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Demografie und internationaler Steuerwettbewerb fordern die Kantone

2016 rechnet die Mehrzahl der Kantone mit Defiziten. Die Gefahren sind real: Der internationale Kampf um Steuereinnahmen und die Kosten der Alterung und der Migration setzen den Kantonen zu. Klare Budgetregeln sind deshalb umso wichtiger.

Demografie und internationaler Steuerwettbewerb fordern die Kantone

Die demografische Alterung belastet vor allem die Kantone. Die Kosten in der Langzeitpflege werden langfristig zunehmen. (Bild: Keystone)

Der Spätsommer ist jedes Jahr die Phase, in welcher die Kantonsregierungen mit Hochdruck die Bereinigung ihrer Budgets für das folgende Jahr vorantreiben. Die Verabschiedung der Budgets bringt die Lage der Kantonsfinanzen jeweils einer schweizweiten Öffentlichkeit näher. Diese Phase ist bei Redaktionsschluss noch im Gange. Dennoch lassen sich einige zentrale Herausforderungen der Kantonsfinanzen bereits benennen.

Zuerst ein Blick zurück: Das Rechnungsjahr 2015 ist in diversen Kantonen besser als budgetiert ausgefallen. Nur in Zürich, Solothurn, Appenzell Ausserrhoden, Aargau und Genf war es schlechter als geplant. Das kumulierte Defizit über sämtliche Kantone betrug 25,5 Millionen Franken. Dieses Gesamtbild wurde allerdings durch einen Sonderfall negativ beeinflusst: Die Ausfinanzierung der Pensionskasse im Kanton Solothurn verursachte Kosten von über einer Milliarde Franken. Für die allermeisten anderen Kantone präsentierte sich das Bild positiv. Dafür war massgeblich die doppelte Gewinnausschüttung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) verantwortlich.

SNB-Ausschüttungen bleiben unsicher


Vieles deutet darauf hin, dass sich für das laufende Jahr die Perspektiven verschlechtern: 18 Kantone budgetieren für 2016 ein Defizit; 8 Kantone einen Überschuss oder eine ausgeglichene Rechnung. Insgesamt rechnet man mit einem Defizit von 1,26 Milliarden Franken. Auch wenn in der Vergangenheit die Rechnungsergebnisse teilweise besser als budgetiert ausfielen, darf dieses Defizit nicht als Schwarzmalerei der kantonalen Kassenwarte abgetan werden: Eine Budgetierung unter Anwendung des Vorsichtsprinzips ist in jedem Fall angezeigt.

Ungewiss sind auch die Gewinnausschüttungen aufgrund der volatilen Rechnungsergebnisse der SNB. Die unsichere gesamtwirtschaftliche Entwicklung – massgeblich geprägt vom währungs-, migrations- und europapolitischen Umfeld – erfordert bei den öffentlichen Finanzen Zurückhaltung. Für die Kantone kommen zudem drei weitere finanzpolitische Herausforderungen hinzu: der internationale Kampf um Steuereinnahmen, die zunehmenden Kosten der Demografie und die kantonalen Haushaltsregeln.

Internationaler Kampf um Steuereinnahmen geht weiter


Die internationale Unternehmensbesteuerung befindet sich derzeit in einer Umbruchphase. Im Auftrag der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G-20) erarbeitete die OECD die sogenannten Base-Erosion-and-Profit-Shifting-Standards und -Empfehlungen[1] mit dem Ziel, internationale Gewinnverschiebungen und -verkürzungen zu bekämpfen. Fälle von tiefen Gesamtbesteuerungen multinationaler Konzerne haben international Aufsehen erregt. Nebst Steuergerechtigkeitsüberlegungen steht für viele Staaten die Generierung von Steuereinnahmen im Zentrum dieser Neuordnung. Dem internationalen Kampf um Steuereinnahmen kann sich auch die Schweiz nicht entziehen: Will sie weiterhin ein wichtiger Spieler in einer globalisierten Wirtschaft sein, muss sie sich an globale Spielregeln halten – ob sie diese befürwortet oder nicht.

Bund, Kantone und Gemeinden stützen sich heute auf ein steuerlich attraktives Umfeld. Angesichts der internationalen Entwicklungen muss dieses jedoch angepasst werden. Die Schweiz steht vor der Herausforderung, ihre Einnahmen zu sichern und gleichzeitig unter Berücksichtigung der internationalen Entwicklungen attraktive Rahmenbedingungen für den Standort Schweiz zu schaffen.

