Suche

Abo

Die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Grossregionen – Auftakt zur neuen Artikelserie

Sieben Schweizer Grossregionen stehen im Zentrum der neuen Artikelserie: Basel, Bassin Lémanique, Espace Mittelland, Ostschweiz, Südschweiz, Zentralschweiz und Zürich/Aargau. Die einzelnen Regionen werden jeweils anhand von drei thematischen Indizes zur Leistungsfähigkeit, zur Attraktivität und zum wirtschaftlichen Potenzial bewertet. Diese erlauben einen raschen Überblick und einen einfachen Quervergleich mit anderen Wirtschaftsregionen innerhalb und ausserhalb der Schweiz.

Als unabhängiges Forschungsinstitut mit Kompetenzen in der nationalen und internationalen Regionalökonomie analysiert BAK Basel Economics unter anderem regelmässig die wirtschaftlichen Strukturen und Zukunftsaussichten von Regionen sowie deren Wettbewerbsfähigkeit. Zu diesem Zweck wurde eigens ein Set an Indikatoren entwickelt und in thematischen Indizes zusammengefasst. Während die Indizes einen schnellen und kommunikativ einfachen Zugang zu den Themen bieten, erlauben die dahinterstehenden Indikatoren bei Bedarf eine detaillierte Analyse der den Ergebnissen zugrunde liegenden Fakten und Ursachen.

Diese Methodik wird in einer bis Ende Jahr erscheinenden Textreihe über sieben Grossregionen der Schweiz (Bassin Lémanique, Espace Mittelland, Südschweiz, Basel, Zürich/Aargau, Zentralschweiz, Ostschweiz) angewendet. Bereits im Jahr 2008 hat BAK Basel eine solche Textreihe publiziert. Im Verlauf des Jahres 2014 erfolgt nun die Aktualisierung dieser Serie. Allerdings ist anzumerken, dass die Vergleichbarkeit nur bedingt gegeben ist. So wird beispielsweise inzwischen eine überarbeitete Branchensystematik (Noga 2008) verwendet.

Die Indizes reflektieren eine stark standardisierte Herangehensweise. Sie können alleine jedoch keinesfalls eine detaillierte Analyse ersetzen, die den regionalen Besonderheiten Rechnung tragen muss. Sie dürfen auch nicht als regionenspezifische Prognosen interpretiert werden. Diesen Einschränkungen stehen die Vorteile der Standardisierung und des schnellen Überblicks – gerade im internationalen Vergleich – gegenüber.

Eichler_BAKBASEL_Grafik2_DE

Untersuchungsgegenstand: Die Grossregionen


Die sieben von BAK Basel für die Artikelserie verwendeten Grossregionen berücksichtigen sowohl funktionale Kriterien als auch politisch-administrative Grenzen. In funktionaler Hinsicht sind die drei Regionen Bassin Lémanique, Zürich/Aargau und Basel durch ein klares urbanes Oberzentrum sowie dessen Einzugsgebiet geprägt. Beim Espace Mittelland handelt es sich um ein Städtesystem (Bern, Thun, Biel, Freiburg, Neuenburg) und dem jeweiligen Umland. Die Regionen Ost- und Südschweiz bestehen aus geografisch zusammenhängenden Gebieten mit jeweiligen wichtigen regionalen Oberzentren (Luzern, St. Gallen). Die Südschweiz deckt ihrerseits wesentliche Teile des Schweizer Alpenraums ab. Die verwendeten Grossregionen berücksichtigen insofern politisch-administrative Grenzen, als es sich bei allen Regionen um Aggregate von Kantonen handelt.

Die Einteilung bei BAK Basel entspricht nicht jener des Bundesamtes für Statistik (BFS). Wir orientieren uns bei der Einteilung der Regionen nach funktionalen Kriterien. So ist etwa der Kanton Aargau mehr dem Grossraum Zürich zugewandt, weshalb diese beiden Kantone zusammen eine Region bilden. Ein weiteres Kriterium ist die Übereinstimmung der Wirtschaftsstruktur. So passen etwa die Kantone Wallis und Graubünden sehr gut zueinander (Region Südschweiz). Allerdings ist jede Einteilungen bis zu einem gewissen Mass willkürlich. Beispielsweise verwendet die Schweizerische Nationalbank eine dritte Definition der Grossregionen.

