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Schweiz prägt die neuen UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung mit

Ende Jahr laufen die Millenniumsziele der UNO aus. Um die Entwicklung und Nachhaltigkeit auch in den nächsten 15 Jahren zu fördern, braucht es erneut konkrete Ziele. Die Schweiz leistet dazu einen wichtigen Beitrag.
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Mütter mit Neugeborenen in einem Spital in Nigeria. Die UNO will in den nächsten 15 Jahren die Kinder- und Müttersterblichkeit weiter vermindern. (Bild: UN Photo/Eskinder Debebe)

Einfach ist die Aufgabe nicht, die sich die Staatengemeinschaft zum Jahrtausendwechsel gegeben hat: den Anteil Menschen, die in extremer Armut leben und mit weniger als 1,25 Dollar pro Tag auskommen müssen, innerhalb von 15 Jahren zu halbieren. Dies ist eines von acht ambitionierten Zielen, an denen sich die internationale Entwicklungszusammenarbeit seit 2000 ausgerichtet hat. Weitere Millenniumsentwicklungsziele[1] sind: gleiche Primarschulbildung für alle, die Gleichstellung der Geschlechter, die Reduktion der Mütter- und Kindersterblichkeit, die Bekämpfung von Krankheiten wie Aids, Malaria und Tuberkulose sowie die Förderung der ökologischen Nachhaltigkeit.

Trotz beachtlichen Fortschritten bleibt viel zu tun


Mit den Millenniumszielen hat sich die Staatengemeinschaft zum ersten Mal klare und messbare Entwicklungsziele gesetzt. Die Erfolge sind beachtlich: Gegenüber 1990 ist der Anteil extrem armer Menschen in Entwicklungsländern von rund der Hälfte auf rund einen Fünftel gesunken. Zudem haben mehr als zwei Milliarden Menschen Zugang zu verbessertem Trinkwasser erhalten. Sowohl die Mütter- als auch die Kindersterblichkeit konnten beinahe halbiert werden. Dank Massnahmen gegen Malaria konnten seit 2000 mehr als drei Millionen Leben gerettet werden. Im gleichen Zeitraum haben sich die Lebensbedingungen von mehr als 200 Millionen Slumbewohnern signifikant verbessert.

Mehrere Ziele können bis zum Ablauf der Jahresfrist jedoch nicht erreicht werden. So haben sich die Gesundheitsziele als zu ambitioniert herausgestellt. Trotz erreichter Geschlechterparität bei der Einschulung bleibt das Recht auf Grundschulbildung nach wie vor vielen Kindern verwehrt. Die soziale Ungleichheit zwischen und innerhalb der Gesellschaften hat sich weltweit insgesamt weiter vergrössert anstatt reduziert. Auch im Umweltbereich sind die Fortschritte weit hinter den Erwartungen geblieben.

Die Erklärungen für die Erfolge und Misserfolge der Millenniumsziele sind zahlreich und mannigfaltig. Fest steht, dass die Ziele weltweit zu mobilisieren vermochten, soziale Probleme auf die politische Agenda gesetzt wurden und die Entwicklungszusammenarbeit strukturierter wurde – und letztlich wohl auch wirksamer. Doch fest steht auch: Die UNO-Agenda war zu einseitig auf die sozialen Probleme ausgerichtet, weshalb wirtschaftliche und umweltpolitische Aspekte sträflich vernachlässigt wurden. Fragen der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wurden sogar ganz ausgeklammert.

Arbeitslosigkeit, Klimawandel und Gewalt


Was auch immer die internationale Staatengemeinschaft nach Ablauf der Millenniumsziele Ende Jahr tun wird: Sie muss die Probleme in einer Welt angehen, die grundlegend anders aussieht als vor 15 Jahren: Die Arbeitslosigkeit hat seither Rekordwerte erreicht, wenig nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster sowie die demografische Entwicklung haben den Druck auf die natürlichen Ressourcen erhöht, und Klimawandel, Naturkatastrophen, Rückgang der Biodiversität sowie Gewalt, Konflikt und Fragilität bedrohen Entwicklungsfortschritte. In besonders stark verschmutzten und dicht bevölkerten Gegenden wie in den urbanen Gebieten in China oder Indien wird die schlechte Luftqualität zudem verstärkt zu einem ernsthaften Gesundheitsrisiko. Urbanisierung, Migration und demografische Veränderungen bergen sowohl Chancen als auch Herausforderungen.

