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Wie der Franken zu seiner Stärke kam

Der Franken gilt aktuell wie traditionell als sicherer Hafen für Anleger. Doch das war nicht immer so. Eine Studie zeigt, dass er sich erst ab dem Ersten Weltkrieg zur stabilen Währung entwickelte.
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Star oder Profiteur? Auch die politische und monetäre Instabilität im Ausland verhalf dem Franken zu seiner Stärke. (Bild: Keystone)

Der Franken ist heute zweifellos eine «starke» Währung, die in Krisenzeiten als Anlagewährung eine grosse Nachfrage hat. Doch seit wann besitzt der Franken diesen Status einer sogenannten Safe-Haven-Währung? Ist diese Eigenschaft mit dem Übergang zu flexiblen Wechselkursen im Jahre 1973 verbunden oder schon älter? Diese Frage ist nicht nur aus historischer Perspektive interessant.  Auch aktuell ist sie bezüglich der Ursachen der Frankenstärke von Bedeutung.

Doch zuerst muss definiert werden, was eine «starke» Währung ist. Diese Eigenschaft geht mit der Stabilität und der Verlässlichkeit als Wertaufbewahrungsmittel einher. Daraus lassen sich zwei messbare Indikatoren für die Währungsstärke ableiten: Erstens sollte eine starke Währung durch relativ niedrige nominale und reale Zinssätze charakterisiert sein, da Anleger einen niedrigeren Ertrag auf eine sichere Anlage akzeptieren. Zweitens können in einem metallischen Währungssystem (z. B. Goldstandard) die Abweichungen von der metallischen Parität beigezogen werden: Im Gegensatz zu starken Währungen sind schwache Währungen unterbewertet. Dadurch wird das höhere Risiko kompensiert, dass die Konvertibilität aufgehoben wird. Da sich unter reinen Papierstandards dieses Konzept natürlich nicht verwenden lässt, müssen wir die nominale und die reale Aufwertung als Indikatoren für die Währungsstärke verwenden.

Peter Kugler von der Universität Basel und Beatrice Weder di Mauro von der Universität Mainz haben zum ersten Indikator, dem Zinssatz, geforscht und diverse Arbeiten verfasst. Diese zeigen, dass in der Periode flexibler Wechselkurse seit 1973 die Frankenzinssätze im internationalen Vergleich nicht nur nominal – d. h. inflationsbedingt –, sondern auch real und wechselkurskorrigiert niedrig sind.[1] Die Autoren interpretieren die damit verbundene systematische und langfristige Abweichung von der ungedeckten Zinsparität als Bereitschaft der Anleger, wegen der ausserordentlichen Stabilität des Frankens zugunsten von Sicherheit auf Ertrag zu verzichten.

Die schweizerische Zinsinsel


Zur relativen Höhe der Zinssätze unter den monetären Regimen vor 1973 gibt es nur wenige Hinweise. Sie legen aber nahe, dass der Franken erst nach dem Ersten Weltkrieg zu einer starken Währung wurde und von 1880 bis 1914 eher zur Schwäche neigte. In einer jüngst veröffentlichten Studie[2] haben wir den Status des Frankens unter den monetären Regimen von 1837 bis 1970 untersucht. Für die Zeit nach 1914 wurden die Zinssätze sowie die nominale und die reale Aufwertung des Frankens gegenüber Pfund und Dollar als Indikatoren für die Währungsstärke verwendet. Für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg wurde neben den Zinssätzen auch direkt die Abweichung von den metallischen Paritäten analysiert.

Die betrachtete Periode war insgesamt von fixen Wechselkursen dominiert: Bis 1914 teilten die Währungen eine Metallbindung. Von 1860 bis 1914 waren sie an das Gold gebunden. In der Zwischenkriegszeit wurde kurzzeitig der Goldstandard wiederhergestellt, und von 1946 bis 1971 war das Bretton-Woods-System in Kraft. Somit sind nur kurze und vorübergehende Perioden flexibler Wechselkurse zu verzeichnen, und man kann die Zinssätze ohne Wechselkursanpassung vergleichen.

