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Aus Sicht des Kantons Freiburg sind die lateinischen Eigenheiten ungenügend berücksichtigt

Die deutsche und die lateinische Schweiz teilen gemeinsame Werte. Diese finden sich in der Steuerung der Arbeitsämter wieder, deren ökonometrisches Modell von den Kantonen einhellig begrüsst wird. Der Röstigraben zeigt sich aber in Mentalitätsunterschieden zwischen den beiden grossen Sprachregionen. Diese Situation ärgert die lateinischen Kantone. Seit 14 Jahren wird die öffentliche Arbeitsvermittlung zielorientiert anhand von vier Indikatoren gesteuert. Die Aufgabe ist für alle dieselbe, nämlich die Bestimmungen des Avig anzuwenden, um die Stellensuchenden möglichst rasch und nachhaltig in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Weshalb also nicht jene Faktoren gebührend berücksichtigen, welche die lateinischen Kantone schlechterstellen? Der Kanton Freiburg, in dem die Sprachregionen zusammentreffen, nimmt dazu Stellung.

Die erste Bemerkung zum Evaluationssystem bezieht sich auf dessen Effizienz. Alle Studien zeigen, dass die Führung der öffentlichen Arbeitsvermittlung eine Erfolgsgeschichte ist. Allerdings ist festzuhalten, dass der Akzent auf eine rasche Wiedereingliederung gelegt wird.

Kann die öffentliche Arbeitsvermittlung noch besser werden? Diese Frage führt zur zweiten Bemerkung: Ja, das kann sie. Seit der Einführung der Wirkungsindikatoren im Jahr 2000 haben sich die Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) verändert. Alle Kantone haben ihre Betreuung der Stellensuchenden revidiert, um einerseits die Gleichbehandlung zu sichern und andererseits die Schwachpunkte im Prozess aufzudecken. Dies ist eine Präzisionsarbeit, denn nur die Gleichbehandlung – also die Sicherstellung, dass alle RAV-Beratenden gleich vorgehen – kann Verbesserungen hervorbringen. Die Folge dieses Verbesserungsprozesses ist, dass es von Jahr zu Jahr anspruchsvoller wird, das schweizerische Mittel zu erreichen.

Die dritte Bemerkung ergibt sich aus den zwei ersten: Die Indikatoren fördern den Wettbewerb zwischen den Kantonen. Vor noch nicht allzu langer Zeit publizierte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) jeweils eine Rangliste vom «besten» bis zum «am wenigsten guten» Kanton. Dies führte wiederholt zu medialem Trommelfeuer und geharnischten Reaktionen jener Kantone, die am schlechtesten abschnitten. Letztere konnten sich oft nicht erklären, weshalb sie in der Bewertung abfielen. Auch die Zeit, als das Seco die «guten» Kantone finanziell belohnte und ihnen gleichzeitig mit einer Busse drohte, falls sie sich verschlechtern sollten, ist noch nicht lange her. Dies waren alte Reflexe eines überholten New Public Management. Nach wie vor ist das Seco nicht in der Lage, die Ursachen für die Unterschiede stichhaltig zu erklären. Heute veröffentlicht das Amt regelmässig Studien zu den Indikatoren und schickt den Kantonen ein unverbindliches Ranking. Wir vermuten, dass sich die Verantwortlichen der Arbeitsämter weniger am schweizerischen Mittel als an ähnlich abschneidenden Kantonen orientieren.


Ein perfektionierbares System


Ab dem 1. Januar 2015 werden zwei neue Indikatoren die zur Verfügung stehenden Instrumente ergänzen. Es ist nichts als gerecht, auch jene Personen zu berücksichtigen, die sich bei den RAV anmelden, aber noch keine Taggelder beziehen. Dieses Kriterium entspricht voll und ganz dem Avig, gemäss dem das Vermeiden von Arbeitslosigkeit zu den Aufgaben der RAV gehört. Legitim ist auch der Einbezug der Ausgesteuerten in die Evaluation. Denn diese können die Dienste der RAV in Anspruch nehmen, auch wenn sie keine Taggelder mehr beziehen.Ein perfektes System? Nein, sondern ein perfektionierbares! Was die lateinischen Kantone verärgert, ist die Weigerung, die Mentalitätsunterschiede zur Deutschschweiz zu berücksichtigen. Am Beispiel des Kantons Freiburg sieht man es deutlich: Im deutschsprachigen Teil ist die Arbeitslosenquote tiefer. Dafür lassen sich zahlreiche Erklärungen anführen; eine davon besteht jedoch in einer Abneigung der Deutschschweizer, staatliche Leistungen bei der Arbeitssuche in Anspruch zu nehmen. Für das Seco kommt es nicht infrage, dieses Kriterium zu berücksichtigen – auch nicht in den exogenen Faktoren, die jene Gegebenheiten korrigieren sollen, welche die Kantone nicht beeinflussen können. Die lateinischen Arbeitsämter weisen seit Jahren darauf hin, dass das unterschiedliche Verhältnis zum Staat, das in der lateinischen und der deutschen Schweiz gepflegt wird, nicht in die exogenen Faktoren aufgenommen wurde. Denn der Umstand, dass in der lateinischen Schweiz grössere Erwartungen an staatliche Leistungen gestellt werden, erschwert und verlängert tendenziell die Begleitung, die Motivation und die Kontrolle der Stellensuchenden durch die RAV. Das Bundesgesetz ist für alle gleich: Entweder besteht ein Anspruch auf ALV-Leistungen, oder er besteht nicht. Die Gleichbehandlung leitet sich von diesem Recht ab und nicht vom Willen einer Person, dieses in Anspruch zu nehmen oder nicht.

Charles de Reyff Vorsteher des Amts für den Arbeitsmarkt des Kantons Freiburg


Zitiervorschlag: Charles de Reyff (2014). Aus Sicht des Kantons Freiburg sind die lateinischen Eigenheiten ungenügend berücksichtigt. Die Volkswirtschaft, 11. Dezember.