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Die Reform der Verrechnungssteuer stärkt den Finanzplatz

Der Bundesrat will mit der geplanten Verrechnungssteuerreform den Finanzplatz Schweiz stärken. Die erleichterte Kapitalaufnahme im Inland schafft Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Zudem soll die Reform die Steuereinnahmen sichern.
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Schalterhalle in einer Schweizer Bank. Mit dem geplanten Systemwechsel der Verrechnungssteuer spielen die Banken als Zahlstellen eine Schlüsselrolle. (Bild: Keystone)

Die Verrechnungssteuer dient gegenüber inländischen Leistungsbegünstigten (und damit Steuerpflichtigen) dem Zweck, die ordnungsgemässe Deklaration der direkten Steuern (Gewinn-, Einkommens- und Vermögenssteuern) sicherzustellen. In diesem Zusammenhang wird auch vom Sicherungszweck der Verrechnungssteuer gesprochen. Gegenüber Leistungsbegünstigten mit Wohnsitz im Ausland hat die Verrechnungssteuer teilweise ebenfalls Sicherungsfunktion, was angesichts der Ausdehnung der internationalen Zusammenarbeit im Steuerbereich indes an Bedeutung verloren hat. Daneben verfolgt die Steuererhebung gegenüber ausländischen Personen aber auch einen reinen Fiskalzweck im Umfang der nicht (vollständig) rückforderbaren Verrechnungssteuer. Daraus erzielt die Schweiz beträchtliche Steuereinnahmen.

Aktuelles System weist Mängel auf


Die heute geltende Verrechnungssteuer beruht auf dem Schuldnerprinzip und erfasst ausschliesslich Erträge aus inländischen Quellen (siehe Kasten). Steuerpflichtig ist dabei ausschliesslich der inländische Schuldner der steuerbaren Leistung. Das kann ein Unternehmen mit Sitz in der Schweiz sein, das eine Obligation ausgibt und darauf den Investoren einen Zins ausrichtet. Der Verrechnungssteuer unterliegen somit bloss Leistungen, welche ein inländischer Schuldner einer steuerbaren Leistung ausrichtet. Die Steuer wird ferner unabhängig von der Person des Leistungsempfängers erhoben und damit auch gegenüber institutionellen Anlegern.

Abb. 1: System des Schuldnerprinzips


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Voraussetzung der Steuererhebung ist, dass es sich beim Schuldner der steuerbaren Leistung um einen Inländer handelt.
Quelle: ESTV / Die Volkswirtschaft

Die Sicherungsfunktion der Verrechnungssteuer im Inland wird mit der geltenden Regelung der Verrechnungssteuer jedoch nur teilweise erfüllt. Denn bei in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtigen Personen unterliegen im Bereich des beweglichen Vermögens nicht nur die inländischen Erträge, sondern auch die Erträge aus ausländischen Quellen der Einkommens- und Vermögenssteuer. Diese Einkommensbestandteile werden von der Verrechnungssteuer nicht erfasst und damit auch nicht gesichert. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine in der Schweiz unbeschränkt steuerpflichtige Person in ihrem Depot ausländische Obligationen hält und ihr darauf Zinsen entrichtet werden.

Gleichzeitig ergeben sich aus der aktuellen Konzeption der Verrechnungssteuer volkswirtschaftliche Nachteile. Da in der Schweiz emittierte Anleihen der Verrechnungssteuer unterliegen, ist der Kapitalmarkt für institutionelle Investoren, welche eine volumenmässig grosse Investorengruppe darstellen, unattraktiv. In der Schweiz ansässige Konzerne begeben ihre Obligationen daher regelmässig über ausländische Strukturen, um die schweizerische Verrechnungssteuerbelastung zu vermeiden.

Erträge aus ausländischen Quellen unterliegen neu der Verrechnungssteuer


Die aktuelle Reform der Verrechnungssteuer[1] verfolgt zwei Ziele: Erstens soll sie die Kapitalaufnahme im Inland erleichtern und dadurch einen Beitrag zur Stärkung des schweizerischen Finanzmarkts leisten. Zweitens soll die Sicherungsfunktion der Verrechnungssteuer verbessert werden, indem nun neu auch Erträge aus ausländischen Quellen der Verrechnungssteuer unterliegen, sofern sie über eine inländische Zahlstelle (z. B. eine Bank) an den wirtschaftlich Berechtigten (z. B. eine in der Schweiz wohnhafte natürliche Person) ausgerichtet werden.

