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Elefanten unter Strom

Acht Jahre nach der weltweiten Wirtschaftskrise bleibt ungewiss, ob die systemrelevanten Finanzinstitute auf festem Boden stehen und eine Notlage ohne staatliche Krücken überstehen. Die Börsenturbulenzen Anfang Jahr liessen in der europäischen Bankenwelt Bedenken aufkommen. Klar ist: Die Krisenresistenz von Finanzunternehmen muss national und international – mit grosser Priorität – gestärkt werden. Künftig sollen keine systemrelevanten Bank- und Versicherungskonzerne «too big to fail» sein.

Vor diesem Hintergrund mag erstaunen, dass diese Debatte in der Schweiz nun auch den Stromsektor erfasst. Aufgrund der Bekanntgabe neuerlicher Verluste eines grossen Energiekonzerns wurde just während der Frühjahrssession des eidgenössischen Parlaments ruchbar: Das Unternehmen sei zu gross, um das Schicksal den Händen des Konkursrichters anzuvertrauen. Damit steht neuerlich die Frage im Raum: Gibt es in einer Volkswirtschaft auch ausserhalb des Finanzsektors Elefanten, die zu gewichtig sind, als dass sie in den Abgrund stolpern dürfen?

Die schiere Grösse eines Unternehmens sagt noch nichts über systemische Risiken aus. In gewissen Branchen kann die Ertragskraft dank Skalen- und/oder Verbundeffekten mit zunehmender Grösse steigen. Dies ist an sich positiv zu werten, denn ein solches Unternehmen kann günstiger produzieren als beispielsweise zwei halb so grosse Firmen. Dennoch müssen auch Grossunternehmen – ungeachtet der Effizienzvorteile – in Konkurs gehen können, falls sie den Anschluss an die Marktentwicklung verpasst haben. So erachtet die OECD den ungehinderten «Exit» von nicht überlebensfähigen Firmen als wichtigen Erklärungsfaktor prosperierender Volkswirtschaften. Konkurse haben gesamtwirtschaftlich eine disziplinierende und eine reinigende Kraft. Die Möglichkeit, in Konkurs zu gehen, sensibilisiert bei der Risikoübernahme. Der Konkurs selber kippt produktivitätsschwache Firmen aus dem Markt und setzt Ressourcen frei, die von erfolgreicheren Unternehmen übernommen werden.

Zu vernetzt und zu wichtig


Wirklich systemrelevante Firmen weisen abgesehen von der schieren Grösse «too big» weitere Besonderheiten aus. Zum einen kann ihre Insolvenz auch unbeteiligte Marktteilnehmer in den Abgrund ziehen («too interconnected»), und zum andern kann ihre Markttätigkeit bei einer Pleite nicht innerhalb einer gegebenen Zeit durch andere Anbieter übernommen werden («too important»). Diese drei Besonderheiten sollten kumuliert erfüllt sein, damit man von systemrelevanten Firmen sprechen kann. Die Grösse eines Unternehmens ist also eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung der Systemrelevanz.

Die Energiekonzerne in der Schweiz erbringen mit der Versorgung von Strom eine volkswirtschaftlich unentbehrliche Leistung. Dahinter stehen jedoch wertstabile Anlagevermögen, die selbst beim Konkursfall auf neue Betreiber oder eine Auffanggesellschaft übertragen werden können. So gesehen ist es schwer nachvollziehbar, warum Stromgesellschaften «too big to fail» im Sinne unverzichtbarer Firmen (und nicht: unverzichtbarer Leistungen) sein sollen.

Eine Rettung von Unternehmen durch den Bund, die mehrheitlich im Besitze von Kantonen und Gemeinden sind, ist nicht mit der Rettung von Grossbanken zu vergleichen. Das Verlustrisiko bei Unternehmen der öffentlichen Hand soll nicht unnötigerweise auf Kosten von Steuerzahlern aus anderen Gebietskörperschaften getragen werden – schon gar nicht, wenn die Anteilsbesitzer zuvor über Jahre ansehnliche Dividenden bezogen haben. Ein Elefant im Strommarkt sollte stolpern und im Extremfall auch in den Abgrund stürzen können, ohne dass die Versorgungssicherheit gefährdet wird.

Zitiervorschlag: Eric Scheidegger (2016). Elefanten unter Strom. Die Volkswirtschaft, 27. April.