Problematische Verschuldungsanreize im Steuersystem
Für viele Wohneigentümer kommt der Schuldenabbau nicht an erster Stelle. Blick aus einem Luxusappartement in Zürich. (Bild: Keystone)
Die Weltwirtschaft hat mit der Finanz- und Wirtschaftskrise eine der schwerwiegendsten Rezessionen erlebt. Krisen dieses Ausmasses sind meist auf eine hohe Verschuldung des Staates, der Banken oder der Haushalte zurückzuführen. Obwohl die Schweiz relativ glimpflich durch diese Krise gekommen ist, haben auch hierzulande die Risiken zugenommen. Die im internationalen Vergleich hohe Hypothekarverschuldung der privaten Haushalte steht dabei besonders im Fokus.
Die Schweizer Immobilienkrise der Neunzigerjahre und diejenigen der letzten Jahre in verschiedenen Krisenländern haben gezeigt, dass eine hohe unsorgfältige Kreditvergabe zu signifikanten Verlusten in der Finanzbranche führen kann – etwa wenn sich die Zinsen rasch erhöhen oder die Immobilienpreise in einer Rezession stark zurückgehen. Solche Ereignisse können die Stabilität einzelner Institute oder des Finanzsystems insgesamt bedrohen.
Für die privaten Haushalte wiederum bedeutet ein hoher Verschuldungsgrad hohe Zins- und Amortisationszahlungen, welche auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten geleistet werden müssen und dann das verfügbare Haushaltseinkommen stark belasten. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit einer schweren Rezession.[1] Ein hoher Verschuldungsgrad führt zudem dazu, dass Probleme zwischen Ländern und Sektoren übertragen werden können und die staatlichen und privaten Möglichkeiten, auf Schocks zu reagieren, beschränkt werden. Platzen Immobilienblasen, hat dies oft lang anhaltende Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft – etwa weil die Entschuldung der Haushalte nur langsam erfolgt oder die regionale Flexibilität des Arbeitsmarktes eingeschränkt ist, was die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft behindert.
Steuersystem belohnt Verschuldung
Neben den Behörden haben die Banken und die Schweizerische Nationalbank gegen die mit der Hypothekarverschuldung verbundenen Risiken Massnahmen ergriffen. So wurden in den vergangenen fünf Jahren die Mindestanforderungen bei Hypothekarfinanzierungen verschärft, Risikogewichte für Hypotheken angepasst und der sogenannte antizyklische Kapitalpuffer erhöht. Ein wesentliches Problem bleibt jedoch bestehen: Das Steuersystem setzt Anreize, eine (zu) hohe Verschuldung einzugehen. Der Internationale Währungsfonds und die OECD haben die Schweiz in jüngster Zeit vermehrt auf dieses Risiko hingewiesen.
Als Knackpunkt erweist sich das System der Eigenmietwertbesteuerung (siehe Kasten): Diese verleitet heute zu einer hohen Verschuldung. Ein wichtiger Verschuldungsanreiz versteckt sich beim Steuerabzug von Schuldzinsen. So halten Immobilienbesitzer oftmals die Verschuldung hoch und investieren lieber einen Teil des Vermögens in von der Kapitalgewinnsteuer befreite Wertpapiere, als dass sie das Geld für die Amortisation der Hypotheken verwenden. Von der steuerlichen Situation profitieren daher nicht zuletzt auch die Banken, welche auf der einen Seite höhere Zinseinnahmen aus dem Hypothekargeschäft verbuchen und auf der anderen Seite zusätzliche Kommissionen aus dem Wertpapiergeschäft erzielen.
Ein weiterer Verschuldungsanreiz ergibt sich dadurch, dass die Eigenmietwerte wie auch die Vermögenssteuerwerte der Immobilien in der Regel deutlich unter dem Marktwert liegen. Gleichzeitig sind die Abzugsmöglichkeiten für Hausbesitzer grosszügig ausgestaltet. Dies setzt einerseits den – politisch gewollten – Anreiz, Wohneigentum zu erwerben, anstatt zu mieten. Andererseits verleitet dies manche dazu, eine teurere Liegenschaft zu erwerben und dafür eine höhere Verschuldung einzugehen, als dies ohne diese Anreize der Fall wäre. Im Ergebnis setzt sich ein Teil der Bevölkerung einem hohen Risiko aus.
