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«Die grosse Masse bewegt sich noch nicht»

Konsumenten wollen Transparenz bei der Herkunft und beim Produktionsprozess von Lebensmitteln. Im Trend sind Biowaren und Produkte aus der Region. Markus Hurschler, Co-Geschäftsführer von Foodways Consulting, betont, dass man sich bei diesen Gütern immer noch in Nischenmärkten bewege. Die Vision des Jungunternehmers ist es, durch Produktinnovationen nachhaltige Lebensmittel massentauglich zu machen.
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Der Gründer und Co-Geschäftsführer von Foodways Consulting, Markus Hurschler, am Firmensitz in Bern. (Bild: Seco, Marlen von Weissenfluh)

Herr Hurschler, Ihre Beratungsfirma Foodways Consulting ist in der nachhaltigen Ernährungswirtschaft tätig. Welche Konsumtrends spielen bei Ihrer Arbeit eine Rolle?


Nachhaltigkeit hat viel mit Visionen zu tun. Die Frage ist, was sich davon materialisieren wird. Wir fokussieren auf Konsumtrends wie das Bedürfnis nach Transparenz und Authentizität sowie den gesellschaftlichen Druck, Lebensmittelabfälle zu reduzieren.

Was meinen Sie konkret mit Authentizität?


Der Biomarkt und die Produkte aus der Region sind beispielsweise Indikatoren für Trends wie die Rückkehr zu authentischem Essen. Wir wollen weg vom 08/15-Industriefutter und näher hin zur Landwirtschaft und zum Bauern. Das sieht man sehr schön in der Werbung der Detailhändler, wo der Detaillist persönlich beim Bauern die frischen Karotten abholt. Natürlich wissen wir, dass das nicht ganz stimmt. Wir wollen also einerseits diese Authentizität, andererseits sollte sie aber auch preislich einigermassen attraktiv sein.

Und welche Schlüsse ziehen Sie daraus?


Der Schweizer Biomarkt ist zwar pro Kopf der grösste Biomarkt der Welt. Trotzdem ernähren sich heute relativ wenige Konsumenten anders. Tatsache ist: Die grosse Masse bewegt sich noch nicht. Wir arbeiten daran, Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln massentauglich zu machen und angebotsgetrieben zu steuern. Wir sind überzeugt, dass Unternehmen langfristig davon profitieren können. Den Trend, sich authentisch und gesund zu ernähren, nehmen immer mehr KMU-Betriebe auf und bieten entsprechende Produkte an.

Das Problem ist doch, dass Nischenprodukte einen höheren Preis haben. Wie wollen Sie die massentauglich machen?


Qualität hat ihren Preis. Ich denke, dass der Food-Sektor gut daran tut, in Zukunft nicht mehr ausschliesslich auf den Preis zu spielen, sondern auf die Qualität und die «Story» des Produkts. Erneut: Der Biomarkt zeigt, dass bewusste Konsumenten bereit sind, etwas mehr zu bezahlen.

Wie unterstützen Sie die Firmen bei neuen Produkten?


Wir sind insbesondere bei Jungunternehmern engagiert. Der Name dieses Angebots ist Ourcommonfood.ch. Hier geht es um Coaching und Begleitung von Start-ups im Ernährungsbereich. Wenn man beispielsweise als junger Landwirt den Hof seiner Eltern übernehmen will, dann bieten wir und unser Netzwerk Beratung beim Konzept, beim Businessplan und im Marketing an. Dieses Projekt wurde die vergangenen zwei Jahre massgeblich unterstützt vom Bundesamt für Landwirtschaft und der Albert-Köchlin-Stiftung. Ein Beispiel für ein solches Coaching sind die Bänz-Getränke: Dieser Unternehmer erntet im Herbst bei verschiedenen Bauern Früchte und macht daraus puren Obstsaft, ohne Konservierungsstoffe. Auf der Flasche kann man sehen, von welchem Bauern die Früchte kommen.

