im Verlauf der Revision der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente Mifid II[2] lange Zeit mit einem Zweigniederlassungserfordernis gerechnet werden. Es ist nicht auszuschliessen, dass derartige zusätzliche Marktzutrittshindernisse auch in künftigen Regulierungen wieder ein Thema sein können. Diesfalls wäre eine Äquivalenzstrategie für sich alleine nicht ausreichend, um den Marktzutritt zu gewährleisten.
Laufender Anpassungsbedarf – beschränkter Einfluss
Für den Staat ist die einzelfallweise Entscheidung über Umfang und Intensität einer EU-äquivalenten Regulierung mit einigem Aufwand verbunden. Die Äquivalenz ist keine beständige Grösse, die sich nicht mehr verändert, hat man sie einmal erreicht. Sie setzt ein systematisches und umfassendes Monitoring der Regulierungsentwicklung in der EU voraus. Angesichts des komplexen EU-Regulierungsrahmens und der Unvorhersehbarkeiten im EU-Regulierungsprozess besteht keine Gewähr dafür, dass marktzutrittsrelevante Querbezüge oder gar neue unmittelbare Marktzutrittshürden zeitnah identifiziert und behoben werden können. Unter dem Äquivalenzgrundsatz bewahrt sich die Schweiz zwar Handlungsautonomie bei der Entscheidung, ob sie eine Angleichung an die EU-Regulierung wünscht. Sie hat aber grundsätzlich keinen Einfluss darauf, wie die EU-Regulierung aussieht. Mit gezielten politischen und technischen Interventionen kann sie versuchen, drohende Verschlechterungen der Marktzugangsbedingungen zu adressieren. Allerdings sind die Erfolgsaussichten angesichts des Drittstaatenstatus der Schweiz, der Vielzahl der in EU-Gesetzgebungsprozessen beteiligten Akteure und der materiellen Breite der Regulierungsvorhaben als sehr begrenzt einzuschätzen.
Langfristig sind weitere Massnahmen notwendig
Aus finanzmarktpolitischer Sicht bietet die europäische Rechtsentwicklung Chancen und Risiken zugleich. Durch harmonisierte Drittstaatenregeln werden klare Voraussetzungen geschaffen, an denen sich ein Drittstaat orientieren kann. Erfüllt der Drittstaat diese Kriterien, werden dessen Finanzdienstleister mit Marktzutritt belohnt. Die Prüfung erfolgt einseitig durch die EU und ist daher aus Sicht des Drittstaates mit erheblicher Unsicherheit verbunden.
Eine Äquivalenzstrategie kann aus Sicht der Schweiz auch in denjenigen Bereichen sinnvoll sein, in denen keine explizite EU-Drittstaatenregelung besteht. Dies ist beispielsweise bei Mifid II im Privatkundengeschäft der Fall. Hier gibt es Spielraum für bilaterale Vereinbarungen mit einzelnen EU-Mitgliedstaaten betreffend den Marktzutritt. Um Marktchancen zu erhalten und Reputationsrisiken zu vermeiden, ist es daher sinnvoll, sich bei der Ausgestaltung der Finanzmarktregulierung an den international gängigen Standards beziehungsweise an der Regulierung der wichtigsten Handelspartner zu orientieren. Auch aus Kostenüberlegungen bevorzugen international tätige Finanzdienstleister möglichst einheitliche Regeln. Heterogene Anforderungen erhöhen den Aufwand zur Umsetzung und Kontrolle der Anforderungen und auch die damit verbundenen operationellen und rechtlichen Risiken.
Insgesamt ermöglicht eine ausschliesslich auf Äquivalenz ausgerichtete Schweizer Finanzmarktpolitik den am Marktzugang interessierten Schweizer Finanzdienstleistern keine langfristige Planungssicherheit. Eine Verbesserung des Marktzutritts ist mittels Äquivalenzansatz allein oft kaum möglich. Er kann häufig lediglich den bestehenden Marktzugang bewahren, sofern die EU-Regulierung ein solches Erfordernis vorsieht. Der Äquivalenzansatz sollte zwar ein wichtiger Teil der Gesamtstrategie zum Marktzutritt sein. Er muss jedoch durch langfristig wirkende Optionen zur Sicherung und Verbesserung des Marktzutritts ergänzt werden.
Zitiervorschlag: Gerber, David; Buerki Kronenberg, Fred (2014). Die internationale Regulierungsentwicklung fordert die Schweizer Finanzmarktpolitik heraus. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.
Die bundesrätliche Finanzmarktpolitik sieht bei der Ausarbeitung der Regulierung die Anwendung verschiedener Grundsätze vor.a Bei der Ausgestaltung des Finanzdienstleistungs- und des Finanzinstitutsgesetzes wurde diesen Grundsätzen Rechnung getragen, wie folgende Beispiele zeigen: So soll die Standortattraktivität durch einen zum europäischen Recht vergleichbaren Rahmen und damit verringerte regulatorische Marktzugangshindernisse verbessert werden. Mit der horizontalen Gesetzgebung sollen neutrale Wettbewerbsvoraussetzungen für alle Finanzdienstleister, die Finanzprodukte vertreiben, sichergestellt werden. Dies gilt auch für ausländische, grenzüberschreitend tätige Anbieter, bei denen auf unverhältnismässige organisatorische Hürden wie einen Filialzwang verzichtet wurde. Während der Ausarbeitung der Gesetze wurden Kosten-Nutzen-Überlegungen für die Marktteilnehmer vorgenommen und eine Regulierungsfolgenabschätzung erstellt. Im Streben, transparent und verständlich zu regulieren und Betroffene einzubeziehen, wurde ein Hearing durchgeführt, mittels dessen die Öffentlichkeit und die interessierten Kreise sehr früh in der Ausarbeitungsphase über die geplanten Stossrichtungen informiert und angehört wurden. Die Erkenntnisse aus dem Hearing sind in die Ausarbeitung der Vernehmlassungsvorlage eingeflossen.
a Vgl. Bericht zur Finanzmarktpolitik des Bundes vom 19.12.2012 (S. 17 f.).