Valérie Borioli Sandoz, Leiterin Gleichstellungspolitik, Travail Suisse, Bern
Der Vorschlag des Bundesrats zur Bekämpfung der Lohndiskriminierung weist gewisse Eigenschaften eines Papiertigers auf. Denn die vorgelegte Revision des Gleichstellungsgesetzes (GlG) beinhaltet keinerlei Sanktionen für Unternehmen, welche nicht regelmässig alle vier Jahre die vorgesehene Lohnanalyse durchführen oder dazu eine andere statistische Methode verwenden als die sogenannte Regressionsanalyse, welche als einzige Methode wissenschaftlich und rechtlich anerkannt ist.
Dass zur Durchsetzung der in der Bundesverfassung verankerten Lohngleichheit schlagkräftige juristische Mittel vollkommen fehlen, ist mehr als erstaunlich. Bei anderen Grundprinzipien, die ebenfalls im Gründungstext unseres Rechtsstaats verankert sind, wäre dies undenkbar. Nehmen wir als Beispiel die Eigentumsgarantie. Wenn jemand plötzlich auf die Idee kommt, das Eigentum des Nachbars in Beschlag zu nehmen, wird er zur Rechenschaft gezogen, damit die gesetzlichen Bestimmungen nicht Makulatur bleiben. Den Frauen hingegen werden bei den Löhnen seit Jahrzehnten erhebliche Summen vorenthalten (jährlich gegen 7 Milliarden Franken), ohne dass irgendwelche objektiven Gründe diesen «Diebstahl» rechtfertigen könnten. Trotzdem sehen weder das geltende Gleichstellungsgesetz noch der Revisionsentwurf Strafen für säumige Unternehmen vor.
Ungerechtfertigte Lohnunterschiede werden für Frauen sichtbar
Ist deshalb der bundesrätliche Vorschlag rundweg abzulehnen? In den Augen von Travail Suisse, der unabhängigen Dachorganisation der Arbeitnehmenden, wäre dies verfehlt. Gegen eine Ablehnung spricht die vom Bundesamt für Justiz in Auftrag gegebene Regulierungsfolgenabschätzung (RFA). Gemäss dieser RFA, welche dem Erläuternden Bericht zum Entwurf zur Änderung des Gleichstellungsgesetzes zugrunde liegt, ergriff die Hälfte der 1305 beteiligten Unternehmen nach der durchgeführten Lohnanalyse Korrekturmassnahmen, obwohl sie dazu nicht verpflichtet waren.
Dieses Ergebnis ist erfreulich. Für Travail Suisse besteht das Hauptinteresse des bundesrätlichen Vorschlags darin, dass betroffene Frauen mit einer Lohnanalyse von nicht objektiv erklärbaren Lohnunterschieden Kenntnis erhalten würden. Diese Analyse wäre von den Unternehmen intern zu erstellen und anschliessend durch ein Organ zu überprüfen, das sie selber wählen können (Sozialpartner, anerkannte Revisionsgesellschaft oder staatlich anerkannte Selbstregulierungsorganisation). Das Hauptverdienst des vom Bundesrat vorgesehenen Mechanismus besteht darin, dass er die Transparenz in einem sehr undurchsichtigen Bereich, der fast schon ein Tabu darstellt, deutlich erhöht.
Denn tatsächlich gilt es in erster Linie in Erfahrung zu bringen, ob das Problem der Lohndiskriminierung in Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitenden überhaupt besteht und allenfalls in welchem Umfang. Denn Lohndiskriminierungen sind häufig das Ergebnis indirekter Auswirkungen, unbewusster Vorurteile oder einer ungünstigen Personalpolitik. Eine kürzlich von Waadtländer Arbeitgeberkreisen bei 660 Westschweizer Unternehmen durchgeführte Studie[1] bestätigt die bisherigen Erkenntnisse: Unternehmen diskriminieren Frauen nicht bewusst. Noch erfreulicher ist, dass drei Viertel dieser Unternehmen eine Selbstkontrolle für annehmbar und sinnvoll halten. Ausserdem akzeptiert eine Mehrheit der in der RFA befragten Unternehmen die vorgesehene Form dieser Kontrolle. Das ist ein Plädoyer für Transparenz.
Deshalb unterstützt Travail Suisse den Vorschlag des Bundesrats, auch wenn sie bedauert, dass er keinerlei Sanktionen vorsieht. Sie wird deshalb Vorschläge mit dieser Stossrichtung unterbreiten, da es unter den Arbeitgebern auch einige schwarze Schafe gibt. Denn gegen Unternehmen, denen es an gutem Willen fehlt und die einfach die Augen verschliessen, muss konsequenter vorgegangen werden.
- Centre patronal (2015). Egalité salariale : la manipulation d’un juste principe, in : Etudes & Enquêtes Nr. 44 []
Zitiervorschlag: Borioli Sandoz, Valérie (2016). Mit Transparenz gegen Lohndiskriminierung. Die Volkswirtschaft, 24. Februar.