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Sie sind gar nicht so anders

Die 20- bis 35-Jährigen planen ihre Karriere anders als ihre Eltern: Solche Klischees über die Generation Y sind verbreitet. Eine weltweite Studie von IBM räumt damit auf.
Die Ypsiloner sind im Internetzeitalter gross geworden. Das macht sie für Unternehmen interessant. (Bild: 123RF)

In den Medien wird häufig kolportiert, zwischen den Erwerbstätigen verschiedener Generationen bestünden grosse Unterschiede. Gemäss einer Mehrgenerationen-Studie des amerikanischen IT-Konzerns IBM aus dem Jahr 2015 werden diese viel beschworenen Unterschiede jedoch stark übertrieben dargestellt.[1]Myths, Exaggerations and Uncomfortable Truths, IBM Institute for Business Value, Somers NY.“ data-mce-resize=“false“ data-mce-placeholder=“1″ /> Aus der Studie geht hervor, dass die Einstellung der Generation Y häufig falsch beschrieben wird. In Wirklichkeit weisen die Generationen X und Y sowie die Babyboomer (für Definition siehe Kasten 1) in Bezug auf ihre Karriereziele, das Bedürfnis nach Anerkennung und die Faktoren, die Angestellte an ihrer Arbeitsstelle besonders schätzen, grosse Ähnlichkeiten auf.

Doch ein grundlegender Unterschied besteht tatsächlich zwischen der Generation Y und ihren Vorläufern: Die Ypsiloner sind als erste Generation in einer digitalen Welt aufgewachsen. Dies macht sie bereits heute für die Firmen interessant. Denn genau im Zeitraum, in dem die Unternehmen ihre eigene digitale Transformation durchlaufen und dringend digitale Kompetenzen und eine entsprechende Denkweise benötigen, starten die Digital Natives ihre Berufskarriere und übernehmen verantwortungsvolle Funktionen. Viele Unternehmensverantwortliche sind überzeugt, dass insbesondere die Ypsiloner über die Fähigkeiten verfügen, die für die digitale Transformation benötigt werden.

Den Unternehmensführern ist bewusst, dass ihre Firmen für neue Talente attraktiv sein müssen und dass es ihnen gelingen muss, diese an ihr Unternehmen zu binden. In diesem Zusammenhang fragen sie sich, welches Arbeitsumfeld und welche Unternehmenskultur sie entwickeln müssen, um die Ypsiloner für ihr Unternehmen zu gewinnen. Dabei gehen sie davon aus, dass diese andere Vorstellungen und Bedürfnisse als ältere Arbeitnehmende haben.

Um diese Dynamik besser zu verstehen, befragte das IBM Institute for Business Value über 1700 Angestellte von grossen und kleinen Unternehmen aus verschiedenen Branchen weltweit.[2] Dabei wurden die Antworten der befragten Ypsiloner mit den Antworten der Erwerbstätigen, die zur Generation X oder zu den Babyboomern gehören, verglichen. In Bezug auf die Arbeitswelt stellte sich heraus: Über die Vorlieben der Generation Y bestehen fünf weitverbreitete Mythen (siehe Kasten 2).

Karriereziele und Lob


Der erste Mythos besagt, die Generation Y habe andere Karriereziele als die anderen beiden Generationen (siehe Abbildung 1). Hier zeigt sich: Die Ziele und Erwartungen der befragten Ypsiloner sind durchaus zahlreich und vielfältig. Da viele ältere Vertreter dieser Generation während der sogenannten grossen Rezession nach der Finanzkrise das Erwachsenenalter erreichten, ist es nicht überraschend, dass sie finanzielle Sicherheit anstreben.

Gleichzeitig haben sie den Anspruch, in ihrer Organisation Positives zu bewirken. Ausserdem wünschen sie sich eine inspirierende Unternehmensführung, klar definierte Geschäftsstrategien, eine gute Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sowie Flexibilität, ein maximales Mass an Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung sowie eine leistungs- und erfolgsabhängige Anerkennung und entsprechende Beförderungen.

Doch wer wünscht sich all dies nicht? Aus den Daten geht denn auch hervor: Die Erwerbstätigen der Generation X und die Babyboomer haben – was die Karriereplanung und die Erwartungen anbelangt – ähnliche Wünsche und Bedürfnisse wie die Generation Y.

Abb. 1: Wichtige Karriereziele nach Generation





Anmerkung: Die befragten Mitarbeiter mussten von zehn Aussagen die zwei wichtigsten auswählen. Generation Y: N=1153, Generation X: N=353, Babyboomer N=278.


