Investitionen ermöglichen einen stärkeren Einsatz von Maschinen im Produktionsprozess. (Bild: Keystone)
Die Schweizer Volkswirtschaft hat ihre Wachstumsschwäche der Neunzigerjahre und der ersten Jahre nach der Jahrtausendwende überwunden und ist in den vergangenen zehn Jahren überdurchschnittlich gewachsen. Diese stärkere Zunahme des Bruttoinlandprodukts (BIP) basierte allerdings vor allem auf einem Anstieg des Arbeitsvolumens. Dagegen hat sich der Anstieg der Arbeitsproduktivität, gemessen als Output pro geleisteter Arbeitsstunde, im selben Zeitraum weiter verlangsamt.
Der im internationalen Vergleich schwache Zuwachs der Arbeitsproduktivität ist aber kein neues Phänomen. Auch wenn das Ausmass in der Literatur diskutiert wird, besteht wohl Konsens darüber, dass die Schweizer Volkswirtschaft in den vergangenen fünf Jahrzehnten ein unterdurchschnittliches Wachstum der Arbeitsproduktivität verzeichnet hat. Während die Schweiz Anfang der Sechzigerjahre zusammen mit den USA die höchste kaufkraftbereinigte Arbeitsproduktivität aufwies, haben mittlerweile andere Volkswirtschaften die Schweiz ein- oder sogar überholt – darunter Deutschland, Frankreich und die Niederlande. Die Gründe für die schwache Entwicklung der Arbeitsproduktivität in der Schweiz sind bislang noch unzureichend erforscht.
Im Rahmen einer Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) und der Universität St. Gallen wurden die Entwicklung der Investitionen und deren Bedeutung für die Produktivitätsentwicklung analysiert.[1] Da Investitionen zum einen den Kapitalstock erhöhen und damit einen stärkeren Einsatz von Maschinen und Automation im Produktionsprozess ermöglichen und zum anderen positiv auf die Verbreitung und die Entstehung des technologischen Fortschritts wirken, sind sie eine der zentralen Grössen für die gesamtwirtschaftliche Produktivitätsentwicklung. Zum abnehmenden Produktivitätswachstum passt daher die Beobachtung, dass die nominalen Investitionen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung in der Schweiz seit den Siebzigerjahren zurückgehen. Zwar ist die Investitionsquote auch in anderen entwickelten Volkswirtschaften gefallen, der Rückgang war in der Schweiz allerdings besonders ausgeprägt (siehe Abbildung 1).
Abb. 1: Bruttoinvestitionsquoten ausgewählter Länder (1960 bis 2013)
Anmerkung: EU-6: Durchschnitt der Staaten Belgien, Dänemark, Finnland, Niederlande, Schweden, Österreich
Quelle: Ameco Database, Eurostat, eigene Berechnungen / Die Volkswirtschaft
Betrachtet man nur das Niveau der Bruttoanlageinvestitionen, steht die Schweiz im internationalen Vergleich weiterhin gut da. In der Schweiz fliesst jährlich ein überdurchschnittlich grosser Teil der Wirtschaftsleistung in Investitionsgüter. So lag dieser Anteil in der Schweiz im Jahr 2013 mit rund 23 Prozent mehr als 4 Prozentpunkte über dem EU-Durchschnitt. Besonders viel wird in Ausrüstungen und immaterielle Investitionsgüter (z. B. Software) investiert, welche einen grösseren Effekt auf die Produktivität haben dürften als beispielsweise Bauinvestitionen.
Nettoinvestitionen als Schwachstelle
Ein anderes Bild ergibt sich allerdings, wenn man die Nettoinvestitionen[2] betrachtet. Hier schneidet die Schweiz seit Mitte der Neunzigerjahre unterdurchschnittlich ab.
