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«Man sollte auch im höheren Alter mit der Weiterbildung nicht aufhören»

Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann hat Ende April zu einer nationalen Konferenz zum Thema «Ältere Arbeitnehmer» eingeladen. Im Interview mit der «Volkswirtschaft» äussert sich der Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsminister zum Nutzen der Konferenz und sagt, was ältere Arbeitnehmende tun können, um auf dem Arbeitsmarkt besser bestehen zu können.

«Man sollte auch im höheren Alter mit der Weiterbildung nicht aufhören»

Kommuniziert die Ergebnisse der nationalen Konferenz zum Thema «Ältere Arbeitnehmer»: Bundesrat Johann N. Schneider Ammann, beobachtet von SGB-Präsident Paul Rechsteiner. Die Schlusserklärung der Konferenz vom 27. April 2015 ist unter admin.ch abrufbar. (Bild: Keystone)

Die Lage von älteren Arbeitnehmenden auf dem Arbeitsmarkt wird in der Öffentlichkeit rege diskutiert. Wie wichtig ist diese Altersgruppe für Sie?


Für mich als Wirtschafts- und Arbeitsminister ist prioritär, dass möglichst alle Menschen in unserem Land eine Arbeit und damit eine Perspektive haben. Heute sind bereits 28% der Erwerbstätigen über 50 Jahre alt. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir uns intensiv mit ihrem Verbleib im Erwerbsleben und der raschen Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt nach einem Jobverlust auseinandersetzen. Das Thema der älteren Arbeitnehmenden ist auch ein wichtiger Pfeiler der von mir im 2011 lancierten Fachkräfteinitiative. Die Schweiz braucht Fachkräfte – ältere Arbeitnehmende bringen Erfahrung und Wissen mit.

Im April fand die erste nationale Konferenz zum Thema «Ältere Arbeitnehmende» statt. Wie schätzen Sie den Nutzen dieser Veranstaltung ein?


Ein Ziel dieser Konferenz war es, sich über die Schwerpunkte des Themas zu verständigen. Die Schweiz macht in verschiedenen Bereichen schon vieles richtig: Wir haben eine hohe Erwerbsquote auch bei den älteren Arbeitnehmenden. Punktuell kann man aber noch mehr für die Arbeitsmarktintegration älterer Menschen tun. Das haben mir auch die Gespräche mit Einzelpersonen und Organisationen gezeigt, die ich zwei Wochen vor der Konferenz führte. Ich wollte direkt von ihnen ihre Eindrücke und Forderungen hören. Dabei habe ich auch gespürt, wie schwierig es für den Einzelnen ist, nicht mehr gefragt zu sein im Arbeitsmarkt. Das müssen wir wo möglich ändern. An der Konferenz wurde dann eine gemeinsame Schlusserklärung verfasst. Darin gibt es einen Analyseteil sowie eine Auflistung der verschiedenen Massnahmen.

Wie geht es weiter?


Ich will nichts beschönigen: Es war nicht einfach, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Alle Akteure haben auch ihre eigenen Interessen. Umso wichtiger ist es, dass sich Bund, Kantone und Sozialpartner – das sind der Arbeitgeberverband, der Gewerkschaftsbund, der Gewerbeverband und Travailsuisse – auf eine gemeinsame Schlusserklärung einigen konnten. Ich erwarte von allen Akteuren, dass sie am selben Strick ziehen. Im kommenden April, also in einem Jahr, werden wir uns wieder treffen und eine erste Bilanz der Massnahmen ziehen. Alle haben sich bereit erklärt, den vorgeschlagenen Weg zu gehen.

Besteht zwischen Sozialpartnern, Bund und Kantonen Einigkeit betreffend die Analyse?


Die Statistiken belegen klar, dass die Lage der älteren Arbeitnehmenden grundsätzlich gut ist. Die Arbeitsmarktintegration von Personen ab 50 ist nicht nur im internationalen Vergleich, sondern auch im Vergleich zu anderen Altersgruppen sehr gut. Dass ältere Arbeitnehmende teilweise in einer sehr schwierigen Lage sind, ist weder zu ignorieren noch zu relativieren. Jedes Einzelschicksal ist schwierig, deshalb braucht es gemeinsames Handeln. Die Teilnehmenden sind sich im Grundsatz einig in den Erkenntnissen aus den statistischen Analysen. Bei den Interpretationen gibt es aber Differenzen.

Sie haben drei Handlungsfelder definiert, um die Situation für ältere Arbeitnehmende zu verbessern. Das erste heisst: bestehende Vorteile stärken. Wer muss was dazu beitragen?


Wie betont, ist die Situation von älteren Arbeitnehmenden in der Schweiz im internationalen Vergleich gut. Diesen Zustand gilt es weiter zu stärken. Was sich bewährt, muss beibehalten und verbessert werden. Zu den Stärken der Schweiz gehört das gut ausgebaute Berufsbildungssystem. Es richtet sich nach den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes. Berufliche Weiterbildung und die höhere Qualifizierung von Erwachsenen ist heutzutage ein Must. Erwachsene ohne nachobligatorischen Bildungsabschluss sind weniger gut in den Arbeitsmarkt integriert und laufen erhöhte Gefahr, arbeitslos zu werden. Deswegen müssen wir nebst dem Zugang zu Weiterbildungsangeboten auch den Zugang zur beruflichen Grundbildung im Erwachsenenalter gewährleisten.

