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Teure Revision des Lebensmittelrechts

Eine Regulierungsfolgenabschätzung zur neuen Lebensmittelgesetzgebung zeigt: Die Kosten von zusätzlichen Deklarationspflichten bei Lebensmitteln und Kosmetika sind hoch. Ob der Nutzen der verbesserten Gesundheit und der genaueren Information der Konsumenten dies rechtfertigt, ist fraglich.
Die Revision des Lebensmittelrechts will die Deklaration auf Verpackungen verschärfen. (Bild: Keystone)

Die geplante Revision des Lebensmittelrechts soll die Sicherheit von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen erhöhen und dadurch die Gesundheit der Konsumenten verbessern. Bevor das neue Lebensmittelgesetz[1] in Kraft gesetzt werden kann, muss nun das Verordnungsrecht überarbeitet werden. Die revidierten Lebensmittelverordnungen (Projekt Largo) befinden sich bis Ende Oktober in Anhörung. Die Revision hat etwa veränderte Deklarationspflichten bei Lebensmitteln, Veränderungen in der Regulierung von Kosmetika, eine neue Regulierung von Dusch- und Badewasser (siehe Kasten 1), ein neues Prozesshygienekriterium bei Schlachtbetrieben (siehe Kasten 2) sowie eine vereinfachte Selbstkontrolle bei Kleinstunternehmen zur Folge.

Ein höherer Sicherheitsstandard bringt auch höhere Kosten. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) haben deshalb das Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien (Bass) beauftragt, eine vertiefte Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) zu erstellen.[2] Primäres Ziel dieser RFA ist es, die Notwendigkeit, die Ziele, die Auswirkungen und allfällige Alternativen der einzelnen Neuerungen im Lebensmittelrecht offenzulegen und aus ökonomischer Sicht zu beurteilen – letztendlich mit dem Ziel, das Verordnungsrecht zu optimieren.

Die Studie zeigt, dass die Revision Elemente enthält, die aus ökonomischer Sicht sinnvoll sind, aber auch Regulierungen, bei denen die Notwendigkeit staatlichen Handelns aus ökonomischer Sicht zweifelhaft ist. Diese würden wesentliche Regulierungskosten für die Wirtschaft verursachen, bei denen es zum Teil fraglich ist, ob sie sich mit dem Nutzen der Regulierung rechtfertigen lassen. Die Vorlage enthält zudem Elemente, welche neue nicht tarifäre Handelshemmnisse aufbauen und so den Preiswettbewerb schwächen. In der RFA konnten allerdings auch einige Alternativen aufgezeigt werden. Anpassungen der Verordnungen sind – auch im Hinblick auf die Ergebnisse der Vernehmlassung – noch möglich.

Aus ökonomischer Sicht lassen sich drei Gründe identifizieren, die Anpassungen der Regulierung von Lebensmitteln und Gebrauchsgegenständen rechtfertigen können:

  • Marktversagen aufgrund externer Effekte. Negative externe Effekte führen dazu, dass die Schadenslast von unsicheren Lebensmitteln (etwa aufgrund von allergischen Reaktionen) aus gesellschaftlicher Sicht ineffizient hoch ist.
  • Marktversagen aufgrund asymmetrischer Information. Asymmetrische Information führt dazu, dass die Konsumenten Produkte kaufen, die nicht optimal auf ihre Präferenzen abgestimmt sind.
  • Reduktion der Kosten nicht tarifärer Handelshemmnisse. Dieses Ziel ist zwar nicht direkt im Zweckartikel des Lebensmittelgesetzes zu finden, dennoch kann es aus ökonomischer Sicht für Anpassungen sprechen, etwa um im Hinblick auf die Zukunft den Zugang zum EU-Markt zu gewährleisten.

Veränderte Deklarationspflichten bei Lebensmitteln


In Bezug auf Deklarationspflichten für Lebensmittel sehen die revidierten Verordnungen neu vor:

  • eine obligatorische und erweiterte Deklaration der Nährwerte bei vorverpackten Lebensmitteln (Übernahme von EU-Recht);
  • eine schriftliche Deklaration der Allergene im Offenverkauf (Übernahme von EU-Recht);
  • erweiterte Deklarationspflichten bei Fisch in Bezug auf Fanggerät und Produktionsmethode (vereinfachte Angleichung an EU-Recht);
  • erweiterte Deklarationspflichten bei Fleisch (vereinfachte Angleichung an EU-Recht);
  • eine Vereinfachung der Deklaration des Produktionslandes (Schweizer Sonderregelung);
  • eine Ausdehnung der Deklarationspflicht in Bezug auf die Herkunft unverarbeiteter Zutaten bei vorverpackten Lebensmitteln (Schweizer Sonderregelung).