Quelle: IBM (2015) / Die Volkswirtschaft

Laut einem weiteren Mythos wollen die Ypsiloner permanent gelobt werden – schon dafür, dass sie ganz einfach ihre Arbeit erledigen. Auch dieser Mythos wird durch die erhobenen Daten nicht bestätigt. Auf die Frage, was einen «perfekten Vorgesetzten» ausmache, antworteten viele Vertreter der Generation Y, dass sie sich einen Chef wünschten, der seine Mitarbeitenden moralisch einwandfrei und fair führe. Ausserdem möchten sie einen Vorgesetzten, der Informationen bereitwillig weitergibt sowie verlässlich und konsequent ist.

Weniger wichtig ist für die Ypsiloner ein Vorgesetzter, der ihre Leistungen anerkennt. Die Auffassung,  dass alle Mitglieder eines erfolgreichen Teams belohnt werden sollten, ist bei der Generation X stärker verbreitet als bei den Ypsilonern. Von der Generation X sind sogar 66 Prozent der Meinung, Angestellte sollten für den Austausch und die Zusammenarbeit belohnt werden – während von der Generation Y nur 55 Prozent zustimmen.

Internet und Selbstständigkeit


Weitverbreitet ist auch die Auffassung, die Yspiloner seien süchtig nach der digitalen Welt und wollten alles online erledigen und gemeinsam nutzen. Zwar sind sie mit der Nutzung von Onlinetechnologien vertraut. Doch das bedeutet nicht, dass sie ausschliesslich virtuelle Interaktionen wünschen.

So gehört beispielsweise bei der Frage, auf welche Weise sie neue berufliche Kenntnisse erwerben möchten, auch die direkte Interaktion von Mensch zu Mensch zu ihren drei bevorzugten Varianten: Messen und Veranstaltungen, persönliche Ausbildung im Schulungsraum, Zusammenarbeit mit einem kompetenten Kollegen (siehe Abbildung 2). Gleich dahinter auf dem vierten Rang folgt zwar der Zugriff auf interaktive Module oder Apps. Doch der entscheidende Punkt besteht darin: Ypsiloner wünschen, wie Erwerbstätige anderer Generationen, verschiedene Erfahrungen.

Abb. 2: Wie erwerben Ypsiloner am liebsten neue berufliche Kenntnisse?





Anmerkung. Die Frage an die Mitarbeitenden der Generation Y lautete: Auf welche Weise erwerben Sie am liebsten neue berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten? N=1153.
Quelle: IBM (2015) / Die Volkswirtschaft

Weiter heisst es oft, im Gegensatz zu ihren älteren Berufskollegen könnten Ypsiloner keine Entscheidungen treffen, ohne zuerst die Meinung aller Arbeitskollegen einzuholen. Zwar sind 56 Prozent der Befragten der Generation Y der Auffassung, dass sie bessere Entscheidungen treffen, wenn sie sich vorgängig bei verschiedenen Personen nach deren Ansichten erkundigen. Doch von den befragten Erwerbstätigen der Generation X äusserten sich sogar 64 Prozent in gleicher Weise; bei den Babyboomern waren es knapp 50 Prozent.

Es trifft somit zu, dass Ypsiloner bei anstehenden Entscheidungen gerne zuerst Rücksprache mit Arbeitskollegen nehmen und davon überzeugt sind, dass sie damit eher positive Ergebnisse erzielen. Doch offensichtlich sind viele ihrer älteren Berufskollegen der gleichen Meinung.

Geld zieht auch bei den Jungen


Der letzte Mythos betrifft den Jobwechsel. Er besagt, jüngere Mitarbeiter neigten stärker dazu, den Arbeitgeber zu wechseln, wenn sie sich ihrer Auffassung nach im Rahmen ihrer Anstellung nicht verwirklichen können. Auch hier deuten die Umfragedaten darauf hin, dass die Angestellten aller drei Generationen aus ähnlichen Gründen die Stelle wechseln.

Das Ziel, in einem kreativeren Arbeitsumfeld mehr Geld zu verdienen, wird von über 40 Prozent aller Generationen als Grund angegeben und ist damit der wichtigste Motivationsfaktor für einen Stellenwechsel. Zwei geläufige Klischees werden ebenfalls widerlegt: Nur 21 Prozent der befragten Ypsiloner sagten, sie würden ihre Stelle aufgeben, um einer interessanteren Arbeit nachgehen zu können. Und lediglich 13 Prozent würden die Stelle wechseln, um sich Aufgaben widmen zu können, die ihren sozialen oder ökologischen Anliegen besser entsprechen.

Klischees über Generationen führen in die Sackgasse


Diese Erkenntnisse haben Konsequenzen für die Firmen. So müssen die Vorgesetzten in erster Linie davon absehen, Mitarbeitende anhand von Klischees über Generationen zu führen. Stattdessen sind alle Angestellten als Individuen mit spezifischen Stärken und Verbesserungsmöglichkeiten zu betrachten. Um die besten Talente zu rekrutieren und an das Unternehmen zu binden, benötigen Organisationen eine zuverlässige Personalbedarfsanalyse sowie Strategien und Programme, in deren Rahmen die Mitarbeitenden als einzigartige, komplexe Individuen verstanden werden.