Grund für die starke Diskrepanz zwischen Brutto- und Nettoinvestitionsquote sind zwei Stärken der Schweizer Volkswirtschaft: Zum einen ist der Kapitalstock (der gesamtwirtschaftliche Bestand an Investitionsgütern) im Vergleich zum BIP verhältnismässig hoch, wodurch jährlich relativ viel abgeschrieben werden muss. Zum anderen verlieren Investitionen in Ausrüstungen und immaterielle Güter, welche in der Schweiz überdurchschnittlich viel getätigt werden, im Gegensatz zu Bauten relativ schnell an Wert und müssen daher auch nach kürzerer Zeit abgeschrieben werden.
Aufgrund dieser Wirtschaftsstruktur benötigt die Schweiz damit im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften eine höhere Bruttoinvestitionsquote, um den Kapitalstock weiter zu erhöhen. Im Jahr 2013 betrug das Verhältnis von Abschreibungen zum BIP 20,7 Prozent (Frankreich 18,1%, Grossbritannien 13,2%, EU-6 18,1%, USA 15,7%). Voraussichtlich benötigt die Schweiz auch in Zukunft Investitionsquoten von über einem Fünftel, um den Kapitalstock lediglich konstant zu halten.
Bei der nominalen Investitionsquote ist auch deshalb ein Rückgang zu beobachten, weil die Investitionsgüterpreise – insbesondere die Preise für Maschinen und Anlagen – im Vergleich zu den Konsumgüterpreisen seit längerer Zeit zurückgehen (siehe Abbildung 2). Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass die Qualitätsverbesserungen von Investitionsgütern wie Computern nicht in gleichem Masse zu Preissteigerungen führen. Bei einer realen Betrachtung dürfte der Rückgang der Investitionsquote daher deutlich geringer sein als bei der nominalen Quote.
Abb. 2: Entwicklung der relativen Preise für ausgewählte Investitionsgüterarten in der Schweiz
Quelle: OECD, eigene Berechnungen / Die Volkswirtschaft
Strukturwandel und Demografie als Treiber
Der starke Rückgang der Investitionsquote wirft Fragen nach den Ursachen dieser Entwicklung auf. Im Rahmen der empirischen Studie wurden fünf mögliche Erklärungsansätze untersucht:
Demografischer Wandel
Die empirische Analyse hat ergeben: Zwischen der Alterung der Bevölkerung und der Investitionstätigkeit besteht ein negativer Zusammenhang. Eine Ursache dafür könnte sein, dass infolge des demografischen Wandels weniger Personen im erwerbsfähigen Alter zur Verfügung stehen – mit negativen Folgen für Potenzialwachstum und Investitionsrenditen. Zum anderen führt ein höherer Anteil von Personen, die schon im Pensionsalter stehen, tendenziell zu einer geringeren gesamtwirtschaftlichen Ersparnis und damit über den Kapitalmarkt unter Umständen wiederum zu einer niedrigeren Investitionstätigkeit. Wie in den meisten entwickelten Volkswirtschaften altert auch die Schweizer Gesellschaft. So stieg der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung zwischen 1960 und 2013 von gut einem Zehntel auf fast 18 Prozent.
Ökonomische Globalisierung
Die zunehmende Konkurrenz durch Niedriglohnländer kann den Rückgang der Investitionsquote nicht erklären. Dies ist möglicherweise darauf zurückzuführen, dass in den Schwellenländern auch bedeutende Absatzmärkte für Schweizer Produkte entstehen. Während somit die ökonomische Globalisierung als Ursache wegfällt, scheint die reale Aufwertung des Schweizer Frankens um fast die Hälfte in den letzten 50 Jahren jedoch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, die der Billiglohnkonkurrenz besonders ausgesetzt sind, geschwächt zu haben – was sich negativ auf die Investitionsquote auswirken könnte.
