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Ferientourismus braucht neue Finanzierungsmodelle

Im Schweizer Alpentourismus braucht es innovative Finanzierungsmodelle. So müssen Hoteliers vermehrt auf die gemeinsame Nutzung von Tourismusinfrastrukturen setzen. Die Jugendherberge in Saas-Fee macht vor, wie das geht.

Ferientourismus braucht neue Finanzierungsmodelle

Erfolgsrezept: Die Wellnessanlage Aqua Allalin in Saas-Fee profitiert von Gästen aus der angrenzenden Jugendherberge. (Bild: Keystone)

Um die Herausforderungen bei der Finanzierung von Tourismusprojekten zu verstehen, gilt es grundsätzlich zwischen der Hotellerie und touristischen Infrastrukturen (insbesondere Bergbahnen inklusive Pisten und Beschneiungsanlagen sowie Hallen- und Thermalbäder) zu unterscheiden.

Die Hotellerie ist permanent dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt und von Wechselkursanpassungen ebenso direkt betroffen wie die Exportindustrie. Da die Preise für Übernachtung und Essen sich im Rahmen eines vergleichbaren Leistungsangebots am Weltmarktpreisniveau orientieren, steht ein Viersternhotel in einem Schweizer Skigebiet beispielsweise mit Hotels in österreichischen Wintersportorten oder mit Strandhotels in Italien in Konkurrenz. Wird der Preisunterschied zu gross, wandern auch Stammgäste ab.

Die Herausforderungen bei der Finanzierung von Hotelprojekten sind aber kein neues Phänomen: Bereits im Jahr 2008 – vor Annahme der Zweitwohnungsinitiative und bei einem Eurokurs von 1.60 Franken – wiesen viele Hotelprojekte eine Finanzierungslücke auf (siehe Abbildung 1). Diese konnte in der Vergangenheit aber in der Regel durch Quersubventionierung über den Zweitwohnungsbau wegbedungen werden.

Abb. 1: Finanzierungslücke bei Hotelprojekten in der Schweiz


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Anmerkung: Die Kosten für den Bau eines bezüglich der Grösse und des Ausbaustandards typischen Hotels im Schweizer Alpenraum liegen deutlich über dem Ertragswert, der mit dem Hotel auch bei sehr gutem Management (Jahresauslastung von 60 Prozent) erzielt werden kann. Dadurch entsteht erfahrungsgemäss eine Finanzierungslücke von rund 25 Prozent der Investitionskosten, d. h., ein Viertel des Kapitals kann nicht rentabilisiert werden.

Quelle: BHP/ Die Volkswirtschaft

Da Ertragssteigerungen ohne Mehrleistungen im aktuellen Wettbewerbsumfeld kaum möglich sein dürften und weil die Möglichkeiten zur Reduktion der Betriebskosten (Personal-, Waren- und allgemeine Betriebskosten) von den einzelnen Hotelbetrieben wohl bereits ausgeschöpft werden, bleibt wenig Handlungsspielraum. Potenzial zur Kostenreduktion gibt es somit vor allem bei den Strukturkosten.

Bergbahnen leiden unter rückläufigen Gästezahlen


Touristische Infrastrukturen wie Bergbahnen Hallen- und Thermalbäder zeichnen sich in der Regel durch hohe Fixkosten aus. Das Betriebsergebnis hängt deshalb nach Ausschöpfen des Spielraums für Preiserhöhungen primär von den erzielten Frequenzen im Verhältnis zu den Anlagekapazitäten ab.

Zum Zeitpunkt, als die touristischen Infrastrukturen gebaut wurden, gingen die meisten Destinationen von einer weiter wachsenden Nachfrage aus und erstellten entsprechend grosszügige Infrastrukturen. Durch die in den letzten Jahren beobachtete abnehmende Vermietungsbereitschaft bei den Ferienwohnungen sowie durch Aufgabe verschiedener Hotelbetriebe sind die Frequenzen in den Tourismusdestinationen jedoch tendenziell gesunken. Die Frequenzverluste wirken sich nun zunehmend auf die Rechnung der touristischen Infrastrukturen aus.

Um auf die Frequenzverluste zu reagieren, stehen den touristischen Infrastrukturbetrieben grundsätzlich die folgenden drei Strategien offen: Re-Kommerzialisierung, Angebot neu kalibrieren oder residenzielle Ausrichtung (siehe Abbildung 2).

Die Tourismusinfrastrukturbetriebe können versuchen, den Gästeverlust zu stoppen, indem sie selber ins Beherbergungsgeschäft einsteigen (Re-Kommerzialisierung) und so dem Verlust des kommerziellen Beherbergungsangebots (Aufgabe von Hotels, Abnahme der vermieteten Ferienwohnungen) entgegenwirken. Voraussetzung für diese Strategie ist, dass die Tourismusinfrastrukturbetriebe über die finanzielle Kraft für eine Vertikalisierungsstrategie verfügen und dass im Tourismusort geeignete Areale für den Bau bzw. Möglichkeiten zur Übernahme geeigneter Beherbergungsbetriebe bestehen.