Das ist der Trend zu mehr Transparenz.


Genau. Authentische, transparente Produkte finden einen Markt. Viele Konsumenten sind Coca-Cola-müde und offen für neue Getränke.

Sie haben die Lebensmittelabfälle angesprochen. Ist die Verschwendung von Nahrungsmitteln ein Thema bei Ihren Kunden?


Ja, das ist momentan ein sehr aktuelles Thema. Es ist aber keineswegs ein neues Thema. Abfälle zu reduzieren, gehört in vielen Unternehmen ja zum wirtschaftlichen Denken. Es ist aber erst seit drei bis vier Jahren ein Thema im öffentlichen Diskurs. Erst dadurch ist die Dringlichkeit in den Unternehmen gestiegen, noch mehr gegen die Lebensmittelverschwendung zu tun. Dieser Druck von aussen bewirkt etwas.

Überwiegen die ethischen oder die betriebswirtschaftlichen Zwänge? Die Firmen können doch Geld sparen, wenn sie effizienter mit Ressourcen umgehen.


Das ist unterschiedlich. Bei den Einzelhändlern ist es nicht in erster Linie ein ökonomisches Problem, weil die ihre Supply Chains relativ gut im Griff haben und sich die Verluste im tiefen Prozentbereich bewegen. Dort ist es eher ethisch und reputationsmässig ein Problem. In der Gastronomie hat man höhere Verlustraten, und deshalb ist der ökonomische Aspekt wichtiger. Aber in diesem Sektor ist die Sensibilität noch nicht so hoch. Manche Unternehmen sind sich auch nicht bewusst, wie viel Potenzial darin steckt, weil sie selber ihre Abfälle nicht quantifizieren und überwachen. Die täglichen kleinen Abfallmengen summieren sich über die Zeit.

Aber die Hauptverursacher von Lebensmittelabfällen sind die Endkunden, also die Konsumenten?


Tatsächlich sind die Konsumenten die Hauptquelle von Lebensmittelabfällen. Eine Befragung des Bundesamtes für Umwelt zeigt, dass sich die Bevölkerung des Problems bewusst ist, der Einzelne ist jedoch überzeugt, dass er selber nicht Teil dieses Problems ist. Für die Endkonsumenten haben wir die Plattform Foodwaste.ch gegründet. Ein zivilgesellschaftliches Projekt, mit dem wir die Thematik an die Schweizer Bevölkerung bringen. Aktuell ist eine Wanderausstellung an Schweizer Publikumsmessen unterwegs.

Weshalb sollen wir überhaupt etwas gegen Food-Waste tun?


Das eine ist der wirtschaftliche Aspekt. Alle können dabei Geld sparen, auch die Konsumenten. In der Schweiz sind wir reich genug, um das nicht zu merken, weil wir nur etwa sieben Prozent fürs Essen ausgeben. In Ländern mit weniger verfügbarem Einkommen sind die Anteile von Food-Waste in den Haushalten kleiner. Das andere ist die ökologische Nachhaltigkeit. Lebensmittel sind für zwei Drittel der Umweltbelastung des Menschen verantwortlich.

Welche volkswirtschaftliche Relevanz hat das Thema für die Schweiz?


Ich denke, es gibt viele Chancen, diese Thematik innovativ aufzugreifen. Eine gute Ernte in der Landwirtschaft wäre volkswirtschaftlich mehr wert im Regal der Einzelhändler als in der Biogasanlage oder im Tierfuttertrog.

Wie beraten Sie Firmen beim Thema Food-Waste?


Über das Netzwerkprojekt United Against Waste beraten wir Unternehmen aus der Wertschöpfungskette Gastronomie. Diese Initiative ist ein eigenständiger Verein, wir koordinieren den Verein als Geschäftsstelle. Mithilfe des Softwareprogramms Lean Path quantifizieren wir die Abfälle. Der Gastronom kann beispielsweise definieren, ob der Abfall in der Küche anfällt oder ob er von den Gästen zurückkommt. Diese Daten werden dann in den Computer eingetragen und ausgewertet.

