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Der Finanzplatz Schweiz soll international fit bleiben

Die Spielregeln für den Finanzplatz Schweiz wurden in den letzten Jahren an die globalen Entwicklungen angepasst. Die Branche zeigt sich gegenwärtig in guter Verfassung. Doch die Zukunftsfähigkeit muss laufend neu gestaltet werden.
Damit Schweizer Vermögensverwalter nicht ins Abseits geraten, ist der Zugang zu ausländischen Märkten zentral. Finanzmetropole Frankfurt. (Bild: Keystone)

Mit Finanz- und Versicherungsdienstleistungen erbrachte die Schweiz 2015 eine Wertschöpfung von rund 61 Milliarden Franken. Dies entspricht einem Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) von 9,5 Prozent (siehe Abbildung 1). Gemäss Statistiken der Schweizerischen Nationalbank werden in der Schweiz ausländische Vermögen im Wert von rund 3400 Milliarden Franken verwaltet. Damit ist die Schweiz der international führende Standort für die grenzüberschreitende Vermögensverwaltung. Auch die Versicherungsbranche konnte ihre Wertschöpfung seit der Finanzkrise 2009 ausdehnen, um über 10 Prozent auf knapp 28 Milliarden Franken im Jahr 2015. Insgesamt beschäftigte der Finanzsektor 2015 über 200’000 Personen.

Abb. 1: Wertschöpfung und Beschäftigung im Finanzsektor 1991 bis 2015




Quelle: BFS, Seco / Die Volkswirtschaft

Die Leistungsfähigkeit des Finanzplatzes Schweiz lässt sich aber nicht nur in nackten Zahlen messen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass der Finanzmarkt zeitnah auf neue Umstände und ein verändertes regulatorisches Umfeld reagieren kann.

Insgesamt orientiert sich die Branche wieder an traditionellen Stärken der Schweiz: Vermögensverwaltung und Dienstleistungen, die auf hoch qualifizierten Fachkräften basieren. Die Schweiz hat eine über 200-jährige Tradition im Private Banking, und gerade in unsicheren Zeiten werden solche traditionellen Stärken wertgeschätzt. In der Assekuranz gilt Zürich als ein aufstrebendes, weltweit führendes Rückversicherungszentrum. Zahlreiche Neuansiedlungen globaler Player in den letzten Jahren unterstreichen diese Standortattraktivität.

Regulatorische Anpassungen


Dass die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzmarkts gewährleistet ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Nach der Finanzkrise 2008 hat sich die Kadenz der international lancierten Regulierungsinitiativen deutlich erhöht, allen voran mit den USA und der EU als Taktgeber für den Rest der Welt. Die Europäische Kommission beispielsweise hat seit der Krise unzählige legislative und nicht legislative Massnahmen vorgeschlagen. Der Hauptfokus dieser Regularien ist zum einen die Stabilität des Finanzsystems und zum andern der Anlegerschutz.

Obwohl sich diese Kadenz mittlerweile wieder etwas abzuschwächen scheint, verdeutlicht das Beispiel Europa die Herausforderungen dieser internationalen Regulierungswelle eindrücklich. Obgleich nicht in den harmonisierten Markt der EU integriert, kann sich auch die Schweiz dieser Entwicklung nicht vollständig verschliessen. Denn die EU implementiert in ihren Rechtsakten regelmässig Drittstaatennormen mit Äquivalenzvorgaben. Dadurch haben Drittstaaten wie die Schweiz die Möglichkeit, durch eine mit dem europäischen Recht angemessenen und vergleichbaren Regulierung und Aufsicht den Marktzugang in bestimmten Gebieten zu wahren.

