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Auch für Erwachsene lohnt sich ein Berufsabschluss

Wenn ein Erwachsener einen Berufsabschluss nachholt, zahlt sich das aus: Die Einzelperson erhält eine bessere berufliche Perspektive, und die Wirtschaft gewinnt eine Fachkraft. Dank tieferer Sozialausgaben profitiert auch der Staat.
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Dank Erfahrung zum Diplom: Ungelernte Maurer können sich ihre Arbeitsjahre anrechnen lassen. (Bild: 123RF)

Mehr als eine halbe Million Erwachsene in der Schweiz haben keinen Berufsabschluss. Rund drei Viertel von ihnen stehen im Erwerbsprozess, ungefähr 170’000 von ihnen sind unter 45-jährig. Diese ungelernten Arbeitskräfte, die nur erschwert Zugang zu Weiterbildungsangeboten haben, verfügen über ungenutzte Potenziale.

Die Investition in den Berufsabschluss lohnt sich sowohl für die Einzelperson als auch für die öffentliche Hand. Denn: Erwachsene ohne Ausbildung und Hilfsarbeitende mit branchenfremdem Abschluss arbeiten oft in prekären Anstellungsverhältnissen und werden in der Folge überdurchschnittlich oft arbeitslos oder sozialhilfeabhängig. Je nach Studie variieren die gesellschaftlichen Kosten – Unterstützungsleistungen, die aufgrund von Ausbildungslosigkeit bezahlt werden – zwischen 6000 und 18’000 Franken pro Jahr.[1]

Demgegenüber kostet der Berufsabschluss für Erwachsene die öffentliche Hand je nach gewähltem Bildungsweg deutlich weniger. Am günstigsten ist der Weg über das sogenannte Validierungsverfahren mit einmalig rund 8000 Franken. Hier muss die berufserfahrene Person in einem Dossier nachweisen, dass er über die entsprechenden Kompetenzen verfügt (siehe Tabelle). Eine verkürzte Lehre oder eine direkte Zulassung zur Abschlussprüfung beläuft sich auf insgesamt 25’000 Franken, und eine reguläre Lehre kostet den Staat 50’000 Franken. Laut einer Studie der Berner Fachhochschule lohnt sich der Erwerb eines Berufsabschlusses unter volkswirtschaftlichem Gesichtspunkt sogar noch, wenn er erst im Alter von 55 Jahren erfolgt.[2]

Zahl der Berufsabschlüsse soll steigen


Bund, Kantone und Organisationen der Arbeitswelt haben sich zum Ziel gesetzt, dass 95 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen einen Berufsabschluss oder einen entsprechenden allgemeinen Bildungsabschluss erlangen sollen. In Ergänzung dazu haben sie entschieden, auch bei Erwachsenen die Zahl der Berufsabschlüsse zu erhöhen.[3] Kantone, Organisationen der Arbeitswelt und Dritte sind aufgefordert, innovative Projektideen zu entwickeln, die zu einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für den Berufsabschluss von Erwachsenen führen.

Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) ist zurzeit daran, bestehende Instrumente für die Entwicklung und den Ausbau von erwachsenengerechten Berufsbildungsangeboten zu entwickeln sowie Fragen der Finanzierung zu klären. Weiter bereitet es eine Informationskampagne vor, die interessierte Erwachsene und Betriebe für das Thema sensibilisieren soll. Neben den ausbildungslosen Erwachsenen gilt es auch Personen anzusprechen, für die der Verbleib oder der Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt aufgrund veralteter Abschlüsse schwierig ist.

Das Themenfeld rund um den Berufsabschluss für Erwachsene ist noch wenig erforscht. Um die Datenlage zu verbessern, hat das SBFI zwei Studien in Auftrag gegeben, die bis Mitte 2017 abgeschlossen sein werden. Die erste Studie untersucht den Bedarf an Berufsabschlüssen von Erwachsenen aus Sicht der Betriebe. In der zweiten Studie werden die Bedürfnisse und Erfahrungen von Absolventen erhoben, die im Erwachsenenalter eine berufliche Grundbildung absolvierten. Ziel ist, die strukturellen Faktoren und individuellen Voraussetzungen zu kennen, die dazu führen, dass die berufliche Grundbildung Erwachsener gelingt, scheitert oder gar nicht angegangen wird.

Erwachsene haben mehrere Optionen


Zurzeit werden jährlich zwischen 7500 und 8500 oder rund 12 Prozent aller Eidgenössischen Fähigkeitszeugnisse (EFZ) und Eidgenössischen Berufsatteste (EBA) an Erwachsene über 25 Jahren abgegeben. Gut 40 Prozent dieser Erwachsenen absolvieren eine reguläre berufliche Grundbildung. Knapp 60 Prozent erwerben ihren Abschluss über einen der drei speziell für Erwachsene konzipierten Wege. Mit anderen Worten: Sie machen eine verkürzte berufliche Grundbildung, lassen ihre Bildungsleistungen validieren oder ergänzen ihr Fachwissen und ihre berufsspezifische Kompetenzen mit Kursen und melden sich anschliessend direkt an die Abschlussprüfung an. Allen drei erwachsenenspezifischen Wegen ist gemein, dass sie Berufserfahrung voraussetzen und bereits erworbene Kompetenzen wenn möglich angerechnet werden.

Wege für Erwachsene zu einem Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder einem Berufsattest (EBA)


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Welcher Weg für eine erwachsene Person der richtige ist, hängt von verschiedenen persönlichen und branchenspezifischen Faktoren ab. Individuelle Beratung erhalten Interessierte bei der Berufsberatungsstelle des Wohnkantons, dem sogenannten Eingangsportal. Dort erfahren sie, was sie unternehmen müssen, um eine qualifizierte Fachkraft zu werden. Der Nutzen ist ein dreifacher: Das Individuum erarbeitet sich eine berufliche Perspektive, die Wirtschaft gewinnt eine Fachkraft, und die Gesellschaft erhält ein Mitglied, dessen Chancen erheblich höher sind, sein Leben selbstständig finanzieren zu können.

  1. SBFI (2014). Berufsabschluss und Berufswechsel für Erwachsene – Bestehende Angebote und Empfehlungen für die Weiterentwicklung, Bern. []
  2. Fritschi et al. (2012). Gesellschaftliche Kosten der Ausbildungslosigkeit mit Fokus auf Validierung und Ausbildungsabbrüche, Berner Fachhochschule. []
  3. 2015 wurde dieser Förderbestand in den gemeinsamen bildungspolitischen Zielen des Bundes und der Kantone verankert. Das SBFI hat den Berufsabschluss für Erwachsene Anfang 2016 zu einem Projektförder-Schwerpunkt erklärt. []

Zitiervorschlag: Giger, Sabina (2016). Auch für Erwachsene lohnt sich ein Berufsabschluss. Die Volkswirtschaft, 22. September.