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Die Schweiz ist bereit für die volle Stommarktöffnung

Ab 2018 sollen alle Schweizer Stromkonsumenten, also auch die Haushalte und das Gewerbe, ihren Stromlieferanten selber wählen können. Der Bundesrat hat am 8. Oktober 2014 die Vernehmlassung zum Bundesbeschluss über die volle Strommarktöffnung gestartet. Die Endverbraucher mit einem geringeren Stromverbrauch als 100 Megawattstunden pro Jahr sollen wählen können zwischen der Grundversorgung vom lokalen Versorgungsunternehmen und einem Anbieter auf dem freien Markt.
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Interessierte informieren sich an einer Baumesse über intelligente Heizsysteme. Mit der vorgesehenen Strommarktöffnung können sich auch kleine Endverbraucher von einem Stromlieferanten ihrer Wahl beliefern lassen. Keystone

In der ersten Phase der Marktöffnung konnten Lieferanten sowie marktberechtigte Kunden Erfahrungen mit der Strommarktöffnung sammeln und sie zu ihren Gunsten nutzen. Jetzt wird es Zeit, dass auch Haushalte und vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) die Freiheit erhalten sollten, ihren Lieferanten wählen zu können, um vom aktuell tiefen europäischen Stromgrosshandelspreis zu profitieren. Zudem wird langfristig der Markt die Investitionen in Produktionsanlagen sinnvoll steuern und konsumentenfreundliche Produkte hervorbringen. Auch kann die Energiestrategie 2050 durch vermehrte Differenzierung der Produkte in Richtung Ökologie durch die Marktöffnung unterstützt werden. Kleinkonsumenten, denen das Risiko oder der Aufwand des Marktes zu gross sind, können in der Grundversorgung bleiben oder in diese zurückkehren. In der Grundversorgung beziehen sie die Elektrizität von ihrem bisherigen regionalen Versorger, der verpflichtet ist, den Strom zu liefern. Zudem steht die Entwicklung des Strompreises unter einer gewissen Kontrolle der Regulierungsbehörde, der Eidgenössischen Elektrizitätskommission (Elcom). Mit diesen Rahmenbedingungen ist die Schweiz bereit, um am europäischen Markt, der für die Versorgungssicherheit wichtig ist, voll teilnehmen zu können.

Die rechtlichen Voraussetzungen jedenfalls sind vorhanden. Die schrittweise Öffnung des Elektrizitätsmarktes ist im geltenden Stromversorgungsgesetz (StromVG) vorgesehen, das vom Parlament im März 2007 verabschiedet wurde. Der erste Schritt (Teilmarktöffnung) erfolgte im Jahr 2009 für grosse Stromverbraucher mit über 100 Megawattstunden (MWh) Stromverbrauch pro Jahr. Fünf Jahre danach sollte ein zweiter Schritt (volle Marktöffnung) für sämtliche Stromkonsumenten umgesetzt werden. Infolge der umfangreichen Arbeiten zur Energiestrategie 2050 mussten die Vorbereitungen für den zweiten Marktöffnungsschritt zurückgestellt werden. Gemäss dem vorliegenden Bundesbeschluss über die zweite Etappe der Strommarktöffnung soll nun die volle Marktöffnung per Anfang 2017 in Kraft treten, sodass sich kleine Endverbraucher erstmals ab dem 1. Januar 2018 von einem Stromlieferanten ihrer Wahl beliefern lassen können. Gegen den Bundesbeschluss kann das Referendum ergriffen werden.

Kleine Endverbraucher erhalten Marktzugang


Haushalte sowie KMU mit einem Jahresverbrauch, der geringer ist als 100 MWh (kleine Endverbraucher), können wählen, ob sie die Elektrizität im Rahmen der Grundversorgung wie bisher von ihrem lokalen Versorgungsunternehmen beziehen oder ob sie zu einem anderen Lieferanten wechseln resp. einen Marktvertrag von ihrem bisherigen Versorger haben möchten. Ausserhalb der Grundversorgung entfällt die gesetzliche Lieferpflicht, und der Energietarif wird nicht mehr gemäss den gesetzlichen Vorgaben von der Elcom auf Angemessenheit überprüft. Sobald im freien Markt ein Vertrag über die Elektrizitätslieferung besteht, sind die kleinen Endverbraucher nicht mehr in der abgesicherten Grundversorgung. Sie haben aber das Recht, im Folgejahr wieder zur Grundversorgung zurückzukehren. Die Wechselbereitschaft und der Wettbewerb werden so gefördert. Die anfallenden Kosten, die bei einem Lieferanten durch den Wechsel von Endverbrauchern entstehen, dürfen den Endverbrauchern nicht in Rechnung gestellt werden.

