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Stärkere internationale Einbindung der Schweizer Wirtschaft, höhere Arbeitsanforderungen

Mittels neuer Daten, welche die OECD zur Einbindung der Schweizer Wirtschaft in Wertschöpfungsketten bereitstellt, kann ausgewertet werden, welche Spuren diese auf dem Schweizer Arbeitsmarkt hinterlassen. Eine entsprechende Analyse liefert Hinweise darauf, dass die Einbindung in globale Wertschöpfungsketten den allgemeinen Trend hin zu höheren Anforderungen beschleunigt. Die verstärkte Einbindung trägt wohl auch dazu bei, dass mehr Arbeitsplätze am Anfang der Wertschöpfungskette – insbesondere in Forschung und Entwicklung – geschaffen werden.
Für die Schweiz gab es bisher keine quantitativen Untersuchungen, welche sich der Einbindung in internationale Wertschöpfungsketten und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt angenommen haben. Dies liegt daran, dass bisher kaum standardisierte Daten zu den Wertschöpfungsketten – die sich durch den Handel von Zwischenprodukten oder Zwischendienstleistungen auszeichnen – vorlagen. Eine Studie, die B,S,S. Volkswirtschaftliche Beratung im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) durchführte, konnte neue Daten nutzen, die 2013 erstmals von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) veröffentlicht wurden. Die Trade-in-Value-Added-Daten (TiVA)dokumentieren die Entwicklung für 18 Branchen zwischen 1995 und 2009.[1]

Diese Daten ermöglichen, das neue Phänomen zu quantifizieren und es in Relation zu Kennzahlen des Arbeitsmarkts zu setzen. In der Studie wurde deskriptiv untersucht, ob bei intensiv an Wertschöpfungsketten partizipierenden Branchen andere Ergebnisse auf dem Arbeitsmarkt zu beobachten sind als bei nicht intensiv eingebundenen. Mit Regressionen, die verschiedene weitere Einflussgrössen konstant halten, wurde zudem analysiert, ob die Veränderungen der Partizipation über die Zeit mit den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt in Verbindung stehen.

Vier Indikatoren für die Einbindung in Handelsströme

Die Einbindung in Handelsströme wurde mit vier Indikatoren gemessen:

  • Exportanteil: der Anteil der Bruttoproduktion einer Branche, der exportiert wird;
  • Importanteil: der Anteil der Bruttoproduktion, der importiert wird;
  • Backward-Participation: Wertschöpfung aus dem Ausland, die von der Schweiz selbst wieder exportiert wird, im Verhältnis zur Bruttoproduktion;
  • Forward-Participation: Schweizer Wertschöpfung, die in den Export anderer Länder einfliesst, im Verhältnis zur Bruttoproduktion.

Während die ersten beiden Indikatoren traditionellerweise für die Einbindung in die Handelsströme verwendet werden, bilden die beiden letzteren den zunehmend wichtiger werdenden Handel von Zwischenprodukten und -dienstleistungen ab. Um die Bedeutung dieser neuen Form der Partizipation am internationalen Handel für den Arbeitsmarkt zu erfassen, werden Backward- und Forward-Export in Beziehung zur Bruttoproduktion einer Branche gesetzt.[2]

Die vier betrachteten Indikatoren sind positiv korreliert: Branchen, die viel exportieren, importieren auch viel. Die neuen Kennzahlen (Backward- und Forward-Participation) gehen ebenfalls weitgehend Hand in Hand mit den traditionellen Indikatoren. Dies liegt einerseits daran, dass exportierende Branchen häufig auch Zwischenprodukte ein- und ausführen. Andererseits sind die Backward- und die Forward-Participation, wie wir sie messen (nämlich als Anteil an der Bruttoproduktion), stark durch den Exportanteil einer Branche getrieben: je grösser der Exportanteil, desto höher der Partizipationswert.

Beinahe Verdoppelung der Einbindung

Exportanteil, Importanteil sowie Backward- und Forward-Participation haben bei fast allen Branchen über die Zeit stark zugenommen (siehe Grafik 1 und Grafik 2 für die Werte der Backward- und der Forward-Participation). Insgesamt hat sich die Einbindung in Wertschöpfungsketten im Beobachtungszeitraum 1995 bis 2008 fast verdoppelt. Branchen, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, weisen viel Forward- und wenig Backward-Participation auf (Beispiele: Bergbau, Finanzdienstleister). Diese Branchen erzeugen Produkte und Dienstleistungen, die in verschiedenen Ländern weiterverarbeitet werden und in den Export zurückfliessen. Es sind aber auch Branchen, für deren Produktion wenig (importierte) Zwischenprodukte eingesetzt werden. Bei Branchen, die am Ende der Wertschöpfungskette stehen, ist es umgekehrt (Beispiele: Nahrungsmittel-, Uhrenindustrie). Verschiedene Branchen sind aber weder eindeutig am Anfang oder am Ende zu positionieren und weisen bei beiden Indikatoren hohe oder tiefe Werte auf.