Vor dem Ersten Weltkrieg war der Franken gegenüber dem Pfund – einer etablierten und stabilen Währung – relativ schwach. Das britische Zinsniveau lag bis 1914 tendenziell unter dem schweizerischen (siehe Abbildung 1). Nach 1914 kehrte sich diese Reihenfolge um, und das schweizerische Zinsniveau lag immer deutlicher unter dem britischen. Gegenüber Frankreich zeigte sich bis Ende der 1880er-Jahre kein wesentlicher Unterschied. Danach wandelte sich der Franken gegenüber dem Franc zu einer schwachen Währung: Ab 1889 lag das Zinsniveau in der Schweiz deutlich über demjenigen in Frankreich. Erst nach 1914 zeigt sich das gewohnte Bild der schweizerischen Zinsinsel mit im internationalen Vergleich niedrigen Zinssätzen.

Abb. 1: Diskontsätze in der Schweiz, Frankreich und Grossbritannien (1837 bis 1970)


Anmerkung: Für Frankreich und Grossbritannien handelt es sich um den Diskontsatz der Banque de France beziehungsweise der Bank of England. Für die Zeit vor der Schaffung der Schweizerischen Nationalbank (SNB) entspricht der Schweizer Zinssatz dem arithmetischen Mittel der Noten ausgebenden Geschäftsbanken, nach 1907 ist es dann der entsprechende SNB-Zinssatz.

Quelle:  Baltensperger und Kugler (2016) / Die Volkswirtschaft


Diese Muster lassen sich durch ökonometrische Strukturbruchtests erhärten: Der britische Zinssatz ist im Mittel von 1837 bis 1914 0,34 Prozent tiefer. Von 1914 bis 1951 liegt er jedoch um 0,63 Prozent und von 1952 bis 1970 um 3,20 Prozent höher als der schweizerische Wert. Im Vergleich zu Frankreich betrug das mittlere Zinsdifferenzial zwischen 1889 und 1913 1,15 Prozent. Zwischen 1914 und 1970 waren es 1,47 Prozent. Alle Werte sind statistisch signifikant.

Ergebnisse für die Niederlande und Deutschland bestätigen den Befund, dass der Franken erst nach dem Ersten Weltkrieg zu einer starken Währung geworden ist: Bis und mit Erstem Weltkrieg lässt sich gegenüber der ehemaligen niederländischen Währung Gulden ein Zinsmalus (Zinsaufschlag) des Frankens beobachten. Zu der von Deutschland 1875 als Reichswährung geschaffenen Mark zeigt sich keine signifikante Differenz. Nach dem Weltkrieg liegt das Zinsniveau beider Länder signifikant über jenem der Schweiz.[3]

Wechselkursschwankungen vor 1914


Aufgrund der seit 1860 bi-metallischen Definition des Frankens ergeben sich konstante metallische Paritäten als Arbitrage-Gleichgewicht gegenüber allen betrachteten Währungen. Vor 1860 existierte keine konstante metallische Parität gegenüber dem Pfund, das seit 1819 eine reine Goldwährung war. Für die Periode 1852–1859 wurde der flexible Paritätskurs daher anhand des Gold-Silber-Preisverhältnisses am Londoner Markt berechnet. Die metallischen Paritäten zeigen im Wesentlichen das gleiche Bild wie die Zinsdifferenzen: Unsere Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass der Franken bis 1914 eine «normale» Währung mit Perioden der Stärke und der Schwäche gegenüber den meisten anderen Währungen war. Nur gegenüber der etablierten Altwährung Pfund zeigt sich eine deutliche Unterbewertung über den ganzen Zeitraum.[4]

Gegenüber dem Franc zeigt sich zwischen 1852 und 1870 eine leichte Überbewertung des Frankens (im Mittel: –0,073%). Nach den Jahren der Inkonvertibilität des Francs im Zuge des Kriegs mit Preussen kehrt diese Überbewertung in eine Unterbewertung in den Jahren 1884 bis 1914 (im Mittel: 0,22%). Die Schwäche gegenüber dem Franc in den 30 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg ist am plausibelsten durch die Überemission von Banknoten unter der 1881 erzwungenen Harmonisierung der privaten Banknotenausgabe in der Schweiz zu erklären.[5]

Das Pfund verzeichnet bis 1865 gegenüber dem Franken eine starke Überbewertung (im Mittel: 0,83%), die sich danach auf 0,13 Prozent reduziert. Gegenüber der Mark lässt sich keine signifikante Abweichung von der metallischen Parität feststellen.