Auch die globale politische Landschaft hat sich gewandelt: Die zunehmende Vernetzung und Interdependenz erfordert eine verstärkte Zusammenarbeit zur Lösung globaler Herausforderungen wie Wirtschaftskrisen und Klimaveränderungen. Gleichzeitig haben die Schwellenländer dem Multilateralismus ein neues Gesicht verliehen, etwa mit der Entstehung der G20, eines Gremiums, in welchem auch Staaten wie China, Indien und Brasilien vertreten sind. Aufstrebende Volkswirtschaften gewinnen auch als Geber für einkommensschwache Länder an Bedeutung. Während die offiziellen Budgets für internationale Entwicklungszusammenarbeit aufgrund der anhaltenden Konjunkturschwäche zunehmend unter Druck geraten, übernehmen nicht staatliche Akteure wie Privatpersonen oder Stiftungen eine immer wichtigere Rolle.

Post-2015-Agenda: Ein Paradigmenwechsel


Vor diesem Hintergrund hat die internationale Staatengemeinschaft 2012 entschieden, für die Zeit nach 2015 eine neue, gesamtheitlichere Zielagenda zu schaffen, welche Fragen der Armutsbekämpfung sowie der nachhaltigen Entwicklung[2] gemeinsam angeht. Seither arbeiten die Länder zusammen mit Vertretern der Zivilgesellschaft, des Privatsektors und der Wissenschaft im UNO-Rahmen intensiv an einem neuen globalen Rahmenwerk, welches soziale und wirtschaftliche Entwicklung mit ökologischer Verantwortung kombiniert. Die Agenda für eine Nachhaltige Entwicklung post-2015 wird, im Gegensatz zu den Millenniumsentwicklungszielen, universell – also für alle Länder – gültig sein und soll die nationalen wie die internationalen Anstrengungen zur Lösung globaler Herausforderungen leiten.

Mit dem Anspruch der Universalität und der ausgewogenen Integration der sozialen, wirtschaftlichen und umweltbezogenen Dimensionen soll der neue Referenzrahmen bis 2030 zur angestrebten Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Dafür bedarf es eines Paradigmenwechsels: Die Ausdehnung der Agenda von einer globalen Armutsreduktionsstrategie zu einem neuen Rahmenwerk für nachhaltige Entwicklung erfordert nicht nur eine thematische und geografische Expansion, sondern auch den dringenden Einbezug neuer Ansätze, Instrumente und Akteure für die Umsetzung und Finanzierung.

Die Schweiz ist vorne dabei


Die Schweiz arbeitet seit 2012 am Prozess der Post-2015-Agenda mit und hat diesen wesentlich beeinflusst. So setzt sie sich etwa dafür ein, dass sich der neue Zielrahmen an den Menschenrechten, an einer sozialverträglichen grünen Wirtschaft sowie an einer nachhaltigen Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen orientiert. Fünf Prinzipien leiten die Position der Schweiz:

  • Respektierung der Menschenrechte;
  • Belastungsgrenzen der Erde;
  • soziale Inklusion und Gerechtigkeit;
  • Universalität;
  • Politikkohärenz.


Von den zahlreichen Themen, die im Rahmen der Post-2015-Agenda diskutiert werden, positioniert sich die Schweiz in insgesamt 16 Bereichen.[3] Davon setzt sie sich insbesondere für Einzelziele in den vier Themenfeldern Wasser, Gesundheit, Geschlechtergleichstellung sowie Frieden und inklusive Gesellschaften ein. Des Weiteren unterstützt sie aktiv die prominente transversale Integration folgender Anliegen: Verringerung des Katastrophenrisikos, Übergang zu nachhaltigem Konsum und nachhaltiger Produktion sowie Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Nutzens von Migration.

Diese Anliegen konnte die Schweiz im letzten Jahr erfolgreich in den Empfehlungen der offenen Arbeitsgruppe zu Zielen für eine Nachhaltige Entwicklung[4] verankern, in der sie sich mit Deutschland und Frankreich einen Sitz teilte. Im Juli 2014 verabschiedete die Arbeitsgruppe einen Vorschlag für 17 Ziele («goals») und 169 Unterziele («targets»). Viele Vorschläge der Schweiz wurden übernommen und sind nun Grundlage für die zwischenstaatlichen Verhandlungen im Rahmen der UNO-Generalversammlung, die im Januar 2015 begonnen haben. Die neue Agenda soll im September 2015 von den Staats- und Regierungschefs anlässlich eines Gipfeltreffens in New York verabschiedet werden.