Die drei thematischen Indizes


Die Wettbewerbsfähigkeit einer Region bestimmt sich durch ihre Leistungsfähigkeit (Performance), ihre Attraktivität und ihr Potenzial. Die Performance widerspiegelt die bisher erreichte Wirtschaftskraft der Region. Die regionale Attraktivität setzt sich aus den verschiedenen Standortqualitäten einer Region für Arbeitskräfte und Unternehmen zusammen. Das Potenzial einer Region bezieht sich auf die künftige wirtschaftliche Entwicklung, basierend auf den gegebenen Strukturen (siehe Grafik 2).

Die regionale Wettbewerbsfähigkeit lässt sich somit anhand dieser drei Analysebereiche, die jeweils verschiedene Komponenten der Wettbewerbsfähigkeit beleuchten, abbilden. Die Indexzahl bündelt die Ergebnisse (Performance Index, Attractiveness Index und Structural Potential Index). Eine detaillierte Erklärung der Methodik der Indizes findet sich in Kasten 1.

Der Performance Index erfasst die Wettbewerbsfähigkeit der Vergangenheit über die Messung der bisherigen Wirtschaftsentwicklung. Die Analyse kombiniert die Niveauinformation des Bruttoinlandprodukts (BIP) pro Kopf mit einer Wachstumskomponente (BIP und Erwerbstätigenwachstum). Beide Komponenten sind für die Wohlfahrt wichtig, da weder ein hohes Wohlstandsniveau, welches stetig schrumpft, noch eine Expansion auf tiefem Niveau auf längere Sicht allein zu befriedigen vermögen. Das BIP wird zwar oft als Wohlstandsmass herangezogen, ist jedoch nicht frei von Mängeln. Für eine wirtschaftlich gesunde Gesellschaft ist die Zahl der Erwerbstätigen ebenso wichtig. Dieser Teil der Indexfamilie erlaubt die Einschätzung des bisher Erreichten, erfasst mit den aktuellen Trends aber auch die Ausgangslage für die weitere Entwicklung.

Die Attraktivität ist eine wesentliche Komponente der Wettbewerbsfähigkeit. Sie ist eine Momentaufnahme der heutigen Situation. Ihre Wirkung entfaltet sich jedoch vor allem in der (näheren und mittleren) Zukunft. Die Attraktivität ist somit ein wesentlicher Faktor für die weitere wirtschaftliche Entwicklung einer Region. Der Attractiveness Index erfasst die Fähigkeit einer Region, Unternehmen und Humankapital anzulocken beziehungsweise zu halten. Unternehmensbefragungen von BAK Basel haben gezeigt, dass für die Standortwahl die Steuerbelastung, die Erreichbarkeit, die Lebensqualität, die Innovationskraft und die Regulierung der Märkte besonders wichtig sind. Der Index misst anhand von quantitativ vergleichbaren Indikatoren das regionale Abschneiden in diesen Themenfeldern.

Der Structural Potential Index richtet den Blick in die Zukunft. Es werden jedoch keine individuellen Prognosen erstellt. Ziel ist es, das Potenzial der aktuell vorhandenen wirtschaftlichen und politischen Strukturen für die zukünftige Entwicklung hervorzuheben. Dabei werden zwei Themenbereiche aus der wirtschaftlichen Sphäre und ein Zusammenzug der wirtschaftlich relevanten politischen Strukturen beleuchtet:

  • Wesentlich beeinflusst wird das zukünftige Wachstum einer Region durch die vorhandene Wirtschafts- und Branchenstruktur. Zwar kann sich langfristig die wirtschaftliche Basis einer Region durch Strukturwandel vollständig verändern. Kurz- und mittelfristig ist eine Region jedoch auf die vorhandene Struktur angewiesen. Die Perspektiven der einzelnen Branchen können je nach Nachfragedynamik, technologischem Fortschritt, Wettbewerbs- und Kostendruck erhebliche Unterschiede aufweisen. Dies bildet der Teilindex Industry Structure Potential ab. Ausgeprägte regionale Konzentrationen von Branchen mit hohen erwarteten Wachstumsraten bieten das Potenzial, die Wachstumsaussichten der Region nachhaltig positiv zu gestalten.[1] Der Teilbereich Capacity to Compete untersucht die Wettbewerbsfähigkeit der sich im interregionalen Wettbewerb befindenden Branchen. Eine starke und wettbewerbsfähige Exportbasis ermöglicht den Regionen, im Welthandel mitzuspielen und die Früchte der globalen Arbeitsteilung zu geniessen. Die Exportbasis bilden dabei alle Branchen, die potenziell exportieren oder durch Importe ersetzt werden könnten. Als Mass für die Wettbewerbsfähigkeit dieser Branchen wird ihre Produktivität herangezogen. Branchen mit Produktivitätsvorsprüngen gegenüber konkurrierenden Regionen verfügen über das Potenzial, längerfristig im interregionalen Wettbewerb besser abzuschneiden.
  • Der Teilbereich Political Structure Potential misst die politischen Rahmenbedingungen mit den Indikatoren Anteil der Schattenwirtschaft am BIP, wahrgenommene Korruption[2] und Dezentralisierung.[3] Eine hohe Dezentralisierung und somit ein grosser Einflussbereich der regionalen Politik, eine kleine Schattenwirtschaft und geringe Korruption ermöglichen eine genau angepasste und wirkungsvolle Regionalpolitik.

