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Vollzug der flankierenden Massnahmen: Verbesserungen sind möglich

Eine Analyse des Seco zu den flankierenden Massnahmen zeigt: Beim Vollzug gibt es Verbesserungsmöglichkeiten – unter anderem bei den paritätischen Kommissionen.
In der Baubranche kontrollieren Gewerkschaften und Arbeitgeber die ausländischen Firmen gemeinsam. Arbeiter warten in Faido auf einen Bus. (Bild: Keystone)

Die flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union wurden im Jahr 2004 eingeführt. Sie dienen dem Schutz der Arbeitnehmer in der Schweiz vor allfälligen Lohnunterbietungen und schlechteren Arbeitsbedingungen. Sie sorgen auch für gleiche Chancen im Wettbewerb zwischen inländischen und ausländischen Unternehmen.

In jedem Kanton gibt es eine tripartite Kommission (TPK), in der die Arbeitgeber, die Arbeitnehmer und der Staat vertreten sind. Diese TPK beobachten die allgemeine Arbeitsmarktentwicklung und führen Lohnkontrollen durch. Stellen sie eine missbräuchliche und wiederholte Lohnunterbietung fest, können sie regulierende Massnahmen (wie die Einführung eines Normalarbeitsvertrags mit zwingenden Mindestlöhnen) beschliessen.

In Wirtschaftszweigen mit einem für allgemeinverbindlich erklärten Gesamtarbeitsvertrag (GAV) gelten die darin festgelegten Lohn- und Arbeitsbedingungen auch für ausländische Unternehmen, die ihre Dienstleistungen in der Schweiz anbieten. Dadurch können Wettbewerbsverzerrungen zwischen ausländischen und Schweizer Unternehmen vermieden werden. Die paritätischen Kommissionen (PK), die für den Vollzug der GAV zuständig sind, überprüfen die ausländischen Unternehmen und stellen sicher, dass diese die Lohn- und Arbeitsvorgaben einhalten. Sie setzen sich aus Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmer zusammen.

Der Vollzug der flankierenden Massnahmen obliegt somit zahlreichen Akteuren: Jedes Jahr schliesst das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) Leistungsvereinbarungen mit 26 Kantonen und 24 nationalen oder regionalen PK ab. Diese Vielfalt führt zwangsläufig zu unterschiedlichen Praktiken, aus denen sich wertvolle Lehren ziehen lassen. Die seit 2013 bei den Vollzugsorganen durchgeführten Audits haben insbesondere als Grundlage für eine Analyse der Erfolgsfaktoren und der Verbesserungsmöglichkeiten bei der Umsetzung der flankierenden Massnahmen gedient. Eine letztes Jahr vom Seco vorgenommene Prüfung betraf die PK und die TPK.

Paritätische Kommissionen: Zwischen regionalen Unterschieden und starker Autonomie


Die Kontrolltätigkeit der paritätischen Kommissionen weist starke regionale Unterschiede auf (siehe Abbildung) – obwohl es sich hier grundsätzlich um eine einheitliche Leistung handeln sollte. Es lässt sich zwar nicht ausschliessen, dass das Risiko von Verstössen der Unternehmen nach Region variiert. Dieses ist beispielsweise auf einem Markt mit starkem Wettbewerbsdruck höher. Trotzdem sind dadurch die heute festgestellten Unterschiede in der Kontrollpraxis der PK nicht zu rechtfertigen. Hinzu kommt eine heterogene Sanktionspraxis: 2015 schwankte das Verhältnis der sanktionierten Unternehmen zu den kontrollierten Unternehmen je nach Region zwischen 0 und 31 Prozent.[1] Somit ist die Wahrscheinlichkeit für einen Dienstleistungserbringer, kontrolliert und sanktioniert zu werden, je nach Ort sehr unterschiedlich.

Meldungen und Kontrollen entsandter Arbeitnehmer durch die PK 2015


Quelle: Seco / Die Volkswirtschaft

Die meisten paritätischen Kommissionen sind dezentral organisiert. Insgesamt zählen die 24 Kommissionen über 150 regionale Vollzugsstellen. Diese weisen oft nicht die kritische Grösse auf, um Kontrollen von guter Qualität innert angemessener Frist durchzuführen. Zudem ist es schwierig, bei dezentralen und weitgehend autonomen Stellen intern oder auch zwischen ihnen eine einheitliche Rechtsanwendung zu gewährleisten. Die meisten PK sind ausserdem regionalen Kontrollverbänden angeschlossen, welche die ausländischen Dienstleistungserbringer vor Ort überprüfen. Analysen zeigen: Bei der Steuerung dieser Verbände und der Qualitätskontrolle ihrer Arbeit ist das Verbesserungspotenzial gross.

Bei einer Kontrolle ist die rasche Bearbeitung des Dossiers ein zentraler Erfolgsfaktor – sowohl aus Gründen der Glaubwürdigkeit gegenüber den betroffenen Unternehmen als auch, um fehlbare Unternehmen rasch sanktionieren zu können. Das Seco verfügt leider über keine Daten zur Bearbeitungszeit der Dossiers in allen PK. Eine 2015 in Zürich durchgeführte Schätzung für sechs PK ergab aber eine Mediandauer von 290 Tagen.[2] Bei rund 15 Prozent der Dossiers liegt die Bearbeitungszeit bei über zwei Jahren.