Konferenz in Addis Abeba als Prüfstein


Parallel zu den Verhandlungen der Post-2015-Agenda werden die Verhandlungen zur dritten internationalen Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung[5] geführt, welche im Juli in Addis Abeba stattfindet. Das daraus resultierende neue Rahmenwerk zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung soll integraler Bestandteil der Post-2015-Agenda werden.

Im Vorfeld hat sich die Schweiz bisher erfolgreich für die folgenden Themen und Anliegen eingesetzt:

  • Mobilisierung einheimischer Ressourcen («domestic resource mobilization»), unter anderem durch Stärkung von Steuerbehörden in Entwicklungsländern zur effektiven Erhebung inländischer Ressourcen;
  • Hebelfunktion der öffentlichen Entwicklungshilfe (APD) zur Generierung zusätzlicher privater Investitionen in nachhaltige Entwicklung;
  • Geldüberweisungen von Migranten in die Herkunftsländer, insbesondere die Senkung der Transferkosten sowie der vermehrte Einsatz von Rücküberweisungen für die nachhaltige Entwicklung;
  • Rückführung unrechtmässig erlangter Gelder («asset recovery»): Schaffung von Rahmenbedingungen für die Rückführung in die Ursprungsländer als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung vor Ort und zur Vermeidung erneuter Veruntreuung.


Die Konferenz in Addis Abeba kommt einem politischen Lackmustest für die Verabschiedung einer ambitionierten Post-2015-Agenda gleich. Denn es geht um nichts Geringeres als die Einigung auf die eigentlichen Mittel zur Umsetzung der neuen Agenda für nachhaltige Entwicklung. So werden die Resultate der Konferenz wegweisend für den Erfolg des Gipfeltreffens zur Post-2015-Agenda im September in New York sein und werden somit auch einen bedeutenden Einfluss auf das Gelingen des Klimagipfels im Dezember in Paris haben.

Dabei spielen die Rechenschaftspflicht sowie die Überprüfung der Zielerreichung eine wichtige Rolle. Auch in diesem Themenbereich ist die Schweiz seit Prozessbeginn äusserst aktiv und setzt sich beispielsweise im Rahmen einer überregionalen Gruppe von sieben Ländern (Schweiz, Liechtenstein, Norwegen, Ägypten, Korea, Peru und Pakistan) für einen starken Überprüfungsmechanismus auf globaler Ebene ein.

Mit neuen Zielen in eine nachhaltige Zukunft?


Gelingt es, diesen globalen Monster-Prozess zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen? Werden die 17 neuen Ziele anschliessend von allen Staaten umgesetzt? Wird uns dieser Weg tatsächlich in eine nachhaltige Zukunft führen? Vieles wird vom politischen Willen abhängen. Zunächst gilt es, diesen in den verbleibenden Verhandlungen weiter zu steigern, um ein ambitioniertes und wirksames Rahmenwerk zu schaffen, das auch tatsächlich die politische Unterstützung erhält, die es braucht, um die Agenda in den kommenden 15 Jahren zum Erfolg zu bringen.

Ohne diesen gemeinsam erarbeiteten, übergeordneten Rahmen von klaren und handlungsorientierten Zielen wird es nicht gelingen, Akteure und Finanzmittel über die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit hinaus zu mobilisieren. Und ohne den notwendigen Paradigmenwechsel im Hinblick auf eine globale nachhaltige Entwicklung können Arbeitsplätze, Ressourcenverbrauch und soziale Gerechtigkeit für künftige Generationen nicht gesichert werden. Deshalb braucht es diese neuen Ziele – und das entsprechende Schweizer Engagement.

  1. Millennium Development Goals (MDG) []
  2. Rio-Prozess. []
  3. Siehe Schweizer Position zur Agenda für eine Nachhaltige Entwicklung vom 25. Juni 2014 unter www.post2015.ch) []
  4. Open Working Group on Sustainable Development Goals (SDG) unter sustainabledevelopment.un.org/sdgsproposal []
  5. Financing for Development unter un.org/esa/ffd/ []

Zitiervorschlag: Gerber, Michael (2015). Schweiz prägt die neuen UNO-Ziele für nachhaltige Entwicklung mit. Die Volkswirtschaft, 24. Juni.