Der Teilchenbeschleuniger am Cern in Genf ist ein Vorzeigeprojekt der europäischen Forschung. (Bild: Keystone)
Forschung und Innovation spielen eine zentrale Rolle für die gesellschaftliche und die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes. Wo steht die Schweiz gegenüber ihren grössten Konkurrenten? Dieser Artikel veranschaulicht die Stellung der Schweiz im Vergleich zu anderen entwickelten und aufstrebenden Volkswirtschaften mithilfe ausgewählter Indikatoren. Eine vertiefte Analyse anhand zahlreicher weiterer Indikatoren und einer erweiterten Auswahl an Ländern bietet der vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) herausgegebene Bericht «Forschung und Innovation in der Schweiz 2016».
Der Bericht macht deutlich, dass die Leistungsfähigkeit im Bereich Forschung und Innovation von verschiedenen Voraussetzungen abhängt (siehe Abbildung 1). Dazu zählen Rahmenbedingungen wie Lebensqualität, Infrastrukturen oder Steuerbelastung. Im internationalen Vergleich zeichnet sich die Schweiz durch eine qualitativ hochstehende Infrastruktur und eine tiefe Unternehmensbesteuerung aus. In Bezug auf die Arbeitsmarktflexibilität steht sie an der Spitze und verfügt damit über hervorragende Bedingungen, um den Bedarf der innovativen Unternehmen an qualifizierten Fachkräften zu decken.
Abb. 1: Voraussetzungen für F&I im internationalen Vergleich
Index: 100 = höchster Wert der betrachteten Länder
Quelle: SBFI / Die Volkswirtschaft
Zu einem grossen Teil ist die gute Forschungs- und Innovationsleistung der Schweiz auch der Qualität des Bildungssystems zu verdanken. Zwar ist der Anteil der Bevölkerung mit einem tertiären Abschluss in unserem Land im internationalen Vergleich nicht besonders hoch. Dies hängt jedoch mit der Bedeutung der Berufsbildung zusammen, welcher eine entscheidende Rolle bei der Aus- und Weiterbildung von qualifizierten Fachkräften zukommt. Davon profitieren sowohl Wirtschaft als auch Gesellschaft. Im Weiteren ist die Schweiz dank dem hohen Renommee der Hochschulen attraktiv für Studierende und Doktorierende aus dem Ausland. In Bezug auf die Zahl der Studierenden in den Natur- und den Ingenieurwissenschaften schöpft sie ihr Potenzial hingegen noch nicht vollständig aus.
Die Schweiz zeichnet sich im Weiteren durch ein hervorragendes Humankapital aus, von dem ein bedeutender Teil in den Bereichen Wissenschaft und Technologie tätig ist. Der weiterhin tiefe Frauenanteil an der Gesamtzahl der Forschenden stellt für die Schweiz jedoch eine Herausforderung dar. Die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Forschungseinrichtungen könnte zudem darunter leiden, dass es in Zukunft zum Beispiel aufgrund der demografischen Entwicklung oder der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative schwieriger sein könnte, talentierte Personen zu rekrutieren. Diese sind für die Erhaltung der Innovationsfähigkeit zentral.
Die Schweiz gehört ausserdem zu den Ländern, die im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP) viel in Forschung und Entwicklung (F&E) investieren. Der Privatsektor spielt dabei eine wesentliche Rolle, da die privaten Unternehmen rund zwei Drittel der F&E-Ausgaben tragen. Mit einem Anteil von über einem Viertel spielen auch die Hochschulen eine wichtige Rolle. Diese günstige Ausgangslage ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass die Kantone und der Bund – die wichtigsten Geldgeber der Hochschulen – F&E seit je stark fördern. Aktivitäten im Risikokapitalbereich sind in der Schweiz hingegen relativ wenig verbreitet.
Vernetzung entscheidend
Eine gute Vernetzung auf nationaler und internationaler Ebene ist ausschlaggebend für den Erfolg von Forschung und Innovation (siehe Abbildung 2).