Haushalte hoch verschuldet
Über 90 Prozent der Verschuldung der Haushalte in der Schweiz entfallen auf Hypothekarkredite.[2] Im Vergleich zum Bruttoinlandprodukt (BIP) beträgt die Verschuldung der privaten Haushalte 124 Prozent.[3] Weltweit steht die Schweiz damit hinter Australien an zweiter Stelle (siehe Abbildung 1). Die vergleichsweise geringe Wohneigentumsquote in der Schweiz von 37,4 Prozent impliziert zudem eine hohe Hypothekarschuld pro Wohneigentümer.[4]
Abb. 1: Verschuldung der privaten Haushalte (in Prozent des BIP, 4. Quartal 2015)
Anmerkung: Private Haushalte inkl. privater Organisationen ohne Erwerbszweck gemäss Definition der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR).
Quelle: Bank für internationalen Zahlungsausgleich (2016) / Die Volkswirtschaft
Der durchschnittliche Bruttoverschuldungsgrad[5] der Wohneigentümer beträgt gemäss einer Studie der Eidgenössischen Steuerverwaltung rund 47 Prozent. Bei einem Drittel beträgt der Bruttoverschuldungsgrad sogar über 60 Prozent.[6] Steuerdaten von Wohneigentümern zeigen zudem, dass vor der Pensionierung im Durchschnitt nur wenig amortisiert wird.
Sofern der Verschuldung ausreichende Vermögenswerte gegenüberstehen, stellt eine hohe Bruttoverschuldung der Haushalte aus Sicht der Finanz- und Makrostabilität nicht a priori ein Problem dar. Tatsächlich weisen die Haushalte hohe Vermögen auf. Allerdings sagt das resultierende Nettovermögen wenig über die unterschiedlichen Fristigkeiten von Vermögen und Schulden aus. Insbesondere der Zugriff auf die Pensionskassenguthaben ist nur unter eng definierten Gründen möglich.
Zudem zeigen die Erfahrungen von Immobilienkrisen: Stark wachsende Immobilienpreise blähen die Vermögensseite auf, was die Haushalte zur verstärkten Kreditaufnahme verleiten kann. Schliesslich sind die Vermögen in der Schweiz ungleich verteilt. Aus diesen Gründen ist es möglich, dass die Betrachtung des Nettovermögens zu einer falschen Einschätzung der Risiken führt.
Der Bericht der Nationalbank zur Finanzstabilität gibt einen Hinweis darauf, wie nachhaltig die Verschuldungssituation ist.[7] Demnach gerieten rund 40 Prozent der Wohneigentümer, die eine Neuhypothek abgeschlossen haben, ab einem Zinssatz von 5 Prozent stark in Bedrängnis. Bei dieser Risikogruppe würde die Belastung durch Hypothekar-, Tilgungs- und Nebenkosten ein Drittel des Brutto-Haushaltseinkommens übersteigen.
Seit 2012 wurden verschiedene regulatorische Massnahmen zur Dämpfung der Immobilienpreis- und Hypothekardynamik ergriffen. Trotzdem hat sich an der Tragbarkeitssituation bislang nichts grundlegend geändert. Das aktuelle Tiefzinsumfeld und die «Suche nach Rendite» verstärken zudem die Anreize zu Investitionen in Immobilien, was zum Anstieg der Immobilienpreise seit 2008 beigetragen hat (siehe Abbildung 2).
Abb. 2: Verhältnis der Immobilienpreise zum Einkommen pro Kopf
Anmerkung: 2010=100
Quelle: OECD / Die Volkswirtschaft
Experten schlagen drei Reformvarianten vor
Unter anderem als Reaktion auf die Finanz- und Wirtschaftskrise hat der Bundesrat die «Expertengruppe zur Weiterentwicklung der Finanzmarktstrategie» eingesetzt, welche auch die systemischen Risiken in der Schweiz analysieren und mögliche Massnahmen zu deren Beseitigung vorschlagen sollte.
