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Dienstleistungen weiterhin im Vormarsch

Der starke Franken verstärkt den Strukturwandel: Während immer mehr Menschen im Dienstleistungssektor arbeiten, sinkt der Beschäftigungsanteil in der Industrie. Dies schlägt sich seit der Aufhebung des Mindestkurses in einer erhöhten Arbeitslosigkeit nieder.
In der Papierindustrie sind die Aussichten für die Angestellten nicht rosig: Die Beschäftigung geht zurück. (Bild: Keystone)

Im internationalen Vergleich war die Erwerbslosenquote in der Schweiz in den letzten Jahren vergleichsweise tief, und das Beschäftigungswachstum zeigte sich sehr robust. So hielt sich die Schweiz insbesondere auch in der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 relativ gut. Die Erwerbslosenquote bildete sich rasch zurück, und die Zeichen standen auf anhaltendes Beschäftigungswachstum. Allerdings wurde die Wirtschafts- und Arbeitsmarktentwicklung 2011 und 2015 durch eine starke Aufwertung des Frankens gegenüber dem Euro gebremst, womit das tiefe Vorkrisenniveau der Erwerbslosigkeit bisher nicht wieder erreicht werden konnte.

Die Aufhebung des Euro-Mindestkurses durch die Nationalbank im Januar 2015 hatte eine wirtschaftliche Abkühlung zur Folge, wodurch die Arbeitslosigkeit etwa in der Industrie anstieg. Lassen sich diese Entwicklungen in die strukturellen Trends der letzten Jahre einbetten? Um diese Frage beantworten zu können, lohnt sich ein Blick auf die längerfristige Entwicklung der Beschäftigung und der Erwerbslosigkeit in den letzten Jahren.

Tiefgreifender Strukturwandel


Dabei zeigt sich: In struktureller Hinsicht waren zahlreiche Verschiebungen – insbesondere zwischen den einzelnen Wirtschaftssektoren – zu verzeichnen. Im ersten Sektor (Land- und Forstwirtschaft) wie auch im zweiten Sektor (Industrie) bildete sich die Beschäftigung in den letzten Jahrzehnten deutlich zurück. So sank die Beschäftigung im zweiten Sektor in den letzten 25 Jahren von 32 Prozent auf 21 Prozent. Dabei hat der Beschäftigungsanstieg im Dienstleistungssektor den erwähnten Rückgang mehr als kompensiert. So hat die Zahl der Erwerbstätigen im erwähnten Zeitraum netto um rund 880’000 zugenommen.[1]

Der Blick auf die einzelnen Branchen seit der Jahrtausendwende zeigt teilweise gegenläufige Entwicklungen. Während im zweiten Sektor die Beschäftigung besonders in den klassischen Branchen des verarbeitenden Gewerbes (Textilindustrie, Papier und Druckgewerbe, Maschinen- und Metallindustrie) rückläufig war, verzeichneten etwa die Pharmabranche oder die Hersteller von Uhren und Elektronik ein überdurchschnittliches Beschäftigungswachstum. Im dritten Sektor hatten die privaten Dienstleistungen wie Unternehmensberatung, Forschung und Entwicklung, ICT sowie die sogenannt staatsnahen Dienstleistungen wie die Bildung, das Sozial- und Gesundheitswesen Wachstumsraten über dem Durchschnitt zu verzeichnen. Demgegenüber stagnierte der Handel, und im Gastgewerbe hatte sich die Beschäftigung bereits vor der Mindestkursaufgabe merklich zurückgebildet.

Mit der Verlagerung hin zum Dienstleistungssektor sowie den Verschiebungen innerhalb der Sektoren war ein bildungsintensives Beschäftigungswachstum – etwa in der IT-Branche, der Unternehmensberatung sowie der Forschung und Entwicklung – verbunden (siehe Abbildung 1). Es spiegelt die Spezialisierung auf Aktivitäten mit höherer Wertschöpfung.

Abb. 1: Durchschnittliches jährliches Beschäftigungswachstum (2000–2016)




Quelle: BFS, Besta (Vollzeitäquivalente, jeweils im 1. Quartal) / Die Volkswirtschaft

Die Analyse der Erwerbslosigkeit zeigt eine weitgehend parallele Entwicklung. So wies insbesondere das Gastgewerbe bereits über die letzten fünfzehn Jahre eine deutlich erhöhte Erwerbslosenquote auf, während staatsnahe Dienstleistungen, freiberufliche Tätigkeiten wie Unternehmensberatung sowie die Wissenschaft deutlich unterdurchschnittliche Quoten verzeichneten (siehe Abbildung 2).