Die Schweiz beteiligt sich seit Langem an internationalen Forschungsprogrammen und -organisationen (z. B. am Physikforschungsinstitut Cern bei Genf oder an der Europäischen Weltraumagentur ESA). Aufgrund ihrer geografischen Lage ist die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene besonders intensiv. Einen hohen Stellenwert hat die Beteiligung an den Forschungsrahmenprogrammen der Europäischen Union. Das aktuelle Programm läuft von 2014 bis 2020 unter dem Namen Horizon 2020. Die Zahl der Schweizer Beteiligungen an diesen Programmen ist zwischen 1992 und 2013 kontinuierlich angestiegen. Bemerkenswert ist die hohe Erfolgsquote der Schweizer Projektvorschläge.
Abb. 2: Vernetzung und Leistungen von F&I im internationalen Vergleich
Index: 100 = höchster Wert der betrachteten Länder; PCT: Patent Cooperation Treaty; FRP: EU-Forschungsrahmenprogramm
Quelle: SBFI / Die Volkswirtschaft
Unser Land steht auch bei den Innovationsaktivitäten der Unternehmen gut da. Dazu tragen hauptsächlich forschungsintensive Grosskonzerne (z. B. in der Chemie, bei den Lifesciences und in der Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) sowie besonders innovationsstarke kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die schwergewichtig in der Entwicklung engagiert sind, bei. Am deutlichsten hebt sich die Schweiz von den anderen untersuchten Ländern bei den hervorragenden Leistungen der KMU ab. Dies ist vermutlich auf die Vielfalt und die Dichte lokaler Wissens- und Wirtschaftsnetzwerke in bestimmten Fachbereichen zurückzuführen.
Auch die enge Beziehung zwischen den Hochschulen und den Unternehmen ist ein Erfolgsfaktor für die Schweizer Forschung und Innovation. Allerdings besteht noch ein gewisser Spielraum für Verbesserungen, da die Intensität des Wissenstransfers bei Grossunternehmen deutlich höher ist als bei KMU.
Spitzenwerte bei Publikationen und Patenten
Die Leistungsfähigkeit von Forschung und Innovation zeigt sich anhand verschiedener Indikatoren (siehe ebenfalls Abbildung 2).
Die wissenschaftlichen Publikationen aus der Schweiz stossen international auf Resonanz: Trotz der zunehmenden Konkurrenz durch aufstrebende Volkswirtschaften ist der Impact (relative Anzahl Zitierungen) der Schweizer Publikationen hoch. Diese starke internationale Verflechtung ist darauf zurückzuführen, dass Schweizer Forschende häufig mit ausländischen Forschungsinstitutionen zusammenarbeiten.
Ein Indiz für Innovation ist zudem die Anzahl Patente pro Einwohner: Auch hier punktet die Schweiz. Die zahlreichen Patente, die von ausländischen Unternehmen oder in Zusammenarbeit angemeldet werden, zeugen von der hohen Attraktivität des Forschungs- und Innovationsstandorts. Die Stärken der Schweiz liegen in den Gesundheits- und Biotechnologien.
Mit einem hohen Anteil an in wissensintensiven Bereichen tätigen Unternehmen (Hightech-Industrie und wissensintensive Dienstleistungen) schneidet das Land schliesslich bei der Wirtschaftsleistung gut ab. Dies ist besonders wichtig, da sich der internationale Konkurrenzkampf derzeit vor allem auf der Ebene solcher Technologien abspielt.
Baden-Württemberg und Boston Area als Konkurrenz
Für eine kleine, offene und hoch spezialisierte Volkswirtschaft wie die Schweiz ist ein Vergleich mit Regionen, die stark auf Forschung und Innovation ausgerichtet sind, aufschlussreich (siehe Abbildung 3). Untersucht wurden die Regionen Baden-Württemberg und Bayern in Deutschland, die Lombardei und das Piemont in Norditalien, der Grossraum Paris (Ile-de-France), der Grossraum London (Südostengland) sowie die Neuenglandstaaten im engeren Sinn (Connecticut, Massachusetts, Rhode Island) in den USA.