Ein Wechsel in den liberalisierten Markt steht den kleinen Endkonsumenten frei. Will sich ein Haushalt nicht mit dem Strommarkt auseinandersetzen und Preise sowie weitere Vertragskonditionen nicht vergleichen, kann er bei seinem bisherigen Endverteiler verbleiben. Dieser muss ihm eine Stromversorgung zu angemessenen, transparenten und einheitlichen Tarifen anbieten. Die Überwachung der Tarife im Wahlmodell der abgesicherten Stromversorgung (WAS-Modell) obliegt der Elcom. Die Überprüfung der Tarife im WAS-Modell wird durch eine Ex-post-Angemessenheitsprüfung ersetzt, die marktkompatibel ist. Das bedeutet, dass die Elcom auf der Basis von Preisen vergleichbarer Angebote im freien Markt (Referenzpreis) und weiteren Kriterien prüfen wird, ob die Tarife im WAS-Modell angemessen sind. Der Referenzpreis kann jedoch von den Tarifen in der Grundversorgung abweichen. Denn einerseits ist den Besonderheiten der abgesicherten Versorgung wie der Sicherheit durch feste Tarife, andererseits aber auch allfälligen Unsicherheiten im Preisvergleich Rechnung zu tragen. Sind die Tarife zu hoch, kann die Elcom sie herabsetzen. Hierdurch wird sichergestellt, dass die Preise in der Grundversorgung nicht überrissen sind respektive dass keine Quersubventionierung von den Grundversorgungspreisen zu den Marktpreisen stattfindet. Diese Ex-post-Preiskontrolle gewährleistet angemessene Preise im Service public.

In der vollen Marktöffnung ändern sich aber nicht nur die Regeln bei den kleinen Endverbrauchern. Das Gesetz regelt im neuen Art. 7 StromVG, dass der Anspruch auf Grundversorgung nur noch Endverbrauchern mit einem Jahresverbrauch von weniger als 100 MWh pro Verbrauchsstätte zusteht. Demzufolge entfällt das Recht auf Grundversorgung für Endverbraucher mit einem höheren Verbrauch ab Inkrafttreten des Bundesbeschlusses. Tritt der Bundesbeschluss zur vollen Marktöffnung am 1.  Januar 2017 in Kraft, müssen die Grossverbraucher zu diesem Zeitpunkt zwingend im freien Markt sein. Eine Übergangsregulierung wird allerdings dafür sorgen, dass entsprechende Marktverträge erst in einem Übergang nach Inkrafttreten des Bundesbeschlusses vorhanden sein müssen.

Welche Vor- und Nachteile hat die volle Marktöffnung für Haushalte und KMU?


Ein Grossteil der KMU in der Schweiz (rund 80% bis 90%, je nach Berechnungsart) hat einen jährlichen Stromverbrauch von weniger als 100 MWh und ist heute nicht marktzugangsberechtigt. Während grosse Unternehmen also schon heute von den tiefen europäischen Strompreisen profitieren können, hat die Mehrheit der KMU die Wahlmöglichkeit nicht und verfügt damit nicht über gleich lange Spiesse. Das ist insbesondere für diejenigen wichtig, die zwar stromintensiv produzieren, deren Stromverbrauch aber unter der Grenze von 100 MWh liegt.

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Eine Frau liest den Stromverbrauch von einem Zähler ab. Haushalte sollen mit der geplanten Marktöffnung massgeschneiderte Angebote aussuchen können. Keystone

 

Europaweit sind die Stromgrosshandelspreise derzeit tief. Hält die Preisbaisse an, können Haushalte und KMU durch die freie Anbieterwahl und den damit ausgelösten Wettbewerb zumindest kurzfristig mit sinkenden Endverbraucherpreisen rechnen. Auch dürfte es zu einer Angleichung der Preisniveaus in der Schweiz kommen. Das bisherige West-Ost-Gefälle – höhere Strompreise im Westen, tiefere Strompreise im Osten mit Preisunterschieden im Energieteil (ohne Anteil der Netzkosten) von bis zu 40% – dürfte verschwinden. Ein freier Markt heisst allerdings nicht automatisch, dass die Preise sinken. Die Strompreise in Europa und der Schweiz können in einigen Jahren wieder steigen, zum Beispiel wenn die Nachfrage anzieht oder die klimapolitischen Rahmenbedingungen die Energie verteuern wird.

