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Metastudie: Wie hängen Rohstoffpreise und Finanzspekulation zusammen?

In der öffentlichen Debatte über den Einfluss der Spekulation auf Nahrungsmittelpreise nehmen wissenschaftliche Studien eine zentrale Rolle ein. Eine Metastudie der Hochschule Luzern und der Universität Basel untersucht rund 100 Arbeiten, die sich mit dem Zusammenhang zwischen ­Finanzspekulation und Rohstoffpreisen befassen. Werden methodische Aspekte berücksichtigt, zeigt sich: Finanzinvestitionen wirken sich, wenn überhaupt, tendenziell abschwächend auf Rohstoffpreise aus.
Finanzinvestition können dämpfend auf Rohstoffpreise wirken. Börsenhändler in New York. (Bild: Keystone)

Mit der Juso-Initiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» wird das Thema der Rohstoffspekulation nicht zum ersten Mal Gegenstand der öffentlichen Debatte. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Kontroverse fast so alt ist wie die Rohstoffmärkte selbst. Spätestens mit dem Aufkommen der Rohstofftermin- und Futuresmärkte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betraten weitere Akteure den bis dahin von kommerziellen Händlern dominierten Markt. Diese waren hauptsächlich an den Preisschwankungen der Rohstoffe – und nicht an der Ware an sich – interessiert. Allein dieses Interesse setzte diese Märkte einer starken Kritik aus. Neuen Aufschwung erreichte die Debatte vor einigen Jahren mit dem Wachstum indexorientierter Rohstoffanlagen, welches zeitlich mit dem Anstieg verschiedener Nahrungsmittelpreise zusammenfiel. Begleitet wurde die Debatte von einer wachsenden Zahl empirischer Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Rohstoffpreisen und Spekulation, wobei der Stellenwert und die Bedeutung dieser Untersuchungen nun ihrerseits zu einem wesentlichen Thema der öffentlichen Debatte geworden sind.[1]

Eine weitere Metastudie?


Die Auswertung der umfangreichen empirischen Literatur erscheint in der bisherigen Diskussion jedoch aus zwei Gründen unzureichend. Das erste Problem besteht darin, dass die verschiedenen Studien den Begriff der Spekulation unterschiedlich – respektive unterschiedlich genau – operationalisieren. Das zweite Problem ergibt sich aus den erheblichen qualitativen Unterschieden zwischen den Untersuchungen hinsichtlich der Nachvollziehbarkeit des methodischen Vorgehens und der Interpretation der Ergebnisse. Beide Aspekte erfordern, dass nicht nur die Schlussfolgerungen der Studien konsultiert werden dürfen, sondern die detaillierten empirischen Ergebnisse analysiert werden müssen. Dadurch unterscheidet sich die vorliegende Metastudie[2] der Hochschule Luzern und der Universität Basel von anderen Übersichtsarbeiten. Die Studie verfolgt daher das Ziel, eine methodisch vertiefte Analyse eines breiten Spektrums von rund 100 publizierten und noch unveröffentlichten[3] neueren Arbeiten, die im Zusammenhang und im Nachgang zur Spekulationsdebatte der Jahre 2006 bis 2008 entstanden sind, vorzunehmen.[4]Das Augenmerk liegt dabei auf Studien, die den Einfluss von Spekulation auf sechs mögliche Fokusvariablen untersuchen:[5]

  • Rohstoff-Spot- und Futurespreisniveaus oder -trends;
  • Renditen;
  • Risikoprämien;
  • Futurespreisspreads;
  • Volatilität;
  • Spill-over-Effekte zwischen Finanzmärkten und Rohstoffpreisen.


Dabei ist es wichtig zu erwähnen: Die erfassten Studien analysieren nicht nur Lebensmittelpreise oder Agrarrohstoffe, sondern den gesamten Rohstoffbereich, der potenziell durch Spekulation betroffen ist. Hinsichtlich der in der Literatur analysierten Preisdaten ist festzuhalten, dass der Fokus der Rohstoffpreise stets auf den Futuresmärkten liegt. Wo Spotpreise analysiert werden, wird meistens der Nearby-Futures-Kontrakt herangezogen.

