Die Bürokratiekosten der Unternehmen konnten in Deutschland in den letzten zehn Jahren abgebaut werden. (Bild: Keystone)
Bürokratie und gesetzliche Folgekosten sind nicht von vornherein negativ zu beurteilen – für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft sind sie oft unerlässlich. Es geht also immer um nicht notwendige Bürokratie und um nicht notwendige Folgekosten – eine wichtige Differenzierung. Deshalb muss Transparenz über die Aufwände, welche einzelne Gesetze verursachen, hergestellt werden, damit unnötige Kosten vermieden werden können. Genau das ist die Aufgabe des Nationalen Normenkontrollrats in Deutschland (NKR)[1].
Das unabhängige Gremium wurde 2006 eingerichtet und besteht aus zehn ehrenamtlichen Mitgliedern, die auf Vorschlag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten berufen werden. Die Mitglieder sind frei von Weisungen, sowohl mit Blick auf die laufende Gesetzgebung als auch bei Vorschlägen zum Abbau bestehender Bürokratie. Grundlage der Arbeit ist das NKR-Gesetz, das als Kernaufgaben die Herstellung von Transparenz hinsichtlich der Folgekosten von Gesetzen, die unabhängige Beratung und Kontrolle der Bundesregierung sowie den Austausch mit allen am Gesetzgebungsprozess Beteiligten definiert.
Bessere Rechtsetzung und Bürokratieabbau sind Daueraufgaben, die alle staatlichen Ebenen betreffen. Dementsprechend steht der NKR in regelmässigem Kontakt mit der Bundesregierung, der Verwaltung, dem Parlament sowie den Bundesländern, Kommunen und Verbänden. In den Gesetzgebungsprozess ist der NKR wie ein Ministerium eingebunden. Spätestens zu Beginn des Abstimmungsverfahrens innerhalb der Bundesregierung müssen ihm die Regelungsentwürfe zugeleitet werden. In der Praxis hat es sich bewährt, dass der NKR – sofern gewünscht – die Ressorts bereits bei der Erarbeitung von Entwürfen berät.
Bevor eine Regelung vom Bundeskabinett beschlossen wird, prüft der NKR, ob die von den Ministerien erarbeitete Schätzung der Folgekosten nachvollziehbar und methodengerecht ausgewiesen ist. Daneben prüft er unter anderem auch Erwägungen zu kostengünstigeren Alternativen und zur späteren Evaluierung des Gesetzes. Die Ergebnisse seiner Prüfung fasst der NKR in einer schriftlichen Stellungnahme zusammen, die dem Kabinettsentwurf beigefügt wird. Die Stellungnahme wird dann Bestandteil der jeweiligen Drucksache des Gesetzesentwurfs für die parlamentarischen Beratungen und ab diesem Zeitpunkt für die Öffentlichkeit einsehbar.
Bürokratiekosten und Erfüllungsaufwand
Seit 2011 unterscheidet man in Deutschland bei den Folgekosten von Gesetzen zwischen den reinen Bürokratiekosten und dem Erfüllungsaufwand. Als Bürokratiekosten gelten ausschliesslich Informations- und Dokumentationspflichten, die Unternehmen aufgrund von Gesetzen oder Verordnungen an Behörden übermitteln müssen. Unter Erfüllungsaufwand versteht man den gesamten messbaren Zeitaufwand und sämtliche Kosten, die für Bürger, Unternehmen und Verwaltungen durch eine gesetzliche Regelung entstehen.
Wenn beispielsweise eine Regelung zur Reduzierung von Industrieabgasen erlassen wird, so umfassen die Bürokratiekosten lediglich die Kosten für die Übermittlung der Emissionswerte an die Behörden. Darüber hinaus fallen jedoch weitere Kosten an, beispielsweise für die Umrüstung der Anlagen, möglicherweise das Einsetzen von Filtern und deren dauerhafte Wartung. Mit dem Erfüllungsaufwand werden auch diese Kosten erfasst.
Abbau der Bürokratiekosten um einen Viertel
Ein erster nachhaltiger Erfolg im Kampf gegen die Bürokratie war es, dass die Bürokratiekosten der Wirtschaft mit einem konkret definierten Ziel von 25 Prozent zwischen 2006 und 2012 konsequent abgebaut wurden. Mithilfe des Statistischen Bundesamtes führte die Bundesregierung 2006 zunächst eine «Bestandsmessung» durch. Dafür wurde das Standardkosten-Modell (SKM) genutzt, das sich als internationaler Standard etabliert hat.
Dabei zeigte sich, dass Unternehmen in Deutschland mit rund 49 Milliarden Euro jährlich durch Bürokratiekosten belastet sind. Durch konkrete Abbaumassnahmen, beispielsweise Erleichterungen bei der elektronischen Rechnungsstellung, wurden die Bürokratiekosten um rund 12 Milliarden Euro gesenkt. Bis heute halten sie sich auf diesem reduzierten Niveau und sind 2015 sogar erstmals weiter gesunken.
