Blick auf das Kernkraftwerk Leibstadt. Ob die Klima- und Energieziele ohne Kernkraftwerke zu erreichen sind, ist fraglich. (Bild: Keystone)
Neben den expliziten CO2-Reduktionszielen enthält die Energiestrategie 2050 quantitative Vorgaben für eine Verminderung der Energienachfrage in den kommenden Jahrzehnten. Gleichzeitig hat der Bundesrat unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe in Fukushima den Ausstieg aus der weitgehend CO2-freien Stromerzeugung in Kernkraftwerken beschlossen.
Zur Erreichung der Ziele ist ein ganzes Bündel von Massnahmen vorgesehen: technische Vorschriften zur Verbesserung der Energieeffizienz, Subventionen für energetische Sanierungen, die Erhöhung der Besteuerung fossiler Energieträger sowie Lenkungsabgaben und die Förderung der Stromerzeugung mit neuen erneuerbaren Energieträgern (Sonne, Wind, Biomasse und Geothermie). Dabei sind die Erwartungen hoch: So sollen die negativen externen Effekte der Verbrennung fossiler Energieträger reduziert werden, und die Schweiz soll anderen Ländern als Vorbild dienen. Weiter soll die Importabhängigkeit im Energiesektor reduziert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Und schliesslich soll für Unternehmen, die energieeffizientere Produkte und Prozesse entwickeln, ein Wettbewerbsvorteil entstehen.
Globale Koordination erforderlich
Unabhängig ihres Entstehungsorts verteilen sich die klimaschädlichen Treibhausgas-Emissionen global. Der anthropogene[1] Klimawandel ist deshalb ein globales Umweltproblem, dessen Lösung nur weltweit koordiniert gelingen kann. Für ein einzelnes Land bestehen also kaum Anreize, beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle einzunehmen: Es ist attraktiver, nichts zu tun und als Trittbrettfahrer von den Massnahmen anderer Länder zu profitieren.
Vor diesem Hintergrund geht der Bundesrat in der Energiestrategie 2050 denn auch vom Zustandekommen eines globalen Abkommens zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen aus. Aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen der einzelnen Ländergruppen sind die Chancen für ein wirksames Abkommen aber als gering einzuschätzen.
Der Anteil der Schweiz an den globalen anthropogenen Treibhausgas-Emissionen beträgt gegenwärtig gerade mal 0,14%. Weil die Energienachfrage und die Verbrennung fossiler Energieträger in den aufstrebenden Volkswirtschaften künftig weiter ansteigen werden, wird der Anteil der Schweiz in den nächsten Jahren zurückgehen.
Zudem muss in Bezug auf die Klimaziele festgehalten werden, dass die an der zweiten Verpflichtungsrunde des Kyoto-Protokolls beteiligten Länder für weniger als 15% der weltweiten Emissionen verantwortlich sind. Insbesondere die grössten Verursacher-Staaten wollen sich noch nicht auf verbindliche Reduktionsziele festlegen. Ein Alleingang einer kleinen Ländergruppe verschafft aber den abseitsstehenden Ländern kompetitive Vorteile. In Bezug auf die globalen Emissionen kann ein Schweizer Alleingang darüber hinaus kontraproduktiv sein, weil mit der Verlagerung von besonders treibhausgasintensiven Produktionszweigen in Länder mit weniger strengen Vorschriften zu rechnen ist.
Auf dem Papier steht die Schweiz mit ihren Reduktionszielen zwar nicht alleine da; die EU strebt beispielsweise ebenfalls eine Reduktion von 20% bis zum Jahr 2020 an. Für die Zielerreichung sind aber unterschiedliche Anstrengungen notwendig. Denn die Schweiz befand sich bereits im Basisjahr 1990 auf einem tieferen Emissionsniveau, vor allem wegen der weitgehend CO2-freien Stromproduktion aus Wasser- und Kernkraftwerken. Pro Kopf betragen die CO2-Emissionen der Schweiz z. B. nur rund 50% der in Deutschland erreichten Grössenordnung.
Ambitionierte Energieziele
Die mit der Energiestrategie 2050 angestrebten Klima- und Energieziele sind ambitioniert. Der Energiebedarf der Schweiz ist in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts stark angestiegen, stärker noch als der Wohlstand. Auch zwischen 2000 und 2010 nahm die Energienachfrage zu, wenn auch weniger stark als zuvor.
Die Abbildung zeigt die Energienachfrage pro Kopf seit dem Jahr 1950 und die Entwicklungen bis zum Jahr 2050 in den vom Bundesrat verwendeten Szenarien. Gemäss Szenario „Weiter wie bisher“ wird bis 2050 gegenüber 2010 eine Reduktion um 32% erreicht, das Szenario „Politische Massnahmen“ führt zu einer Reduktion um 41%. Im vom Bundesrat angestrebten Szenario „Neue Energiepolitik“ soll die Nachfrage bis 2050 sogar um 53% gesenkt werden. Die Energienachfrage pro Kopf würde dann wieder dem Niveau im Jahre 1960 entsprechen.
Zur Berechnung der Szenarien mussten – neben dem unterstellten Zustandekommen internationaler Vereinbarungen zur Reduktion der Treibhausgase – auch Annahmen über die Wirtschafts- und die Bevölkerungsentwicklung, den technischen Fortschritt und die Preisentwicklung für Energieträger getroffen werden. Für den Zeithorizont 2050 sind solche Annahmen aber zwangsläufig höchst spekulativ. Es ist zudem nicht seriös, die wirtschaftlichen Auswirkungen einer politisch gewollten Reduktion der Energienachfrage unter der Annahme einer exogen vorgegebenen Produktivitätsentwicklung und unter Zugrundelegung von unter völlig unterschiedlichen Bedingungen ermittelten Verhaltensparametern abzuschätzen und als Basis für weitreichende Entscheide zu verwenden.