Tripartite Kommissionen: Konzeption, Strategien und Methoden sind vielfältig


Da die Arbeitsmarktbeobachtung in der Bundesgesetzgebung nicht im Detail festgelegt ist, verfügen die kantonalen tripartiten Kommissionen über einen gewissen Ermessensspielraum. Einige von ihnen definieren ihren Auftrag breit und beurteilen die Lage auf dem Arbeitsmarkt anhand von Studien, Statistiken oder Monitoring-Instrumenten. Anschliessend führen sie eine Risikoanalyse durch und definieren eine kohärente Kontrollstrategie. Dabei legen sie insbesondere die Kontrollintensität und die Kategorien der betroffenen Unternehmen (Schweizer oder ausländische), Arbeitnehmer (inländische, Grenzgänger, entsandte oder selbstständige) und Branchen fest. Bei dieser breiten Auffassung der Arbeitsmarktbeobachtung ist die Lohnkontrolle ein Instrument unter vielen. Andere TPK interpretieren die Arbeitsmarktbeobachtung demgegenüber als eine reine Kontrolltätigkeit.

Das Seco hält eine globale Konzeption der Arbeitsmarktaufsicht für angemessen: Die TPK sollen ihre Kontrollstrategie dabei auf eine explizite Risikoanalyse abstützen. Die Kontrolle sollte sich auf Risikobereiche konzentrieren.

Die angewandten Kontrollstrategien der TPK unterscheiden sich je nach Risiko. So betrachten die TPK in Grenzkantonen wie Genf, Jura oder dem Tessin die Personenfreizügigkeit als ein Risiko für die einheimischen Löhne. Eine ihrer Prioritäten ist es daher, zu gewährleisten, dass die Zuwanderung und die Grenzgänger keine unterwünschten Auswirkungen auf die einheimischen Löhne in gewissen Branchen oder Berufen haben. In diesen Regionen spielt deshalb die Überwachung der Löhne in Schweizer Unternehmen eine vorrangige Rolle.

In mehreren Kantonen der Zentral- oder der Ostschweiz hat die TPK dagegen keine grösseren Risiken für die einheimischen Löhne festgestellt. Dort hat die Personenfreizügigkeit den Unternehmen vor allem die einfachere Einstellung von Personal ermöglicht und damit zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Zudem ist die Arbeitslosigkeit niedrig, und das Risiko der Verdrängung lokaler Arbeitskräfte durch ausländische Arbeitskräfte erscheint gering.

Solche Kantone legen ihre Priorität daher auf die Kontrolle ausländischer Dienstleistungserbringer, bei denen ein Risiko systematischer Lohnunterbietung angesichts der Unterschiede zwischen der Schweiz und den EU-Ländern in diesem Bereich nicht ausgeschlossen werden kann. Die Kontrolle lokaler Unternehmen beschränkt sich hier auf einzelne heikle Bereiche. Wie gesagt, ist es bei geringer oder nicht bestehender Gefahr eines Lohndrucks nicht angezeigt, intensiv zu kontrollieren. Insgesamt erscheinen die vom Seco im Rahmen seiner Audits festgestellten Kontrollstrategien der TPK glaubhaft.

Die TPK bestimmen die üblichen Löhne und die Lohnunterbietungen. Ihre dafür angewandten Methoden unterscheiden sich je nach den Besonderheiten des kantonalen Arbeitsmarktes und dem Konsens zwischen den Vertretern von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Staat. Diese Heterogenität scheint gerechtfertigt und ist aus den gleichen Gründen auch in den GAV wiederzufinden.

Den Vollzug verbessern


Die Analysen des Seco zeigen, dass die TPK in der Regel über professionelle Strukturen verfügen. Das Verbesserungspotenzial ist daher beschränkt. Ein grösseres Potenzial besteht dagegen bei den PK. Ihre Kontrolltätigkeit der ausländischen Dienstleistungserbringer ist erst seit dem Inkrafttreten der flankierenden Massnahmen einer direkten Überwachung durch den Bund unterstellt. Die traditionelle Kontrolltätigkeit der PK bei den Schweizer Arbeitgebern wird vorwiegend im Rahmen der Sozialpartnerschaft geregelt und kann von den betroffenen Unternehmen im Rahmen von Zivilklagen infrage gestellt werden. Die PK – und mit ihnen die Sozialpartner – sind aufgerufen, ihre Anstrengungen zu steigern, um die im Rahmen der Überwachung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen aufgezeigten Probleme beim Vollzug der GAV zu beheben.

Das Seco hat die Ergebnisse seiner Analyse in einem Bericht an die Vollzugsorgane veröffentlicht.[3] Die Schlussfolgerungen flossen auch in die Überlegungen von Arbeitsgruppen ein, die zurzeit im Auftrag des Bundesrates einen Aktionsplan zur Verbesserung des Vollzugs der flankierenden Massnahmen erarbeiten.[4]

  1. Durch die PK verhängte Konventionalstrafen 2015 im Vergleich zur Anzahl abgeschlossener Kontrollen im selben Jahr. Da die Verhängung einer Konventionalstrafe einige Zeit nach dem Abschluss der Kontrolle erfolgen kann, handelt es sich nicht um genau dieselben Dossiers, und die Zahlen sind mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten. []
  2. Dauer für die Dossiers mit Verstössen, von der Kontrolle vor Ort bis zur Übermittlung an die kantonalen Behörden. []
  3. Seco (2016). Bericht. Erfolgsfaktoren beim Vollzug der flankierenden Massnahmen auf Grundlage der Erfahrungen der Audits (Oktober 2012 – Mai 2015), Bern, 2016. []
  4. Vgl. Artikel von Daniel Baumberger und Valentine Mauron in dieser Ausgabe. []

Zitiervorschlag: Veronique Merckx (2016). Vollzug der flankierenden Massnahmen: Verbesserungen sind möglich. Die Volkswirtschaft, 07. Juli.