Im Rahmen ihrer Arbeiten hat die Expertengruppe dem Bundesrat im Jahr 2014 empfohlen, zu untersuchen, inwiefern steuerliche Anreize zur Verschuldung bei Hypothekarnehmern die Stabilitätsrisiken erhöhen. Eine Arbeitsgruppe des Bundes hat daraufhin einen Bericht erarbeitet und dem Bundesrat diesen im Juni 2016 vorgelegt.
Im Bericht[8] werden drei Reformvarianten vorgestellt, welche den Verschuldungsanreizen der privaten Haushalte entgegenwirken können: Die Variante «Benchmark» sieht eine konsequentere Umsetzung des heutigen Systems vor. Dabei würden erstens die Eigenmieten ohne Abschlag zum Marktpreis versteuert. Zweitens würden die Liegenschaftspauschale sowie der Abzug für energiesparende und umweltschonende Investitionen abgeschafft, und drittens würden private Kapitalgewinne steuerbar. Dadurch würde es für Wohneigentümer attraktiver, die Hypotheken abzubezahlen, anstatt in steuerbefreite Wertpapiere zu investieren und die Verschuldung hoch zu halten.
In der zweiten Variante «Systemwechsel» würde die Eigenmietwertbesteuerung abgeschafft. Dabei wären im Gegenzug allerdings auch keine Abzüge im Zusammenhang mit der selbst bewohnten Immobilie mehr zugelassen – insbesondere keine Schuldzinsen mehr.
Die dritte Variante «Korrektur Schuldzinsenabzug» beschränkt die steuerliche Abzugsfähigkeit. Derzeit können bis zu 50’000 Franken mehr an Zinsen abgezogen werden, als an Vermögenserträgen (inklusive Eigenmietwert) anfällt, was kaum zu rechtfertigen ist.
Systemwechsel reduziert Verschuldungsanreize
Die Entscheidung, welche Massnahme zu bevorzugen ist, hängt von den politischen Zielsetzungen ab. Wenn das wirtschaftspolitische Ziel eines effizienten Steuersystems hoch gewichtet wird, dann wäre es angezeigt, die Eigenmietwertbesteuerung nicht abzuschaffen, sondern im Sinne der Benchmark-Variante auszubauen. Diese Massnahme würde die bestehenden steuerlichen Lücken schliessen und die Verschuldungsanreize für die privaten Haushalte reduzieren.
Ein Systemwechsel würde das Steuersystem vereinfachen. Er würde es ermöglichen, einkommenssteuerfrei Kapital in Wohneigentum anzulegen. Dadurch könnten die Verschuldungsanreize abgebaut werden, und die Finanz- und Makrostabilität würde deutlich steigen. Die Auswirkungen eines Systemwechsels auf die gesamtwirtschaftliche Effizienz bleibt aber unklar, da das Steuersystem nach wie vor Wohn- und Anlageformen der Haushalte beeinflussen würde; anstelle der Verschuldung würde nun das eigenfinanzierte Wohneigentum gefördert, zulasten anderer Wohn- und Anlageformen.
Die Einschränkung des Schuldzinsenabzugs würde die Verschuldungsanreize zwar senken, wäre jedoch wenig effektiv. Denn diese Massnahme hätte – insbesondere in Anbetracht des derzeit niedrigen Zinsniveaus und der daher tiefen Anzahl betroffener Haushalte – nur geringe Wirkungen auf die Verschuldung.
Keine politischen Mehrheiten für Reformen
Politisch am schwierigsten durchsetzbar ist die Variante Benchmark mit höheren Eigenmietwerten. Denn Steuererhöhungen bei Wohneigentümern erweisen sich als wenig aussichtsreich, und auch eine Besteuerung privater Kapitalgewinne war bisher politisch chancenlos. Auch Vorschläge, die in Richtung eines Systemwechsels zielten, sind in der Vergangenheit wiederholt gescheitert.
Sich abstützend auf dem Bericht, hat der Beirat «Zukunft Finanzplatz» – welcher sich aus Vertretern der Wissenschaft, der Privatwirtschaft und der Behörden zusammensetzt – dem Bundesrat empfohlen, einen Systemwechsel bei der Eigenmietwertbesteuerung anzustreben. Denn die Mehrheit dieses Gremiums sah – wie auch die verwaltungsinterne Arbeitsgruppe – mit Blick auf die Finanz- und Makrostabilität einen Handlungsbedarf.