Abb. 2: Lösungsansätze für Bergbahnen


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Quelle: BHP/ Die Volkswirtschaft

Ein weiterer Ansatz besteht darin, das Angebot zu verkleinern: Wenn die Frequenzen nicht erhöht werden können, gilt es auf der Kostenseite anzusetzen, indem die Kapazitäten, die Öffnungszeiten oder die Angebotsausprägung neu kalibriert werden. Zwar führen solche Massnahmen kurzfristig zur gewünschten Rechnungsentlastung. Mittelfristig besteht jedoch das Risiko, dass die Schrumpfung des Tourismusinfrastrukturangebots das Einsetzen einer unaufhaltsamen Negativspirale provoziert (Attraktivitätsverlust führt zu Frequenzverlust führt zu Angebotsreduktion).

Tourismusgebiete, die über viele Erst- und Zweitwohnungen verfügen, könnten auch über residenzielle Finanzierungsmodelle nachdenken. Dies bedeutet, dass Erhalt und Betrieb der touristischen Infrastrukturen nicht mehr über eine nutzungsabhängige Abgeltung (Eintrittstickets), sondern über frequenzunabhängige Beiträge der Wohnungseigentümer (jährlicher Pauschalbetrag) finanziert würden. Hintergrund für einen solchen Paradigmenwechsel ist die gegenseitige Abhängigkeit von Tourismusinfrastrukturen (Frequenzen) und Wohnungseigentümern (Immobilienwert).

Diskussionen, welche die Akteure aus der Tourismuswirtschaft und die Vertreter des Bundes und der Kantone im vergangenen Herbst im Rahmen des Tourismus-Forums Schweiz 2015 in Bern führten, haben gezeigt, dass insbesondere das Weiterentwickeln der Lösungsansätze «Re-Kommerzialisierung durch Vertikalisierung» und «Residenzmodelle» vielversprechend scheinen.

Vertikalisierung: Jugendherberge in Saas-Fee macht es vor


Wegen des starken Frankens hat sich das Preis-Leistungs-Verhältnis von Schweizer Tourismusdienstleistungen für ausländische Gäste in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Eine Rückgewinnung der Wettbewerbsfähigkeit erfordert daher eine konsequente Ausrichtung aller Bemühungen auf die bestmögliche Erfüllung der Gästebedürfnisse. Ein Aufbrechen – oder zumindest eine Verbesserung – der bisherigen Strukturen ist Voraussetzung, damit dem zunehmenden Bedürfnis nach gebündelten Erlebnispakten zu bezahlbaren Preisen nachgekommen werden kann. Erst durch eine Vertikalisierung der Strukturen können die notwendigen Synergie- und Breiteneffekte voll ausgeschöpft werden.

Die Tourismuspolitik sollte deshalb Bemühungen unterstützen, welche durch Vertikalisierung der Strukturen zur Erhöhung der Handlungsfähigkeit der Betriebe am Markt führen. Ansetzen kann sie dabei einerseits bei der Raumplanung, beispielsweise durch eine proaktive Masterplanung zur Förderung von sogenannten Arealsynergien. Darunter werden Synergien verstanden, welche nur dank der räumlichen Nähe (Betriebsstrukturen auf dem gleichen bzw. benachbarten Areal) entstehen.

Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Jugendherberge in Saas-Fee, welche auf der öffentlichen Wellnessanlage des Walliser Tourismusorts erbaut wurde. Durch die räumliche Verbindung kann die Jugendherberge ihren Gästen ohne zusätzliche Investitionskosten ein Indoor-Wellnessangebot bieten und dadurch ihre Attraktivität massgeblich erhöhen. Gleichzeitig profitiert die öffentliche Wellnessanlage von tieferen Betriebskosten, da sie für den Gästeempfang und das Inkasso der Eintritte auf die Rezeption der Jugendherberge zählen darf.

Andererseits können Projekte zur Vertikalisierung auch über die bestehenden Tourismusförderinstrumente (Neue Regionalpolitik, Schweizerische Gesellschaft für Hotelkredit, Innotour) finanziell unterstützt werden.

Überleben der Bahnen nützt Immobilienbesitzern


In vielen Tourismusorten sind die Bergbahnen und Thermalbäder die zentralen Wirtschaftsmotoren. Aufgrund rückläufiger Frequenzen und steigender Investitionskosten haben diese Infrastrukturbetriebe jedoch zunehmend Mühe, die notwendigen Investitionen aus dem Cashflow zu finanzieren. Aufgrund ihrer Bedeutung für die lokale Wirtschaft ist bei Finanzierungsproblemen in der Regel die öffentliche Hand eingesprungen und hat sich zur Sicherung des Fortbestands finanziell an den Unternehmen beteiligt. Dieses Engagement erfolgte jedoch in der Regel notgedrungen und ohne langfristige Strategie.

Aufgrund der Interessenlage und der Sachlogik wäre es mittel- bis langfristig zielführend, wenn primär die lokalen Wohnungseigentümer (Einheimische und Zweitwohnungseigentümer) in die Finanzierung der Tourismusinfrastrukturen, welche massgeblich zum Wert ihrer Immobilien beitragen, eingebunden würden. Aufgrund des fehlenden Verständnisses für die Wirkungszusammenhänge stösst diese Idee bisher jedoch auf Widerstand.

Für eine gehaltvolle Diskussion über residenzielle Finanzierungsmodelle zur Sicherung des Tourismusinfrastrukturangebots im Schweizer Alpenraum wären eine Aufbereitung und eine aktive Diffusion des notwendigen Grundlagenwissens nötig.

Zitiervorschlag: Sarah Schmid (2016). Ferientourismus braucht neue Finanzierungsmodelle. Die Volkswirtschaft, 25. Mai.