Wie Spekulation gemessen wird


Der Begriff der Spekulation – im Sinne reiner Finanzinvestitionen – steht weder in der Theorie eindeutig fest, noch können die heterogenen Finanzgeschäfte hinsichtlich ihres spekulativen Charakters klar klassiert werden. Deshalb wird der in den einzelnen Arbeiten verwendete Begriff nicht hinterfragt, sodass grundsätzlich eine breite Definition zugelassen wird. Dazu gehört, dass insbesondere auch indexierte Finanzgeschäfte als Spekulation betrachtet werden, was aufgrund ihres ökonomischen Charakters nicht eindeutig ist.[6] Allerdings unterscheidet sich der Begriff der Spekulation, wie er in der vorliegenden Literatur untersucht wird, deutlich vom begrifflichen Verständnis der öffentlichen Debatten, wo es häufig um Kursmanipulation, also strafrechtlich relevante Eingriffe in den Preisbildungsmechanismus geht. Diese Aspekte werden in der Metastudie ausgeblendet. Da sich die Messung der Spekulation zwischen den Studien erheblich unterscheidet, werden diese in drei Kategorien unterteilt: Die erste Kategorie schreibt bestimmte empirische Beobachtungen – wie Strukturbrüche oder veränderte Korrelationen – indirekt der Spekulation zu, ohne den Zusammenhang zu begründen. In der zweiten werden Variablen spezifiziert, die stellvertretend für spekulative Aktivität stehen. Beispiele für solche Variablen sind Aktien- oder Ölpreise. Eine direkte Messung erfolgt in der dritten Kategorie, wo explizite Spekulationsmasse zur Anwendung kommen. Diese stützen sich beispielsweise auf Positionsdaten wie die Klassifikation der Akteure in Händlergruppen durch die Aufsichtsbehörden oder Börsen.[7] Die empirischen Ergebnisse, die auf den ersten beiden Gruppen beruhen, lassen keine Rückschlüsse auf die Verursachung der Spekulation zu. Sie sind beispielsweise ungeeignet zur Identifikation schädlichen Investorenverhaltens, unangemessener Handelspraktiken oder Produktspezifikationen, welche als Grundlage von Anpassungen oder regulatorischen Massnahmen dienen könnten. Darüber hinaus verunmöglichen sie es, Rückschlüsse darüber zu gewinnen, ob die beobachteten Effekte kausal von der Spekulation, von kommerziellen Händlern oder allenfalls von externen Schocks verursacht werden. Für solche Folgerungen ist eine direkte Messung von Spekulation, wie sie in der dritten Gruppe erfolgt, unerlässlich.

Einteilung der Arbeiten in Qualitätskategorien


Zusätzlich werden die untersuchten Arbeiten aufgrund einschlägiger wissenschaftlicher Kriterien in drei grobe Qualitätskategorien (A für die beste Qualität sowie B und C) eingeteilt. Die Kriterien sind: methodische Angemessenheit, Klarheit der Datenspezifikation sowie Beurteilungsmöglichkeit bezüglich der statistischen und ökonomischen Signifikanz der Resultate. Eine grobe methodische Triage erscheint unerlässlich, insbesondere bei – aber nicht nur wegen – der Berücksichtigung nicht publizierter Arbeiten.

Überblicksmässige Auswertung 


Aus der Tabelle 1 gehen die Hauptergebnisse der 99 Studien hervor, die insgesamt 126 Untersuchungsgegenstände (nachfolgend mit «Untersuchungen» bezeichnet) beinhalten. Für jede Untersuchung wird beurteilt, ob ein klar oder uneinheitlich[8] verstärkender Einfluss der Spekulation gefunden wird – respektive kein bzw. ein uneinheitlich oder klar abschwächender Einfluss. Für 34 Untersuchungen kann aus verschiedenen Gründen keine Zuordnung erfolgen, entweder weil die Studien keine Schlussfolgerung zulassen oder die Nachvollziehbarkeit nicht gegeben ist.