Was trägt der Bund dazu bei?


Ein Berufsabschluss erhöht in der Schweiz die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Deshalb soll beispielsweise der Zugang für Erwachsene zur beruflichen Grundbildung erleichtert werden: Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) fördert zusammen mit den Verbundpartnern die Entwicklung erwachsenengerechter Bildungsangebote, die zu Berufsabschlüssen führen. Wichtig ist es auch, die Zielgruppen direkt anzusprechen. Zudem müssen Personen, die an einer Qualifizierung interessiert sind, beraten werden. Nicht zu vergessen ist auch die Finanzierung der beruflichen Grundbildung von Erwachsenen. Diese muss sichergestellt werden.

Zum zweiten Handlungsfeld – einstellen und halten: Was ist zu tun, damit die älteren Menschen so lange wie möglich, bestenfalls bis zum ordentlichen Rentenalter oder darüber hinaus im Arbeitsprozess bleiben?


Ältere Stellensuchende sind zum Teil negativen Vorurteilen ausgesetzt, welche ihre Einstellung in den Unternehmen behindern. Das darf nicht sein. Deshalb ist die Sensibilisierung von Arbeitgebern, Arbeitnehmern und der Öffentlichkeit wichtig. Wir haben zudem an der Konferenz beschlossen, dass die öffentlichen und privaten Arbeitgeber in Stelleninseraten wo möglich auf die Angabe des Lebensalters verzichten. Ich wehre mich aber gegen tiefe Eingriffe in den Arbeitsmarkt. Ein weitgehender Kündigungsschutz ab einem gewissen Alter ist kontraproduktiv, weil er die Einstellungschancen von Personen dieser Altersgruppe massiv erschweren würde. Das liberale System mit der bewährten Sozialpartnerschaft ist ein Schweizer Trumpf, den wir nicht aufs Spiel setzen dürfen.

Was wird sonst noch konkret unternommen?


Es soll ebenfalls geprüft werden, ob die Berufs-, die Studien- und die Laufbahnberatung bei ihren Dienstleistungen gegenüber älteren Arbeitnehmenden noch optimiert werden könnten. In diesem Zusammenhang ist das SBFI bereit, Pilotprojekte in diesem Bereich zu prüfen und zu unterstützen, wie es im Berufsbildungsgesetz auch vorgesehen ist. Wie Sie sehen, braucht es den Willen aller Beteiligten – Sozialpartner, Betroffene und Staat –, um wirklich Fortschritte zu erreichen.

Zum dritten Handlungsfeld – wiedereingliedern und soziale Absicherung: Welche Rolle spielen da die Sozialversicherungen, und wird das koordiniert mit der Altersvorsorge 2020?


Ältere Stellensuchende brauchen im Durchschnitt mehr Zeit als jüngere Personen, bis ihnen der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt gelingt. Entsprechend gebührt den älteren Stellensuchenden bei der öffentlichen Stellenvermittlung besondere Aufmerksamkeit. Darüber hinaus wird die Integration älterer Arbeitnehmender auch dadurch gestärkt, dass in der Altersvorsorge der Schweiz finanzielle Anreize bestehen, bis zum ordentlichen Rentenalter erwerbstätig zu bleiben. Die Anreize wurden in den letzten Jahren bereits verstärkt. Die Anreize zur Erwerbstätigkeit bis ins Pensionsalter und darüber hinaus sollen unter anderem auch im Rahmen der Reform der Altersvorsorge 2020 weiter erhöht werden, indem beispielsweise die nach dem ordentlichen Rentenalter bezahlten Beiträge an die AHV zu einer Verbesserung der AHV-Rente führen können.

Herr Bundesrat, kennen Sie persönlich ältere Menschen, die auf dem Arbeitsmarkt Mühe bekunden?


Ja. Ich kenne ältere Menschen, die den Job verloren haben und Schwierigkeiten haben oder hatten, einen neuen zu finden. Dieses Thema war auch aktuell, als ich selber noch Unternehmer war. Ich habe auch immer wieder geholfen, ältere Stellenlose zu vermitteln. Für die Betroffenen und ihr Umfeld ist es sehr schwierig. Umso wichtiger ist das Engagement, um ältere Arbeitslose, die über viel Erfahrung und Wissen verfügen, wieder in den Arbeitsmarkt zu bringen.

Was raten Sie den Betroffenen?


Ich rate jedem und jeder, sich bereits in jungen Jahren weiterzubilden und damit auch im höheren Alter nicht aufzuhören.



Schriftliches Interview:  Susanne Blank, Chefredaktorin «Die Volkswirtschaft».

Zitiervorschlag: Susanne Blank (2015). «Man sollte auch im höheren Alter mit der Weiterbildung nicht aufhören». Die Volkswirtschaft, 24. Juni.

Johann Schneider-Ammann

Bundesrat Johann N. Schneider-Ammann ist Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF). Die Arbeitsmarktpolitik bildet einen Schwerpunkt des 63-Jährigen. Vor seiner Wahl als Bundesrat war der diplomierte Elektroingenieur Präsident und Delegierter der Ammann-Gruppe in Langenthal und Nationalrat (FDP/BE).