Zahlstellenprinzip erlaubt differenzierte Erhebung


Bei der Verrechnungssteuer nach dem Zahlstellenprinzip wird die Steuer nicht mehr durch den Schuldner der steuerbaren Leistung (z. B. die Unternehmung mit Sitz in der Schweiz, die eine Obligation ausgibt) anonym erhoben, sondern durch die Zahlstelle (oftmals eine Bank). Diese kennt den wirtschaftlich Berechtigten (z. B. die Person, der die Zinsen aus der Obligation wirtschaftlich zustehen). Somit kann im Zahlstellenprinzip die Steuer differenziert erhoben werden und damit nur noch in denjenigen Fällen, in welchen dies aufgrund des Sicherungszwecks der Verrechnungssteuer als sinnvoll erscheint.

Abb 2: System des Zahlstellenprinzips


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Voraussetzung ist, dass sich die Zahlstelle im Inland befindet.
Quelle: ESTV / Die Volkswirtschaft


Inländische Beteiligungen unterliegen weiterhin dem Schuldnerprinzip


Der Verrechnungssteuer nach dem Zahlstellenprinzip unterliegen gemäss Vorschlag des Bundesrates Erträge aus Obligationen, aus Kundenguthaben bei Banken und Sparkassen, aus ausländischen Beteiligungsrechten sowie aus kollektiven Kapitalanlagen (z. B. Anlagefonds), sofern es sich bei letzteren nicht um indirekt ausgerichtete Erträge von inländischen Beteiligungsrechten handelt. Schliesslich unterliegen auch bestimmte Versicherungs- und Vorsorgeleistungen dem Zahlstellenprinzip.

Nicht dem Zahlstellenprinzip, sondern nach wie vor dem Schuldnerprinzip unterliegen Erträge aus direkt gehaltenen inländischen Beteiligungsrechten und Erträge aus inländischen Beteiligungsrechten, welche von inländischen kollektiven Kapitalanlagen ausgeschüttet oder thesauriert werden. Schliesslich unterliegen nach wie vor Lotteriegewinne der Steuer nach dem Schuldnerprinzip.

Das Zahlstellenprinzip wird im Bereich der Verrechnungssteuer auf Erträgen aus beweglichem Vermögen somit nicht vollständig umgesetzt. Weder aus Sicht des Kapitalmarkts noch aus Sicht des Sicherungszwecks der Verrechnungssteuer ist für Erträge aus inländischen Beteiligungsrechten (Dividenden aus inländischen Aktien) ein Wechsel vom Schuldner- hin zum Zahlstellenprinzip angezeigt. Zudem ist die Erhebung von Quellensteuern auf Erträgen aus Beteiligungsrechten international üblich. Gleichzeitig bleibt das bisherige beträchtliche Steueraufkommen in diesem Bereich gewährleistet.

Wer ist eine Zahlstelle?


Als Zahlstelle gilt, wer im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit Erträge, welche der Steuer nach dem Zahlstellenprinzip unterliegen, überweist, vergütet oder gutschreibt. Damit qualifizieren sich in erster Linie Banken und Vermögensverwalter als Zahlstellen. Daneben kann dies auch auf Versicherungen und Unternehmen des Werkplatzes zutreffen – nämlich dann, wenn sie z. B. Zinsen aus von ihnen ausgegebenen Obligationen direkt an ihre Gläubiger ausrichten.

Neuerungen bei der Steuererhebung – am Beispiel einer Obligation


Das Zahlstellenprinzip lässt eine differenzierte Erhebung der Verrechnungssteuer zu, da die Zahlstelle den Empfänger der steuerbaren Leistung kennt (bzw. aufgrund der bereits heute geltenden Sorgfaltspflichten kennen muss). Daher kann im Zahlstellenprinzip – anders als im anonymen Schuldnerprinzip – die Steuererhebung beschränkt werden auf Sachverhalte, bei denen der Sicherungszweck der Verrechnungssteuer dies erfordert. Dies soll nachfolgend am Beispiel einer Obligation bzw. dem darauf ausgerichteten Zins illustriert werden.

 …für Schweizer Kapitalgesellschaften


Hält eine inländische juristische Person die Obligation und vereinnahmt den Zins, tritt bei Bestehen einer Buchführungspflicht der Sicherungszweck der Verrechnungssteuer in den Hintergrund. Die Steuer nach dem Zahlstellenprinzip wird daher nicht erhoben, wodurch diese wirtschaftlich Berechtigten die entsprechenden Erträge brutto, das heisst ohne Steuerabzug ausgerichtet erhalten. Die gilt insbesondere für Kapitalgesellschaften mit Nachweis der ordentlichen oder der eingeschränkten Revision (inkl. Vorsorgeeinrichtungen etc.).