Abb. 3: Die Schweiz im Vergleich mit einigen führenden Innovationsregionen
Index: 100 = höchster Wert der betrachteten Regionen; EPO: European Patent Office; PCT: Patent Cooperation Treaty
Quelle: SBFI / Die Volkswirtschaft
Dieser Direktvergleich bestätigt zwar die hervorragende Stellung der Schweiz. Das Ergebnis ist jedoch weniger deutlich als im Ländervergleich. So liegt der BIP-Anteil, der für F&E-Ausgaben eingesetzt wird, in Baden-Württemberg und Neuengland deutlich höher. Auch beim Impact der Publikationen liegt die Schweiz hinter Neuengland. Und bei der Anzahl Patentanmeldungen pro Einwohner wird sie von Baden-Württemberg und Bayern deutlich übertroffen.
Die Indikatoren zu den Innovationstätigkeiten in der Privatwirtschaft ergeben im Regionenvergleich ein gemischtes Bild: Während die Schweiz beim Anteil der Unternehmen mit Produktinnovationen dominiert, liegt sie bei den Prozessinnovationen im Mittelfeld. Beim Anteil der Beschäftigten in den forschungsintensiven Branchen an der Gesamtbeschäftigung schliesslich befindet sich die Schweiz im Durchschnitt, obwohl die Hightech-Industrie in der Schweiz stärker vertreten ist als in den meisten untersuchten Regionen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Regionen von der Grösse ihres jeweiligen Landes profitieren. Denn sie können auf den Talent- und Ideenpool des ganzen Landes zurückgreifen, während die Schweiz ihren diesbezüglichen Nachteil mit einer offenen Haltung kompensieren muss.
Weltoffenheit sichert Zukunft
Ob die Schweiz auch in den nächsten und übernächsten Jahren in Forschung und Innovation vorne mit dabei sein wird, hängt unter anderem davon ab, wie es ihr gelingt, die sich stellenden Herausforderungen zu meistern. Dazu zählt beispielsweise, ob die Fachkräfte weiterhin ins Land geholt werden können. Denn die hoch spezialisierte Wirtschaft ist auf qualifizierte Fachkräfte angewiesen. Megatrends wie die Digitalisierung erfordern Know-how. Talentierte Personen sind somit weltweit gefragt. Der Erhalt der Anziehungskraft der Schweiz ist dabei das eine. Die Ausschöpfung des Potenzials der inländischen Erwerbsbevölkerung, wie es in der Fachkräfteinitiative des Bundes vorgesehen ist, das andere.
Zentral bleibt die Vernetzung: Offenheit und Austausch sind seit je fester Bestandteil des Erfolgsrezepts Schweiz. Auch in Zukunft müssen Forschende aus der Schweiz Zugang zu internationalen Forschungsprogrammen und -organisationen haben. Damit nationale und internationale Unternehmen auf den Forschungsplatz Schweiz setzen, gilt es zudem die Rahmenbedingungen attraktiv zu halten und bei Bedarf mit neuen Angeboten zu ergänzen. Anfang 2016 ist beispielsweise der Schweizerische Innovationspark mit zwei Hubs im Umfeld der beiden ETH und drei Netzwerkstandorten im Kanton Aargau, in Biel und in der Nordwestschweiz offiziell eröffnet worden. Schliesslich setzt die Entwicklung neuer Technologien die Akzeptanz in der Bevölkerung voraus: Der Dialog mit der Gesellschaft gewinnt deshalb zunehmend an Bedeutung.
Zitiervorschlag: Sabo, Müfit; Rochat, Sylvie; Kull, Annette (2016). Schweizer Forschung und Innovation in der Spitzenliga. Die Volkswirtschaft, 27. April.