Studienergebnisse zum Einfluss von Spekulation






Ergebnis-Indikator klar verstärkend uneinheitlich verstärkend kein Einfluss uneinheitlich abschwächend klar abschwächend keine Angaben
Anzahl Untersuchungen (insgesamt 126) 13 19 29 19 12 34
Untersuchungen mit direkter ­Messung(insgesamt 61) 9 4 14 15 10 9


Anmerkung: Von 126 Untersuchungen finden 32 (13 + 19) einen verstärkenden Einfluss von Spekulation und 31 (19 + 12) einen abschwächenden. Von 61 Untersuchungen mit direkter Messung finden 13 (9 + 4) einen verstärkenden und 25 (15 + 10) einen abschwächenden Einfluss. Quelle: Haase, Seiler, Zimmermann (2015) / Die Volkswirtschaft Von den 92 Untersuchungen, bei denen eine Zuordnung möglich ist, finden 29 keinen, 32 einen klar oder uneinheitlich verstärkenden Effekt und 31 einen uneinheitlichen oder klar abschwächenden Einfluss. Somit scheinen die Ergebnisse auf den ersten Blick keine eindeutige Schlussfolgerung zuzulassen. Eine Unterteilung der Auswertungen gemäss den Fokusvariablen[9] (hier nicht dargestellt)[10] zeigt, dass sich die meisten Studien mit Preis- (32) und Volatilitätseffekten (29) beschäftigen, während der Einfluss auf Spreads (4) und Risikoprämien (9) – was ökonomisch zumindest ebenso bedeutungsvoll wäre – im Hintergrund steht.

Direkte Messungen mit grösserer Aussagekraft


Bei der genaueren Interpretation der Ergebnisse muss als Erstes die Messmethode der Spekulation beachtet werden: Es fällt auf, dass bei jenen Untersuchungen, die einen abschwächenden Einfluss finden, die Spekulation in 81% der Fälle direkt gemessen wird, während bei den Untersuchungen mit verstärkenden Effekten eine direkte Messung in lediglich 41% der Fälle erfolgt. Dies schmälert die Aussagekraft bei letzteren erheblich. Die Ergebnisse werden zudem hinsichtlich ökonomischer Relevanz und statistischer Signifikanz untersucht. Bei 50% der 32 Untersuchungen, die verstärkende Effekte finden, kann keine ökonomische Relevanz dokumentiert werden, bei 14 ein kleiner Einfluss und lediglich bei 2 ein mittlerer bis grosser. Ähnliches gilt für die abschwächenden Effekte. Die höchste Anzahl von Untersuchungen mit einem statistisch signifikant verstärkenden Einfluss der Spekulation findet man bei den Spill-over-Effekten (35% von 20), gefolgt von den Risikoprämien (33% von 9) und der Volatilität (24% von 19). Die geringste Anzahl findet man bei den Preiseffekten (16% von 32). Bei den (hier nicht gezeigten) Resultaten fällt auf: Gerade unter den häufig diskutierten Agrarprodukten wie Weizen oder Mais werden kaum signifikante Effekte gefunden. Diese treten häufiger bei Baumwolle oder sojabasierten Produkten auf. Beschränkt man sich auf die mit A klassifizierten Untersuchungen, reduziert sich die Auswahl auf 61 Untersuchungen, von denen 22 keinen, 13 einen verstärkenden und 23 einen abschwächenden Einfluss finden, während 3 Untersuchungen nicht zuzuordnen sind. Werden darüber hinaus nur jene Untersuchungen berücksichtigt, die Spekulation direkt messen, verbleiben 39 Untersuchungen: Davon finden 11 keinen, 7 einen verstärkenden und 19 einen abschwächenden Einfluss, während 2 nicht zuzuordnen sind.

Schlussfolgerungen


Werden methodische Fragen ausgeblendet, gewinnt man den Eindruck, dass die Zahl der Studien, welche abschwächende und verstärkende oder gar keine Effekte finden, sich etwa die Waage halten. Unter Berücksichtigung der Art der Spekulationsmessung sowie der methodischen Angemessenheit, basierend auf einschlägigen wissenschaftlichen Kriterien, ändert sich das Bild zugunsten abschwächender Effekte. Dies gilt auch für den Einfluss auf Spill-over-Effekte und Volatilitäten, welche in deutlich mehr Fällen nachgewiesen wurden als der Einfluss auf Preise. Nicht direkt den vorliegenden Kategorien zuzuordnen sind jene Untersuchungen, wo aufgrund desaggregierter Handelsstatistiken das zyklische Verhalten einer grossen Population von Akteuren analysiert wird. Welche Verhaltensmuster dabei als spekulativ gelten sollen, steht nicht unbedingt im Zentrum dieser Untersuchungen. Viel zentraler scheint: Die Finanzmärkte ermöglichen eine hohe Heterogenität des Verhaltens der Akteure, was letztlich die Voraussetzung eines funktionierenden Rohstoffmarktes ist.

