Sich zuerst auf die Finanzierung einigen und erst dann die Ziele verabschieden: Diese Position vertraten zahlreiche Entwicklungsländer – und setzten sich schliesslich durch. So wurden die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung (SDG) erst verabschiedet, nachdem zwei Monate zuvor im Juli 2015 in Addis Abeba die dritte Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung stattgefunden hatte.
Die Teilnehmenden waren sich einig, dass die Mittel der öffentlichen Entwicklungshilfe (APD) dazu allein nicht ausreichen und eine Diversifizierung der Finanzierungsquellen unabdingbar ist. Sie wollen deshalb Privatinvestitionen mobilisieren, die Steuereinnahmen in den Entwicklungsländern ausweiten, den Kapitalzugang verbessern und Geldüberweisungen von Migranten in ihre Herkunftsländer fördern.
Investitionsbedarf von 5 Billionen Dollar pro Jahr
Gemäss einer Schätzung der UNO beträgt der Investitionsbedarf zur Finanzierung der SDG über 5 Billionen Dollar jährlich.[1] Die öffentliche Entwicklungshilfe deckt weniger als 3 Prozent dieser Summe ab. Selbst wenn die reichen Länder ihrer Zusage nachkämen und 0,7 Prozent ihres Bruttonationaleinkommens in die Entwicklungshilfe investierten, wäre damit bestenfalls ein Fünfzehntel des Bedarfs gedeckt. Dringlich wäre auch, den Begriff der öffentlichen Entwicklungshilfe neu zu definieren, um Ausgaben auszuklammern, die nur entfernt zur Entwicklung beitragen (beispielsweise die Aufnahme der Flüchtlinge in der Schweiz im ersten Jahr), und andere mit einer massgeblich positiven Wirkung einzuschliessen (z. B. Sicherheitsfonds).
Die öffentliche Entwicklungshilfe bleibt jedoch zum Erreichen gewisser SDG weiterhin zentral: insbesondere in fragilen oder konfliktbetroffenen Staaten, wo immer mehr Gelder hinfliessen. Dort gestaltet sich die Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit besonders schwierig, da die Sicherheit des Personals vor Ort beeinträchtigt ist und Hilfsprojekte gefährdet sind.
Steuereinnahmen im Fokus
Die Vereinbarung von Addis Abeba legt den Schwerpunkt zu Recht darauf, die Ressourcen aus Steuereinnahmen in den Entwicklungsländern zu optimieren. Diese belaufen sich in den am wenigsten fortgeschrittenen Ländern auf 10 bis 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) – gegenüber mehr als 20 Prozent in den meisten Ländern mit mittlerem Einkommen. In vielen Entwicklungsländern höhlen Steuerflucht und -betrug sowie substanzielle unrechtmässige Geldflüsse die Besteuerungsgrundlage aus.
Bei den Verhandlungen in Addis Abeba gingen die Meinungen in diesem Punkt auseinander. Die Entwicklungsländer schlugen vor, eine neue zwischenstaatliche Organisation einzusetzen, die gegen Steuerflucht kämpft: Diese müsste zum Beispiel sicherstellen, dass internationale Konzerne dort Steuern zahlen, wo sie ihre Gewinne erwirtschaften.
Die Industrieländer lehnen eine neue zwischenstaatliche Organisation ab: Sie wollen sich auf eine Stärkung des UNO-Expertenkomitees für Steuerfragen beschränken, um dasselbe Ziel zu erreichen. Dieselbe Stossrichtung verfolgt die im vergangenen Oktober in Paris von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und den G-20 gemeinsam lancierte Initiative zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung (Beps) gegen unlautere Praktiken zur Steueroptimierung. Eine solche Vereinbarung zwischen OECD-Staaten und Entwicklungsländern würde es ermöglichen, das Steuersubstrat insbesondere in rohstoffexportierenden Ländern zu erweitern.
Ergänzung der öffentlichen Hilfe durch Privatkapital
Privatinvestitionen sollen bei der Finanzierung und der Umsetzung der SDG künftig eine immer wichtigere Rolle spielen. Die ausländischen Direktinvestitionen in die Entwicklungsländer sind in den Nullerjahren stark gewachsen. Im Jahr 2013 übertrafen sie die Direktinvestitionen in den Industrieländern sogar um 778 Milliarden Dollar. Aber: Die am wenigsten fortgeschrittenen Länder erhalten nur einen kleinen Teil davon, vor allem im Erdöl- und Bergbausektor, der weitgehend von der lokalen Wirtschaft abgekoppelt ist. Die SDG legen hingegen den Schwerpunkt auf die Infrastruktur, auf erneuerbare Energien und auf das verarbeitende Gewerbe.