Verschiedene Schweizer Regulierungsprojekte wie das Anfang 2016 in Kraft gesetzte Finanzmarktinfrastrukturgesetz (FinfraG) oder die sich in parlamentarischen Beratungen befindenden Gesetze über Finanzdienstleistungen (FIDLEG) und Finanzinstitute (FINIG) sind nicht zuletzt auch vor diesem Hintergrund zu verstehen. Auch in anderen Bereichen hat die Schweiz ihre Gesetzgebung internationalen Entwicklungen angepasst. Im Dezember 2015 hat das Parlament die für die Umsetzung des internationalen automatischen Informationsaustauschs in Steuersachen (AIA) erforderlichen Rechtsgrundlagen genehmigt.

Weitere Revisionsbestrebungen im Steuerbereich verfolgen das Ziel, die neuen Richtlinien der OECD gegen die Aushöhlung der Besteuerungsgrundlage und die Gewinnverschiebung in Länder mit einer tiefen oder vollständig fehlenden Besteuerung (BEPS) auf schweizerischer Ebene umzusetzen. Auch hier gilt: Würde die Schweiz bei diesen international koordinierten Bestimmungen nicht mitmachen, müsste der Finanzplatz Schweiz sehr wahrscheinlich mit Konsequenzen in Form von schwarzen Listen, diskriminierenden Massnahmen oder Marktzutrittsbeschränkungen rechnen.

Neue Eckwerte im Zusammenhang mit den Too-big-to-fail-Bestimmungen wiederum setzen internationale Standards auf Schweizer Verhältnisse angepasst um. Aufgrund der Grösse und der wirtschaftlichen Bedeutung des Finanzplatzes soll die Schweiz auch künftig zu den Ländern mit international führenden Kapitalanforderungen für systemrelevante Banken gehören. Systemrelevante Banken sollen über ausreichend Kapital verfügen, damit ihre systemkritischen Dienstleistungen selbst in einer Stresssituation ohne staatliche Unterstützung weitergeführt werden können.

Unterschiedliche Bedürfnisse


Diese zahlreichen regulatorischen Anpassungen verliefen nicht ohne Kritik. Die Unterscheidung zwischen Reformprojekten, die zur Sicherstellung der globalen Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes zwingend sind, und anderen Reformen ist fliessend und je nach Akteur Interpretationssache. Grosse, global oder international aufgestellte Finanzdienstleister haben andere Bedürfnisse als kleinere, unabhängige Vermögensverwalter mit zwei Mitarbeitenden.

Während beispielsweise die grösseren Finanzakteure Vorteile in einer stärkeren Angleichung der Schweizer Finanzmarktregulierung an das EU-Recht erkennen und auf jeden Fall vermeiden müssen, dass ihre internationalen Tätigkeiten eingeschränkt werden, zeigen sich Anbieter, die nur im Inland tätig sind, auf diesem Gebiet eher zurückhaltend.

Weitgehend unbestritten ist hingegen, dass das Schweizer Private Banking eine Exportindustrie im Herzen Europas ist. Das grenzüberschreitende Geschäft, vor allem jenes in den EU-Ländern, ist für den Finanzplatz Schweiz äusserst wichtig. Nach wie vor wird knapp die Hälfte aller Finanzdienstleistungen in die EU exportiert. Mit geschätzten 23’000 Milliarden Euro Privatvermögen ist der europäische Markt gemäss einem Bericht von J.P. Morgan Asset Management und Oliver Wyman vom November 2014 hinter den USA der weltweit zweitgrösste Vermögenspool. Zugleich ist Europa der weltweit grösste Versicherungsmarkt mit einem Prämienvolumen von über 1500 Milliarden Dollar.

Gleich lange Spiesse schaffen


Damit der Schweizer Finanzsektor international wettbewerbsfähig bleibt, ist es deshalb zentral, den Zutritt zu wichtigen Auslandmärkten zu wahren und wo möglich zu verbessern. Die Einführung des AIA und die zunehmende Steuertransparenz machen dies umso dringlicher. Denn dadurch wird der Schweizer Finanzplatz vordergründig weniger Differenzierungspotenziale gegenüber ausländischen Konkurrenten haben. In diesem anspruchsvollen und verschärften Wettbewerbsumfeld ist es umso wichtiger, dass den Schweizer Finanzdienstleistern ausländische Märkte offenstehen und sie in diesen nicht regulatorisch schlechtergestellt sind als Anbieter von konkurrierenden Standorten.