Entwicklung hin zur Dienstleistungsgesellschaft
Eine weitere Ursache für den Rückgang der Investitionsquote könnte der ökonomische Strukturwandel sein. In der Schweiz ist der Anteil der Beschäftigten im Dienstleistungssektor von rund 45 Prozent Ende der Sechzigerjahre auf gut 74 Prozent im Jahr 2013 gestiegen. Die empirische Analyse zeigt: Diese Tertiärisierung hat zum Rückgang der Investitionsquote beigetragen. Aus Sicht der ökonomischen Theorie ist dies plausibel: Aufgrund der im Durchschnitt geringeren Kapitalintensität der Dienstleistungssektoren sollte ein steigender Dienstleistungsanteil mit einer sinkenden Investitionsquote einhergehen.
Politische und ökonomische Unsicherheit
Investitionen sind häufig firmenspezifisch und daher weitestgehend irreversibel, woraus sich eine besondere Rolle der Unsicherheit des gesamtwirtschaftlichen Umfeldes in Bezug auf das Investitionsgeschehen ergibt. Die Untersuchung hat allerdings nur einen geringen negativen Effekt der Unsicherheit auf die Investitionsquote ergeben. Aus theoretischer Sicht ist ebenfalls unklar, inwieweit steigende Unsicherheit über zukünftige Gewinne tatsächlich negativ auf die langfristige Investitionstätigkeit wirkt.
Sinkende öffentliche Investitionsquoten
Die öffentliche Investitionsquote liegt mit knapp 3 Prozent leicht unterhalb des Durchschnitts vergleichbarer EU-Länder und ist wie in vielen entwickelten Volkswirtschaften seit den Siebzigerjahren tendenziell rückläufig. Allerdings hat die empirische Analyse keinen klaren Zusammenhang zwischen öffentlichen und privaten Investitionen ergeben. Aus theoretischen Überlegungen könnte der Rückgang der öffentlichen Investitionen sowohl positiv (über eine Verringerung des Realzinses) als auch negativ (durch eine Abnahme der privaten Investitionsrenditen) auf die private Investitionstätigkeit gewirkt haben.
Vor allem der wirtschaftliche Strukturwandel hin zu mehr Dienstleistungen und die demografische Entwicklung tragen somit zu der rückläufigen Investitionsquote bei. Diese Faktoren sind durch die allgemeine – und erwünschte – Wohlstandszunahme getrieben und werden auch in Zukunft anhalten.
Investitionsquote liefert Erklärung
Gibt es in der Schweiz eine langfristige Beziehung zwischen der Investitionstätigkeit und der Produktivitätsentwicklung? In Modellen des Wirtschaftswachstums wird ein solcher positiver Zusammenhang betont. Zudem kommen empirische Studien für eine Vielzahl von Ländern zu dem Ergebnis, dass die Investitionen einen positiven Effekt auf die Wirtschaftsleistung und die Produktivität haben.
Auch die empirische Analyse ergibt einen positiven und signifikanten Zusammenhang zwischen der Investitionsquote und dem Wachstum der Arbeitsproduktivität für die Schweiz: In diesem einfachen Ansatz erklärt der Rückgang der Investitionsquote etwa die Hälfte des Rückgangs des Arbeitsproduktivitätswachstums seit den Sechzigerjahren.
Forschungsintensive Pharmabranche ist produktiv
Investitionen hängen auch deshalb eng mit der Produktivitätsentwicklung zusammen, weil durch sie produktivitätssteigernde Innovationen eingeführt werden. Die gesamtwirtschaftliche Produktivität hängt also nicht nur von der Höhe der Investitionen ab, sondern auch von der Rate des technischen Fortschritts, der in diesen Investitionsgütern enthalten ist. Diese wiederum wird in hohem Masse vom Anteil der Forschung und Entwicklung (F&E) in einer Volkswirtschaft beeinflusst.
Dieses Bild bestätigt sich auch auf der Branchenebene. Insbesondere in der Pharmabranche, aber auch im Bereich Hochtechnologieinstrumente gehen hohe F&E-Ausgaben mit einer hohen Arbeitsproduktivität einher. Dementgegen sind in den Branchen Nahrungsmittel sowie Metallerzeugung und -verarbeitung geringe F&E-Aufwendungen mit einer geringen Arbeitsproduktivität verbunden.