Ausblick auf die Artikelserie


Das beschriebene Konzept bildet ein zentrales Element der Artikelserie über die sieben Schweizer Grossregionen, welche in den kommenden Monaten erscheinen wird. Neben der Anwendung der Indizes auf die einzelnen Region bieten die Artikel auch einen vertieften Einblick in die Branchenstruktur der Region. Zusätzlich analysieren sie die Verteilung der jeweiligen Schlüsselbranche innerhalb der Region. Den Anfang der Serie macht der nachfolgende Artikel über den Espace Mittelland.

  1. Die Wachstumsaussichten einzelner Branchen beziehen sich dabei auf die Aussichten dieser Branchen im Umfeld einer hochentwickelten Volkswirtschaft. Dieser Index, genauso wie die gesamte Indexfamilie, ist daher nur für die Analyse von Regionen mit einer hochentwickelten Wirtschaft geeignet. []
  2. Zur Einschätzung der wahrgenommenen Korruption wird auf den Corruption Perception Index (CPI) von Transparency International zurückgegriffen. []
  3. Der Grad der Dezentralisierung wird mit einer Vielzahl von Indikatoren gemessen. Für weitere Informationen siehe «Decentralisation Indicators on the Regional Level» auf bakbasel.ch/wEnglisch/ competences/governance_projects/index_governance. []

Zitiervorschlag: Rebekka Rufer, Martin Eichler, Reto Krummenacher, (2015). Die Wettbewerbsfähigkeit von Schweizer Grossregionen – Auftakt zur neuen Artikelserie. Die Volkswirtschaft, 11. Februar.

Methodik der Indizes

Die Indizes und Teilindizes sind so normiert, dass der Durchschnitt aller westeuropäischen NUTS-2-Regionen 100 ergibt und die Standardabweichung derselben Regionen 10. Ein Indexwert von 110 bedeutet also, dass eine Region um eine Standardabweichung besser abschneidet als das Mittel der westeuropäischen NUTS-2-Regionen.

Performance Index


Die drei Teilbereiche werden folgendermassen gewichtet: BIP/Kopf 50 %; BIP-Wachstum 25 %; Erwerbstätigenwachstum 25 %. Der Level- (BIP pro Kopf) und der Dynamikkomponente (BIP- und Erwerbstätigenwachstum) wird jeweils eine ungefähr gleiche Bedeutung zugemessen, in der Dynamik sind neben Mehrung des BIP auch die Schaffung von Arbeitsplätzen relevant (ebenfalls gleichgewichtet).

Attractiveness Index


Dieser Index besteht aus einer Reihe von Teilbereichen: Besteuerung (Hochqualifizierte 10 %, Unternehmen 20 %), Erreichbarkeit (global 10 %, innerkontinental 10 %), Regulierung (Arbeitsmarkt 10 %, Produktmarkt 10 %), Innovationskraft (Forschungsqualität «Shanghai Index» 10 %, Patentdichte 10 %, Publikationsdichte 10 %). Die Steuerbelastung und die Regulierung gehen negativ in den Index ein (je höher die Steuern bzw. die Regulierungsdichte, desto weniger attraktiv ist eine Region). Die Indexbildung (Indikatoren, Koeffizienten) stützt sich auf Unternehmensbefragungen und Regressionsanalysen (BIP-Wachstum) ab. Aufgrund von erheblichen Datenlücken im internationalen Bereich musste der Bereich Lebensqualität ausgeklammert werden. Für Vergleiche innerhalb der Schweiz berechnet BAK Basel neu auch einen Index der Lebensqualität, der jedoch noch nicht im – international vergleichbaren – Attractiveness Index integriert ist.

Structural Potential Index


Dieser Index besteht aus den drei Teilbereichen Industry Structure Potential (40 %), Capacity to Compete (40 %) und Political Structure Potential (20 %). Sie sind im Haupttext näher beschrieben.