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Das Schweizer Label «Energiestadt» weckt weltweit Interesse

Dank dem Label Energiestadt können die Gemeinden ihre Energieversorgung nachhaltig gestalten. Das in der Schweiz entwickelte Konzept ist inzwischen in ganz Europa bekannt. Neu stösst es auch über den Kontinent hinaus auf Interesse.

Das Schweizer Label «Energiestadt» weckt weltweit Interesse

Städte sind für den Grossteil des weltweiten Energieverbrauchs verantwortlich. Klimaanlagen in Singapur. (Bild: Keystone)

Im Dezember 2015 wurde in Paris während der Klimakonferenz COP21 der Climate Summit for Local Leaders organisiert. An diesem versammelten sich 700 Bürgermeister aus der ganzen Welt, um sich in der Klimafrage ebenfalls Gehör zu verschaffen. Es fanden mehr als hundert Veranstaltungen im Zusammenhang mit Städten und Gemeinden statt. Das zeigt, dass auch die lokalen Gebietskörperschaften bei diesem Thema eine Rolle spielen. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in städtischen Gebieten: Auf sie entfallen zwischen 60 und 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs. Der CO2-Ausstoss bewegt sich ungefähr im gleichen Rahmen.

In den Städten von Entwicklungsländern stellt die Strassenbeleuchtung nach den Lohnkosten oft den zweitgrössten Ausgabenposten dar. Ein Vertreter der Stadtverwaltung aus dem marokkanischen Agadir erklärte eines Tages, dass er sich angesichts der stetigen Ausweitung seiner Stadt die Frage stelle, wie er die Stromrechnung auch künftig bezahlen könne. Deshalb beschloss seine Gemeinde, den Ansatz des Labels «Energiestadt / European Energy Award» (EEA) auszuprobieren. [1]

Das Konzept der Energiestädte wurde Anfang der Neunzigerjahre in der Schweiz entwickelt und in der Folge von anderen europäischen Ländern übernommen. Gegenwärtig gibt es schweizweit 396 Energiestädte oder -gemeinden. Das entspricht mehr als 50 Prozent der Bevölkerung. Das Label soll die Gemeinden zur Umsetzung einer nachhaltigen Energiepolitik motivieren. Es deckt sechs Bereiche ab: Entwicklungsplanung und Raumordnung, kommunale Gebäude und Anlagen, Versorgung und Entsorgung, Mobilität, interne Organisation, Kommunikation und Kooperation. Ein Katalog mit 79 Massnahmen bildet die konkrete Umsetzungsphase. Jede dieser Massnahmen entspricht einer möglichen Punktzahl. Die Gemeinde erhält das Label, sobald sie die Hälfte davon erreicht. Erzielt sie mehr als 75 Prozent der möglichen Punkte, wird ihr das Label in Gold verliehen. Dieses wird europaweit zusammen mit den anderen Ländern erteilt, die den EEA verwenden.[2] In der Schweiz stehen den interessierten Gemeinden Berater zur Seite, und sie erhalten Subventionen von Bund und Kantonen. Alle vier Jahre findet ein externes Audit zur Bestätigung des Labels statt. Dieser Zeitraum entspricht häufig einer Legislaturperiode.

Projekte in mehreren Ländern


Der Leistungsbereich Wirtschaftliche Zusammenarbeit des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und die interdepartementale Plattform des Bundes Repic[3] haben verschiedene Projekte in Rumänien, der Ukraine, Marokko, Brasilien, Chile und China lanciert. Weitere Projekte in Serbien, Tunesien, Kolumbien und Peru sind in Vorbereitung. Je nach Land können Ansatz und Form variieren. So unterstützte Repic beispielsweise in Marokko die Einführung des Labels auf nationaler Ebene und in drei Pilotstädten. Gleichzeitig setzte man sich auch dafür ein, dass die Strassenbeleuchtung modernisiert wird. In Rumänien bildete die Einführung des Labels die Voraussetzung dafür, dass das Land vom Seco Investitionsunterstützung erhielt. Mit dieser konnten die Städte Elektrobusse kaufen oder öffentliche Gebäude renovieren. In der Ukraine wurden mit der Hilfe des Seco das Label sowie die Sanierung einer Fernwärmeheizung finanziert.

Der Massnahmenkatalog lässt sich an die regionalen und lokalen Gegebenheiten anpassen, beispielsweise indem der Fokus anstatt auf die Beheizung auf die Klimatisierung gelegt wird. Im Norden wie im Süden, in der Schweiz wie auch in Chile, verfügen die mit dem Label ausgezeichneten Gemeinden über eine interne Struktur für die Energie. Ausserdem haben sie eine Standortbestimmung durchgeführt und eine Energiestrategie definiert. Auf nationaler Ebene bildet die für das Label verantwortliche Trägerschaft[4] Berater aus und erteilt ihnen die Zulassung. Zudem entwickelt sie Hilfsmittel für die Planung, die Entscheidungsfindung, die Verwaltung und das Monitoring der Energiepolitiken der Gemeinden. Die tunesische Energieagentur ANME interessierte sich für das Label, um ihr nationales Programm «Alliance des communes pour la transition énergétique (ACTE)» zu strukturieren. Dieses Programm soll die Gemeinden bei der Gestaltung ihrer Energiepolitik begleiten und ihnen gleichzeitig Zugang zu neuartigen technischen und finanziellen Lösungen gewähren, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind.