Entwicklung der Endenergienachfrage in der Schweiz pro Kopf in drei Szenarien
Quelle: IWSB (2014). / Die Volkswirtschaft
Volkswirtschaftliche Konsequenzen
Durch den Ausstieg aus der relativ emissionsarmen Kernkraft wird das gleichzeitige Erreichen der Klima- und Energieziele nicht einfacher, da die Stromerzeugung der Kernkraftwerke durch andere Produktionsformen zu ersetzen ist. Aufgrund der geplanten Reduktion der Treibhausgase verbietet sich ein Einstieg in die relativ kostengünstige Stromerzeugung mit fossilen Energieträgern. Dieser offensichtliche Zielkonflikt soll in dem vom Bundesrat angedachten Lösungsweg einerseits durch die massive Subventionierung der Stromerzeugung mit neuen erneuerbaren Energieträgern und andererseits durch eine Rationierung der Energienachfrage gelöst werden.
Ob die Klima- und Energieziele mit dem massiven Ausbau der unrentablen Stromerzeugung mit neuen erneuerbaren Energieträgern zu erreichen sind, ist fraglich. Denn nach 2020 soll die heutige Subventionierung mit einer Lenkungsabgabe auf die Energie- und auch die Stromnachfrage ersetzt werden. Weil die auf dem Strommarkt erzielbaren Preise für Strom aus Fotovoltaik und Windkraft aller Voraussicht nach auch nach 2020 noch niedriger sein werden als deren Gestehungskosten, ist zu erwarten, dass diese Anlagen ohne Subventionen auf absehbare Dauer unrentabel bleiben.
Damit die Anlagen rentabel würden, müsste die Lenkungsabgabe auf die Stromnachfrage (aus dem Netz) so hoch angesetzt sein, dass es für die Betreiber lohnend wäre, die Anlagen vom Netz abzukoppeln und selber Speicher zu errichten, um den Eigenbedarf decken zu können. Die negativen volkswirtschaftlichen Auswirkungen derartig hoher Lenkungsabgaben werden dementsprechend gravierend sein.
Wirtschaftlich rentable Effizienzverbesserungen werden unabhängig von politischen Massnahmen und Subventionen vorgenommen. Subventionen führen zu Wettbewerbsverzerrungen, deren Kosten letztlich die Unternehmen und privaten Haushalte zu tragen haben. Eine Befreiung der energieintensiven Unternehmen von den Kosten der staatlichen Energieverteuerung würde diese Problematik verschärfen. Um die vorgegebenen Ziele zu erreichen, müssen dann die nicht begünstigten Unternehmen und privaten Haushalte umso höhere Lasten tragen.
Ob die Importabhängigkeit im Energiebereich mit der Energiestrategie 2050 reduziert werden kann, muss ebenfalls infrage gestellt werden. Schon heute muss die Schweiz im Winterhalbjahr Strom importierten. Ohne den ganzjährig verfügbaren im Inland produzierten Strom aus Kernkraftwerken dürften die Importe im Winterhalbjahr sogar noch zunehmen. Der importierte Strom wird im Ausland weiterhin zu einem Grossteil aus Gas-, Kohle- oder Kernkraft produziert. Schadstoffemissionen und Risiken werden auf diese Weise exportiert.
Dass die Schweizer Wirtschaft von potenziellen First-Mover-Vorteilen profitiert, ist nicht zu erwarten. Zahlreiche Erfahrungen aus der Praxis widerlegen dies. Das Paradebeispiel von fehlgeleiteten Anschubsubventionen ist die deutsche Solarindustrie. Selbst wenn andere Länder zukünftig ebenfalls anstreben sollten, einen massiv tieferen Energieeinsatz zu erzielen, besteht die Gefahr, dass die Fast-Followers erfolgreicher sein werden als die Pioniere. Ebenfalls wird gerne angeführt, dass den Pionieren durch den Umbau des Energiesystems mehr neue Arbeitsplätze entstehen als wegfallen. Allerdings wird bei diesen Überlegungen vernachlässigt, dass eine veränderte Beschäftigtenstruktur sich auch auf die Produktivität der Volkswirtschaft auswirkt.
Fragwürdiger Alleingang
Zusammen mit einer marktliberalen Ausgestaltung des Energiemarktes sollten die Reduktionsbemühungen der Schweiz im Gleichschritt mit den globalen Bemühungen erfolgen. Setzt die Schweiz zusammen mit einer vergleichsweise wenig Treibhausgas emittierenden Ländergruppe auf einen Alleingang, droht sie sich Wettbewerbsnachteile einzuhandeln. Bei einem verschwindend kleinen Anteil der Schweiz an den globalen Emissionen tragen die teuren hiesigen Bemühungen wenig zur Lösung des globalen Problems des Klimawandels bei. Die Schweiz muss sich also fragen, was sie mit den angestrebten Zielen der Energiestrategie 2050 effektiv erreichen will oder inwiefern sie sich lediglich selbst kasteit.
- Durch den Menschen beeinflusst, verursacht. []
Literaturverzeichnis
Ein vollständiges Literaturverzeichnis enthält die Studie: IWSB (2014). Energiestrategie 2050: Eine institutionelle und ökonomische Analyse.
Bibliographie
Ein vollständiges Literaturverzeichnis enthält die Studie: IWSB (2014). Energiestrategie 2050: Eine institutionelle und ökonomische Analyse.
Zitiervorschlag: Schips, Bernd; Hirter, Christoph (2015). Zielkonflikte der Energiestrategie 2050. Die Volkswirtschaft, 22. Mai.