Im Folgenden fassen wir die wichtigsten Resultate unserer Analyse der Auswirkungen der Einbindung in die internationalen Handelsströme auf den Schweizer Arbeitsmarkt zusammen.[3] Zu beachten ist, dass sich alle Auswertungen auf die Tätigkeiten im zweiten und dritten Wirtschaftssektor (Industrie- und Dienstleistungssektor) sowie Anstellungen im Privatsektor beziehen. Neben den TiVA-Daten der OECD verwendeten wir für die Analyse die Lohnstrukturerhebung (LSE), die Schweizerische Arbeitskräfteerhebung (Sake) sowie die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundesamts für Statistik.

Einfluss auf die Spezialisierung nach Tätigkeiten

Als konzeptioneller Rahmen wurde die Smile-Kurveverwendet: Deren Kernaussage ist, dass sich moderne Volkswirtschaften auf die Tätigkeiten am Anfang (z. B. Forschung und Entwicklung) und am Ende (z. B. Marketing) der Wertschöpfungskette konzentrieren, in denen die höchste Wertschöpfung generiert werden kann. Um dies für die Schweiz zu untersuchen, wurden die Tätigkeiten in drei Phasen eingeteilt: Konzeptions-, Herstellungs- und Vermarktungsphase. Laut Smile-Kurve wären eine Stärkung der Konzeptions- und Vermarktungsphase und eine Schwächung der Herstellungsphase zu erwarten. Die Auswertungen zeigen:

  • Tätigkeiten der Konzeptionsphase nahmen in den intensiv eingebundenen Branchen stärker zu als in den anderen Branchen. Augenfällig ist insbesondere die Zunahme von Arbeitsplätzen in der Forschung und Entwicklung, die bei den intensiv eingebundenen Branchen weitaus stärker war als bei den nicht intensiv eingebundenen (siehe Grafik 3).
  • Der Anteil der Tätigkeiten derHerstellungsphase nahm in den Branchen, die intensiv in den Handel und die internationale Arbeitsteilung eingebunden sind, ab. Allerdings gingen in den nicht intensiv eingebundenen Branchen noch mehr Arbeitsplätze in der Herstellungsphase verloren.
  • Bei der Analyse zur Vermarktungsphaseergeben sich je nach betrachteter Tätigkeit und betrachtetem Beruf unterschiedliche Ergebnisse. Einzig für die Berufe der Werbung und des Marketings ist bei den intensiv eingebundenen Branchen ein grösseres Wachstum festzustellen als in den nicht intensiv eingebundenen Branchen.

Die Resultate zeigen somit keine klare Verschiebung der Tätigkeiten von der Herstellungsphase zum Ende der Smile-Kurve hin; es ist aber eine Stärkung der Tätigkeiten zu Beginn der Wertschöpfungskette zu beobachten. Bei der Interpretation ist zu beachten, dass der Beobachtungszeitraum (1996 bis 2008) frühere Rationalisierungsphasen ausklammert. So ist denkbar, dass die in den Wertschöpfungsketten eingebundenen Branchen aufgrund des Marktdrucks solche früher umsetzten, was in einer weniger starken Abnahme der Tätigkeiten der Herstellungsphase im Beobachtungszeitraum resultiert.

Einfluss auf die Qualifikationsstrukturen

Um zu untersuchen, welchen Einfluss die Einbindung in Wertschöpfungsketten auf die in der Schweiz angebotenen Arbeitsplätze ausübt, haben wir Daten zu den Anforderungsniveaus der Stellen sowie zur Ausbildung der Mitarbeitenden ausgewertet. Die LSE unterscheidet vier Anforderungsniveaus, von «höchst anspruchsvoll und schwierig» bis zu «einfach und repetitiv». Die Ausbildungen werden in der LSE differenziert erhoben; wir haben die verschiedenen Ausbildungen in den Gruppen Sekundarstufe I, Sekundarstufe II und Tertiärstufe zusammengefasst. Bei der Auswertung haben wir Branchen, die stark in Wertschöpfungsketten integriert sind, mit jenen verglichen, die nicht stark integriert sind(Querschnittvergleich). Für die intensiv eingebundenen Branchen werden im Vergleich zu den nicht intensiv eingebundenen Branchen höhere Qualifikationen (d. h. höhere Anforderungen und Ausbildungen) erwartet. Zudem haben wir ausgewertet, wie sich die Partizipation an Wertschöpfungsketten und die Qualifikationsstrukturen über die Zeit innerhalb der gleichen Branche verändern (Längsschnittanalyse). Eine verstärkte Einbindung einer Branche in die internationale Arbeitsteilung sollte sich in einer Stärkung der höheren Qualifikationen niederschlagen.