Rechtlich abgesicherte und nicht diskriminierende Marktzutrittsbedingungen sind zentrale Erfolgsfaktoren für den Finanzplatz. Denn sie ermöglichen es, bestehende Kundenbeziehungen aufrechtzuerhalten und neue zu gewinnen. Dies gilt insbesondere für den Geschäftszweig der privaten Vermögensverwaltung, in dem die Schweiz international führend ist. Neben dem Private Banking ist der Marktzutritt auch für das Asset-Management relevant, beispielsweise für die Verwaltung kollektiver Kapitalanlagen aus der EU oder für den Vertrieb von Schweizer Finanzprodukten im EU-Raum.

Mehrere mögliche Handlungsoptionen


Die Wahrung des Marktzutritts für Schweizer Finanzdienstleister, insbesondere in Europa, ist denn auch ein prioritäres Ziel des Bundesrates. Verlagerungen ins Ausland sollen verhindert und die Akteure zum Verbleib in der Schweiz motiviert werden. Neben dem Erhalt von Arbeitsplätzen geht es dabei auch um die Wahrung des Schweizer Steuersubstrats.

Die Schweiz verfolgt diesbezüglich gleichzeitig drei verschiedene Handlungsansätze: bilaterale Vereinbarungen mit Einzelstaaten, EU-Äquivalenzverfahren gemäss EU-Drittstaatenregimes und die Prüfung eines umfassenden sektoriellen Finanzdienstleistungsabkommens (FDLA). Bilaterale Vereinbarungen ermöglichen Marktzutrittserleichterungen, welche jeweils auf den Partnerstaat zugeschnitten sind, entsprechend aber mit jedem Land einzeln verhandelt werden müssen. Äquivalenzentscheide bieten in spezifischen Bereichen die Möglichkeit, den EU-Markt grenzüberschreitend – analog einem Anbieter aus der EU – zu bedienen oder von regulatorischen Erleichterungen zu profitieren.

Mit einem FDLA hätten die Schweizer Finanzdienstleister vollen Zugang zum harmonisierten Binnenmarkt der EU. Dafür müsste aber der gesamte relevante EU-Rechtsbestand im Finanzmarktrecht (und teilweise darüber hinaus) ins Schweizer Recht übernommen werden. Ein FDLA könnte das Risiko begrenzen, den Zutritt zum EU-Exportmarkt zu verlieren. Zudem könnten Marktpotenziale im EU-Raum erschlossen werden. Gleichzeitig würde die Übernahme in einer Anfangsphase aber auch Kosten verursachen.

Erste Gespräche über ein FDLA mit der EU wurden aber nach der Schweizer Abstimmung über die Masseneinwanderung im Februar 2014 seitens der EU sistiert. Die EU ist aktuell nicht bereit, das Thema aufzunehmen, solange die Schweiz keine EU-kompatible Lösung anbieten kann. Zudem erwartet die EU eine Lösung im Bereich institutionelles Abkommen. Die Schweiz verfolgt vor diesem Hintergrund aktuell den bilateralen und den Äquivalenzansatz und konnte dabei bereits mehrere Erfolge verbuchen (siehe Kasten 1).