Massgeblich für die aktuelle Entwicklung sind insbesondere die Entlastungen aus dem im Juli 2015 verabschiedeten Bürokratieentlastungsgesetz in Höhe von rund 744 Millionen Euro, die vor allem Start-ups sowie kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen. So werden beispielsweise die Grenzwerte für Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten für den Umsatz auf 600’000 Euro und für den Gewinn auf 60’000 Euro angehoben. Dies bedeutet für 140’000 Unternehmen eine jährliche Entlastung um 3600 Euro.
Erstmals ein Abwärtstrend beim Erfüllungsaufwand erkennbar
Seit der Erfassung des Erfüllungsaufwandes im Jahr 2011 hat der Nationale Normenkontrollrat bis heute 1135 Regelungsvorhaben geprüft. Der Erfüllungsaufwand, insbesondere der der Wirtschaft, ist seit 2011 kontinuierlich gestiegen (siehe Abbildung). Besonders hohe Kosten verursachte 2014 das Tarifautonomiestärkungsgesetz (Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns) durch die Lohndifferenz infolge der Anhebung der Löhne auf 8,50 Euro.
Monitor Erfüllungsaufwand (Deutschland)
Anmerkung: Der Monitor Erfüllungsaufwand des NKR zeigt die Entwicklung des Erfüllungsaufwands seit Juli 2011 in grafischer Form. Der Erfüllungsaufwand umfasst den gesamten messbaren Zeitaufwand und die Kosten, die durch die Befolgung einer bundesrechtlichen Vorschrift bei Bürgern, Wirtschaft sowie der öffentlichen Verwaltung entstehen.
Quelle: NKR / Die Volkswirtschaft
Im Jahr 2015 ist der gesamte Erfüllungsaufwand erstmals seit seiner Erfassung deutlich gesunken. Dies ist etwa auf Regelungspakete wie das bereits erwähnte Bürokratieentlastungsgesetz zurückzuführen. Auch E-Government-Massnahmen wie das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts tragen dazu bei, dass der Erfüllungsaufwand gesunken ist. So wurde mit der Novelle für Vergaben grosser öffentlicher Aufträge (EU-Vergabe) der Grundsatz der E-Vergabe eingeführt.
Sämtlicher Informationsaustausch zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern hat damit zukünftig elektronisch zu erfolgen. Dies bedeutet jährliche Kosteneinsparungen von rund 1,2 Milliarden Euro. Nun gilt es, diese positive Entwicklung weiterzuführen. Dabei kann die im Juli 2015 eingeführte «one in, one out»-Regel[2] helfen. Die Bundesregierung hat damit auch auf Anregung des NKR hin ein wirksames Mittel gegen die gesetzliche Kostenflut auf den Weg gebracht.
E-Government als Chance
Die Erfahrungen des NKR der vergangenen neun Jahre zeigen, dass es konkrete Möglichkeiten gibt, Kostenfolgen von Gesetzen erfolgreich zu begrenzen und eine in diesem Sinn bessere Rechtsetzung zu fördern. Wichtige Erkenntnisse sind:
- Eine Begrenzung oder gar Vermeidung von gesetzlichen Kostenfolgen ist nur möglich, wenn diejenigen, die entscheiden, wissen, worüber (über welche Kostenfolgen für Bürger, Unternehmen und Verwaltung) sie entscheiden. Und: Konkrete Ziele für Kostenreduzierungen bzw. Kostenbegrenzungen sind dabei hilfreich.
- Neben der Abschätzung von Folgekosten einer Regelung im Vorfeld ist es folgerichtig, gesetzliche Regelungen auch im Nachhinein systematisch zu evaluieren. Dafür müssen die Ziele von Regelungsvorhaben hinreichend genau und mithilfe messbarer Kriterien beschrieben werden.
- Bei der Abschätzung von Folgekosten müssen alle föderalen Ebenen einbezogen werden. Für Deutschland gilt daher, dass insbesondere Bundesländer und Kommunen, die die Gesetze überwiegend umsetzen, an der Ermittlung des Erfüllungsaufwandes mitwirken.
- Gleiches gilt für die EU-Ebene. Der Einfluss europäischer Regelungen auf die Kostenbelastung deutscher Unternehmen ist erheblich: Insgesamt haben über die Hälfte der Folgekosten gesetzlicher Regelungen in Deutschland ihren Ursprung in Rechtsakten der EU. NKR und Bundesministerien haben deshalb bereits Massnahmen zur frühzeitigen Analyse von Kostenfolgen europäischer Regelungsvorschläge eingeführt, die bis Ende 2015 weiter verbessert werden.
- Das Potenzial von E-Government für den Bürokratieabbau ist gross. Die Verwaltung muss zukünftig noch stärker ihre digitalen Angebote verbessern und miteinander verbinden, sodass Verwaltungsdienstleistungen für Bürger und Unternehmen wirklich kundenorientiert und kostengünstig angeboten werden.
- Weitere Informationen unter www.normenkontrollrat.bund.de. []
- «One in, one out» bedeutet: Wird eine gesetzliche Regelung verabschiedet, deren Folgekosten die Wirtschaft belasten, muss an anderer Stelle grundsätzlich eine gleichwertige Entlastung der Wirtschaft geschaffen werden. []
Zitiervorschlag: Ludewig, Johannes (2015). Normenkontrollrat sorgt in Deutschland für Transparenz bei Folgekosten. Die Volkswirtschaft, 24. September.