Vereine und Stiftungen werden nur bei Nachweis der ordentlichen Buchführungspflicht wie Kapitalgesellschaften behandelt. Für Kapitalgesellschaften mit „Milchbüchleinrechnung“ (solche, die keiner Revision unterliegen; sogenanntes Opting-out) gibt es hingegen keine Ausnahme, womit in diesen Fällen die Steuer auch im Zahlstellenprinzip zu erheben ist.

 …für inländische natürliche Personen


 Ist eine inländische natürliche Person Inhaberin der Obligation, so hat sie zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Verrechnungssteuer durch die Zahlstelle entrichtet, oder die steuerbare Leistung (Obligationenzins) wird von der Zahlstelle an die Steuerbehörde gemeldet. Beide Arten der Erhebung sind dabei gleichwertig. Eine Meldung an die Steuerbehörden setzt eine entsprechende Willensäusserung des Obligationärs voraus, die die Zahlstelle zur Meldung ermächtigt. Die Meldeoption ist daher freiwillig. Durch die nach wie vor mögliche (gegenüber dem Fiskus anonyme) Steuerentrichtung und die Überwälzung auf den wirtschaftlich Berechtigten wird das Bankkundengeheimnis im Inland weiterhin gewahrt.

 …für wirtschaftlich berechtigte Personen im Ausland


Bei Personen mit Wohnsitz im Ausland wird im Zahlstellenprinzip auf eine Steuererhebung verzichtet. Der Wegfall der Steuer auf Zinserträgen steigert die Attraktivität von zinstragenden Schweizer Anlagen für ausländische, namentlich institutionelle Anleger. Damit werden die steuerlichen Voraussetzungen für die anvisierte Stärkung des Kapitalmarkts Schweiz geschaffen. Die damit verbundenen Mindereinnahmen für den Fiskus sind verkraftbar. Im Unterschied zu den Zinsen generiert die Verrechnungssteuer auf den Dividenden aus inländischen Beteiligungsrechten heute substanzielle Steuereinnahmen. Da in diesem Bereich am Schuldnerprinzip festgehalten werden soll, ergeben sich diesbezüglich keine Mindereinnahmen.

Automatischer Informationsaustausch als Grundbedingung


Der Wechsel zum Zahlstellenprinzip stärkt die Sicherungsfunktion der Verrechnungssteuer sowie auch den Kapitalmarkt Schweiz. Er setzt allerdings ohne Gegenmassnahmen insbesondere für inländische natürliche Personen einen Anreiz, ihre Zahlstelle (das heisst ihr Depot oder ihr Konto) von der Schweiz weg zu einer ausländischen Zahlstelle zu verlegen, um damit die Verrechnungssteuer zu vermeiden.

Diesem Risiko, das eine Schwächung des Finanzplatzes Schweiz und erhebliche Mindereinnahmen bei den Einkommens- und Vermögenssteuern für Bund, Kantone und Gemeinden zur Folge hätte, wird in zweierlei Hinsicht begegnet: Für steuerehrliche Personen wird bei der Verrechnungssteuer eine freiwillige Meldeoption eingeführt, wodurch diese ebenfalls die jeweiligen Erträge ohne Abzug der Verrechnungssteuer vereinnahmen können.

Steuerunehrliche Personen, die eine Steuerhinterziehung über eine ausländische Bank beabsichtigen, werden sich im internationalen Umfeld zunehmend einem ausgedehnten Informationsaustausch und damit einem Entdeckungsrisiko ausgesetzt sehen. Die Einführung eines automatischen Informationsaustausches im internationalen Verhältnis ist daher eine Bedingung für die Implementierung der vorliegenden Reform der Verrechnungssteuer.

Zentral erscheint weiter: Mit dem Wechsel zum Zahlstellenprinzip werden steuerliche Rahmenbedingungen geschaffen, womit Banken zur Stärkung der Eigenmittel ihre Pflichtwandelanleihen (inkl. Bail-in-Bonds) und Anleihen mit Forderungsverzicht auch in Zukunft aus dem Inland heraus begeben können.

Unter dem Strich bleiben Einnahmen gleich


 Die vorliegende Reform wirkt sich einerseits direkt auf die Einnahmen der Verrechnungssteuer und anderseits indirekt auf die Einnahmen der Gewinn-, der Einkommens- und der Vermögenssteuer aus. Bei der Verrechnungssteuer ergeben sich Mindereinnahmen von rund 200 Mio. Franken pro Jahr. Die Beseitigung der Hindernisse im Kapitalmarktbereich und im Treasury-Bereich schafft jedoch mittelfristig Arbeitsplätze und Wertschöpfung.

