Suche

Abo

Städte als Schlüssel einer «intelligenten» Entwicklung in Europa

Städte stehen im Zentrum der dynamischen Entwicklung Europas. Deshalb richten sich die «smarten» Technologien prioritär an sie.
Schriftgrösse
100%

Elektroautos sollen die Mobilität in den Städten nachhaltiger gestalten. Leipzig nimmt diese Forderung der EU-Kommission ernst. (Bild: Keystone)

Drei von vier Europäern leben in Städten. Dort werden fast 85 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) erwirtschaftet und 70 Prozent des Energieverbrauchs der EU beansprucht. Die Städte sind Brennpunkte der Problementstehung und -lösung. Sie sind Schmelztiegel von Wissenschaft und Technologie, Kultur und Innovation, individueller und kollektiver Kreativität. Strategisch spielen sie eine überragende Rolle hinsichtlich Wirtschaftsentwicklung, Wachstum, Beschäftigung, Investitionen und Innovation. Schliesslich bergen sie das grösste Potenzial für gesellschaftliche Verbesserungen, für einen sparsameren Umgang mit natürlichen Ressourcen und Energiequellen und für die Reduktion der Treibhausgase. Gleichzeitig konzentrieren sich dort Probleme wie Arbeitslosigkeit, Segregation und Armut.

Die EU ist sich bewusst, dass die Entwicklung ihrer Städte ihre wirtschaftliche, gesellschaftliche und geografische Zukunft entscheidend beeinflussen wird. Sie strebt deshalb ein besseres Verständnis der Herausforderungen an, mit denen die Städte in den kommenden Jahren konfrontiert sein werden. Es geht darum, die europäische Stadt neu zu denken und so anzupassen, dass sie «smart» und nachhaltig wird. Die Informations- und Kommunikationstechnologien (ICT), die im urbanen Raum zum Einsatz kommen, sind ein möglicher Schlüssel dazu.

Die EU kann die Städte bei der Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen unterstützen – umgekehrt können die Städte dazu beitragen, gewisse Prioritäten der EU-Kommission umzusetzen. Dazu gehört die Entwicklung einer robusteren Energieunion dank einer fortschrittlichen Klimapolitik. Zum Erreichen ihrer Ziele stützt sich die Kommission auf drei Pfeiler: Innovation, Gesetzgebung und Standardisierung. Auf der Grundlage der Anliegen, die in der öffentlichen Konsultation genannt wurden, hat sie sechs Vorschläge gemacht.

Erstens fordert die Kommission die Konzentration auf ergebnisorientierte Prioritäten – namentlich hinsichtlich des Übergangs zu einer CO2-armen Wirtschaft, hinsichtlich der Widerstandskraft der Städte gegenüber dem Klimawandel und hinsichtlich der sozialen Inklusion. Zweitens verlangt sie einen effizienten Einsatz der Instrumente. Das Ziel ist eine verbesserte Regulierung. Dazu gehört eine verbesserte Evaluation der Auswirkungen auf die städtischen Räume unter stärkerem Einbezug der Akteure. Drittens will sie die Kohärenz und Koordination der EU-Politik für die Städte verbessern – beispielsweise mit der Innovationspartnerschaft «European Innovation Partnership on Smart Cities and Communities». Nennenswert sind die Evaluation, die Überprüfung, die Vereinfachung, die Rationalisierung und die gezieltere Ausrichtung der bestehenden Initiativen mit dem Ziel, deren Zugänglichkeit, deren Wirksamkeit und deren Synergien zu verbessern. Viertens sollen die urbane Intelligenz, die Vergleichsmöglichkeiten und die Leistungsbewertung der Städte erhöht werden. Voraussetzung dazu sind die Bereitstellung neuer Daten sowie die Konsolidierung und die Harmonisierung bereits verfügbaren Wissens aus bestehenden Datenquellen. Diese müssen deshalb besser aufeinander abgestimmt und leichter zugänglich sein. Die letzten beiden Punkte betreffen die Organisation der Standardisierungsarbeiten mit dem Zweck, die Ziele der EU umzusetzen und eine schnelle Verbreitung innovativer Lösungen zu ermöglichen (Replikation) sowie die Förderung der technologischen, organisatorischen und partnerschaftlichen Zusammenarbeit.

Die Smart-City-Partnerschaft – eine integrative Initiative


Die erwähnte Smart-City-Innovationspartnerschaft vereint Städte, Industrie, KMU, Banken, die Bevölkerung, die Forschung und die übrigen Akteure einer intelligenten Stadt. Dazu wird sie von der Kommission unterstützt. Das Ziel ist es:

  • die Wettbewerbsfähigkeit und die Attraktivität der Städte zu erhöhen;
  • die Lebensqualität der Menschen zu verbessern;
  • die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu steigern und die Innovationskraft der europäischen KMU zu fördern;
  • Wissen auszutauschen und so für eine schnellere Replikation guter Praktiken zu sorgen;
  • die Energie- und Klimaziele zu erreichen;
  • die Finanzierung der Projekte für eine nachhaltige Entwicklung der Städte zu organisieren;
  • einen ganzheitlichen Ansatz zur Lösung sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Fragen in den Städten zu gewährleisten;
  • den Einbezug der Zivilgesellschaft zu fördern (partizipative Gouvernanz);
  • Rahmenbedingungen für einen nachhaltigen Markt in den Städten zu entwickeln.