Wie ihre älteren Arbeitskollegen möchten auch die Jungen das Gefühl haben, dass sie mit ihrer Tätigkeit einen positiven Beitrag zum Unternehmen leisten. Zudem soll ihre Arbeit von Bedeutung sein. Schliesslich wünschen sie sich inspirierende Vorgesetzte und möchten sich darauf verlassen können, über wesentliche Dinge in Kenntnis gesetzt zu werden und Zugang zu den Informationen, Daten, Hilfsmitteln und Technologien zu haben, die sie für ihre bestmögliche Leistung benötigen.

Gezielte Anreize setzen


Welche Vorkehrungen sollten die Unternehmen also treffen, um ein solches Arbeitsumfeld zu gewährleisten? Wichtig ist eine entsprechende Kommunikation – aber den Worten müssen auch Taten folgen. Die Unternehmen müssen darauf achten, wie sie die Leistungen ihrer Angestellten anerkennen und welche Leistungsanreize sie für ihre Mitarbeitenden schaffen.

Welche Programme sind erforderlich, um die Führungsverantwortlichen und ihre Teams auf sinnvolle Weise zusammenzuschweissen? Welche Ausbildung benötigen die Vorgesetzten, damit sie die Zusammenarbeit mit ihren Mitarbeitenden verbessern können? Ypsiloner schätzen zwar die Vorteile, die mit kurzen Textmitteilungen, SMS oder Tweets verbunden sind, doch sie möchten nicht in einer virtuellen Blase leben. Die Unternehmen müssen sich daher Gedanken über ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen realen und virtuellen Aktivitäten und Kommunikationsformen machen. Da immer mehr Angestellte von zu Hause aus arbeiten, wird dies weiterhin eine Herausforderung sein.

Von wettbewerbsfähigen Löhnen und einem kreativen Arbeitsumfeld, in dem sich alle Mitarbeitenden an der Entwicklung innovativer Ideen beteiligen können, fühlen sich sowohl Ypsiloner als auch ältere Angestellte angesprochen. Gerade Unternehmen, die bislang mit einem Top-down-Ansatz und in einem isolierten Umfeld operierten, stehen unter Umständen vor wesentlichen Herausforderungen: Verlangt werden der Einsatz von elektronischen Werkzeugen zur Zusammenarbeit («Collaboration Tools»), der Aufbau von bereichsübergreifenden Communities und die Entwicklung einer Kultur, mit der die Konsensbildung gefördert wird. Doch insbesondere dank solcher Änderungen werden die Unternehmen in der Lage sein, im Wettbewerb um die besten Köpfe zu bestehen und ihre Mitarbeitenden aller Altersgruppen bei deren Entfaltung zu unterstützen.

  1. Carolyn Heller Baird (2015), []
  2. Die untersuchten Staaten sind Australien, Brasilien, China, Frankreich, Deutschland, Indien, Japan, Mexiko, Südkorea, Spanien, Grossbritannien und USA. Die Branchen umfassen Banken, Versicherungen, Detailhandel, Medien und Unterhaltung, Unterhaltungselektronik sowie Telekommunikation. []

Zitiervorschlag: Carolyn Heller Baird (2016). Sie sind gar nicht so anders. Die Volkswirtschaft, 25. Mai.

Kasten 1: Generationen X, Y und Babyboomer

Die Generation Y (auch Millennials) umfasst die Jahrgänge 1980 bis 1996; in der IBM-Studie werden nur die Jahrgänge 1980 bis 1993 gezählt. Zur Generation X gehören die Jahrgänge 1965 bis 1979 und zu den Babyboomern die Jahrgänge 1954 bis 1964.

Kasten 2: Fünf Mythen zur Generation Y

  1. Ypsiloner haben andere Karriereziele und Erwartungen als Erwerbstätige älterer Generationen.
  2. Ypsiloner wollen permanent gelobt werden und sind der Auffassung, dass alle Mitglieder ihres Teams für ihre Leistungen ausgezeichnet werden sollten.
  3. Ypsiloner sind süchtig nach der digitalen Welt (Digital Addicts). Sie wollen alles online erledigen und gemeinsam nutzen.
  4. Im Gegensatz zu ihren älteren Berufskollegen können Ypsiloner keine Entscheidungen treffen, ohne zuerst die Meinung aller Arbeitskollegen einzuholen.
  5. Ypsiloner neigen eher als Angestellte anderer Generationen dazu, zu einem anderen Arbeitgeber zu wechseln, wenn sie sich ihrer Auffassung nach im Rahmen ihrer Anstellung nicht verwirklichen können.