In der Finanzkrise erlitten Anleger in der Schweiz teils schmerzliche Verluste. Handlungsbedarf zeigten nicht zuletzt Skandale wie das globale Anlagekonstrukt um Bernard Madoff auf. (Bild: Keystone)
Vertrauen in das Finanzsystem und in den Finanzplatz ist die Basis für einen erfolgreichen Finanzmarkt. Um dieses Vertrauen zu schaffen, braucht es nicht nur integres Handeln seitens der Finanzintermediäre, sondern auch die Gewissheit, dass sich die Beteiligten an bestimmte Regeln halten müssen. Diese Regeln müssen glaubwürdig und gegebenenfalls mit Unterstützung der dazu notwendigen Aufsichtsinstrumente umgesetzt werden. Die Finanzmarktregulierung versucht, die unterschiedlichen Kräfteverhältnisse auszugleichen, die zwischen den Anlegern und Kunden einerseits sowie den Finanzintermediären andererseits bestehen. Die Komplexität gewisser Produkte, die erhöhte Risikobereitschaft durch Wettbewerbsdruck und operative Risiken, die von den Finanzintermediären ausgehen können, führen zu gesteigerten Anforderungen an die Regulierung, welche Sicherheit und Transparenz schaffen muss.
Regulierungslücken wurden aufgedeckt
Die Finanzkrise hat uns die Too-big-to-fail-Problematik und den entsprechenden regulatorischen Handlungsbedarf im Bereich der Stabilität der Finanzmärkte vor Augen geführt. Sie hat zudem gezeigt, dass das geltende Finanzmarktrecht die Kunden nur unzureichend schützt. Mit der Insolvenz von Lehman Brothers haben auch in der Schweiz Anleger teils schmerzlich erfahren müssen, dass «100% Kapitalschutz» nicht zwingend heissen muss, dass die angelegten Gelder auch tatsächlich wieder zurückfliessen. Das Gegenparteirisiko – respektive das Interesse daran, wer nun tatsächlich für die Rückzahlung einer Anlage geradestehen muss – bekam zu Recht wieder eine ganz andere Bedeutung. Neben der Frage der Herkunft einer Vertragspartei sind auch die Unterschiede der verschiedenen Anlageformen wieder vermehrt ins Bewusstsein getreten: beispielsweise die Unterscheidung zwischen einem strukturierten Produkt, einem Anlagefonds oder einer fondsgebundenen Lebensversicherung.
Handlungsbedarf zeigten nicht zuletzt Skandale wie das globale Anlagekonstrukt um Bernard Madoff auf. Auch in der Schweiz kam es zu Fällen wie dem Aktienschwindel rund um die Aargauer ASE Investment AG, die über 500 Investoren um ihr Geld in dreistelliger Millionenhöhe bangen lässt. Skandale lassen sich zwar nie gänzlich verhindern. Jedoch kann deren Eintretenswahrscheinlichkeit wesentlich gesenkt werden, wenn für vergleichbare Tätigkeiten gleichwertige Regeln gelten und die Anleger transparent und verständlich über die wesentlichen Eckpunkte rund um eine Anlage informiert sind. Zu diesen Informationen gehören nicht nur die mögliche Gewinnmaximierung und die vergangene (positive) Performance. Wichtig sind insbesondere Kenntnisse über die in- oder ausländische Gegenpartei, das Verlustrisiko, die anfallenden Kosten und die Aufklärung über unterschiedliche Interessenlagen wie beispielsweise im Bereich der Retrozessionen.
Zielsetzung der bereinigten Architektur
Die bestehenden Finanzmarktgesetze sind in vielen Fällen ein Resultat eines konkreten Regelungsbedarfs zur Zeit ihrer Entstehung. Dies führt dazu, dass im Finanzmarkt für vergleichbare Sachverhalte branchenabhängig eine sehr unterschiedliche Regelungsdichte besteht. Entsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen an die Erbringer von Finanzdienstleistungen. So sind das Pfandbriefgesetz wie das Bankengesetz Antworten auf die Bankenkrise Anfang der 1930er-Jahre. Das Börsengesetz ist eine Reaktion auf die sich entwickelnden Märkte und Produkte, die für den regulierten Markt und seine Teilnehmer eine eigenständige Regelung notwendig machten. Das heutige Kollektivanlagengesetz (KAG) hatte bereits zwei Gesetzgebungen zum Anlagefonds als Vorgänger, die jedoch nur die vertragliche kollektive Kapitalanlage zum Gegenstand hatten. Im Vergleich zu den kollektiven Kapitalanlagen sind beispielsweise die strukturierten Produkte heute aber weitgehend gesetzlich ungeregelt, was kaum zu rechtfertigen ist.
Eine erste Regulierung eines Spezialbereichs, der für alle Finanzintermediäre vergleichbare Anforderungen hervorbrachte, war der Erlass des Geldwäschereigesetzes (GwG). Erst mit dem Finanzmarktaufsichtsgesetz (Finmag) wurde dann auch die Aufsicht über die Finanzintermediäre zu einem grossen Teil einheitlichen Regeln unterworfen. Bis zu jenem Zeitpunkt kannte jedes Finanzmarktgesetz eigene Aufsichtsregeln und definierte eigene Massnahmen zur Durchsetzung, auch wenn teilweise die gleiche Aufsichtsbehörde zuständig war.