Die Zukunft vorausschauend planen


Erfreulich ist, dass sich der Schweizer Finanzmarkt heute insgesamt in stabiler Verfassung präsentiert. Dies trotz teilweise zähen Marktzutrittsverhandlungen, anhaltendem Strukturwandel und der Bewältigung der Vergangenheit, beispielsweise in den USA und den Nachbarländern. Die international führende Stellung des Finanzplatzes konnte insbesondere auch in der Vermögensverwaltung für ausländische Kunden aufrechterhalten werden. Sein weltweiter Marktanteil an der grenzüberschreitenden Vermögensverwaltung beträgt über 25 Prozent (siehe Abbildung 2). Dank der durchgeführten Reformen ist die Schweiz heute international weniger angreifbar. Gleichzeitig konnte für die Marktteilnehmer eine höhere Rechtssicherheit hergestellt werden.

Abb. 2: Der Schweizer Finanzplatz im internationalen Vergleich, 2013




Quelle: Boston Consulting Group, Global Wealth Report 2015 / Die Volkswirtschaft


Die Schweiz verfügt über Expertise im Technologiebereich, günstige Rahmenbedingungen und einen starken Finanzsektor. Dieses Potenzial hilft ihr, die zunehmende Digitalisierung der Finanzwelt als langfristigen Wettbewerbsvorteil zu nutzen und Arbeitsplätze in der Schweiz zu erhalten. Dabei handelt es sich aber nur um eine Momentbetrachtung. Die Zukunftsfähigkeit des Finanzplatzes und dessen globale Ausstrahlungsfähigkeit müssen laufend neu gestaltet werden. Für die Schweiz gilt es, sich den neuen Realitäten aktiv und vorausschauend zu stellen.

Während in den letzten Jahren zahlreiche neue Regulierungen im Vordergrund standen, gilt es jetzt, die aktuelle Situation zu konsolidieren. Im Sinne des übergeordneten Ziels des Bundesrates lautet das Credo: einen stabilen, wettbewerbsfähigen und international akzeptierten Finanz- und Unternehmensstandort Schweiz zu garantieren, der weiterhin massgeblich zum Wohlstand in unserem Land beiträgt.

Zitiervorschlag: Jacques de Watteville (2016). Der Finanzplatz Schweiz soll international fit bleiben. Die Volkswirtschaft, 25. Juli.

Kasten 1: Erfolge beim Marktzutritt in Europa

Auf bilateraler Ebene konnten die Zutrittsverhandlungen mit zahlreichen wichtigen Märkten vorangetrieben und mit Deutschland, Österreich und Grossbritannien Vereinbarungen abgeschlossen werden. Die Gespräche mit Spanien, Frankreich und Italien sowie weiteren Partnerländern gehen weiter. Auch im Bereich der Äquivalenzverfahren konnte die Schweiz Erfolge verbuchen. Die EU-Kommission entschied 2015, dass ab 2016 die schweizerische Regulierung der Versicherungswirtschaft als äquivalent zur europäischen Solvenz-2-Regulierung anerkannt wird. Im November 2015 anerkannte die Europäische Kommission zudem das schweizerische Aufsichtssystem für zentrale Gegenparteien als gleichwertig mit den massgeblichen Bestimmungen in der EU. Der Äquivalenzentscheid bildet die Basis für einen grenzüberschreitenden Marktzugang schweizerischer zentraler Gegenparteien in der EU.

Kasten 2: Zur Person

Jacques de Watteville begann seine diplomatische Karriere 1982 mit darauf folgenden Stationen in London, Damaskus, Brüssel und Peking. Von 1997 bis 2003 war er Vorsteher der Abteilung für Wirtschafts- und Finanzfragen des EDA und zwischen 2007 und 2013 Botschafter und Chef der Schweizerischen Mission bei der Europäischen Union in Brüssel. Seit 2013 vertritt er als Staatssekretär die Interessen der Schweiz in internationalen Finanz- und Steuerfragen gegenüber dem Ausland. Zudem ist er Chefunterhändler für die Gesamtheit der Verhandlungen mit der Europäischen Union. Per Ende Juni 2016 wird sich Jacques de Watteville als Staatssekretär auf seine Rolle als Chefunterhändler konzentrieren und das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen seinem Nachfolger Jörg Gasser überlassen.