Wie sehen die Massnahmen aus?


Das ist sehr individuell. Die einfachste Massnahme ist die Erhebung selbst. Wir beobachten, dass nach zwei Wochen der Erhebung die Abfälle bereits massiv abnehmen. Das passiert alleine durch die Sensibilisierung der Mitarbeitenden. Neu rechnet das Programm auch die Kosten auf ein Jahr hoch. Im Schnitt lassen sich Abfälle auf einfache Weise um über 20 Prozent reduzieren. Andere Massnahmen können relativ tief ins Restaurantkonzept gehen. Wie gross sind die Portionen? Kann man diese reduzieren? Und was bedeutet dies für die Mengen in den Rezepturen? Das beeinflusst dann auch die Planung und den Einkauf.

Machen Sie auch Beratungen in Spitälern?


Ja, oft sogar. Der Kostendruck ist dort ein grosses Thema. Gerade in Spitälern müssen verschiedene Kundengruppen wie Besucher und Patienten sowie verschiedene Spezialdiäten berücksichtigt werden. Da ist es eine grosse Herausforderung, nebenbei noch Abfälle zu vermeiden.

Sie arbeiten auch mit Verbänden zusammen?


Ja richtig. Bei vielen Projekten arbeiten wir nicht mit einem einzelnen Kunden, sondern mit einem Netzwerk – etwa einem Verband – zusammen. Ein Projekt von uns widmet sich der ganzheitlichen Verwertung von Schlachttieren. Auch das hat einen wirtschaftlichen Standpunkt: Erstens können die Gastronomie und der Fleischfachhandel davon profitieren, wenn man das ganze Tier besser vermarkten kann und die Preisschere zwischen Edelstück und weniger edlem Stück nicht weiter aufgeht. Um das zu erreichen, probieren wir die innovative Verwertung des Tieres neu zu thematisieren. Das Filet lässt sich einfach zubereiten und ist auch einfach zu verkaufen. Das Projekt setzt bei diesem «Nose-to-Tail»-Gedanken an, der bedeutet, dass möglichst viele Teile des Tieres verwertet werden. Letztlich will man damit die ganze Fleischbranche erreichen.

Kann und soll auch der Staat etwas gegen Food-Waste tun?


Es braucht vor allem einen Wertewandel. Über das Portemonnaie wird es bei den Konsumenten nicht funktionieren. Denn wir bezahlen im Verhältnis zu unserem Einkommen wenig für Lebensmittel. Wenn der Staat also sensibilisieren will, wäre das sicher sinnvoll. Das Bundesamt für Umwelt hat die Kampagne jedoch zurückgestellt.

Als Unternehmen versuchen wir Nachhaltigkeit eher angebotsseitig zu erreichen: So glaube ich etwa, dass der Gastronom ein gutes Vorbild sein kann, zu dem ich hochschaue und dessen nachhaltige Küche ich übernehmen werde. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen. Er hat einen starken Effekt auf uns Privatkonsumenten.

Braucht es Gesetze gegen Food-Waste wie in Frankreich?