Dies führt zu Mehreinnahmen bei der Einkommenssteuer und bei der Gewinnsteuer. Weitere Mehreinnahmen ergeben sich aus der Erfassung bisher unversteuerter Vermögenswerte von inländischen Personen. Die Mehreinnahmen aufgrund dieser Effekte dürften die permanenten Mindereinnahmen bei der Verrechnungssteuer aufwiegen.

Mit der Reform sind auch einmalige finanzielle Auswirkungen verbunden. Diese bewegen sich zwischen Mehreinnahmen von bis zu 0,5 Mrd. Franken, wenn von der Meldeoption wenig bis kein Gebrauch gemacht wird, und Mindereinnahmen von bis zu 1,7 Mrd. Franken, wenn die Meldeoption stark genutzt wird oder die Steuererhebung sogar vollständig verdrängt. Zum Umgang mit solchen einmaligen Effekten im Übergang bestehen schuldenbremsenkonforme Lösungen.

Darüber hinaus erhöht die Reform die Systemstabilität. Denn die Emission von bestimmten Finanzinstrumenten durch systemrelevante Banken aus der Schweiz heraus wird steuerlich attraktiver.

  1. Bundesgesetz über das Schuldner- und das Zahlstellenprinzip bei der Verrechnungssteuer (Vernehmlassungsvorlage einsehbar im Bundesblatt [BBl] 2015 432ff.). []

Zitiervorschlag: Schwarz, Daniela (2015). Die Reform der Verrechnungssteuer stärkt den Finanzplatz. Die Volkswirtschaft, 08. April.

Verrechnungssteuer nach aktuellem System

Die Verrechnungssteuer ist eine vom Bund an der Quelle erhobene Steuer auf dem Ertrag des beweglichen Kapitalvermögens (insbesondere auf Zinsen und Dividenden), auf schweizerischen Lotteriegewinnen und auf bestimmten Versicherungsleistungen. Die Steuer bezweckt in erster Linie die Eindämmung der Steuerhinterziehung; die Steuerpflichtigen sollen veranlasst werden, den für die direkten Steuern zuständigen Behörden die mit der Verrechnungssteuer belasteten Einkünfte und Vermögenserträge sowie das Vermögen, auf dem die steuerbaren Gewinne erzielt wurden, anzugeben. Die Verrechnungssteuer wird unter bestimmten Voraussetzungen durch Verrechnung mit den Kantons- und Gemeindesteuern oder in bar zurückerstattet. Der in der Schweiz wohnhafte Steuerpflichtige, der seiner Deklarationspflicht nachkommt, wird durch die Steuer somit nicht endgültig belastet. Die Verrechnungssteuer ist eine Objektsteuer, d. h., sie wird ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Empfängers der steuerbaren Leistung erhoben. Der Steuersatz beträgt

  • 35% auf Kapitalerträgen und Lottogewinnen,
  • 15% auf Leibrenten und Pensionen (d. h. auf Rentenleistungen) und
  • 8% auf sonstigen Versicherungsleistungen (d. h. auf Kapitalleistungen).


Der Kantonsanteil am Nettoertrag der Verrechnungssteuer beträgt gegenwärtig 10%. Steuerpflichtig sind die inländischen Schuldner der steuerbaren Leistung. Sie haben auf der steuerbaren Leistung die Steuer zu entrichten und diese durch entsprechende Kürzung der Leistung auf deren Empfänger zu überwälzen. Der Steuerschuldner hat sich unaufgefordert bei der Eidgenössischen Steuerverwaltung anzumelden, die vorgeschriebenen Abrechnungen und Belege einzureichen und gleichzeitig die Abgabe zu entrichten (Prinzip der Selbstveranlagung). Auf Steuerbeträgen, die nach ihrem Fälligkeitstermin ausstehen, ist ohne Mahnung ein Verzugszins geschuldet. Für im Ausland wohnhafte Leistungsempfänger stellt die Verrechnungssteuer grundsätzlich eine endgültige Belastung dar. Personen, deren Wohnsitzstaat mit der Schweiz ein Doppelbesteuerungsabkommen abgeschlossen hat, können jedoch je nach Ausgestaltung dieses Abkommens Anspruch auf die ganze oder die teilweise Rückerstattung der Verrechnungssteuer erheben, sofern sie die im betreffenden Abkommen aufgestellten Voraussetzungen erfüllen. Die Einnahmen aus der Verrechnungssteuer beliefen sich im Jahr 2014 auf rund 5,66 Mrd. Franken.