Zum Erreichen dieser Ziele lancierte die EU-Kommission im Jahr 2014 einen Aufruf bei allen Akteuren, die in das Konzept einer nachhaltigen Stadt involviert sind und sich für folgende Ziele interessieren und engagieren wollen:

  • die Entwicklung intelligenter Technologien im städtischen Umfeld vorantreiben, namentlich durch eine Bündelung der Forschungsressourcen in den Sektoren Energie, Verkehr und ICT;
  • gemeinsam integrierte Lösungen für eine «smarte» Stadt erarbeiten und umsetzen;
  • eine partnerschaftliche Vernetzung gewährleisten, Know-how sammeln und den Informationsaustausch erleichtern, um die Ressourcen und die Reproduzierbarkeit der Lösungen zu optimieren.


Die Kommission hat 370 Projekte ausgewählt, an denen sich über 3000 Partner in 32 Ländern beteiligen. Die Federführung der Konsortien obliegt in 36 Prozent der Fälle öffentlichen Behörden und in 26 Prozent der Fälle Unternehmen. Dies entspricht einer ausgewogenen Vertretung. Auf dieser Basis kann die Smart-City-Innovationspartnerschaft die Aktivitäten im Rahmen von sechs strategischen Polen («action clusters») organisieren, die im Allgemeinen Schlüsselinitiativen zum Erreichen der festgelegten Ziele beinhalten:

  • Wirtschaftliche Modelle, Finanzierung und Beschaffung.
  • Bürgernähe. Diese Achse soll die Mitsprache bei Entscheidungsprozessen und die partizipative Gouvernanz fördern, den Schutz der Daten und der Bevölkerung gewährleisten und den Aufbau einer Plattform zur Kommunikation und zum Erfahrungsaustausch ermöglichen.
  • Integrierte Infrastrukturen und Verfahren. Hauptpunkt ist die Aufklärung der Öffentlichkeit und der Umgang mit Massendaten (Big Data).
  • Regulierungspolitik, gesetzgeberische Instrumente und integrierte Planung. Dies betrifft die grossflächige Übertragbarkeit, alle Etappen des Entscheidungsprozesses von der Planung bis zur Umsetzung, die Instrumente zur Entscheidungsfindung, zur integrierten Planung und zum Management, die Leistungsindikatoren und das Benchmarking sowie die Verwaltung der historisch gewachsenen Infrastruktur.
  • Nachhaltige Quartiere und bebaute Umwelt. Hier sind Quartiere mit positiver Energiebilanz sowie mittelgrosse und kleine Städte (unter 250’000 Einwohner) angesprochen, in denen mehr als die Hälfte der Europäer leben.
  • Nachhaltige urbane Mobilität. Stichworte sind hier Elektroautos und neue Angebote.

Horizon 2020: Rahmenprogramm zur Förderung der Innovation


Die europäischen Forschungs- und Innovationsprogramme sind im Rahmenprogramm Horizon 2020 zusammengefasst. Mit einem Budget von fast 80 Milliarden Euro von 2014 bis 2020 dient es der Unterstützung von Projekten entlang der gesamten Innovationskette und einem rationelleren Finanzierungsprozess für Projekte, die dem Wachstum Impulse verleihen. Das Programm verbindet Kernpunkte des Wirtschaftsprogramms «Strategie Europa 2020» und der Initiativen «Innovationsunion» und «Europäischer Forschungsraum». Es ist vor allem eine Antwort auf die Wirtschaftskrise, da es in Beschäftigung und Wachstum investiert. Ausserdem trägt es den Anliegen der Bevölkerung in Sachen Lebensqualität, Sicherheit und Umwelt Rechnung. Schliesslich zielt es darauf ab, die globale Positionierung und die Wettbewerbsfähigkeit der EU in Forschung, Innovation und Technologie zu stärken.

Die Ausschreibungen zur nachhaltigen Entwicklung der Städte und Gebiete gliedern sich in zwei Kategorien. Einerseits geht es um Leuchtturmprojekte zur Verbreitung erfolgreicher Modelle, andererseits um Initiativen zur Erarbeitung von Instrumenten für eine bessere Koordination und eine schnellere Verbreitung von Know-how. In den letzten zwei Jahren (2014 und 2015) belief sich das Budget zur Unterstützung von Projekten für smarte Städte und Gemeinden auf rund 200 Millionen Euro.

Standardisierung trägt zur nachhaltigen Stadtentwicklung bei


Die Standardisierung ist ein effizientes Instrument zur Umsetzung nicht nur der öffentlichen Politik, sondern vor allem auch der Innovation. Sie wird auch von der EU-Kommission gefördert und unterstützt.

Koordiniert werden die wichtigsten Initiativen zur Standardisierung im Kontext nachhaltiger Städte und Lebensräume auf europäischer Ebene von der Koordinationsgruppe «Smart and Sustainable Cities and Communities»[1] und auf globaler Ebene von der Internationalen Organisation für Normung (ISO) und ihrem technischen Ausschuss «Nachhaltige Entwicklung in Städten und Kommunen»[2].

  1. Cencenelec.eu []
  2. ISO/TC 268 []

Zitiervorschlag: Gindroz, Bernard (2016). Städte als Schlüssel einer «intelligenten» Entwicklung in Europa. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.