Abb. 2: Abweichungen des Wechselkurses von der metallischen Parität, Franken gegenüber Franc, Pfund und Mark (1852 bis 1914)


Anmerkung: Da die Mark erst 1875 nach der Reichsgründung als Goldwährung geschaffen wurde, wurde sie vorher durch eine Hamburger Silberwährung, die sogenannte Mark Banco, ersetzt.

Quelle:  Baltensperger und Kugler (2016) / Die Volkswirtschaft

Aufwertungstrend durch relative monetäre Stabilität


Mit dem Ersten Weltkrieg, der europäischen «Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts», ist auch das klassische System der metallischen Währungen zu Ende gegangen. Nach der in der Grossen Depression gescheiterten Wiedereinführung des Goldstandards und dem 1971 zusammengebrochenen quasimetallischen System von Bretton Woods wurde der Übergang zu reinen Papierwährungen 1973 mit den flexiblen Wechselkursen abgeschlossen. Die Abweichungen von den metallischen Paritäten können folglich nicht mehr als direkter Indikator für Währungsstärke verwendet werden.

Als langfristiger Massstab für die Wechselkursentwicklung wird deshalb meist die relative Kaufkraftparitätshypothese beigezogen. Diese besagt, dass sich der Wechselkurs langfristig proportional zum relativen Preisniveau in den beiden Währungsräumen entwickelt. Die Anwendung einschlägiger ökonometrischer Methoden wie der Kointegrationsanalyse zeigt allerdings, dass für den Franken ein vom relativen Preisniveau unabhängiger, realer und deterministischer Aufwertungstrend vorliegt. Dieses Phänomen wird hier anhand des Wechselkurses Franken-Dollar illustriert. Für das Pfund erhalten wir im Wesentlichen gleiche Ergebnisse. Die Fokussierung auf diese beiden Währungen drängt sich deshalb auf, weil vor dem Ersten Weltkrieg das Pfund die Weltwährung war und diese Rolle nach dem Krieg an den Dollar überging. Im Gegensatz etwa zur Mark sind die beiden Währungen nie durch Hyperinflation oder die Zahlungseinstellungen des Staates zusammengebrochen und ersetzt worden.

Abbildung 3 zeigt den aktuellen Wechselkurs und den langfristigen Gleichgewichtswechselkurs. Der Gleichgewichtskurs entwickelt sich einerseits proportional zum relativen Konsumentenpreisniveau in der Schweiz und den USA und andererseits gemäss einem geschätzten, log-linearen deterministischen Trend mit einer realen Aufwertungsrate des Frankens von jährlich rund 0,9 Prozent. Die dritte Zeitreihe stellt die hypothetische Entwicklung des Wechselkurses gemäss der relativen Kaufkraftparität ohne Berücksichtigung des realen Trends dar. Der Gleichgewichtswechselkurs nach relativer Kaufkraftparität zeigt, dass der Dollar schon rein inflationsbedingt von einem Niveau von gut 6 Franken auf 3 Franken gefallen ist. Für den Kurs Franken/Pfund, der ebenfalls durch eine reale Aufwertungsrate des Frankens von rund 0,9 Prozent gekennzeichnet ist, ergibt sich sogar eine inflationsbedingte langfristige Pfundabwertung von über 25 Franken auf 5 Franken. Beide Zahlen belegen die durch relative monetäre Stabilität generierte ausserordentliche Stärke des Frankens in den letzten 100 Jahren.

Die reale Trendaufwertung ist hingegen nicht als Indikator der monetären Stärke zu interpretieren. Am plausibelsten ist sie durch den Balassa-Samuelson-Effekt zu erklären: Eine im Vergleich zu den USA und Grossbritannien höhere Produktivitätsdifferenz zwischen dem schweizerischen Export- und dem weniger wettbewerbsintensiven Heimsektor führt zu überhöhten Löhnen und Preisen im Heimsektor und somit zu einem überhöhten relativen Konsumentenpreisniveau. Diese Interpretation wird auch dadurch gestützt, dass sich der reale Aufwertungstrend in abgeschwächter Form (knapp 0,5%) auch gegenüber dem Eurowährungsgebiet seit den späten 1970er-Jahren statistisch signifikant nachweisen lässt.[6]