Von diesen Änderungen sind über 30’000 Unternehmen (rund 45’000 Arbeitsstätten) in Herstellung, Detailhandel und Gastronomie betroffen. Ihnen werden aufgrund der veränderten Deklarationspflichten einmalige und laufende Aufwände entstehen.

Hohe Umstellungskosten bei Lebensmittelverpackungen


Die Kosten der Anpassung von schätzungsweise 40’000 Verpackungen vorverpackter Lebensmittel belaufen sich auf geschätzte 147,4 Millionen Franken und fallen insbesondere deshalb so hoch aus, weil den Unternehmen für die erforderlichen Anpassungen nur eine Frist von einem Jahr gewährt werden soll. Diese kurze Zeitspanne führt dazu, dass der grösste Teil der Anpassungen nicht mit einer ohnehin geplanten Verpackungsanpassung koordiniert werden kann. Gemäss dem «Labeling Cost Model» der Food and Drug Administration der USA[3] könnten mit einer Ausdehnung der Anpassungsperiode die Kosten der Verpackungsmassnahmen massiv gesenkt werden, von den geschätzten 147,4 Millionen auf rund 5 Millionen Franken bei einer Zeitspanne von 42 oder mehr Monaten.

Teure Deklaration im Offenverkauf


Neu müssen auch Anbieter, die ihre Lebensmittel im Offenverkauf anbieten (Metzgereien, Bäckereien, Restaurants oder Hotels mit Frühstücksbuffet etc.), die Allergene der verkauften Produkte schriftlich deklarieren. Die geschätzten Kosten der schriftlichen Deklaration der Allergene im Offenverkauf belaufen sich auf 117 Millionen Franken (einmalig), die laufendenden Regulierungskosten werden auf 17 Millionen Franken pro Jahr geschätzt. Die Kosten fallen deshalb so hoch aus, weil die zahlreichen Unternehmen der Gastronomie, des Lebensmittel-Detailhandels und des Lebensmittel-Fachdetailhandels die Allergene aller Gerichte und Produkte, die sie im Offenverkauf anbieten, systematisch identifizieren müssten, was sie unter der geltenden Rechtsordnung – trotz der bereits bestehenden mündlichen Auskunftspflicht – oft nicht tun.

Die Kosten der veränderten Deklarationspflichten stellen insbesondere für die kleinen Unternehmen der Gastronomie und des Lebensmittel-Fachdetailhandels eine beträchtliche, betriebswirtschaftlich relevante Belastung dar.

Der Nutzen der neuen Deklarationsvorschriften ist in präferenzoptimierten Konsumentscheiden, in einer Reduktion der Schadenslast allergischer Reaktionen und ungesunder Ernährung und in der Sicherstellung der Anerkennung der Gleichwertigkeit der Schweizer Hygienebestimmungen durch die EU zu sehen. Im Rahmen der RFA konnte einzig der Nutzen der schriftlichen Deklaration der Allergene quantifiziert werden. Dieser Nutzen (verminderte Anzahl allergischer Reaktionen und damit verbundene Reduktion der Kosten) beträgt geschätzte 12,0 Millionen Franken. Der Vergleich von Kosten und Nutzen indiziert somit, dass sich eine Pflicht zur schriftlichen Deklaration der Allergene im Offenverkauf aus ökonomischer Sicht eher nicht rechtfertigen lässt.

Auf Schweizer Sonderregelungen verzichten


In Bezug auf die Deklarationspflichten bei Lebensmitteln lauten die Empfehlungen der RFA wie folgt:

  • Auf Schweizer Sonderregelungen wie die Deklaration der Herkunft unverarbeiteter Zutaten und die Deklaration des Produktionslandes, die den Handel erschweren und die Produkte verteuern, sollte verzichtet werden.
  • Die Anpassungsperiode sollte bei Verpackungen auf (mindestens) 42 Monate ausgedehnt werden.
  • Auf die Pflicht zur schriftlichen Deklaration der Allergene im Offenverkauf sollte verzichtet werden.

Grossteil der importierten Kosmetika nicht mehr verkehrsfähig


Die neue Verordnung über kosmetische Mittel sieht in Bezug auf die Regulierung von Kosmetika im Wesentlichen folgende Anpassungen vor:

Informationsdossier und Sicherheitsbericht. Für jedes kosmetische Produkt, das in der Schweiz in Verkehr gebracht wird, muss neu ein Informationsdossier inklusive Sicherheitsbericht vorliegen (Übernahme von EU-Recht).