Bei der Forschung und Entwicklung belegt die Schweiz seit vielen Jahren eine führende Position: In Relation zum BIP sind die Ausgaben im internationalen Vergleich relativ hoch. Dies ist jedoch kein Garant dafür, dass die Schweiz auch beim Innovationsoutput führend bleibt. So hat sich der Anteil der Firmen mit Innovationen, insbesondere jener mit Produktinnovationen, in den vergangenen Jahren abgeschwächt. Allerdings ist dieser Anteil ein relativ grobes Mass für die Innovationsergebnisse und sagt nichts über die Qualität der Innovationen aus – und es lassen sich daraus keine direkten Schlüsse über die Effekte auf die Produktivität ableiten.
Um den Zusammenhang zwischen F&E und Produktivität genauer zu untersuchen, wurde ein zweistufiges Vorgehen gewählt. Zunächst wurde empirisch aufgezeigt, dass der Zusammenhang zwischen den F&E-Ausgaben der Unternehmen und dem Innovationsoutput besonders eng ist. Dies gilt insbesondere für die Ausgaben für die experimentelle Forschung, die allerdings in den vergangenen Jahren deutlich reduziert wurden.[3]
In einem zweiten Schritt wurde der Zusammenhang zwischen Innovationsoutput und der Produktivitätsentwicklung berücksichtigt. Auf Ebene der Branchen zeigt sich, dass der Anteil der Firmen, die Innovationen generieren, seit Mitte der Neunzigerjahre in der Tendenz abgenommen hat. Besonders deutlich zeigt sich diese Tendenz wiederum bei den Produktinnovationen (siehe Abbildung 3).
Abb. 3: Entwicklung der Firmen mit Produktinnovationen nach Branchen
Quelle: KOF / Die Volkswirtschaft
Der generelle Befund, dass in der Schweiz nach wie vor ein positiver Zusammenhang zwischen F&E und der Arbeitsproduktivität besteht, sagt nicht zwangsläufig etwas darüber aus, ob steigende Forschungsausgaben gesamtwirtschaftlich effizient sind. Es ist durchaus möglich, dass solche Ausgaben physische Investitionen zum Teil verdrängen.
Eine Methodik der US-Ökonomen David Canning und Peter Pedroni[4] aus dem Jahr 2008 erlaubt eine grobe Einschätzung darüber, ob die Forschungsausgaben zu hoch sind. Die Idee dabei ist, die empirischen Ergebnisse vor dem Hintergrund eines theoretischen Wachstumsmodells zu interpretieren. Insgesamt ergeben sich dabei keine Hinweise darauf, dass in der Schweiz bereits zu viel in Forschung und Entwicklung investiert wird.
Abschliessend lässt sich sagen: In den vergangenen Jahren hat sich die Zahl der Produktinnovationen abgeschwächt. Dadurch dürfte sich auch die Produktivität neuer Investitionen verringert haben. Da dies lange Zeit eine bedeutende Quelle für die hohen Produktivitätszuwächse in der Schweiz gewesen ist, könnte hier ein Hebel sein, um die Produktivität zu stärken.
- Auftraggeber der Studie war das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). []
- Bruttoanlageinvestitionen abzüglich des unterstellten jährlichen Verschleisses (Abschreibungen). []
- Wie zu erwarten, findet sich auch in der Schweiz ein positiver Zusammenhang zwischen der angewandten und der experimentellen Forschung und der Produktivitätsentwicklung. Die Ausgaben für die Grundlagenforschung (da weit längerfristiger Natur) weisen keinen direkten Zusammenhang mit der Produktivitätsentwicklung auf. []
- Canning, D. und P. Pedroni (2008). Infrastructure, Long-Run Economic Growth and Causality Tests for Cointegrated Panels, Manchester School 76 (5): 504–27.
Zitiervorschlag: Jäger, Philipp; Rujin, Svetlana; Schmidt, Torsten; Föllmi, Reto (2015). Tiefere Investitionen dämpfen Produktivität. Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.