Der grösste Vorteil für die Haushalte und KMU wird sein, dass sie sich ihre Stromanbieter und massgeschneiderte Angebote für ihre Stromversorgung aussuchen können. Umgekehrt erhalten Stromlieferanten mit attraktiven Angeboten zusätzliche Absatzchancen. Dazu gehört grundsätzlich ein günstiger Preis, aber nicht nur: Auch Zuverlässigkeit, Kundenorientierung, Herkunft und Produktionsart des Stroms sowie Innovation spielen eine Rolle. Die Stromunternehmen werden voraussichtlich vermehrt andere Dienstleistungen anbieten wie Beratung für effiziente Anwendungen im Haushalt und Betrieb oder neue, intelligente Technologien, mit denen Strom und Geld gespart werden können. Dazu gehören auch neue Stromprodukte, beispielsweise solche, die sich gut mit einer Fotovoltaik-Eigenproduktion kombinieren lassen. Marktpreismodelle mit zeitlich unterschiedlichen Preisen unterstützen dabei kleine Endkunden, die in einem Smart Home oder in einem smarten Betrieb ihren Strom vor allem dann nutzen wollen, wenn das Angebot entsprechend hoch und die Preise tief sind. Dabei helfen solche Modelle, die fluktuierende dezentrale Einspeisung von erneuerbaren Energien über die richtigen Preissignale effizient zu nutzen. Über solche Produkte kann die volle Marktöffnung die Energiestrategie 2050 unterstützen. Diese befindet sich zurzeit in der parlamentarischen Beratung.

Internationale Bedeutung


Die Umsetzung der vollen Marktöffnung hat auch eine wichtige internationale Dimension. Sie ist eine Voraussetzung für die weitere Integration der Schweiz in den europäischen Strommarkt und für das angestrebte Stromabkommen mit der EU. Denn die heute im StromVG festgelegten Regelungen für die bisherige Teilmarktöffnung widersprechen den europäischen Vorschriften zum Netzzugang und zur Grundversorgung. Ein bilaterales Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU verbessert die Investitionssicherheit der Strombranche, erleichtert die Einbindung der Schweizer Wasserkraft in Europa und erhöht letztlich die Versorgungssicherheit. Nur bei einem gesicherten Zugang zum europäischen Strombinnenmarkt kann die Schweiz ihre zentrale Netzfunktion – rund 10% des europäischen Stroms fliessen durch die Schweiz – optimal nutzen. Ohne Stromabkommen könnte der Marktzugang schwieriger, teurer und die technische Abwicklung komplizierter werden. Das würde zu zusätzlichen Kosten für die Schweizer Volkswirtschaft führen.

Positive Erfahrungen im Markt der Grossverbraucher


Aufgrund der gegenwärtig tiefen Grosshandelspreise auf dem europäischen Strommarkt profitieren bereits viele Grossverbraucher von einer freien Wahl ihres Lieferanten. Heute hat 1% aller Endverbraucher Marktzugang, was jedoch bereits rund die Hälfte des Schweizer Stromkonsums ausmacht. Die Teilmarktöffnung hat zu Wettbewerb im Schweizer Strommarkt und zu sinkenden Endenergiepreisen geführt. Die Endverbraucher im geöffneten Marktsegment konnten ihre Energiekosten durch einen Wechsel verringern und insofern von den Vorteilen eines wettbewerblich organisierten Marktes profitieren. Sie haben entweder zu einem anderen Lieferanten oder zu einem anderen Angebot des gleichen Lieferanten gewechselt. Infolge des Wettbewerbs haben die Stromversorgungsunternehmen marktfähigere Angebote entwickelt. Die Stromlieferanten bieten den Grossunternehmen individuelle Verträge an, die preislich nahe beim Grosshandelsmarktpreis liegen. Mittleren Unternehmen werden auch standardisierte Vollversorgungsverträge angeboten, die (im Vergleich zum Verbleib in der Grundversorgung) preislich attraktiv sind. Bezogen auf die Endverbraucher mit Wahlmöglichkeit ist der Anteil der Kunden im Markt zwischen 2011 und 2014 von einem moderaten Anteil auf gut 27% aller berechtigten grossen Endverbraucher (also rund 10 400 Kunden von 40 000 marktberechtigten Unternehmen) gestiegen. Dies entspricht 47% der Energiemenge (rund 14 von 30 Terawattstunden). Hierbei werden alle Wechsel in den Markt erfasst, also auch diejenigen Unternehmen, welche einen neuen Vertrag im freien Markt bei ihrem bisherigen Lieferanten gewählt haben.[1]