Zugang zum Informationsdossier. Alle Unternehmen, die Kosmetika in Verkehr bringen, also auch parallelimportierende Händler, müssen den Zugang der Vollzugsbehörden zum Informationsdossier sicherstellen (Übernahme von EU-Recht).

Neue Kennzeichnungspflichten. Auf allen Verpackungen und Behältnissen von Kosmetika müssen der Name und die Adresse eines in der Schweiz ansässigen Unternehmens sowie das Ursprungsland («made in») deklariert werden (Schweizer Sonderregelung).

Alle diese drei Veränderungen sind aus ökonomischer Sicht kritisch zu beurteilen – aus folgenden Gründen:

Die neuen Kennzeichnungspflichten führen dazu, dass der grösste Teil der Kosmetika, die importiert werden, nicht mehr verkehrsfähig ist, da auf den Verpackungen und Behältern meist kein in der Schweiz ansässiges Unternehmen angegeben ist. Dies bedeutet: Für die Schweiz müssen gesonderte Verpackungen produziert werden, was mit zusätzlichen Regulierungskosten in der Höhe von bis zu 27,2 Millionen Franken pro Jahr und damit mit einer Preiserhöhung von bis zu 40 Rappen pro importiertem Artikel verbunden sein könnte.

Preisniveau bei Kosmetika steigt


Die vorgesehenen neuen Kennzeichnungspflichten dürften jedoch auch über eine Schwächung des Preiswettbewerbs zu einer weiteren Erhöhung des Preisniveaus importierter Kosmetika führen, das bereits unter der geltenden Rechtsordnung hoch ist. Aus demselben Grund ist es aus ökonomischer Sicht auch problematisch, dass ausnahmslos alle Händler von Kosmetika einen Zugang zum Informationsdossier sicherstellen müssen.

Denn wenn ein Händler über einen ausländischen Grosshändler parallelimportiert, kann der Zugang zum Informationsdossier nicht ohne Weiteres gewährleistet werden. Dies wird die Verhandlungsposition der Importeure gegenüber ausländischen Herstellern von Kosmetika schwächen. Ein kompletter Zusammenbruch des Parallelimports von Kosmetika ist vor diesem Hintergrund nicht auszuschliessen.

Auch in Bezug auf die neue Pflicht, dass für jedes Kosmetikum, das in der Schweiz in Verkehr gebracht wird, ein Informationsdossier und ein Sicherheitsbericht vorliegen muss, sind die ökonomischen Voraussetzungen staatlichen Handelns unseres Erachtens eher nicht erfüllt. Denn es ist unklar, ob der Nutzen der Regulierung, der in einer erhöhten Sicherheit kosmetischer Mittel zu sehen ist, höher ist als die Kosten der Regulierung (einmalige Regulierungskosten in der Höhe von geschätzten 4,7 Millionen Franken und laufende Regulierungskosten in der Höhe von geschätzten 800’000 Franken). Empirische Daten aus Deutschland zur Häufigkeit unerwünschter Wirkungen von Kosmetika indizieren, dass die Schadenslast unsicherer Kosmetika vergleichsweise gering ist.[4]

Tiefere Regulierungskosten dank erleichterter Selbstkontrolle?


Das neue Lebensmittelgesetz sieht für Kleinstbetriebe eine erleichterte Selbstkontrolle (inkl. der schriftlichen Dokumentation) vor. Die bisherigen Pflichten stellen insbesondere für die zahlreichen Kleinstunternehmen der Gastronomie und des Lebensmittel-Fachdetailhandels eine betriebswirtschaftlich relevante administrative Belastung dar. Die Regulierungskosten der Durchführung und Dokumentation der Selbstkontrolle schätzen wir bei Gastronomiebetrieben mit weniger als zehn vollzeitäquivalenten Stellen auf 5800 Franken pro Betrieb und Jahr und bei Bäckerei- und Metzgereibetrieben mit weniger als zehn vollzeitäquivalenten Stellen auf 14’450 Franken pro Betrieb und Jahr. Das Potenzial, die Regulierungskosten mittels einer erleichterten Selbstkontrolle und Dokumentation zu reduzieren, ist grundsätzlich also hoch.

Dennoch bestehen Zweifel, ob die Regulierungskosten substanziell reduziert werden können: Zum einen konnten im Rahmen der RFA keine konkreten, zielführenden Massnahmen identifiziert werden, die zu einer systematischen Reduktion der Regulierungskosten führen würden. Zudem bestand – wie das Beispiel der Gastronomie zeigt – offenbar bereits unter der geltenden Rechtsordnung die Möglichkeit, die Anforderungen an die Selbstkontrolle abhängig von der Betriebsgrösse zu definieren. Es stellt sich also die Frage, ob die im neuen Lebensmittelrecht vorgesehene erleichterte Selbstkontrolle und Dokumentation überhaupt eine materielle Veränderung der Rechtsordnung darstellt.