Erleichterter Zugang zu Finanzierung


Durch das Label erhalten die Städte und Gemeinden formelle und internationale Anerkennung für ihr Engagement. Sie gehören einem Netzwerk an, über das sie sich austauschen können, und sie erhöhen ihre Sichtbarkeit für den Staat und die Finanzpartner. In Marokko haben verschiedene internationale Finanzinstitutionen die Pilotstädte des von der Schweiz finanzierten Projekts besucht. Für sie bot dieses Engagement eine interessante Gelegenheit für Transaktionen mit Städten, die über ein Fachteam für Energiefragen verfügen. Da sich heute immer mehr Gemeinden selbstständig finanzieren wollen, stellt dies zweifellos einen Vorteil dar, der durch die beachtlichen Energieeinsparungen noch verstärkt wird. So verbesserte 2015 die Einführung des Labels im ukrainischen Vinnitsa die Energieeffizienz eines Fernheizsystems und senkte so die CO2-Emissionen um 5146 Tonnen. Ausserdem wurde dank dem Label ein Kredit in Höhe von 43 Millionen Dollar für die Förderung der Energieeffizienz, die Revision von 20 Trolleybussen, die Modernisierung eines Trams sowie den Bau von 5,24 km Veloweg gewährt. 68 Medienmitteilungen wurden zu diesen Massnahmen publiziert und 26 Fernsehreportagen produziert – 5 davon für nationale Sender.

Gouvernanz im Energiebereich


Ausserhalb von Europa ist das Label Energiestadt/EEA noch wenig bekannt. Da es jedoch eine spezielle Nische abdeckt, ist es in mancherlei Hinsicht auch dort sehr interessant. Anders als Hilfsmittel, die sich auf ein einmaliges Audit und die Entwicklung eines Projektportfolios beschränken, fördert das Label «Energiestadt» als einziges eine langfristig ausgerichtete lokale Gouvernanz. Abgesehen von den angestrebten Einsparungen motiviert es die Gemeinden, eine integrierte und ressortübergreifende Energiepolitik zu entwickeln. Diese umfasst neben den finanziellen Mitteln auch die Raumordnungspolitik der Gemeinde und regt den Einbezug der Einwohner bei der Planung, den Entscheidungsprozessen und der Bestimmung der Energieziele an.

Von der Entstehung des Konzepts in der Schweiz zeugen nach wie vor der partizipative Charakter, die Zusammenarbeit von Vertretern aus Politik und Verwaltung, das Subsidiaritätsprinzip zur Kompetenzaufteilung, die lokale Verwaltung und der konsensorientierte Ansatz, der eine Kombination mit anderen Hilfsmitteln[5] erlaubt. Mehrere in diesem Bereich tätige Schweizer Unternehmen, die als Berater oder Auditor tätig sind, haben bereits Interesse angemeldet und gezeigt, dass sie dieses Know-how auch ausserhalb der Schweiz weitervermitteln können. Die Marke Swissness stellt hier definitiv einen Vorteil dar.

Erfahrungsaustausch


Zusammen mit dem Trägerverein Energiestadt und dem Forum EEA hat Repic eine Reflexion über die Umsetzung des Labels in der internationalen Zusammenarbeit angeregt. Am 29. Juni 2016 versammeln sich in Bern Vertreter verschiedener Bundesämter und mehrerer Städte mit Unternehmen, die an der Umsetzung des Labels mitarbeiten, zu einer Konferenz. An diesem Treffen, bei dem erstmals alle Schweizer Hauptakteure zusammenkommen, können Erfahrungen ausgetauscht und Gespräche über die Perspektiven eines solchen Ansatzes in der internationalen Zusammenarbeit geführt werden. [6]

  1. Siehe Energiestadt.ch[]
  2. Deutschland, Frankreich, Italien, Liechtenstein, Luxemburg, Monaco und Österreich. []
  3. Repic ist ein gemeinsames Programm der Deza, des Bundesamtes für Energie (BFE) und des Seco zur Förderung der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz in Entwicklungs- und Transitionsländern. Siehe Repic.ch[]
  4. In der Schweiz verwaltet der Trägerverein Energiestadt das Label mit Unterstützung des Programms «Energie Schweiz» des BFE. []
  5. Wie etwa dem Konvent der Bürgermeister, Trace, Curb oder ISO 50001. []
  6. Mehr Informationen auf Repic.ch[]

Zitiervorschlag: Laurent Widmer (2016). Das Schweizer Label «Energiestadt» weckt weltweit Interesse. Die Volkswirtschaft, 22. Juni.