  1. Ausgelöst wurde die Debatte im deutschsprachigen Raum durch Ingo Pies und Koautoren, welche 35 Studien ausgewertet hatten und zum Schluss gekommen waren, dass die wissenschaftliche Literatur mehrheitlich keine Evidenz für einen schädlichen Einfluss der Spekulation findet. Ihren deutlichsten Niederschlag findet die Rezeption der umfangreichen empirischen Literatur bei Weed (Studie von Markus Henn: Evidence on the Negative Impact of Commodity Speculation by Academics, Analysts and Public Institutions, 10. April 2014), Alliance Sud (Studie von Markus Mugglin im Auftrag von Alliance Sud, März 2014) oder der Juso Schweiz (Papier: Ist die Finanzspekulation mit Agrarrohstoffen sinnvoll?). []
  2. Der vorliegende Beitrag stellt eine erste Auswertung der Metastudie im Rahmen der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) des Bundes unter dem Thema «Rohstoffinvestitionen» 2014–2016 dar. KTI-Projekt 16864.1PFES-ES. []
  3. Es werden (etwa im Unterschied zu Pies et al 2012) ausdrücklich auch nicht publizierte Arbeiten in die Studie einbezogen, da bei der derzeitigen Debatte zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen durchwegs auch auf unveröffentlichte Arbeiten verwiesen wird. Allerdings werden nur unveröffentlichte Arbeiten seit 2010 berücksichtigt. Zudem ist zu erwähnen, dass verschiedene Untersuchungen im Namen von Organisationen (Weltbank, Unctad, EZB u. a.) erschienen sind, bei welchen der Publikationsstatus nicht eindeutig feststeht. []
  4. Diese Jahre kennzeichnen den starken Preisanstieg vieler Rohstoffe, v. a. von Nahrungsmitteln, sowie das Wachstum der indexierten Rohstoffinvestitionen. Die meisten der untersuchten Arbeiten wurden deshalb 2009 oder später publiziert. Nur sechs Arbeiten, welche eine verwandte Fragestellung mit früheren Daten analysieren, wurden auch berücksichtigt, die erste mit Publikationsjahr 2002. []
  5. Insgesamt werden 99 Studien ausgewertet. Wenn eine Studie mehrere Fokusvariablen analysiert, wird sie auf mehrere Untersuchungsgegenstände aufgeteilt. []
  6. Siehe dazu Stoll/Whaley (2011): Im Unterschied zur klassischen Spekulation sind Indexinvestitionen langfristig, d. h. nicht direktional orientiert und auf Diversifikation ausgerichtet; zudem wiesen sie keine Fremdfinanzierung auf. []
  7. Am meisten verbreitet sind die COT-Reports der U.S. Commodity Futures Trading Commission (CFTC). []
  8. «Uneinheitlich» bedeutet, dass in einer (bereits kleinen) Teilmenge von Ergebnissen, z. B. für einzelne Rohstoffe oder Zeitperioden, signifikante Ergebnisse vorliegen. []
  9. Neun Studien können keiner einzelnen Gruppe zugeordnet werden, gehören inhaltlich jedoch trotzdem in den Gegenstandsbereich der Metastudie. []
  10. Die vollständige Tabelle kann unter www.hslu.ch/spekulation-rohstoffpreise eingesehen werden. []

Zitiervorschlag: Yvonne Seiler Zimmermann, Marco Haase, Heinz Zimmermann, (2015). Metastudie: Wie hängen Rohstoffpreise und Finanzspekulation zusammen. Die Volkswirtschaft, 06. Februar.

Literaturhinweise

  • Bass, H.-H. (2013): Finanzspekulation und Nahrungsmittelpreise, IWIM, Universität Bremen.
  • Brümmer B., Korn O., Schlüssler K., Jaghdani T. und Saucedo A. (2013): Volatility in the After Crisis Period – A Literature Review of Recent Empirical Research, Ulysses Working Paper Nr. 1, Universität Göttingen.
  • Pies I., Glauben T., Prehn S. und Will M. G. (2012): Alarm or Rather False Alarm? A Literature Review of Empirical Research Studies into Financial Speculation with Agricultural Commodities, IAMO Policy Brief N° 9, Universität Halle-Wittenberg.
  • Stoll H. und Whaley R. (2011): Commodity Index Investing: Speculation or Diversification?, Journal of Alternative Investments 14 (Summer), S. 50–60.