  1. Am 20. Juni 2014 vom Parlament verabschiedet. []
  2. Oesch Thomas, Matthias Gehrig, Valentin Küng und Anna-Lucia Graff, Regulierungsfolgenabschätzung zum neuen Lebensmittelrecht, Bern: 25. August 2015. Abrufbar unter www.blv.admin.ch. []
  3. Muth Mary K., Melanie J. Ball, Michaela C. Coglaiti und Shawn A. Karns, Model to Estimate Costs of Using Labeling as a Risk Reduction Strategy for Consumer Products Regulated by the Food and Drug Administration, RTI International, Oktober 2012. []
  4. IKW – Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel e.V., Mitglieder-Information (Schönheitspflege) Nr. 2015-006: Sicherheit kosmetischer Mittel, Frankfurt am Main: Februar 2015. []

Zitiervorschlag: Matthias Gehrig, Thomas Oesch, (2015). Teure Revision des Lebensmittelrechts. Die Volkswirtschaft, 24. September.

Kasten 1: Regulierung des Badewassers kann Legionelleninfektionen eindämmen

Das Dusch- und Badewasser, das dazu bestimmt ist, in (halb)öffentlichen und nicht privaten Anlagen (insbesondere Hotels, Alters- und Pflegeheime sowie Badeanstalten) mit dem menschlichen Körper in Kontakt zu kommen, wird neu dem Geltungsbereich des Lebensmittelgesetzes unterstellt. Bisher war das Dusch- und Badewasser kantonal reguliert. Im Bereich des Duschwassers verfügt bis auf die Kantone Thurgau und St. Gallen derzeit allerdings kein Kanton über eine gesetzliche Grundlage.

Die Regulierung zielt insbesondere darauf ab, die Schadenslast der Legionellose, einer Infektionskrankheit, die durch Bakterien (Legionellen) verursacht wird, zu reduzieren. Die Schadenslast der Krankheit im Gesundheitswesen, in der Wirtschaft und bei den betroffenen Individuen ist mit geschätzten 152 Millionen beträchtlich. Der Impact der neuen Regulierung auf die Häufigkeit von Legionellosen konnte im Rahmen der RFA nicht abgeschätzt werden, der Nutzen der Regulierung kann somit nicht quantitativ ausgewiesen werden. Experten erwarten durch die Regulierung des Dusch- und Badewassers allerdings eine wesentliche Verringerung der Häufigkeit von Legionellenerkrankungen.

In den nächsten fünf Jahren müssen aufgrund der neuen Vorschriften geschätzt 410 Badeanlagen und 2835 Duschanlagen saniert werden. Die Sanierungen sind mit hohen Investitionen verbunden, welche die finanziellen Möglichkeiten von einigen Betreibern von Dusch- und Badeanlagen übersteigen könnten. Wir empfehlen deshalb, die Anpassungsperiode von fünf Jahren dahin gehend auszudehnen, dass Sanierungen erst dann vorgenommen werden müssen, wenn die Anlagen aus anderen als regulatorischen Gründen saniert werden.

Kasten 2: Neue Hygienevorschriften für Schlachtbetriebe ökonomisch sinnvoll

Die revidierte Hygieneverordnung schreibt ein neues Prozesshygienekriterium für Campylobacter bei Geflügelschlachttierkörpern von Mast- und Truthühnern vor. Die Regulierung zielt darauf ab, die Schadenslast der Campylobacteriose, einer Infektionskrankheit, die über verunreinigtes Geflügelfleisch übertragen wird, zu reduzieren. Die Schadenslast der Campylobacteriose in der Wirtschaft, im Gesundheitswesen und bei den betroffenen Individuen ist mit geschätzten 144,1 Millionen Franken vergleichsweise hoch. Durch die neue Regulierung könnte die Schadenslast um schätzungsweise 7,9 Millionen Franken reduziert werden. Diesem Nutzen stehen Kosten bei den Schlacht- und Mastbetrieben gegenüber, die im Rahmen der RFA zwar nicht vollumfänglich quantifiziert werden konnten, die jedoch tiefer sein dürften als die genannten 7,9 Millionen Franken. Aus ökonomischer Sicht ist das neue Prozesshygienekriterium demzufolge zu begrüssen. Eine noch effektivere Massnahme wäre gemäss unseren Erkenntnissen die Dekontamination von Geflügelschlachtkörpern mithilfe von Chemikalien oder Bestrahlung, die aufseiten der Konsumenten derzeit jedoch wenig Akzeptanz zu finden scheint.