Abb. 2: Erwerbslosenquote nach Branchen (gemäss ILO; 2003–2015)




Quelle: BFS, Sake 2003–2015 (eigene Auswertungen) / Die Volkswirtschaft


Besonders deutlich zeigen sich die beschriebenen strukturellen Veränderungen in den Erwerbslosenquoten nach Ausbildungsstufe (siehe Abbildung 3): Die Gruppe ohne Berufsabschluss (Sekundarstufe I) bekundet im Vergleich zu den besser ausgebildeten Gruppen (Sekundarstufe II und Tertiärstufe) schon seit Beginn der Nullerjahre grössere Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Dieser Trend verstärkte sich nach der Rezession von 2002/2003. Anschliessend stabilisierte sich der Abstand zu den besser Ausgebildeten auf diesem Niveau. Seit rund drei Jahren hat er sich erneut vergrössert.

Abb. 3: Erwerbslosenquote nach Qualifikationsstufen




Quelle: BFS, Erwerbslosenstatistik / Die Volkswirtschaft

Die Altersstruktur der Erwerbslosenquote verzeichnete mit Ausnahme der Rezession von 2002/2003, als die Jugendarbeitslosigkeit hochschnellte, keine altersspezifische Entwicklung. Im Niveau war die Jugendarbeitslosigkeit jeweils höher als die Arbeitslosigkeit der anderen Altersgruppen, im internationalen Vergleich fiel sie jedoch vergleichsweise tief aus, was unter anderem auch am dualen Bildungssystem liegt.

Frankenaufwertung: Mehr Erwerbslose in der Industrie


Die Aufhebung des Mindestkurses vom Januar 2015 wirkte sich insbesondere auf wechselkurssensible Sektoren der Exportwirtschaft wie die Maschinen- und Metallindustrie aus. Der Beschäftigungsrückgang spiegelt sich in der Arbeitslosenstatistik: Die Zahl der bei einem Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV) gemeldeten Arbeitslosen stieg in der Industrie[2] saison- und zufallsbereinigt zwischen Dezember 2014 und Mai 2016 um rund 21 Prozent – auf 23’600. Im gleichen Zeitraum stieg die Arbeitslosenzahl in der Gesamtwirtschaft um rund 10 Prozent auf 150’200.

Diese Entwicklung fügt sich nahtlos in den Erosionsprozess der Beschäftigungsentwicklung im zweiten Sektor ein. Allerdings hatte sich der Strukturwandel vor dem Ausbruch der Frankenstärke noch nicht in einer erhöhten Arbeitslosigkeit in der Industrie niedergeschlagen. Folglich beschleunigte die abrupte Frankenaufwertung den Strukturwandel. In etwas geringerem Ausmass betroffen waren das Gastgewerbe und der Detailhandel.

Im Zuge des Stellenabbaus im Industriesektor hatten Männer einen stärkeren Anstieg der Erwerbslosenquote zu verzeichnen. Auch bei Personen mit niedrigem Qualifikationsniveau und Ausländern beider Geschlechter stieg die Erwerbslosigkeit stärker an. Frauen und gut ausgebildete Personen profitierten demgegenüber stärker vom Beschäftigungswachstum in staatsnahen Branchen wie dem Gesundheitswesen oder in der Bildung. Ihre Erwerbslosenquote stieg somit weniger stark an.

Zuletzt verstärkt ins Blickfeld getreten ist die Arbeitslosigkeit von älteren Erwerbstätigen. Sie sind nach wie vor im Vergleich zu jüngeren weniger häufig von Arbeitslosigkeit betroffen. Allerdings sind die einmal arbeitslos gewordenen älteren Personen im Mittel spürbar länger als die jüngeren Personen auf Beschäftigungssuche. Die leichte Zunahme der Erwerbslosenquote in jüngerer Zeit bei den 55- bis 64-Jährigen könnte ein Indiz dafür sein, dass ältere Personen von den negativen Auswirkungen der starken Aufwertung des Frankens etwas stärker betroffen sind als jüngere. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.[3]

Die jüngsten Entwicklungen im Zuge der Frankenstärke verdeutlichen somit in vielen Aspekten, in welche Richtung sich der Strukturwandel des Arbeitsmarkts in der Schweiz schon seit längerer Zeit bewegt: Der Anteil des Dienstleistungsbereichs wächst weiter, und das Beschäftigungswachstum bleibt ausgesprochen bildungsintensiv. In der Industrie setzt sich die Konzentration auf wertschöpfungsstarke Produktionsprozesse weiter fort. Wechselkursexponierte Branchen verlieren an Konkurrenzfähigkeit, was zumindest vorübergehend zu einer erhöhten Arbeitslosigkeit führt. Diese bereits bekannten Entwicklungen treten in den Phasen mit einer starken Aufwertung des Frankens noch deutlicher hervor.

  1. BFS, Erwerbstätigenstatistik. []
  2. Zweiter Sektor ohne Bauwirtschaft. []
  3. Siehe dazu auch Seco, Indikatoren zur Situation älterer Arbeitnehmender, April 2016. []

Zitiervorschlag: Ursina Jud Huwiler, Thomas Ragni, (2016). Dienstleistungen weiterhin im Vormarsch. Die Volkswirtschaft, 25. Juli.