Öffentliche Entwicklungshilfe kann bei der Erschliessung von Privatkapital eine starke Hebelwirkung erzeugen, unter anderem mit öffentlich-privaten Partnerschaften (Public-private-Partnerships). Wichtig ist bei diesen Investitionen, Sozial- und Umweltnormen festzulegen, beispielsweise mit Blick auf die Nachhaltigkeitsziele für die Produktion und den Konsum oder für die Bekämpfung der Klimaerwärmung (SDG 12 und 13).
An der UNO-Klimakonferenz vom vergangenen Dezember in Paris bekräftigten die Geberländer ihre Zusage, ab 2020 jährlich mindestens 100 Milliarden Dollar für Massnahmen zur Eindämmung des Klimawandels und für die Anpassung an dessen Folgen bereitzustellen. Die Entwicklungsländer fordern, diese «Klimafinanzierung» müsse zusätzlich zur Entwicklungshilfe gewährt werden. Angesichts der angespannten Finanzlage der Geberländer scheint es jedoch kaum vorstellbar, das Ziel von 100 Milliarden Dollar bis 2020 zu erreichen, ohne die öffentliche Entwicklungshilfe anzutasten. Noch schwieriger wird es, wenn international keine Einigung über eine CO2-Abgabe oder eine «Tobin»-Finanztransaktionssteuer erzielt wird. Denn es bestehen zwar Synergien zwischen Armutsbekämpfung und Klimafinanzierung, bei der Mittelvergabe werden jedoch immer wieder schwierige Entscheidungen zu fällen sein, da die Klimaziele und die (übrigen) SDG in einem gewissen Wettbewerb stehen.
Die Schweiz hat gute Karten
In diesem Kontext legt der Bundesrat dem Parlament seine Botschaft über die internationale Zusammenarbeit für den Zeitraum 2017–2020 vor. Thema der Botschaft sind sowohl die strategischen Schwerpunkte als auch die Verwendung der öffentlichen Entwicklungsgelder für humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung (menschliche Sicherheit). Die Schweiz muss mehr unternehmen, wenn sie ihren Verpflichtungen im Rahmen der SDG und des Klimawandels nachkommen und ausserdem zur Deckung des enormen humanitären Bedarfs beitragen will, der aufgrund der vielen laufenden Krisen besteht (Naher und Mittlerer Osten, Afrika, Afghanistan, Ukraine). In der Schweiz ist zwar ebenfalls ein gewisser Spardruck vorhanden, die meisten anderen Geberländer sind aber mit wesentlich grösseren Schwierigkeiten konfrontiert.
Davon kann die Schweiz profitieren und ihren Platz unter den einflussreichen Geberländern festigen. Ausserdem ist unsere Wirtschaft besonders gut positioniert, um von Märkten im Zusammenhang mit der internationalen Zusammenarbeit zu profitieren. Diese wachsen kräftig, was aktuelle Studien zum Einkauf von Waren und Leistungen der internationalen Organisationen und zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der APD belegen.[2]
Neben der ausländischen Hilfe bedingt die Umsetzung der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung eine kohärentere Politik staatlicher Stellen in Themenbereichen wie Energie, Handel, Finanzen, Landwirtschaft oder Migration. Eine zentrale Bedeutung kommt hier der Fiskalpolitik zu: Die Schweiz hat in der Vergangenheit eine Vorreiterrolle bei Projekten in Entwicklungsländern gespielt, wo es darum ging, die Verwaltung öffentlicher Gelder zu optimieren – insbesondere in rohstoffexportierenden Ländern. Zur Erweiterung des Steuersubstrats in Ländern, die zur Finanzierung der SDG mehr eigene Mittel aufbringen müssen, braucht es deshalb eine bessere Abstimmung zwischen Fiskal- und Entwicklungspolitik.
Die Schweiz als wichtiges globales Rohstoffhandels- und Finanzzentrum kann hier wesentlich Einfluss nehmen. Mehr Investitionen in die internationale Zusammenarbeit und eine kohärentere Politik der staatlichen Stellen sind im Interesse sowohl der Schweiz als auch der Entwicklungsländer. Diesen Preis werden wir bezahlen müssen, wenn wir die Nachhaltigkeitsziele der UNO erreichen wollen – in unserem wie auch im Interesse der Entwicklungsstaaten.
- Bericht des Expertenausschusses zur Finanzierung nachhaltiger Entwicklung. Dieser wurde der UNO-Generalversammlung am 15. August 2014 vorgelegt (Doc. A/69/315). []
- Carbonnier, Gilles (2014). Procurement of goods and services by international organisations in donor countries, 2013; Deza und Seco (2015). Öffentliche Entwicklungshilfe (APD) 2013–2014, Universität Neuenburg und Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung, 2015. []