Bereits heute können Grossverbraucher ihren Stromlieferanten auch ausserhalb der Schweiz wählen, und Schweizer Versorgungsunternehmen können Kunden in der EU akquirieren. Das hat zu einer besseren Integration der Schweiz in den EU-Binnenmarkt beigetragen. Die Erfahrungen in den ausländischen Märkten zeigen, dass der Wettbewerb bei einer vollen Öffnung des Strommarkts gut funktioniert. In der EU wird die volle Strommarktöffnung gelebt; in Deutschland ist sie beispielsweise bereits im Jahr 1998 umgesetzt worden, in Österreich 2001. In Norwegen können die Haushalte bereits seit 1995 ihre Stromlieferanten frei wählen.

Volkswirtschaftliche Auswirkungen


Die Auswirkungen der vollen Marktöffnung sind in einer Studie analysiert worden.[2]
Die volle Marktöffnung ermöglicht vor allem, dass die Endverbraucher ein für sie attraktives Produkt auswählen können. Gut informierte Endverbraucher, die ihren Anbieter gezielt auswählen, können Angebote zu besseren Konditionen finden, da die derzeitigen Preise auf den Grosshandelsmärkten niedrig sind, was Raum für günstigere Angebote schafft. Qualitativ gesehen sind positive dynamische Effekte innerhalb der Strombranche zu erwarten, sofern sich unter Wettbewerb neue kundenspezifische Angebote herausbilden und der Effizienzdruck in der Beschaffung allgemein steigt. Zugleich fallen bei Umsetzung der vollen Marktöffnung gewisse einmalige Anpassungskosten bei den Stromunternehmen an. In einer Gesamtwohlfahrtsbetrachtung gewinnt die Schweizer Volkswirtschaft leicht.

Revision Stromversorgungsverordnung


Die Gesetzesanpassung erfordert eine Anpassung der Stromversorgungsverordnung (StromVV), um geeignete Rahmenbedingungen für die volle Marktöffnung zu schaffen. Neu zu regeln sind insbesondere die Modalitäten und die Überprüfung der Tarife im WAS-Modell sowie allenfalls weitere Einzelheiten, die den diskriminierungsfreien Netzzugang sicherstellen. Ferner ist die Elektrizitätsbranche gefordert, allgemein akzeptierte gesetzeskonforme Konzepte und Vorschläge zur Umsetzung der zweiten Marktöffnungsetappe zu erarbeiten – insbesondere zur Gewährung und Sicherstellung des diskriminierungsfreien Netzzugangs. Dabei ist darauf zu achten, dass die freie Lieferantenwahl nicht durch administrative, technische oder kostenbedingte Hürden unverhältnismässig erschwert wird. Zudem sollen neu in den Markt eintretende Lieferanten nicht benachteiligt werden.

  1. Vergleiche den aktuellen Elcom-Jahresbericht, S. 23. []
  2. Ecoplan, Strommarktliberalisierung – zweiter Marktöffnungsschritt, Analysen zu den Auswirkungen eines zweiten Marktöffnungsschrittes, Arbeitspapier zuhanden des Bundesamtes für Energie vom 15. Februar 2013, Bern. []

Zitiervorschlag: Gysler, Matthias (2015). Die Schweiz ist bereit für die volle Stommarktöffnung. Die Volkswirtschaft, 20. Januar.

Kasten 1

Zusammensetzung des Strompreises


Der Strompreis für Endkunden setzt sich aus den folgenden vier Komponenten zusammen: · Netznutzungsentgelt: Dieses widerspiegelt die Netzkosten für die Übertragung von Strom vom Kraftwerk bis zum Endkunden.

  • Energiepreis: Dieser entspricht dem Preis für die gelieferte elektrische Energie. Die Elektrizitätsversorgungsunternehmen produzieren die elektrische Energie mit eigenen Kraftwerken oder kaufen sie bei anderen Energieproduzenten ein (Vorlieferanten).
  • Abgaben und Leistungen: Darunter fallen Bundes-, Kantons- und Gemeindeabgaben oder -gebühren, Konzessions- oder kommunale Energieabgaben sowie Leistungen an die Gemeinwesen.
  • Abgaben zur Förderung erneuerbarer Energien: Bei der Kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) handelt es sich um eine Bundesabgabe zur Förderung der erneuerbaren Energien.