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Die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung im Finanzmarktbereich und die Rolle des Staates

Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung gewinnt im Finanzsektor zunehmend an Bedeutung. Zahlreiche Gremien und Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene setzen sich derzeit mit dieser Thematik auseinander. Für den Finanzplatz Schweiz birgt dies sowohl Chancen als auch neuartige Risiken. Diese müssen genau analysiert werden, damit sie bei Bedarf mit geeigneten Mitteln angegangen werden können. Der Staat sollte dabei in erster Linie eine Vermittlungs- und Förderfunktion übernehmen.
Als Vermittler- und Förderer könnte der Staat das Ansehen des Finanzplatzes Schweiz als offenes und integres Finanzzentrum festigen. Geschäftsleute in Genf. (Bild: Keystone)

Die Frage der nachhaltigen Entwicklung[1] ist von immer grösserer Bedeutung. Zum Ausdruck kommt dies unter anderem in der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen und in der UNO-Klimakonferenz 2015, die in Paris durchgeführt wurde. Die nachhaltige Entwicklung und deren Förderung durch die Schweizerische Eidgenossenschaft ist ein Verfassungsauftrag. Seit 1997 erarbeitet der Bundesrat alle vier Jahre eine Strategie, mit der eine kohärente nachhaltige Entwicklung unseres Landes gewährleistet werden soll. Gegenwärtig wird diese Strategie im Hinblick auf die Legislaturperiode 2016–2020 überarbeitet. Parallel dazu sind in der Bundesverwaltung verschiedene Projekte wie der «Aktionsplan Grüne Wirtschaft» oder der «Grundlagenbericht Rohstoffe» in Bearbeitung.

Chancen, aber auch Risiken


Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ist auch für die Finanzmarktpolitik relevant. Dies zeigt sich insbesondere in den Arbeiten des Financial Stability Board (FSB), des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der G20. Diese dienen dazu, die potenziellen Auswirkungen des Klimawandels auf die Finanzmarktstabilität abzuklären. Die Thematik ist für die Schweiz in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: zum einen als potenzielles Risiko für die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems und zum anderen als Chance für unser Land.

Zahlreiche internationale Studien deuten darauf hin, dass die ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen und die damit verbundenen Massnahmen unter Umständen beträchtliche Auswirkungen auf die Investitionen, die Finanzmärkte, die sektorielle Kapitalallokation und letztlich auf die Finanzmarktstabilität und das Wachstum haben könnten. In diesem Zusammenhang hat die Bank of England letzten September einen Bericht veröffentlicht, in dem festgehalten wird, dass in Verbindung mit dem Klimawandel das Risiko einer Kohlenstoffblase besteht[2]. Die potenziellen Umwelt-, Sozial- und Gouvernanzrisiken für die Stabilität des Finanzsystems müssen daher in den nächsten Jahren sorgfältig analysiert werden.

Mit einem Fokus auf eine nachhaltige Entwicklung könnten jedoch die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz gestärkt werden. Zusätzlich zu den günstigen Rahmenbedingungen verfügt unser Land über die erforderliche Erfahrung im Bereich der nachhaltigen Finanzen. Dies garantiert der Schweiz langfristig einen Wettbewerbsvorteil, der den Finanzplatz Schweiz für Finanzfachleute, neuartige Ideen und innovative Finanzinstitutionen attraktiv macht.

Gleichzeitig bestehen indessen auch zahlreiche Herausforderungen. Der abstrakte Charakter der nachhaltigen Entwicklung hat zur Folge, dass sie von jedem unterschiedlich interpretiert wird. Eine der Hauptschwierigkeiten besteht nach wie vor darin, dass in Bezug auf die Definition und die Bemessung der Umwelt-, Sozial- und Gouvernanzkonzepte und der damit verbundenen Risiken auf internationaler Ebene kein Konsens besteht.

Definierte Risiken, aber mangelnde Messinstrumente


Die klimabedingten Risiken, die das FSB besonders beschäftigen, lassen sich in drei Hauptkategorien unterteilen:

 

  • Physical Risks sind Risiken im Zusammenhang mit klimatischen und meteorologischen Ereignissen
  • Liability Risks sind Risiken, die sich aus einer Haftung für Schäden im Zusammenhang mit dem Klimawandel ergeben;
  • Transition Risks sind Risiken, die sich aus dem Übergang zu einer Wirtschaft mit geringeren CO2-Emissionen ergeben.


 

Was die Letzteren betrifft, könnte eine andere Bewertung von CO2-intensiven Investitionen zur Folge haben, dass sich diese in verlorene Vermögenswerte, sogenannte Stranded Assets, verwandeln. Die Märkte sind bisher nicht davon überzeugt, dass die Staaten tatsächlich die Absicht haben, die globale Klimaerwärmung bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf einen Temperaturanstieg um zwei Grad zu begrenzen. Dies bewirkt eine immer noch starke Kapitalallokation in CO2-intensiven Branchen.