Im Rahmen der Unternehmenssteuerreform III (USR III) unternehmen die Kantone und ihre Gemeinden die steuerpolitische Hauptanstrengung, um ein international wettbewerbsfähiges Umfeld zu schaffen. Der Bund verändert seine Besteuerung kaum. Finanzpolitisch ermöglicht die USR III die Wahrung des vertikalen finanziellen Gleichgewichts zwischen Bund und Kantonen.

Nebst dem vertikalen Gleichgewicht gegenüber dem Bund ist auch das horizontale Gleichgewicht zwischen den Kantonen eine Herausforderung. Der Ausgestaltung des interkantonalen Finanzausgleichs wird deshalb in der Umsetzung der USR III eine noch grössere Aufmerksamkeit zukommen. Die genauen Auswirkungen der USR III auf die einzelnen Kantone lassen sich derzeit noch nicht prognostizieren.

Kantone tragen zunehmende Demografiekosten


Auf der Ausgabenseite stellt die Zunahme der Gesundheits- und Sozialkosten eine zentrale Herausforderung dar. Namentlich im Bereich Migration und Integration bestehen für die kantonalen Haushalte erhebliche Risiken. Die kürzlich veröffentlichten Langfristperspektiven der Eidgenössischen Finanzverwaltung (EFV) zu den öffentlichen Finanzen in der Schweiz zeigen zudem, dass die demografische Entwicklung in erster Linie die Kantone belastet; insbesondere in der Langzeitpflege und im Gesundheitsbereich.[2]

Eine Aufgaben- und Finanzierungsentflechtung hätte besonders in diesen Bereichen mit geteilten Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Kantonen Potenzial für Effizienzsteigerungen. Vor allem im Transferbereich – beispielsweise bei den Ergänzungsleistungen zur AHV und IV – sind die Kantonsausgaben an Bundesrecht gebunden. Damit wird die Finanzautonomie der Kantone eingeschränkt. Anstelle von Verflechtungen sollten möglichst klare Zuständigkeiten zwischen Bund und Kantonen geschaffen werden. Das in der Verfassung festgehaltene Subsidiaritätsprinzip und das Prinzip der fiskalischen Äquivalenz sind dabei konsequent anzuwenden. Sowohl beim Bund als auch bei den Kantonen wird derzeit an Vorschlägen für eine Entflechtung gearbeitet.

Vorsicht bei kantonalen Haushaltsregeln


Für die Umsetzung einer stabilitätsorientierten Finanzpolitik spielten in der Vergangenheit die kantonalen Haushaltsregeln eine wichtige Rolle. Diese Regeln sind von Kanton zu Kanton sehr unterschiedlich als Ausgaben-, Defizit- oder Schuldenbremsen ausgestaltet.[3] Die Vielfalt der Regeln gleicht einem föderalen Labor für Politiklösungen. Gleichzeitig berücksichtigen sie die finanzpolitischen Anforderungen und Präferenzen in den Kantonen.

Vor dem Hintergrund der anstehenden finanzpolitischen Herausforderungen wird nicht nur beim Bund, sondern auch bei den Kantonen über mögliche Anpassungen dieser Regeln diskutiert. Die Bedeutung und die Wirkung der Regeln müssen jedoch aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung individuell beurteilt werden. Eine kurzsichtige Lockerung der Haushaltsregeln, insbesondere um Konsumausgaben zu finanzieren, gilt es zu vermeiden. Sie bleiben eine wichtige institutionelle Rahmenbedingung für eine stabilitätsorientierte Finanzpolitik.

  1. Siehe Oecd.org[]
  2. Siehe Brändle, T. Colombier, C. und Philipona, A. (2016). Zunehmende Alterung trifft Kantone am stärksten. In: Die Volkswirtschaft 5-2016. []
  3. Siehe Waldmeier, D. und Mäder, B. (2015). Handbuch der Schuldenbremsen der Schweiz. Regeln der Insolvenzvorsorge im Zusammenspiel mit dem geltenden Haushaltsrecht. In: C. A. Schaltegger, K. A. Vallender und  T. Angelini (Hrsg.), Schriftenreihe Finanzwissenschaft und Finanzrecht, Band 111, Bern: Haupt. []

Zitiervorschlag: Peter Mischler (2016). Demografie und internationaler Steuerwettbewerb fordern die Kantone. Die Volkswirtschaft, 22. September.

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