Abb. 3:  Trendentwicklung des Franken-Dollar-Wechselkurses, relative Kaufkraftparität und reale Aufwertung (1914 bis 2010)


Quelle: Baltensperger und Kugler (2016) / Die Volkswirtschaft


Wie die Analyse von Geldmarktzinssätzen und Wechselkursen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt, waren der Erste Weltkrieg und die damit in vielen Ländern verbundene politische und monetäre Instabilität das entscheidende Ereignis für die Entwicklung des Frankens zu einer starken Währung. Insbesondere die De-facto-Aufgabe eines metallischen Währungssystems wurde in der Schweiz kaum zur monetären Staatsfinanzierung ausgenützt. Durch politische und monetäre Stabilität seit den 1920er-Jahren hat der Franken so den Status einer Safe-Haven-Währung erreicht. Vor 1914 war der Franken eine «normale» Währung mit wechselnden Episoden der Stärke und der Schwäche. Schwach war er insbesondere gegenüber den etablierten stabilen Währungen Pfund und Gulden.

 

  1. Kugler und Weder Di Mauro, 2002 und 2005. []
  2. Baltensperger und Kugler (2016). []
  3. Aufgrund der Platzbeschränkung werden diese Ergebnisse hier nicht im Detail dargestellt. Die vollständige Studie ist hier verfügbar. Als weiterführende Arbeit siehe auch Baltensperger und Kugler (im Erscheinen). []
  4. Analoges gilt auch für den niederländischen Gulden. []
  5. Vgl. Baltensperger (2012). []
  6. Ernst Baltensperger und Peter Kugler (im Erscheinen). []

Literaturverzeichnis

  • Baltensperger, Ernst (2012). Der Schweizer Franken – Eine Erfolgsgeschichte, Verlag NZZ, Zürich 2012, Kap. 4.
  • Baltensperger, Ernst und Peter Kugler (2016). The Historical Origins of the Safe Haven Status of the Swiss Franc, Aussenwirtschaft 67.
  • Baltensperger, Ernst und Peter Kugler (im Erscheinen). Swiss Monetary History Since the Early 19th Century, Cambridge University Press, Chapter III.4.
  • Kugler, Peter und Beatrice Weder Di Mauro (2002). The Puzzle of the Swiss Interest Rate Island: Stylized Facts and a New Interpretation, Aussenwirtschaft 57.
  • Kugler, Peter und Beatrice Weder Di Mauro (2005). Why Are Returns on Swiss Franc Assets so Low?, Applied Economics Quarterly 51.

Bibliographie

  • Baltensperger, Ernst (2012). Der Schweizer Franken – Eine Erfolgsgeschichte, Verlag NZZ, Zürich 2012, Kap. 4.
  • Baltensperger, Ernst und Peter Kugler (2016). The Historical Origins of the Safe Haven Status of the Swiss Franc, Aussenwirtschaft 67.
  • Baltensperger, Ernst und Peter Kugler (im Erscheinen). Swiss Monetary History Since the Early 19th Century, Cambridge University Press, Chapter III.4.
  • Kugler, Peter und Beatrice Weder Di Mauro (2002). The Puzzle of the Swiss Interest Rate Island: Stylized Facts and a New Interpretation, Aussenwirtschaft 57.
  • Kugler, Peter und Beatrice Weder Di Mauro (2005). Why Are Returns on Swiss Franc Assets so Low?, Applied Economics Quarterly 51.

Zitiervorschlag: Baltensperger, Ernst; Kugler, Peter (2016). Wie der Franken zu seiner Stärke kam. Die Volkswirtschaft, 22. September.

Von der Forschung in die Politik

Die «Volkswirtschaft» und das wissenschaftliche Journal «Aussenwirtschaft» des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschaft und angewandte Wirtschaftsforschung der Universität St. Gallen verbessern den Wissenstransfer von der Forschung in die Politik: Aktuelle wissen­schaftliche Studien mit einem starken Be­zug zur schweizerischen Wirtschafts­poli­tik erscheinen in einer Kurzfassung in der «Volkswirtschaft».