Solange keine Instrumente für die Bemessung und die Beurteilung der Risiken verfügbar sind, ist es für die Finanzinstitute und Staaten schwierig, diese Risiken richtig einzuschätzen. Diesbezüglich können verschiedene Methoden wie beispielsweise Stresstests in Betracht gezogen werden, die verschiedene Szenarien und Zeithorizonte berücksichtigen.

Förderung der Transparenz


Im Zusammenhang mit den ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen von geschäftlichen Aktivitäten müssen die Transparenz und die Verlässlichkeit der Informationen erhöht werden. Dies ist für die Konsumentinnen und Konsumenten wie auch die Finanzmarktakteure von ausschlaggebender Bedeutung. Denn nur so lassen sich die externen gesellschaftlichen und ökologischen Kosten in die einzelnen Schritte der Wertschöpfungskette internalisieren. Dies trägt dazu bei, die Preise den tatsächlichen Kosten anzunähern, woraus ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum resultiert.

Vor diesem Hintergrund hat das FSB die vom Privatsektor geführte Arbeitsgruppe «Disclosure Task Force on Climate-Related Risks» eingesetzt. Diese hat den Auftrag, kohärente Standards für die Offenlegung und die Darstellung von Risiken zu entwickeln, die in Verbindung mit dem Klimawandel stehen und die es Investoren und anderen interessierten Kreisen ermöglichen, die Konsequenzen ihres Handelns zu verstehen.

Förder- und Vermittlungsfunktion des Staates


Der Staat muss gewährleisten, dass für den Finanzsektor stabile und attraktive Rahmenbedingungen aufrechterhalten und allenfalls noch weiter verbessert werden. Ausserdem muss er dafür sorgen, dass den Risiken Rechnung getragen wird, die unter Umständen die Stabilität des Finanzsystems bedrohen sowie die Stabilität und die Nachhaltigkeit der gesamten Wirtschaft gefährden. Bei Bedarf muss der Staat die erforderlichen Massnahmen treffen, um solche Risiken zu beseitigen.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der Staat in nächster Zukunft den Dialog mit Vertretern der Finanzbranche zu Nachhaltigkeitsfragen vertieft. Dabei geht es darum, weitere Fortschritte bei der Entwicklung sinnvoller Konzepte zu erzielen, die Transparenz zu erhöhen und den Finanzsektor für die mit der Nachhaltigkeit verbundenen Herausforderungen zu sensibilisieren. Im Rahmen dieses Dialogs sollte auch festgelegt werden, auf welche Weise die staatlichen Stellen bestmöglich die Anstrengungen der Branche unterstützen und dazu beitragen können, dass die Umwelt-, Sozial- und Gouvernanzkriterien im Finanzplatz Schweiz integriert werden.

Dies erfordert eine langfristig kohärente Finanzmarktregulierung, welche die wirtschaftliche Entwicklung unterstützt und auf den Grundlagen der schweizerischen Finanzmarktpolitik aufbaut, d. h. auf der Wirtschaftsfreiheit und der Subsidiarität des staatlichen Handelns. Dies gilt auch für Nachhaltigkeitsfragen sowie für Umwelt-, Sozial- und Governanzrisiken. Im Übrigen betreibt der Staat keine «Nischenpolitik». Wenn sich der Finanzplatz als Zentrum für nachhaltige Investitionen positionieren will, muss er selbst die Initiative ergreifen. Ein derartiges Vorhaben steht im Einklang mit einer langfristigen Ausrichtung, die dazu beiträgt, das Ansehen des Finanzplatzes Schweiz als offenes und integres Finanzzentrum mit hervorragenden Dienstleistungen noch weiter zu festigen. Deshalb könnte der Staat die betreffenden Anstrengungen unterstützen, indem er eine Vermittlungs- und Förderfunktion übernimmt.

Auf internationaler Ebene ist es im Interesse der Schweiz, aktiv zur Entwicklung und zur Umsetzung multilateraler Lösungen und Normen beizutragen. Gleichzeitig muss sie jedoch darauf achten, dass die Regelungen koordiniert werden, damit unsere Unternehmen im Vergleich zu den Wettbewerbern nicht benachteiligt werden. China beabsichtigt, eine «ökologisch ausgerichtete Finanzwirtschaft» zu einer der Prioritäten seiner G20-Präsidentschaft im Jahr 2016 zu machen. In diesem Zusammenhang ist es von grundlegender Bedeutung, dass die Schweiz in der Lage ist, zu dieser Thematik auf internationaler Ebene eine klare, gemeinsame und kohärente Position vorzulegen.

  1. Die Schweiz stützt sich auf die Definition von nachhaltiger Entwicklung, die 1987 von der Brundtland-Kommission in deren Bericht «Our Common Future» formuliert wurde: «Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.» []
  2. Bank of England, Prudential Regulation Authority (2015). The Impact of Climate Change on the UK Insurance Sector. []

Zitiervorschlag: Stephanie Lorenz, Laurence Roth, (2015). Die Bedeutung der nachhaltigen Entwicklung im Finanzmarktbereich und die Rolle des Staates. Die Volkswirtschaft, 21. Dezember.