Mit der bereinigten Architektur der Finanzmarktregulierung sollen die regulatorischen Anforderungen für den gesamten Finanzmarkt einheitlich ausgestaltet werden, um so unter den Finanzintermediären ein Level Playing Field, also neutrale Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Unterschiedliche Anforderungen sollen nach sachlichen Gesichtspunkten – wie der Komplexität von Produkten oder Dienstleistungen, der Schutzbedürftigkeit der Kunden oder der Krisenanfälligkeit des Finanzdienstleisters – abgestuft werden. Zielsetzungen der gesamten Finanzmarktregulierung sind – neben dem Kunden- und Anlegerschutz – die Stabilität des Finanzsystems, die Förderung des Wettbewerbs unter den Finanzintermediären sowie der Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Finanzplätzen. Dabei können die Finanzmarktgesetze nicht unmittelbar den Zugang zu ausländischen Märkten herstellen. Ihre zu ausländischen Regularien äquivalente Ausgestaltung ist jedoch die Voraussetzung, um auf dem politischen Weg den Marktzugang erreichen zu können.
Vier Ebenen der Finanzmarktregulierung
Der Inhalt der Finanzmarktregulierung lässt sich in vier unterschiedliche Bereiche aufteilen. Ziel ist es, diese vier Ebenen einer konsistenten und in sich weitgehend geschlossenen Regulierung zuzuführen.
Aufsicht
Die Aufsichtsgesetzgebung regelt die Organisation der Aufsicht und deren Beziehung zu den einzelnen Finanzintermediären. Das Finmag bestimmt bereits heute die Organisation der Aufsichtsbehörde Finma sowie einen Grossteil der ihr zur Verfügung stehenden Aufsichtsinstrumente. Soweit die künftige Aufsicht über die Vermögensverwalter nicht durch die Finma, sondern durch eine oder mehrere andere Aufsichtsbehörden erfolgen soll, wird auch diese im Finmag zu regeln sein. Ins Finmag überzuführen sind noch vereinzelte Aufsichtsinstrumente, deren unterschiedliche Regelung in einzelnen Finanzmarktgesetzen sich heute nicht mehr rechtfertigt. Eine einheitliche gesetzliche Grundlage ist sodann für die Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Behörden zu schaffen. Hier sind heute unterschiedliche Regelungen noch weniger als bisher zu rechtfertigen. Bezüglich der Systemstabilität definiert das Nationalbankgesetz (NBG) die Organisation und die Zuständigkeit der Nationalbank in diesem Bereich.
Finanzmarktinfrastruktur
Im neuen Finanzmarktinfrastrukturgesetz (Finfrag) werden sämtliche Finanzmarktinfrastrukturen in einem Gesetz umfassend geregelt und aufeinander abgestimmt. Bisher war die Regelung der Finanzmarktinfrastrukturen auf unterschiedliche Gesetze verteilt, soweit bisher bereits eine entsprechende Regelung bestand. Neu erfasst das Finfrag auch den Derivatehandel. Mit der Überführung der Marktverhaltensregeln – zusätzlich zur Neuregelung der Börse – ins Finfrag wird das Börsengesetz (BEHG) auf die Regelung der Effektenhändler beschränkt. Das Finfrag enthält Regeln für sämtliche Marktteilnehmer und stellt die Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes sicher.
Finanzinstitute
Die Institutsregulierung befasst sich mit den verschiedenen Bewilligungsformen für Finanzintermediäre. Neben den Bewilligungsvoraussetzungen und übrigen Anforderungen, die von prudenziell überwachten Instituten laufend eingehalten werden müssen, sind auch Regelungen betreffend Entlassung aus der Aufsicht mit erfasst. Je nach Tätigkeit des Finanzintermediärs finden schliesslich eigenständige Liquidations- und Insolvenzregeln Anwendung. Einheitliche Regeln sind zudem bei der Anerkennung ausländischer Finanzintermediäre notwendig.
Die Bewilligungsformen und verschiedenen Bewilligungsvoraussetzungen sind heute in einer Vielzahl von Gesetzen geregelt. Mit dem neuen Finanzinstitutsgesetz (Finig) sollen die Bewilligungsformen, welche die Verwaltung von Kundenvermögen erfassen, in einem einheitlichen Erlass kohärent geregelt und aufeinander abgestimmt werden. Neben den zwei Formen des Vermögensverwalters betrifft dies die Wertpapierhäuser (bisher Effektenhändler), die Fondsleitung und schliesslich auch die Banken. Nachdem das Börsengesetz bereits mit dem Finfrag auf die Regelung der Effektenhändler reduziert worden ist, kann es mit der Neuregelung der Wertpapierhäuser vollständig aufgehoben werden. Das Kollektivanlagengesetz wird mit der Überführung der Fondsleitung und der Asset-Manager zu einem reinen Produktegesetz. Schliesslich lässt sich auch das Bankengesetz ins Finig überführen. Eigenständig bestehen bleiben das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), da bei einer Versicherung die Risikoabdeckung des Kunden im Vordergrund steht, sowie die Spezialgesetzgebung zu den Pfandbriefen.
Finanzdienstleistungen
Das neue Finanzdienstleistungsgesetz (Fidleg) regelt schliesslich für alle Finanzintermediäre deren Beziehung zu ihren Kunden. Das Spektrum der Bestimmungen reicht von der Produktion von Finanzdienstleistungen mit Prospektpflichten und der Pflicht, den Kunden ein Basisinformationsblatt zur Verfügung zu stellen, über den Vertrieb mit entsprechenden Verhaltensregeln am Point of Sale bis hin zur Rechtsdurchsetzung. Das Kollektivanlagengesetz bleibt als Produktegesetz für die spezialgesetzlichen Anlageformen bestehen. Unverändert bleiben die Pflichten im Zusammenhang mit dem Geldwäschereigesetz.
Zitiervorschlag: Roth, Daniel (2014). Bereinigte Architektur des Finanzmarktrechts. Die Volkswirtschaft, 02. September.