Der Bundesrat hat im Juni 2016 den Verwaltungsbericht zur Kenntnis genommen. Allerdings verzichtete er darauf, eine Gesetzesvorlage auszuarbeiten, da verschiedene Vorschläge wiederholt gescheitert sind. Ein wichtiger Grund, weshalb ein Systemwechsel bisher chancenlos blieb, dürfte darin liegen, dass die Mehrheit des Parlaments eine wohneigentümerfreundliche Umsetzung will. Im Volk bilden hingegen (noch) die Mieter die Mehrheit.
Die internationalen Erfahrungen der letzten Jahre zeigen deutlich, dass mit Massnahmen zur Reduktion der Verschuldung nicht gewartet werden soll, bis die nächste Krise vor der Tür steht. Aufgrund der bisher erfolglosen Reformbemühungen bei der Wohneigentumsbesteuerung erscheint es allerdings fraglich, ob dereinst eine politische Mehrheit für eine Vorlage gefunden werden kann.
Literaturverzeichnis
- Duval, R. und L. Vogel (2008). Economic Resilience to Shocks: The Role of Structural Policies. OECD Economic Studies No. 44, 2008/1.
- ESTV (2014). Eigenmietwertbesteuerung – Anreizmechanismen, Verteilungseffekte und finanzielle Auswirkungen verschiedener Reformoptionen, Bern.
- ESTV, BWO, EFV, SECO, SIF und SNB (2016). Private Verschuldungsanreize im Steuersystem und mögliche Massnahmen zu deren Reduktion, Bern.
- SNB (2015a). Vermögen der privaten Haushalte 2014, Zürich.
- SNB (2015b). Bericht zur Finanzstabilität 2015, Zürich.
- Sutherland, D. und P. Hoeller (2012). Debt and Macroeconomic Stability: An Overview of the Literature and Some Empirics. OECD Economics Department Working Papers, No. 1006, OECD Publishing.
Bibliographie
- Duval, R. und L. Vogel (2008). Economic Resilience to Shocks: The Role of Structural Policies. OECD Economic Studies No. 44, 2008/1.
- ESTV (2014). Eigenmietwertbesteuerung – Anreizmechanismen, Verteilungseffekte und finanzielle Auswirkungen verschiedener Reformoptionen, Bern.
- ESTV, BWO, EFV, SECO, SIF und SNB (2016). Private Verschuldungsanreize im Steuersystem und mögliche Massnahmen zu deren Reduktion, Bern.
- SNB (2015a). Vermögen der privaten Haushalte 2014, Zürich.
- SNB (2015b). Bericht zur Finanzstabilität 2015, Zürich.
- Sutherland, D. und P. Hoeller (2012). Debt and Macroeconomic Stability: An Overview of the Literature and Some Empirics. OECD Economics Department Working Papers, No. 1006, OECD Publishing.
Zitiervorschlag: Busch, Christian; Lorenz, Stephanie; Morger, Mario (2016). Problematische Verschuldungsanreize im Steuersystem. Die Volkswirtschaft, 24. Oktober.
Wohneigentümer, die ihre Immobilie selbst bewohnen, erzielen faktisch ein Einkommen im Umfang der eingesparten Miete. Dieses wird als Eigenmietwert besteuert. Im Gegenzug dürfen die Eigenheimbesitzer jedoch ihre Schuldzinsen, Unterhalts- und weitere Liegenschaftskosten von der Besteuerungsgrundlage abziehen. Diese Eigenmietwertbesteuerung ist insofern steuersystematisch sinnvoll und gerecht, als sie verschiedene Einkommensarten gleich besteuert und Eigentümer und Vermieter gleichstellt.
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung darf der Eigenmietwert bei den kantonalen Einkommenssteuern nicht tiefer als 60 Prozent des Marktwerts liegen. Bei der direkten Bundessteuer interveniert die Eidgenössische Steuerverwaltung als Aufsichtsbehörde, wenn im Kantonsdurchschnitt die ermittelten Eigenmietwerte weniger als 70 Prozent des Marktwerts betragen.