Ich selbst bin skeptisch, was Gesetze angeht. In Frankreich wurde es den grösseren Retailern verboten, genussfähige Lebensmittel zu vernichten. Ich bin gespannt, wie man das umsetzt. Tatsache ist, dass dieses Gesetz da ansetzt, wo nicht die grosse Nahrungsmittelverschwendung anfällt. Diese passiert bei den Konsumenten. Die Zusammenarbeit in der Schweiz zwischen der Industrie und den Organisationen der Lebensmittelspende funktioniert relativ partnerschaftlich. Das Problem liegt an einer anderen Stelle: Die Wirtschaft ist auf hohe Produktionsmengen programmiert. Der Konsum ist ein wichtiger Faktor in der Formel des BIP, und wenn dieser steigt, dann geht es der Wirtschaft besser. Die Verschwendung liegt deshalb auch inhärent in dieser Formel drin. Mit Gesetzen lässt sich da nicht viel bewirken. Ich glaube, visionäre Businessmodelle von Unternehmen nützen mehr als der gesetzliche Zwang, alles spenden zu müssen. Eine sinnvolle Regelung wäre womöglich, dass Unternehmen Abfallzahlen regelmässig quantifizieren – in etwa so wie beim CO2-Ausstoss in anderen Industrien. Dies wird über die Zeit sicher in das Nachhaltigkeitsreporting von grösseren Reportingstandards einfliessen.

Welchen Einfluss hat die Digitalisierung auf Konsumtrends und Lebensmittelverschwendung?


Die Digitalisierung hat einen grossen Einfluss. Aber viele KMU in der Schweiz tun sich damit noch etwas schwer. Auch wir beschäftigen uns schwerpunktmässig damit. Aktuell drängen sich in diesem Bereich viele Jungunternehmen auf dem Markt. Am meisten kann man das im Moment beim Onlinehandel miterleben. Hier gibt es Innovationen wie etwa den Onlinehofladen Farmy.ch. Da werden lokale handwerkliche Produzenten vernetzt und gleichzeitig ihre Produkte angeboten. Spannend ist auch das Zürcher Jungunternehmen Aleno, welches ein besonders nutzerfreundliches Reservations- und Tischplanungssystem für die Gastronomie anbietet.

Zitiervorschlag: Tesar, Nicole (2016). «Die grosse Masse bewegt sich noch nicht». Die Volkswirtschaft, 23. März.

Markus Hurschler

Der 31-jährige Markus Hurschler ist Gründer und Co-Geschäftsführer der Berner Beratungsfirma Foodways Consulting GmbH. Das Unternehmen berät Verbände, Hotels, Restaurantbetriebe und Verwaltungen im Bereich nachhaltige Ernährungswirtschaft. Gesellschaftliche Trends zu beobachten und Nachhaltigkeit unternehmerisch umzusetzen, ist das Ziel der Firma. Hurschler leitet das 2012 gegründete Unternehmen zusammen mit dem Ökonomen Joao Almeida. «Mit unserem siebenköpfigen Team initiieren wir Projekte oder führen Mandate im Auftrag von Kunden aus», sagt der Jungunternehmer. Solche Projekte sind etwa die Initiativen Foodwaste.ch und United Against Waste. Hurschler absolvierte seinen Master im interdisziplinären Studiengang Sustainable Development an der Universität Basel. «Alle im Unternehmen haben entweder einen wirtschafts-, natur- oder geisteswissenschaftlichen Hintergrund.»

Was ist Food-Waste?

Gemäss der UNO-Landwirtschaftsorganisation FAO ist Food-Waste der noch essbare Teil von Nahrungsmitteln, welcher innerhalb der Wertschöpfungskette weggeworfen wird, verloren geht, verdirbt oder von Schädlingen gefressen wird. Konkret heisst das für die Landwirtschaft, wenn unförmige Karotten aussortiert werden, in der Industrie, wenn zu viel produziert wird, im Detailhandel, wenn Produkte ablaufen, in der Gastronomie, wenn Portionen zu gross sind, oder beim Konsumenten, wenn er Essensreste wegwirft. In der Schweiz beläuft sich laut einer Studie von WWF die auf diesem Weg verschwendete Menge an Nahrungsmitteln auf rund 2 Millionen Tonnen pro Jahr. Das entspricht einem Drittel der Gesamtproduktion. Privathaushalte verursachen die Hälfte dieser Abfälle. Das sind rund 120 Kilogramm pro Kopf und Jahr.