Auf Basis der Querschnittvergleiche sind keine eindeutigen Schlüsse möglich, und zwar weder in Bezug auf die Anforderungsniveaus noch auf die Ausbildungen: Es sind nur geringe Unterschiede in der Qualifikationsstruktur zwischen stark und schwach integrierten Branchen festzustellen. Eine Ausnahme bilden Branchen, die gemäss Forward-Participation stark in die internationale Arbeitsteilung integriert sind. Hier treten höhere Qualifikationen häufiger auf. Die Resultate sind allerdings stark durch die Branchen Finanz- und Versicherungsdienstleistungen sowie Unternehmensdienstleistungen geprägt, die sehr hohe Qualifikationsniveaus aufweisen und gemäss Forward-Participation intensiv in Wertschöpfungsketten eingebunden sind.

Die Längsschnittanalysen hingegen weisen darauf hin, dass die höheren Anforderungsniveaus durch die Einbindung in globale Wertschöpfungsketten in der Tendenz gestärkt wurden. Insbesondere hat der Anteil der Tätigkeiten mit dem höchsten Anforderungsniveau (höchst anspruchsvolle und schwierige Tätigkeiten) mit zunehmender Einbindung in Wertschöpfungsketten zugenommen. Die Nachfrage nach tieferen Anforderungsniveaus nahm durch die Einbindung entsprechend ab. Die Effekte sind substanziell: Die Branche Metallerzeugung und -erzeugnisse verzeichnete beispielsweise von 1995 bis 2008 mit +8,6 Prozentpunkten die grösste Zunahme bei der Forward-Participation. Die Schätzung ergibt, dass durch die verstärkte Einbindung der Branche in globale Wertschöpfungsketten der Anteil der Arbeitsplätze mit höchstem Anforderungsniveau um 9 Prozentpunkte gestiegen ist (ceteris paribus).[4]

Was die Ausbildung betrifft, werden mit zunehmender Partizipation an der internationalen Arbeitsteilung mehr Personen auf der Sekundarstufe II nachgefragt. Dies gilt allerdings nur bei Betrachtung der Backward-Participation (die Resultate hinsichtlich der anderen Indikatoren sind statistisch nicht signifikant).

Fazit: Beschleunigung eines allgemeinen Trends

Insgesamt zeigen die Auswertungen, dass die Einbindung in Handelsströme stark zugenommen hat, sowohl was die traditionellen Masse für die Einbindung (Export und Import) betrifft wie auch die neueren Kennzahlen (Backward- und Forward-Participation). Diese Einbindung geht – so viel lässt eine vorsichtige Interpretation der noch rudimentären Datenlage zu den Wertschöpfungsketten zu – mit einer verstärkten Nachfrage nach höheren Anforderungen Hand in Hand. Es zeigt sich auch, dass die am Anfang der Wertschöpfungskette verorteten Tätigkeiten der Konzeptionsphase gestärkt werden. Diese Entwicklungen wirken den generellen Trends auf dem Schweizer Arbeitsmarkt nicht entgegen; sie sind auch in den nicht stark in Wertschöpfungsketten und Handelsströme eingebundenen Branchen zu beobachten. Die stärkere internationale Einbindung dürfte daher eine Beschleunigung des allgemeinen Trends bewirken.
  1. Die Daten von 2009 müssen mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden, weil die globalen Wertschöpfungsketten besonders stark von der Wirtschaftskrise betroffen waren. Sie werden in der Analyse nicht verwendet; stattdessen beziehen sich die folgenden Analysen auf den Zeitraum bis 2008. []
  2. Die OECD setzt Backward- und Forward-Export in Relation zum Export einer Branche oder der Gesamtwirtschaft. Die so spezifizierten Kennzahlen eignen sich für die Abbildung der Handelsströme. Bei der Analyse von arbeitsmarktlichen Themen ist es aber zentral, aufzuzeigen, wie wichtig der Export für eine Branche ist; ansonsten wäre es beispielsweise möglich, dass eine Branche mit sehr wenig Export, der grösstenteils importiert wurde (Backward-Participation), als stark in Handelsströme eingebunden klassifiziert würde. Dies würde die Bedeutung dieser Einbindung für den Arbeitsmarkt der Branche ungenügend abbilden. []
  3. Weitere Resultate, auch zu den Auswirkungen auf die Löhne und Migrationsströme, finden sich im Bericht «Der Einfluss internationaler Wertschöpfungsketten auf berufliche Tätigkeiten und Qualifikationen in der Schweiz», verfügbar auf www.seco.admin.ch > Dokumentation > Publikationen und Formulare > Veröffentlichungsreihen > Strukturberichterstattung. []
  4. Nur ein Teil der Koeffizienten bei den drei Indikatoren Importanteil, Backward-Participation und Forward-Participation ist signifikant. Dies weist darauf hin, dass der Effekt entweder klein oder die Streuung der Werte gross ist. Beim Indikator Exportanteil ist keiner der geschätzten Effekte signifikant (die Vorzeichen sind aber gleich wie bei den anderen Indikatoren). []

Zitiervorschlag: Michael Lobsiger, Michael Morlok, (2014). Stärkere internationale Einbindung der Schweizer Wirtschaft, höhere Arbeitsanforderungen. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.